Flandern und die Nationalisten. Ein Mißbrauch der Heeresflaggen. Die Rechtspr«s!e meldet, daß am 9. November die Berliner ..Studentenschaft" unter Beteiligung der Hochschulrektoren und alter Heerführer mit den Fahnen der Flandern « a r m e e von 1914 einen Gedenkgottesdienst abhalten würde. Ohne Zustimmung des Reichswehrministers wird dieser Mist. brauch der Fahnen nicht möglich sein. Auch die Anwesenheit der Rektoren nötigt zu einigen Bemerkungen. Die Berliner ..Studentenschast" ist nicht, wie ihr Name glauben machen soll, der Zusammenschluß aller Berliner Studenten, sie war es Die vor einigen Jahren: seitdem die Linksgruppen, die Zentrumsstudenten und allmählich wohl auch die Volksparteilsr ausgeschieden. Die ..Studentenschaft" hat keine anderen Rechte als irgend. ein Studenten verein. Sie ist von jeher nationalistisch und chauvinistisch, seit kurzem gewinnen die Nationalsozialisten in ihr die Oberhand. Dieser Berein, der sich in Irreführung der osfentlichen Meinung„Berliner Studentenschaft" nennt, wagt es, die Toten von Longemarck für sich zu reklamieren und über dem heiligen Feuer der akademischen Jugend von 1914 seine P a r t« i su p p e zu kochen. Es ist nicht verwunderlich, daß troßdem an dem Tage der„Ge- denkfeier" die alten Generäle in voller Kriegsbemalung teilnehmen: die alten Herren lasten sich, in Ermangelung besserer Beschäftigung, -chr zum Schaden ihres Ansehens stets von„patriotischen" Ver- bänden mißbrauchen. Mögen sie es tun, die Zeit ist über sie und ihre Ideale hinweggegangen! Aber was haben die Fahnen des früheren 22. Reservekorps, unter denen Studenten und Arbeiter gemeinsam ge» kämpft und gelitten haben, bei der Feier dieser unreifen Burschen zu suchen? Der Reichswehrminister möge achthaben, daß nicht wiederum die„traditionsgebundene" Reichswehr in den Ver- dacht national! st ischer Umtriebe gerät! Vollends un- möglich aber ist es. daß die Gedenkfeier unter dem Protektorat der H o ch s ch u l r e k t o r e n vor sich gehen soll. In Kiel müsten Rektor und Senat den alten Profestor Baum» garten vor A n p ö b e l e i e n der studentischen Rechtsgcuppen ichützen und die Rädelsführer der Nazis von der Universität verweisen. In Verlin aber oereinigen sich die braven und duld- lamen Prosestoren mit denselben Swdentengruppen zu einer Feier, zu der dies« Studenten weder die Legitimation noch die ethische Berechtigimg haben.
Weniger Kestbe�ieb! Ein längst nötiger Entschluß. Amtlich wird mitgeteilt: Bei der großen wirtschaftlichen Not, mit der weite Kreise des deutschen Volkes zu kämpfen haben, muß jedes Uebermaß an Feiern und Vergnügungen vermieden werden. Aus diesem Grunde haben die Reichs- und die preußische Staatsregie- rung beschlossen, Einladungen gesellschaftlicher Art nur beim Bor - liegen besonderer Anlaste Folg« zu leisten und chr« eigenen gesell- ichaftlichen Veranstaltungen auf das Mindestmaß dessen ein- zuschränken, was mit pflichtgemäßer Repräsentation vereinbar ist. Der Reichspräsident hat diesen Beschluß ausdrücklich gutgeheißen. Die Reichsregierung- und die preußisch« Staatsregierung richten angesichts' des Ernstes der Zeit an alle Kreise die dringende Auf- forderung, auch ihrerseits die gesellschaftlichen Ver- anstaltungen einzuschränken und insbesondere von öffentlichen Festlichkeiten möglichst abzusehen.
OieMißwirtschastimKielerMannedepot Derurteiwng der kleinen Schieber. kiel , 27. Oktober. (Eigenbericht.) Das KielerSchöffengericht hat am Montag nach drei- tägiger Verhandlung in der Kieler Marinedepotaffäre 13 Angestellte, fast ausschließlich Angestellte des Marinedepots und Kieler Geschäftsleute, zu Gefängnisstrafen von drei Wochen bis zu zehn Monaten verurteilt. Das überaus gelinde Urteil findet seine Begründung darin, daß die Angeklagten nur einen kleinen Teil der Schuldige nFzarstellen. Die Häuptschuldigen sind nicht gefaßt worden und können auch nicht gefaßt werden, weil es sich bei ihnen um höhere Beamte handelt, bei denen nur disziplinarische Verfehlungen in Frage kämen. Die Verhandlung, die zum großen Teil wegen Gefährdung der Staatssicherheit unter Ausschluß der Oeffentlichkeit stattfand, ergab, daß die ungeheure Mißwirtschaft auf dem Sperrdepot und das Bestehen eines sogenannten schwarzen Geheim- s o n d s die Verfehlungen der Angeklagten begünstigt hat. Ein- wandfrei festgestellt wurden Verfehlungen der Angeklagten aus dem August 1929, als am Kai des Kieler Hafens zehn Faß Oel und sechs Rollen Tauwerk, die mit einem Boot des Sperrdepots aus dem Marinearsenal herausgeholt worden waren, beschlagnahmt wurden. Die bei dieser Schiebung gefaßten Angeklagten haben ungefähr 20 weitere ähnliche Schiebungen zugegeben. Alle Schiebungen sind mit der größten Frechheit durchgeführt worden. So wurden von dem gutgläubigen Depotoorstand Bestellzettel unter- schrieben, ohne daß aber die bestellten Waren und Mengen geliefert worden wären. Die Lieferanten, die mit den Depotangestellten unter einer Deck« steckten, schickten vielmehr nur die Rechnun- gen und teilten sich mit den Depotangestellten und Magazin- arbeitern in die erschwindelten Beträge.
Knck spari. Er seht Bürgermeister auf Kosten der Gemeinden ab. Weimar . 27. Oktober.(Eigenbericht.) Der thüringische Minister Frick hat auf Grund einer kürzlich ertastenen Verordnung den der kommunistischen Oppo» sition angehörenden Bürgermeister Müller in Elgersburg seines Amtes enthoben. Die Amtsenthebung kommunistischer Bürgermeister bringt für die Gemeinden große si- nanzielle Ausgaben mit sich, weil den betreffenden Personen nach den Gemeindeordnungen das Gehalt bis zum Ablauf der Amtszeit voll und dann laufend ein bestimmter Prozentsatz des Gehaltes ge- zahlt werden muß._ Die Raiisikasionen zur tondoner INarine-Abrüstuugskonferenz sind von England, Japan und U�A. im Auswärtigen Amt zu London hinterlegt worden. Dazu gehaltene Kurzreden des japa- nischen Premierministers, Präsident H o o v e r s und Mac- donalds hat der Rundfunk am Montagnachmittag verbreitet.
Llnangenehmer Zwischenfall.
Der Aufsichtsrat der Städtischen Oper ist heut« zum erstenmal in der Spielzeit zu einer Sitzung zusammenberufen worden. Di« Beratungen galten der gesamten Opernsüuation und insbesondere auch der Frage der staatlich-städtischen Arbeitsgemeinschaft, mit der die Frage der Jntendantengemeinschaft in der Person des Generalintendanten Tietjen selbstverständlich in zwangsläufigem Zusammenhang steht. Zu irgendeiner definstwen Entscheidung hat. wie wir zu erklären in der Lage sind, die heutige Sitzung, die selbst- verständlich vertraulichen Charakter hatte, noch nicht geführt. Der Aussichtsrat tritt Anfang nächster Woche erneut zusammen, um dann voraussichtlich endgültige Entscheidungen zu treffen. Es besteht der Eindruck, daß an ein« übereilt« Läsung des städtisch-staatlichen Gemeinschaftsverhältnisses von keiner Seit« ge- dacht wird. Wenn auch diesem Verhältnis im gegenwärtigen Augen- blick das juristisch-formal« Siegel fehlt, so ist doch daran zu er- innern, daß der Aufsichtsrat im März 1929 die Verlängerung der Arbeitsgemeinschaft bis 1923 im Beisein eines Vertreters des Kultusministeriums beschlossen und bisher in keiner Weise den Willen, sich an seinen eigenen Beschluß nicht zu halten, zu erkennen gegeben hat. Daß die Form dieser Arbeitsgemeinschaft in vielen Teilen nicht befriedigt hat, ist freilich kein Geheimnis,
und in diesem Sinne ist die Haltung des Kultusministers Grimme zu begrüßen, der vor einiger Zeit durch ein« Mitteilung an den Aufsichtsrat zu einer erneuten Diskussion der beiderseitigen Inter - essen angeregt hat. Der Kultusminister deutet darin an, daß er Wert darauf lege, die Kraft Tietjens ausschließlich für die Staatstheater zu gewinnen. Aber es scheint zweifellos, daß diese wichtigste Per- sonensrag« vom Gesamtkomplex des Berliner Operproblems nicht abgetrennt und nur im Zusammenhang mit der Frage der Arbeits- gemeinschaft entschieden werden kann. Wir haben vor kurzem darauf hingewiesen, daß die alarmieren- dchi' Nächrichken. die'bon einem Teil' der bürgerlichen Press« in dieser Sache voreilig verbreitet wurden, wesentlich nur aus Kom- binationen beruhten, und wir halten es nicht für nötig, immer wieder den Sensationsmeldungen entgegenzutreten, mit denen die Leserschaft gewisser Boulevardblätter verwirrt, durch die ab« auch unnütz Beunruhigung geschaffen und jede sachliche Klärung der Lage erschwert wird. Wenn gestern ein bekanntes Mittagsblatt schon das genau« Abstimmungsergebnis einer Beratung, deren Gegenstand überhaupt nicht aus der Tagesordnung stand, vorherzusagen wußte, so lehnen wir selbstverständlich ab, mit solchen Methoden der Bericht- erstattung zu konkurrieren.
Das Arbeitslosenproblem. Beratung von SA), und ZGB. in Köln . Köln , 27. Oktober. (Eigenbericht.) Im Kölner Rathaus traten am Montag die beiden vom Vor- stand des Internationalen Gewerkschaftsbundes und der Exekutive der Sozialistischen Arbeiter- Inrer nationale gewählten Kommissionen zur V e h a n d- lung der Arbeitslosenfrage zusammen. Den Vorsitz führe» abwechselnd Citrine als Vorsitzender des Internationalen Gewerkschaftsbundes und de Brouckere als Vorsitzender der Exekutive der Sozialistischen Arbeiter-Internationale. Dom IGB. sind anwesend: Iouhaux- Frankreich , Ja c ob s« n- Kopen- Hagen, Schevcnels- Belgien, S m y t h s und B o l t o n- Eng- land, vom ADGB . L e i p a r t und S p l i e d t, von der Sozialistischen Arbeiter-Internationale Friedrich Adler - Zürich , Grimm- Schweiz, Dr. B. Kautsky- Oesterreich und Comp- ton- England sowie Gilles vom Sekretariat der Labour Party für internationale Angelegenheiten. N a p h t a l i von der Forschungs- stelle für Wirtschaftspolitik nimmt im Austrage der Sozialdemo- kratischen Partei an den Verhandlungen teil. Bor Eintritt in die Tagesordnung gedachte Eitrrne der beiden furchtbaren Bergwerkskatastrophen der letzten Woche und forderte die Versammlung auf, sich zu Ehren der beklagens- werten Opfer von den Sitzen zu erheben. Dem ADGB . wurde eine Sympathiekundgebung gesandt. Dann trat die Konserenz in eine Generaldebatte ein über die Probleme der inter - nationalen Arbeitslosigkeit, ihre Ursachen und ihre Bekämpfung.
Wahlhilfe für Oesterreich. Erispien und Lobe in den Versammlungen. Wien , 27� Ottober.;(Eigenbericht.) Am gestrigen Sonntagnachmittag hat Reichstagspräsident L ö b e auch in E i s« n st a d t im Vurgenland gesprochen. Er kam bei Erörterung des Anschlusses auf die Meldung eines westungarischen Blattes zu sprechen, daß Innenminister Siarhemberg das Burgenland an Ungarn ausliefern wolle. Dazu gab Lobe seiner Genugtuung darüber Ausdruck, daß Starhemberg selbst diese Aeuße- rung dementiert hat.
Am Monkagabsnd hat Löb« in drei. Erispien in vier Verstimm- lungen gesprochen. Starhemberg als Polizeichef. Wien . 27. Oktober.(Eigenbericht.) Der Polizeivizeprässdent Dr. C r a m e r hat sein Enttassungsgesuch eingereicht. Pamer leitete seit der Ernennung Schobers zum Bundeskanzler die Wiener Bundespolizei, da Schober sein Amt, als Polizeipräsident noch nicht wieder angetreten hat. Wenn auch Pamer bereits die Altersgrenze überschritten hat, ist sein Rücktritt doch ein Werk Starhembergs, der als Innenminister die Polizei beherrscht. Das Organ des Schober-Blocks bezeichnet diesen Rück- tritt als den Beginn einer langen Reihe von Personalände- rungen. Di« Polizei, soll in. den Dienst der Faschisten gestellt werden.
Oer Gireik der Sowjeidiplomaien. Slomonjakow will Schweigegeld. Die„Rul" bringt die Moldung, daß Stomonjakow, der frühere jahrelange Leiter der Handel sabteilung in Berlin , auf seinem Auslandsurlaub der Sowjetregierung mitgeteilt habe, daß er nicht mehr zurückzukehren beabsichtige. Cr will sich verpflichten, sich politisch nicht zu betätigen, salls er, wie der früher« Leiter der Staatsbant, Scheinmann, eine Pension erhielte. Scheinmann weigerte sich bekanntlich vor Iahren, aus Amerika nach Sowjetrußland zurückzukehren. Da ihm zuviel fowjetrussische Ge- lieimniss« bekannt waren, erhiell er«ine russische Pension, oder richtiger gesagt, regelmäßiges Schweigegeld. Jetzt will solches Stomonjakow gleichfalls erhalten. Kuibyschew abgesögi. Wie aus Moskau gemeldet wird, hat der Vorsitzende des obersten Volkswirtschaftsrates der Sowjetunion , Kuibyschew, von der Sowjetregierung einen sechswöchigen Urlaub erhalten. Zu seinem Stellvertreter wurde Lebow ernannt, der zu den intimsten Mitarbeitern Stalins gehört. Man erwartet, daß Kuibyschew nach Ablauf seines Urlaube« wahrscheinlich nicht mehr mif seinen Posten zurückkehren wird.