Nr. 505• 47. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Dienstag. 2S Oktober 4930
Gensationen im Frenzel-Prozeß. Tätlichkeiten zwischen Gertrud und Hilde Krenzel.
Zw Arenzel.Prozeh, der bekanullich immer noch unter Aus- schluh der Oessentlichkeit in Potsdam stattfindet, wurde heule vor- mittag die Vernehmung der Gertrud Arenzel fortgesetzt. Gleich zu Beginn kam es zu einer Sensation. Der Vorsitzende. Land- gerichlsdirellor Dr. hellwig. richtete an die Zeugin Gertrud die Frage, ob sie mit jemandem über ihre Vernehmung am Sonnabend gesprochen habe. Gertrud, die erst mit ihrer Aussage zögerte, gab dann zu, daß sie am Sonnabend noch zu den Psarrersleutea Schenk gegongen sei und diese eingehend über ihre Aussagen unterrichtet habe. Landgerichtsdirektor Dr. Hellwig machte Gertrud Frenze! auf das Unverantwortliche ihres Handelns aufmerksam, nachdem er bereits in einer der vorigen Verhandlungen dem Vormund der Gertrud Frenze!, Dr. Stappenbeck, gegenüber betont hatte, daß das Vorlesen der Zeitungsberichte durchaus nicht im Interesse der Wahr- heitsfindung liege und Dr. Stappenbcck versprochen hatte, dies in Zukunft zu unterlassen. Gertrud Frenze! wurde dann ihrer Schwester Hildegard gegenübergestellt, wobei es wiederholt zu dramatischen Szenen kam. Hildegard Frenze! machte Gertrud den Vorwurf der Lügenhaftigkeit. Sie bekundete, daß ihre Schwester ihr im gemeinschaftlichen Schlaf- zimmer gesagt habe:„Pfarrer Schenk ist mein Ideal, so einen Mann möchte ich auch haben." Gertrud habe ihr auch alle Intimitäten aus dem Leben der Eheleute Schenk erzähll. Gertrud bestritt dies zu- nächst, mußte aber in einem Kreuzverhör auf eingehendes Fragen des Sachverständigen Sanitätsrat Dr. Leppmann zugeben, daß sie tatsächlich diese Aeußerungen getan hatte. Sie bekundete dann, daß Frau Pfarrer Schenk ihr die Geschichte ihres ganzen Lebens mit allen Einzelheiten auch aus der Ehe geschildert habe. Was den 5)errn Pfarrer selbst anbetrifft, so muß noch berichtet werden, daß sich am Montag auch jener Ehemann als Zeuge gemeldet hat, dessen Gattin seinerzeit von Pfarrer Schenk zum Ehe. bruch verführt worden ist. Aus diesem Erlebnis des Pfarrers war ein Mädchen und eine— Scheidung hervorgegangen. Rechts. anwast Dr. Brandt überreichte dann noch dem Gericht ein von Gertrud Frenze! angelegtes Tagebuch, das eine Sammlung erotisch er Witz« undAnekdoten enthielt. Gertrud Frenze! bestritt zunächst, daß sie dies« Sammlung angelegt Hab«, mußte dann aber zugeben, daß es tatsächlich ihr« Handschrist sei. Dann holte Gertrud Frenz«! zu einem G e g e n st o ß aus und macht« eine völlig neue Bekundung, daß sie eines Tages in das Zimmer ihrer Schwester Hüde gekommen sei, während sich ihr Vater dort befunden habe. Gertrud habe bemerkt, daß die Bluse ihrer Schwester in Unordnung gewesen sei H i l de(auf- springend und zu Gertrud hineilend): Das ist eine neu« ungeheuer« liche Lüg« von dir. Bei diesen Worten erhebt sich der Angeklagte Frenzel weinend und eilt, von- einem Verteidiger gefolgt, au«- dem Saal. An der Tür dreht er sich noch einmal zum Gerieht um und ruft erklärend:„Ich muß hinaus, fönst gibt es ein Unglück, ich schlage das verlogene Aas tot!" Dieser Nervenzusammenbruch des Angeklagten rief in der Zeugin Hilde Frenzel ein« ungeheuer- liche Erregung hervor. Sie eilte zu Gertrud, stellte sich vor das junge Mädchen und schrie, mit beiden Fäusten fuchtelnd:„Du Lügnerin, wie kannst du so gemein lügen. Gestehe doch«nd> lich ein, daß du seit Jahr und Tag die Unwahrheit sagst und gib endlich der Wahrheit die Ehre!" Gertrud weicht vor der Schwester zurück und blickt zu Boden, ohne ein Wort zu er- widern. Hilde folgt der Schwester und schlägt plötzlich schreiend Gertrud mehrmals mit der Faust ins Gesicht. Beide Mädchen schreien und weinen, die Verteidiger sind auf- gesprungen, Landgerichtsdirektor Hellwig. der gerade«in Protokoll
durchgesehen hatte, war jedoch die ganze Szene entgangen. Er wurde von dem Beisitzer Amtsgerichtsrat König informiert, was passiert war, und darauf geriet der Vorsitzende in«ine ungewöhnliche Cr. regung. Er sprang auf und eilte, gefolgt von dem Beisitzer, vom Richterplatz hinunter in den Saal und schrie Hilde Frenze! mit den Worten an:„Seien Sie ruhig, wie können Sie es wagen, hier der- artig gegen Ihre Schwester vorzugehen!" Bei diesen Worten schlägt Landgerichtsdirektor Hellwig, der vor dem Zeugentisch steht, während am anderen Ende des Tisches Hilde steht, mehrmals mit der Faust auf den Tisch und ruft:„Ich werde Sie abführen lassen, wir sehen doch, daß Sie hier nur Theater machen und daß Ihre Erregung nur gekünstelt ist." Die Zeugin Hilde Frenzel schlägt nun fortwährend auf den Tisch mit beiden Fäusten und schreit dem Vorsitzenden ins Gesicht: „Hier ist nichts gekünstelt, ich kann nicht anders handeln, wenn ich seh«, wie dieses Frauenzimmer lügt!"— Vorsitzender Landgerichtsdirektor Hellwig(immer noch in hoher Erregung): Und doch ist Ihre Aufregung nur gekünstelt. Ich habe vorhin dreimal gesehen, wie Sie bei einer Aussage Ihrer Schwester, die Sie belastete, ironisch gelächelt haben.— Hilde schreit, mit den Füßen stampfend, auf: „Ich künstele nicht. Wenn hier gekünstelt wird, dann ist es durch das Gericht!" Bei diesen Worten brach Hilde Frenze! schreiend zusammen, und Sanitätsrat Leppmann bemühte sich um das halb ohn- mächtige Mädchen, während der Protokollführer Gertrud Frenze! am Arm nahm und sie ins Nebenzimmer brachte. In diesem Augen- blick kam der Angeklagt« Frenzel, der den Lärm gehört hatte, auf- geregt in den Saal und Hilde rief ihm zu:„Vater, ist dein« Auf- regung vielleicht auch gekünstelt?" Frenzel wandte sich, während alle Pcozeßbeteiligten auf einem Haufen im Saal standen, gegen den Vorsitzenden, der dem Angeklagten zurief, er solle sich ruhig verhalten. Das Gericht nahm nun wieder seine Plätze ein, und Rechtsanwalt Llumenhain erhob sich und erklärte: Die Verteidigung erhebt gegen diese Art der Behandlung von Zeugen den schärfsten Einspruch.— Vors.: Ich habe die Sitzung bereits geschlossen. Rechtsanwalt Dr. Brandt(aufspringend): Davon haben Sie uns nicht das mindeste mitgeteilt, wir verbitten uns diese Art der Prozeßführung.— Vors.: Die Sitzung ist bereits geschlossen, wenn Sie mir etwas mitzuteilen haben, dann hm Sie das schriftlich.— Rechtsanwalt Dr. Artur Brandt: Diese Art der Prozeßführung kann ich nicht mehr mitmachen. Ich lege hiermit dl« Ver. teidigung nieder— Rechtsanwalt Dr. B l u m« n h a i n: Ich schließe mich meinem Kollegen an und lege gleichfall? nieder. Damit flog diese ungeheuer erregte Sitzung auf. Di« Der- Handlung soll am Dienstag morgen um 9 Uhr weitergeführt werden.
Pistole hervor und gab zwei Schüsse ab, von denen einer das Mäd- chen in den Unterleib traf. Obgleich auf die Schmerzensschreie der Getroffenen Passanten sofort hinzueilten, gelang es dem Täter in der ersten Aufregung zu entkommen.
Ciferfuchtsiragödie auf der Straße. Die Freundin niedergeschossen.— Flucht des Täters. Am Montag abend spielte sich vor dem Hause Bornstraße 5 in Schöneberg eine blutige Eifersuchtstragödie ab. Der An- gestellte Erich Vogel aus Alt-Moabit 138 feuerte auf seine Freun. bin, die 22jährige Charlotte K. einen Schuß ab und flüchtete. Das Mädchen wurde mit einem lebensgefährlichen Bauch- f ch u ß ins Auguste-Viktoria-Krankenhaus gebracht. Wie bisher angenommen wird, hatte V. seine Freundin vom Geschäft abgeholt. Auf dem Heimweg war es dann zwischen den beiden jungen Leuten zu Streitigkeiten gekommen, da V. seine Freundin der Untreue bezichtigte. Als das junge Mädchen sich in der Bornstraß« von ihrem Begleiter entfernen wollte, kam es zu einem erregten Wortwechsel. Plötzlich zog V. eine
Lseberfall auf eine Kassiererin. 46vv Mark geraubt. Im Flur des Hauses Große Frankfurter Straße 121 wurde am ZRontagnachmItkag gegen 2% Uhr die 30 Jahre olle Kassiererin Frau Stock aus der Leu- bochstr. 17 zu Lichtenberg bewußtlos aufgefunden. Frau Stock ist bei dem Lichtspieltheater„Luna- Palast", das im gleichen Haufe liegt, schon seit längerer Zeit als Kassiererin angestellt. Sie hatte die Sonntagskass« abgerechnet und sollte einen größeren Betrag zur Bank bringen. Das Geld verwahrte sie in einem Stadtkosfer und ging durch den Hausflur, um den Hausmeister, der nach hinten heraus im ersten Stock wohnt, als Begleiter zur Bank mitzunehmen. Auf diesem Wege muh sich, ihren Angaben zufolg«, der Ueberfall abgespielt haben. Man fand Frau Stock auf der Treppe liegend, daneben das geöffnete Köfferchen. Ein Teil des Geldes war verstreut, anderes fehlte. Die Kassiererin machte so unzusammenhängende Angaben, daß man noch kein Bild von den einzelnen Vorgängen hat gewinnen Können. Zwei jung« Burschen sollen sie niedergeschlagen und b«- raubt haben. Eine Beschreibung kann sie aber nicht geben. Der Arzt der nächsten Rettungsstelle konnte schwere Verletzungen nicht feststellen. Frau Stock ist herzleidend und war so mit- I genommen, daß sie in ein Krankenhaus gebracht werden mußt«. Zeugen, die die Täter etwa gesehen Hütten, konnten noch nicht er- mittelt werden. Bon dem Geld« fehlen, wie festgestellt wurde, 1600 Mark._ Berlins Verkehrs-Armee. 38 000 Berliner dienen dem Verkehr der Weltstadt. welch umfangreicher Apparat zur reibungslosen Abwicklung des weikverzweiglen Verkehrs einer Stadt von der räumlichen Aus- dehnung und Einwohnerzahl Berlins notwendig ist, geht aus den neuesten Feststellungen der Gewerbeaufsicht hervor. Danach waren im Jahre 1929 im Berliner Verkehrswesen in Großbetrieben mit mehr als SO Beschäftigten — nur für solche Betriebe siegen Vergleichszahlen vor— rund 38 000 Personen beschäftigt, und zwar 33750 Arbeiter und 4300 Angestellte. Der weitaus größte Teil dieser den Interessen des Verkehrs dienenden Personen dürft« dem Betrieb der BVG. angehören, die als größtes kommunales verkehrsunternehmen des Kontinents im Laufe des vergangenen Jahres eine Gesamtbelegschaft von etwa 27 000 bis 28 000 Personen besaß: der Rest verteilt sich auf die übrigen der Bedienung de? Verkehrs gewidmeten Unternehmungen wie Kraft- droschken-Gxoßbetriebe,' Schiffährtsgefellfchaften, Aukorundfahrtrinter- nehmen usw. Allerdings sind in diesen Zahlen noch nicht die Tut- lassungen, die in den letzten Monaten des Jahres 1929 vorgensmbren wurden, im vollen Ausmaße enthalten, so daß sich nach dem neuesten Stande die Gesamtzahl der im Berliner Verkehrswesen tätigen Personen etwas geringer stellen dürfte.
Moskau darf Riesengehälter zahlen! Ein Zwischenfall in der letzten Schöneberger Bezirksversamn» Jung kennzeichnet treffend die Begriffsverwirrung, die bei den Kommunssten herrscht. Die Kommunisten hatten sich bei der Haushaltsberatung mit einer langatmigen Erklärung be- gnügt, in der auch von einem Abbau der hohen Gehälter die Rede war. Dies gab unserem Genossen Fla tau Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß die Sozialdemokraten die ersten Anträge auf Herabsetzung der hohen Gehälter gestellt haben. Die Zwichenrufe der Kommunisten fertigte er damit ab, daß er den
Annie griff wie eine Blinde mit der Hand zum Treppen- geländer, stieg, ein Mechanismus, die Treppen abwärts und sagte, immer auf jeder Stufe innehaltend:„Gute— Nacht, Ferdinand. Gute Nacht, mein Neiner Ferdinand." 16. Mittags gegen zwei pflegte Frau Guhlmann sich einen Topf guten Kaffee zu bereiten, für zwanzig Pfennig Kuchen, viel Milch und reichlich Zucker— diese genießerische Kombination umgab ihre philosophische Stunde. Sie saß dann vor ihrem Nähtisch am Hoffenster und genoß die schwächer werdende Sonne iytd das Leben. Heute hatte sie nicht die rechte Ruhe, obgleich der Butter- kuchen besonders oerlockend aussah— mehrere Male war sie schon keuchend die Stufen hinaufgestiegen, um an Werlos Tür zu horchen. Leider ohne Erfolg, und das Nichtwissen stürzte sie in ein« Flucht selbstquälerischer Ideen Ja. sie war alt ge- worden, ohne sich um den Gott aller Welt zu kümmern, und sie war nicht schlechter dabei gefahren als andere. Das Buch, aus dem sie ihr Wissen schöpfte, mochte Teufelswerk sein— jedenfalls sagte es ihr für ihre letzten Jahre eine große Summe Geldes voraus und einen dazugehörigen Streit der Erben, und beides konnte ihretwegen gern direkt aus der Hölle kommen I Wber jetzt noch von der Handlesekunst weg- gehen? Ja, wenn die Sache mit Ferdinand Werlo gut ging. wenn ihre Prophezeiung fehlschlug, dann wollte sie sich von dem Wälzer trennen. Noch hatte das Buch Gewalt über sie. über ihre Zunge, ihre Augen. Sie mußte einfach allen Menschen in die Handflächen sehen. Sobald sie diesen Trieb nicht überwand, redete der Mund, was die Augen sahen. Es war kein Spiel, was sie da trieb, es war horter
Ernst und ein großer Zwang, von dem sie selbst am wenigsten begriff, eine Krankheit und eine Lust, die in ihr saß. Die Haustür klappte. Frau Guhlmann blickte durch einen Spalt der Woh- nungstür— es war die Werla. Himmel, sah die aus! Ein Mensch durfte diese Frau keine Minute allein lassen! „Guten Tag, Nachbarin— wollen Sie nicht ein Weilchen zu mir kommen. Ich habe gerade eine Tasse Kaffee fertig. Nach der Arbeit ist das die rechte Erfrischung." Schweigend ließ die junge Frau sich ins Zimmer ziehen. Ahnungslos plapperte die Berwasterin weiter, während sie Porzellantassen auf den Tisch stellte, Zucker und Rahm holte. „Ja, Sie starren auf meine unruhigen Hände. Gicht, wissen Sie. Obendrein sitzt mir der Hexenschuß im Rücken. Man wird alt und hat nichts gemerkt vom Leben. In Ihrem Alter— aber sagen Sie mal", ihre Sorge ließ sich nicht mehr bändigen,„wie geht es dem Kleinen?" Kaffeedunst zog über Annies Augen, ihr Kopf sank vornüber. Dann bewegte sich der Mund, aber er mußte mühsam die notwendigen Worte suchen und die waren dumpf und fielen so herunter:„Er ist tot." Quer über den Hof ging jemand. Man hörte den Schritt. „Aermste—" sagte endlich die Alte und nahm die Hände Annies vom Tisch,„das ist schlimm. Was hat das Kind getan, daß es so gestraft wird— was haben Sie getan? Nichts. Man versteht das alles nicht. Ich ahnte es nicht, als ich auf unserm Ausflug Ihrem Mann erzählte, was ich in den Handlinien sah. Danach sollte der Kleine zehn Mo- nate und drei Tage alt werden. Es kommt ja nicht genau aus, aber die Katastrophe ist da. Ich habe wahrhaftig nicht daran glauben wollen..." Annie begriff langsam, wo sie war. Die letzten Worte riefen in ihrem Bewußtsein die vergangenen Stunden im Krankenhaus wach— zum ersten Male seit der Mitteilung der Krankenschwester quälte sie die Vorstellung des toten Körpers, den zu sehen man ihr verweigert hatte und auf dessen Anblick sie abermals eine ganze Nacht warten sollte. Welches Recht mußte das sein, mit dem man einer Mutter hinderte, ihr gestorbenes Kind in den Arm zu nehmen, es zu betrachten und sich alle seine kleinen menschlichen Züge noch einmal einzuprägen? Die solches vermochten, mußten Besessene oder Ungeheuer sein! Das Krankenhaus glich einer fürchterlichen Maschinerie des Leides— niemand konnte es
ein menschliches Unternehmen der Hilfe, Nächstenliebe und Bereitschaft nennen! Es ist mein Kind, sagte sie sich immer wieder, und Recht muß Recht bleiben! Nichts sonst hatte Bedeutung, und auf das Gerede der Nachbarin hörte sie überhaupt nicht, und als sie aufstand, ohne einen Schluck Kaffee zu nehmen, lag ein Lächeln unnatürlich auf ihrem Gesicht, wie man es bei Tauben findet, die uns nicht verstehen, und so sprach sie auch: „Einmal werde ich es noch sehen— sie können es nicht ohne mich beerdigen. Und dann kann ich den Kleinen anfassen, ihn fühlen und erkennen, was sie mit ihm gemacht haben. Morgen— hat man mir gesagt. Morgen mittag arbeite ich mcht mehr, ich bin rechtzeitig da. Und ich— will— jetzt nicht weinen. Er wird auch von meinen Tränen kein neues Lebeil bekommen." Frau Guhlmann, heftig verstimmt, zweifelte vollends an der Zurechnungsfähigkeit beider Ehegatten. Kürzlich hatte sie einen eigentümlichen Zusammenstoß mit dem Manne ge- habt, er begegnete ihr undankbar und flegelig. jetzt ging Annie Werla. ohne im mindesten von ihrem bereitgehaltenen Trost Notiz zu nehmen, aus dem Zimmer, vergaß, die Woh- nungstür zu schließen und spazierte einfach eine Treppe höher. Das Geräusch eines unsicher öffnenden Schlüssels war deutlich zu hören. Die Verwalterin blieb allein mit ihrem abgekühlten Kaffee, verachtete die Nienfchen und qlaubte end- gültig an ihre ägyptische Schicksalsbibel. Berthold Wevla fuhr zum ersten Male in seinem Leben Taxe , war also etwas früher als sonst im Hause und sagte zu Ännie gleich an der Tür:„Ich war im Krankenhaus.. Sie hatte nur ein Nicken und ging in die Küche. Gut also, nicht reden. Kein Wort— jedes konnte zu viel, jedes zu wenig fein Seine Mahlzeit war fertig, müh- sam würgte er einen kleinen Teil der Speisen in sich hinein. Ja, als er Messer und Gabel fortwarf, den Kopf in beide Hände legte und mit dem urchörbaren grausamen, den ganzen Körper durchrüttelnden Weinen des Mannes den Schmerz hinnahm als eine Schuld, gegen die es kein Wehren und kein Leugnen gab, im Bewußtsein, auf eine unerklärsiche Weise durch sein Handeln dieses Ende herausgefordert und er- reicht zu haben, fand Annie die Stärke, die nötig war, um ihn zu beruhigen. (Fortsetzung folgt.)