Einzelbild herunterladen
 

Beilage

Montag, 10. November 1930

11. November 1918--­

Serdinand Haas:

Dor zwölf Jahren

Wiedersehen mit Seankreich

I.

Sous les toits de Paris.

Drei Jahre war ich nicht in dieser Stadt. Sie hat sich wenig verändert im äußeren Bild; sie ist auf den großen Boulevards noch ein bißchen amerikanischer geworden für die Fremden, die zwischen Etoile und Oper die Pariser   verdrängt haben. Hier snobt es mur

so von Leuten, die nachher zu Hause ihre Rede etwa so beginnen: als ich das letztemal in Paris   war, wissense... na, und die Mächen, ganz große Klasse..

Dies in der jeweiligen Muttersprache: englisch, deutsch  , polnisch. Davon soll hier nicht die Rede sein, auch nicht von jenem zauber­haften, pulsierend stillen Paris  , das an jeder Straßenede neues Entzücken auslöst mit seinen Dächern und Brückchen, Straßen und Gäßchen, mit der Selbstverständlichkeit seiner Lebenskunst... hier soll gesprochen werden von einem kleinen, fast unscheinbaren Vorfall, der sich gegen Abend im Studentenviertel zutrug.

-

Sizt da auf einem Hoder ein Kriegsblinder und spielt auf seinem großen Schifferklavier Puccini   und Berdi mit seltener Meisterschaft. Die Leute stehen herum und lauschen andächtig, sie werfen alle ein paar Sous in den kleinen Blechtasten.

"

-

-

Neben mir: ein Mann in Chauffeurkleidung, groß mit breiten Schultern. Plötzlich stutt er, da stürzt er auch schon nach vorn zu dem Blinden und schreit: Pierre Pierre!" Die Worte, die sie sprechen, fann man nicht verstehen, man fühlt nur dies ist ein Wiedersehen nach langen Jahren. Dann wissen es alle im Augen­blid: der Chauffeur ist ein Deutscher, hat in der großen, herrlichen Zeit" im Felblazarett neben dem Blinden gelegen und ist eben mit seinem Chef aus Köln   nach Paris   gekommen.

Die beiden Männer liegen sich in den Armen. ,, Walter..."

,, Pierre..

Der Abend

Snadausgabe des Vorwärts

und Armand hat's in der Lunge, jawohl... verftehen Sie mich| hand Feuerwerkskörpern herumzuknallen. Um 8 Uhr läuten die überhaupt?"

,, Ich spreche gut französisch, Madame."

,, So... und bei euch da drüben gibt's wohl feine, die zer schossen sind, was?! Denen unsere Jungens den Leit mit Bajonetten aufgeriffen haben, was?! Bei euch gibt's wohl feine Mütter, die ihre Männer und Kinder verloren haben?!"

,, Doch, Madame, unser Unglück war gewiß nicht teiner als das Unglück Frankreichs  ."

Glocken. Nun formieren die faschistischen Verbände den Festzug. An der Spizze schreiten die Mutilati"( Kriegsverstümmelten), natürlich nur, soweit sie faschistischen Organisationen angehören. Es folgen andere Kriegsteilnehmer faschistischer Couleur, es folgen Offiziere, Soldaten, Schulen. Den Schluß macht die Balila", Kinder von 10 bis 15 Jahren, die als faschistische Jugendwehr" im Schwarzhemd paradieren dürfen. Der Festzug besucht zuerst das Grab des Unbekannten Soldaten" und dann zieht er nach dem

Balazzo Chigi ab, allmo Mussolini   amtiert. verständlich. Aber weniger verständlich ist, daß kein Feldherr des Der Marsch zum Unbekannten Soldaten" ist ohne meiteres Beltfrieges gefeiert wird und Mussolini   alle Ehren des Tages

So... und da habt ihr jetzt wieder solche Schweinehunde ( wörtlich sagt sie das: infames coquins!), die Krieg wollen, und der ganze Dreck soll wieder von vorn anfangen, was?! Seib ihr denn ganz wahnsinnig?... Ich verstehe nichts von Politit, mein Herr, aber die Leute hier sagen, daß in dem Vertrag von Bersailles manches drinsteht, was für die Deutschen   sehr schlecht sei. Glaubt ihr denn, durch einen neuen Krieg wird das besser? Schlechter wird das, schlechter! Seid ihr denn ganz wahnsinnig?!"| leistet. Cadorna, der viel gelästerte Feldherr des Weltkrieges,

Ehe ich noch antworten fann, ist sie aufgestanden. Die Tür flappt hinter ihr zu, und durch die Fenster sehe ich sie flein und gekrümmt über die Straße humpeln.

III. Nachtrag.

Diese Dinge sind der Wahrheit gemäß aufgezeichnet. Sie wurden erlebt während einer Woche Aufenthalt in Frankreich  . Die großen und die kleinen Zeitungen sind voll von der Sorge um einen neuen Krieg. Das Volk bespricht es auf den Straßen, in den Cafés, in den Salons. Jedes dritte Wort ist les hitleriens. Aehnlich scheint es, wie zuverlässig berichtet wird, in England zu sein.

Sie haben keine Angst vor uns. Sie haben Angst vor einem neuen, staatlich konzessionierten Massenmord!

Und darum soll und muß mit aller Deutlichkeit an diese Stelle hingesetzt werden:

Wir, das Gros des deutschen   Boltes, wir wollen unter feinen Umständen einen neuen Krieg! Glaubt uns, Kameraden, wir nicht!

Einen Augenblick ist es totenstill im Kreis geworden. Dabei scheint es fast ein Nichts zu sein... etwas Alltägliches beinah: zwei Menschen haben sich nach Jahren wiedergetroffen, zwei Men schen wie du und ich... und doch: etwas Ewiges langt an unjer Dr. Beuno Altmann: Herz. Der baumlange Kerl ein paar Schritte neben mir hat Tränen in den Augen, die kleine Frau mit dem Kind auf dem Arm dreht

sich weg.

Waffenstillstandsfeiern...

Am 8. November 1918 haben die Italiener mit den

,, Walter", hört man den Blinden, warum wollt Ihr Desterreichern Wassenstillstand abgeschlossen. Der Krieg war damit

wieder Krieg?"

Da stürmen sie alle wie auf Kommando mit ihren Fragen auf den Chauffeur los.

Jawohl die Zeitungen schrieben es, und ganz Baris spräche davon, überhaupt ganz Frankreich   warum wieder Krieg?! ,, Wir wollen keinen Krieg, das ist nicht wahr", sagt der Chauffeur.

,, Aber, les hitleriens... und die Wahlen in Deutschland  . Da padt der Chauffeur die Hand des Blinden; er framt sein ganzes bißchen Französisch zusammen, und leise Hilflosigkeit seiner Rede unterstreicht die große Ehrlichkeit seiner Worte.

-

,, Kameraden", sagt er und es stehen Männer, Frauen und Kinder herum, Kameraden, es gibt zmar einige Lumpen, die wieder morden wollen, aber wir werden das nicht zulassen, wir, das Bolf! Wir wollen feinen Krieg! Wir werden keinen Krieg an­fangen, wir nicht! Glaubt mir, Kameraden, mir nicht!"

Und dann debattieren sie noch ein wenig, aber als sie nachher nach Hause gehen, weiß man: diese paar Worte sind mehr wert als eine mit allen Schikanen vorbereitete Ministerrede in Genf  .

Als ich eine halbe Stunde später zurück in die Rue Boissonade tomme, spielt ein blinder Kriegskrüppel: Ich hatt einen Kame­und ein deutscher Chauffeur sammelt ab.

raden.

II. Berdun.

In Berdun müssen wir eine Nacht bleiben. Unser fleiner Wagen will nicht mehr, morgen früh soll er repariert sein. Der Monteur der Garage bringt uns in ein Hotel und regelt freundlich alles für uns. Als wir uns bedanken, sagt er schon halb im Weggehen: Bielleicht können Sie mir sagen. marum soll es wieder Krieg geben? Wir haben das hier mitgemacht, mein Herr... es war entsetzlich! Ich dachte, wir wären jetzt bons

camarades."

--

,, Jawohl", sage ich ,,, wir sind gute Stameraden. Und das mit dem Krieg ist Schwindel. Gemeiner Schwindel!" In der Früh, als ich beim Kaffee size, bleibt eine alte Frau, auf ihren Krüdstod gestüßt, an meinem Tisch stehen. ,, Sie sind der Deutsche  ?"

,, Ja", sage ich und bitte sie, sich zu setzen.

Ihre Stimme ist leise und hart zugleich; ihre großen Augen, die aus einem verarbeiteten und müden Geficht bliden, haben viel Leid gesehen. Unausgesprochenes liegt darin und eine zähe Un­erbittlichkeit; ein erschreckendes Wissen um menschliches Elend und menschliche Qual. Bei allem Vorwurf und bei aller Schärfe ist unendlich viel Güte und Wärme in ihren Worten:

,, Mein Junge liegt bei Douaumont da oben, tot, verstehen Sie... und mein Mann daneben, und mir ist ein Stück vom Bein weggeriffen, ba... Und mein Schwager, hat keine Arme mehr,

aus für fie. Am 11. November wurden die Kampfhandlungen an der Westfront eingestellt. Das war das Ende des Weltkrieges. Es ist als Pietätspflicht recht und billig, wenn man die Tage der Wiederkehr zum Anlaß einer Gedenkfeier nimmt. Das geschieht bei den einzelnen Siegerstaaten auf recht verschiedene Art und der Hinweis auf diese Verschiedenheit ist ein Kapitel ethnologisch­politischer Belehrung für sich.

In England...

einheimst Mussolini  

und die Generale.

Die Geschichte hat sich da wieder einmal einen Treppenwitz ge­

war schon lange in Ungnade gefallen. Die beiden anderen Ge­| nerale, die man in Italien   als Arrangeure des Sieges" bezeichnet, Badoglia und Capello, hat Mussolini   verstoßen und grausam mundtot gemacht.

Badoglia, das war jener General, der wenige Stunden vor dem Einzug der faschistischen Mannschaften in Rom   beim König die Erlaubnis nachsuchte, dem Rebellenheer Mussolinis entgegenzutreten. mit einer Division stelle ich die Verfassung her und zwar so gründlich, daß die Empörer für alle Zeit genug haben, sich gegen Staat und Monarchie aufzulehnen." Als der König dieses Begehren ablehnte, hatte Badoglia gerade noch Zeit, ins Ausland zu fliehen. Mussolini   ließ ihm sagen, daß er nur ja nicht zurückkehren möge. So lebt der General in Südamerika  , vom herrschenden Staatssystem bedroht und ausgestoßen.

Capello ist es noch schlimmer ergangen. Dem alten Mann wurde vor vier Jahren der Prozeß wegen Anstistung zum Mord gegen Mussolini   gemacht und auf ein Nichts von Beweisen ist er zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt worden.

Die beiden kann man demmad) nicht feiern.

Was aber hat denn Mussolini   mit dem Sieg Italiens   zu tum? Er war im Krieg ein armer Muschkot, brachte es bis zum Korporal und verließ, verwundet wie hunderttausend andere, die Truppe.

Borher und nachher hatte er sich freilich in seiner Art reichlich Lorbeeren geholt. Mussolini  

hat mit dem Gelde der später von ihm so brutal be­kämpften Freimaurerei   den Popolo d' Italia" gegründet, um friegshebersch gegen die Mittelstaaten vorzugehen. Er war damals noch Sozalift, fam geradewegs vom Avanti"( Borwärts") her Lügenfeldzug, der jemals gegen Deutschland   geführt wurde. und eröffnete in seinem neuen Blatt vielleicht den gehässigsten Es gibt keine Berleumdung, die er nicht vertreten, breit ausgewalzt und über ihre erste Lesart hinaus verzerrt hat Alles steht in den drei Jahrgängen von 1915 bis 1918 da: von den abgehackten Kinder­händen, von den ausgestochenen Augen, von den abgeschnittenen Frauenbrüsten in Belgien  , von den gewohnheitsmäßigen Ber­gewaltigungen und dem Satanstult ans Kreuz genagelter, aus­gepeitschter Mädchen in Frankreich  . Run, Mussolini   verstand sich auf journalistische Propaganda und an seinem Teil hat er reichlich geholfen, Italien   in den Krieg zu treiben.

Der Kriegsheher als Kriegsheld.

Da die Sache nach Niederlagen und Opfern meltfriegsmäßigen Formats doch noch glücklich ausging, ist der Kriegsheher heute Kriegsheld. 3ehn heute Kriegsheld. Der Festzug huldigt dem milite ignoto ( Unbekannten Soldaten"), aber dann fommt gleich Mussolini  heran. Soviel Faschisten samt Mitläufern Rom   auf die Beine bringen fann, alles muß dabei sein, wenn dem Duce als Sieger ,, im und nach dem Kriege" gehuldigt wird.

Im Weltreich England scheint am 11. November um 11 Uhr alles äußerlich sichtbare Leben zum Stillstand gekommen zu sein. Die Fußgänger auf der Straße stehen still da und entblößen das Haupt; die Fahrzeuge in den Städten halten an, das Dienst personal steigt mit den Passagieren aus und verharrt schweigend wie die Fußgänger; die Eisenbahnen unterbrechen auf der Stređe ihre Fahrt, die Reisenden erheben sich, beten oder schweigen; wenn es möglich ist, nehmen die Flugzeuge eine Zwischenlandung vor und die Schiffe auf den Meeren stoppen die Maschinen. 3ehn Minuten, jene zehn Minuten, die die Unterzeichnung des Waffen­stillstands im Salonwagen des Marschalls Foch samt den turzen Ansprachen der Unterzeichner gedauert hat, währt im Weltreich England, in den Wäldern Indiens   und Australiens   so gut wie in London   und Manchester  , dieser Abbruch des gewöhnlichen Lebens­tempos. Die denkbar würdigste Feier, die vollkommenste lleber­einstimmung zwischen geschichtlichem Anlaß und festlicher Erinnerung. In jenen zehn Minuten des 11. November 1918 hat sozusagen der Weltgeist der Geschichte, tragisch erschüttert, seine Besinnung dem abgeschlossenen Titanenkampf zugewendet und sich mit furzer Rück. schau gur Ueberwindung der ungeheuerlichen Katastrophe angefchickt.

In Italien  ..

Die englische Art, den Wassenstilstandstag zu feiern, hat sich mancherorts in Frankreich   eingebürgert. 3mm vorfaschistischen Italien   ist sie, wenigstens in den Großstädten, üblich gewesen. Ministerpräsident Nitti hatte sogar vorgehabt, den 8. November zum Boltstrauertag zu erheben, und Facta, sein Nachfolger, hat einen entsprechenden Antrag im Ministerium eingebracht. Der Kronprinz und der König sollen dagegen gewesen sein und der schon erstartte Faschismus ließ wissen, daß er seine entgegengesetzte Gesinnung sehr schroff zum Ausdruck bringen werde. So frisch und start, wie nur ein sorgenentlastetes Herz jubeln kann, wollen wir über unsere Siege an der Piave jubeln. Dieses Geschlecht, welches den Sieg erfochten hat, soll jubeln, und damit spätere Generationen unseren Jubel fortjeßen, machen wir den 8. November zum Bolksfesttag, zum höchsten, den wir feiern." So schrieb Mussolini  8. November 1921 in feinem Popolo d'Italia". Seitdem er Italien   regiert, wird der Waffenstillstandstag mussolinianisch gefeiert.

am

" P

Er redet dann, redet lange von dem Anteil, der Italien   an dem fiegreichen Ausgang zukommt. Er hat in die Köpfe seiner Faschisten Die Legende hineingepfropit, daß eigentlich die italienische   Armee Deutschland   besiegt habe. Noch mehr als vom Strieg pflegt er bei diesem Anlaß von der Mission Italiens   in der Zukunft zu sprechen. Damit meint er den territorialen Zuwachs, wie ihr das Programm des ersten Faschisten", das Programm Marinettis, fordert. Ich habe ihn am 8. November 1924 vom Balkon des Palazzo Chigi deklamieren gehört: Wir brauchen Land im Norden, Osten, Süden; mir brauchen die nordafrikanischen Kolonien, brauchen Tirol bis Innsbrud; wir wüßten viel anzufangen mit Nizza  , Savoyen   und mit dem Hinterland von Triest  . Das Mittelländische Meer fei ein italienisches Meer und sei es ganz." Er hat noch bei späteren Waffenstillstandsfeiern den Traum von der Wiederherstellung des alt. römischen Imperiums rhetorisch entwickelt. Allzu ernst darf man das nicht nehmen. Das ist neuitalienischer Feststil schönen Sang an die Piave" spielen die Giovenezza" das textlich mie mufitalisch gleich banale Faschistenlied. Das geht den ganzen Tag so weiter. Immer heben die Faschisten, wenn eins oder das andere ertönt, den Arm zum Gruß oder sie klatschen in die Hände. Abends gibt's Schlachtenmufit und Feuerwert. Stundenlang tracht es und bullert. Es kann nicht laut genug, nicht lärmend genug hergehen.

Die Faschisten aber begeistern sich. Ihre Kapellen spielen den

Mussolinianischer

Fest st il? Ach der tommt uns jo betannt vor. Ja, ja, der Unglüdsrabe Don Doorn fonnte das auch: Wilhelm II  . Bor­

Um 6 Uhr früh hebt eine gewaltige Kanonade an. Bon allen Sügeln wird Solut gescholen. Es gilt als patriotisch", mit aller tänjig i Mussolini noch night bange