Beilage
Sonnabend, 15. November 1930
Der Abend
Shadausgabe des Vorwärts
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hoch und schrie und meinte vor Schreck über den plötzlichen Lichtschein jämmerlich. Wir verfuchten, das arme Wurm zu trösten; da das aber erfolglos mar, bezahlten wir menigstens der Mutter die von dem Kinde in den Schmutz geworfenen 50 Zeitungseremplare.
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mein
Als wir gerade beschlossen hatten genug sein zu lassen des graufamen Spiels", fahen wir hinter einer Litfaßsäule ein gir. rendes Liebespaar. Wir fnipsten. Entsetzt löfte sich die innige Umschlingung der Beiden. Sie schrie:„ Wenn jemand das Bild zu sehen bekommt meine Eltern werfen mich hinaus Bräutigam löst die Verlobung Ihr erpresserischen Halunken!!" und stürzte tränenden Auges dapon. Weichen Herzens wollten wir gerade dem ge- und verstörten männlichen Liebespartner unser großes Ehrenwort verpfänden, daß wir das Bild sofort vernichten mürden, da drang er auf meinen Freund ein und versuchte, ihm den noch nicht einmal abgestotterten Apparat zu entreißen. Ich sah den Pressephotographen schon erwerbslos und griff mit rauher, unverbrannter Hand in Gestalt eines famos fizenden Kinn hafens ein. Der Gegner ging f. o. zu Boden, um den bewußtlosen Mann nicht mitten auf der Straße etwaigen Fledderern auszufezen, trugen wir ihn in eine am Straßenrande stehende städtische Sand fifte und nahmen gleichzeitig die günstige Gelegenheit wahr, ihn in den Brandmunden meiner Hand meine Rrantentasse noch heute zu diefer zu photographieren. Das Bild sollte den Tert: Ohne Bleibe in Berlin !" erhalten. leiden.
* MIT DEM PRESSE- FOTOGRAFEN DURCH BERLIN+
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TEXT UND ZEICHNUNGEN: SYLVIO DE MAYO
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Als mein Freund, der Pressephotograph, und ich eines Morgens um 3 Uhr infolge der Polizeistunde unser Stammlokal verließen, schimpften wir, wie jedesmal bei dieser Gelegenheit, über unfere Unvernunft, statt schon seit vier Stunden in Morpheus Armen, uns wegen politischer, literarischer und sonstiger Probleme bis zu dieser vorgerückten Zeit gegenseitig in den Haaren zu liegen. Unser Mißmut wurde noch durch den Anblick arbeitseifriger Männer, die beim grellen Schein eines violetten Lichtes, unter Den infernalischen Lärm von Bahrmaschinen das Pflaster ausbesserten, bestärkt; und mir waren gerade im Begriff, uns über unser Bummelleben bittere Vorwürfe zu machen, als mein über. mächtigtes Gehirn ein Gedanke durchzuckte: Wie wäre es, wenn mir dieses rastlose Berlin , dieses Berlin der ununterbrochenen Arbeit, in Bild und Wort festhalten würden? Das Berlin zwischen 3 und 5 Uhr morgens! Zum Heil und Nutzen vieler Mitbürger, die unt Diese Zeit vielleicht Silvester ausgenommen noch nie außer halb ihrer Behausung geweilt...
Mein Freund beschloß, sich von seinem Drogisten, der ihm die Aufnahmen entwidelt, einen längeren Filmstreifen in die Kamera eindrehen zu lassen, und am nächsten Morgen verließen wir wieder um 3 Uhr unser Stammtotal; diesmal allerdings mit dem stolzen Bewußtsein, uns aus Berufsgründen eine Nacht um die Ohren gefchlagen zu haben.
Ich trug eine alte, ausgediente Emser- Salz- Büchse, die mit Magnesium gefüllt war, sowie einen ramponierten Blechlöffel, mit dem ich, je nach Erfordernis, drei bis sechs gefüllte Löffel Magnesium auf ein mit einem Stiel versehenes Gerät schaufelte, das feinerseits durch einen Fingerdrud an einem Hebel eine Explosion auslöfte und dadurch ein von uns auserforenes Objett, für einen Augenblid im hellsten Lichte erscheinen ließ. Der Preffephotograph behauptete, an feinem aufnahmebereiten Apparat genug zu schleppen zu haben.
Bir gingen. ans Werfe
Vor einem Milchgeschäft stand ein Milch wagen. Gefüllte und leere Milchfannen lehnten an ihm. Der Kutscher befand sich gerade im Laden, und der brave Gaul spiegelte sich gelangweilt, träumerisch im Asphalt.., Unser erstes Bild!" rief ich: Berlin wird mit Frischmilch versorgt!" Ich löffelte sicherheitshalber acht Löffel auf das Blitzlichtgerät, knipste, ein riesiger Lichtschein blendete mich, das erschrockene Pferd fauste führerlos mit dem Wagen in Richtung auf eine Hauptverkehrsstraße davon. Lediglich einige umgekippte, auslaufende Milchfannen blieben auf dem Schauplatze zurüd. Auch mir suchten unser Heil in der Flucht.
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In der Türe eines Juwelierladens saß ein Nachtwächter. ,, Gutes Bildfujet!" sagte ich: Auch zwischen 3 und 5 Uhr morgens ist Berlin nicht unbewacht!" Wir stellten uns in Bosttur. Der Büchter fab uns mißtrauisch an, stand auf, stach die Kontrolluhr, fetzte sich wieder, legte einen dicken Eichenstod auf die Knie und fichtelte drohend mit einem Gummifnüppel herum. Wir fahen, daß unter diesen Umständen hier keine Lorbeeren zu ernten waren und begaben uns eine Straßenede weiter.
麹
LVI- MA
Ich begann allmählich am Erfolg unseres Arbeitsmorgens zu
zweifeln.
Durch die Schaufensterscheibe nipsten wir nun ein Automatenbüfett, in dem momentan Scheuerfrauen ihrer reinigenden Tätigkeit nachgingen. Aber da eine der Frauen umglüdlichermeise gerade im Bordergrund den Fußboden wüsch, befamen mir leider nur ein imposantes weibliches Hinterteil vor das Objektiv.
An einer Ede stand ein Mädchen mit einem Manne, der aussah pie eine preisgekrönte Maste auf einem Apachenball Sehr beliebtes Motiv!" dachte ich mir: ,, In den grauen Morgen stunden fommt das lichtscheue Berlin aus seinen unterirdischen Schlupfwinkeln!" Wir gingen photographiermütig auf die zwei las. Doch der herkulisch gebaute Mann straffte seine unheimlichen Muskeln, tam langsam unheildrohend näher und brüllte mit Stentorftimme: Bhotographieren brauch' id mir nur uffs Bolizeipräsidium zu lassen, Ihr Suhtöppe!" Seine liebenswürdige Begleiterin fügte dieser treffenden Bemerkung noch ein ermunterndes Feste, Spedernit, ffaß fe aus de Kledage!" hinzu. Um ihr diesen Anblid zu ersparen, verdusteten wir schleunigst.
PP
ANZEIGEN- ANNAHM-
SYLVIO MAY
Eine
In einer halb beleuchteten 3eitungsfiliale gab man bereits die Morgenblätter an die Zeitungsausträgerinnen aus. Eine Frau fuhr mit einem Kinderwagen voll Zeitungen meg. Wir fnipsten. Da sprang unter den Zeitungsblättern ein fleines Kind
OTOMATS
Rach einiger Zeit bemerkten wir einen in seiner Tari friedlich Schimmernden Chauffeur. Heller Lichtschein! Gefnipft und Der biedere Mann fuhr, wie von einer Tarantel gestochen, hoch und fchrie: Hilfe! Hilfe! Der Motor ist explodiert!"
"
Wir trabten gemächlich weiter und unterhielten uns gerade barüber, ob mir es riskieren sollten, eine an der Ede stehende Schupostreife aufzunehmen, da hörten wir den Chauffeur hinter uns rufen: Schupo! Herr Bachtmeister! Halten Sie die beiden Kerle feft! Sie haben mich unberechtigterweise in schlafendem Zustande photogra phiert! Mein Chef darf nicht sehen, daß ich im Wagen penne! Ich verlange die Personalien der Herren!" Da mein Freund, wie immer, wenn man sie nötig hat, feine Ausweispapiere bei sich hatte, mußten wir zur Wache mittommen. Dort saßen wir eine geschlagene Stunde, weil sich bei der telephonischen Rückfrage bei meinem Bolizeirepier herausstellte, daß ich, der ich seit 12 Jahren in derselben Bohnung hause, von einem schelmischen mysteriösen Unbekannten ,, is auf Reisen befindlich abgemeldet worden war. Die Wartezeit wurde uns nur dadurch verkürzt, daß von einer Meute erregter Männer und Frauen im Negligé ein verbeultes, zerschlagenes Wesen herein geschleppt wurde. Ein Einbrecher mar überrascht worden, geflüchtet und auf der anschließenden Suche glaubte man ihn in einer Sant tifte, deren Seite zur Straße offen war, versteckt gefunden zu haben und hatte ihn ficherheitshalber gleidh mindelmeid) geprügelt. Bir entdeckten zu unserem Entsetzen, daß der harmlose Lieb haber, den wir gefnipft, t. o. geschlagen, in die Sandtiste gepact und nochmals gefnipst, auch noch das bedauernswerte Opfer einer peinlichen Berwechslung geworden mar.
Am nächsten Tage, ich war gerade damit beschäftigt, meine ver brannte Hand zu fühlen und gegen meine Gewissensbissé anzu fämpfen, rief mich mein Freund, der Pressephotograph an: Fär' mal", sagte er traurig ,,, uns ist noch ein Malheur passiert: Unsere Bilder gestern sind nichts geworden! Der Drogist hatte den Filmftreifen aus Versehen verfehrt eingedreht!"
Und das ist der Grund, warum Sie diesen Bericht statt mit Photos mit Zeichnungen illustriert sehen.
Die Welt will Weizen, guten, hochwertigen Weizen. Aber sie mill ihn zugleich billig! Welches Land in großen Mengen billigen Beizen liefern tann, erobert den Markt, den Weltmarkt, auf dem die Preise gebildet werden und wie Diktatoren über die Länder herrschen. Alte Marttgebieter, werden vom Thron gestürzt, wenn neue Länder niedrigere Breise schaffen können und Tausende
werden arbeitslos!
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USAmerita beherrschte den Weltweizenmartt. Die weiten Räume stellten riesige Weizenfelder mit Ernten, die neben dem eigenen Bedarf ganz Europa versorgen fonnten. Als die Staaten Dort stand ein Wurst mage mit seiner Kundschaft. Aus wuchsen, an Bevölkerung wie an Industrie, schoben die Farmer ihre gerechnet, als wir zur Aufnahme alles vorbereitet hatten, bemerkte Weizenfelder weiter landeinwärts, nach Westen, Schritt für Schritt uns ein Würstchen essender Mann, nahm eine drohende Haltung entfernten sie sich von der atlantischen Küste, Meile um Meile wurde an, gestikulierte wild und erbot sich, uns die heiße Würstchenbrühe der Transportweg länger. Aber die Ware mar gut und in unfere Stehumlegetragen zu gießen. Aus feinen liebens in Mengen vorhanden, und weil tein anderes Land solche Mengen würdigen Redewendungen entnahmen wir, daß er befürchtete, seine Frau könnte durch das Barhandensein eines Photos den Beauf den Markt werfen konnte, sicherte die Monopolstellung den Preis meis für ihre Bermutung erhalten, daß er det janze Beld vafreife!" und den Prajit auch bei erhöhten Transportkosten. Bir beugten uns diesen unwiderlegbaren Tatsachen und gingen weiter. Dod) änderten wir jest unsere Tattif: Ich trug den Blitz lichtapparat schon vollgelöffelt in der Hand. Wir brauchten alfo ruun nicht mehr durch das umständliche, zeitraubende Löffeln, die Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen.
BAR
Da lam ein lustiges Bärchen on uns vorüber. Ste rauchte eine Zigarette, und als sie fah, daß ich meine Bliklid station einen für fie undefinierbaren Gegenstand in der Hand hielt, rief fie wikig: Ah, ein Aschbecher!", streifte die Afche ihrer Bigarette darüher ab, ein Funte flog hinein und entzündete das Magnesium. Weil ich den Apparat nicht am Stiele trug, hat an
Dann aber sprang die Gefahr auf. Kanada schob sich vor, Argentinien wurde großes Weizenland und selbst Australien muß beachtet werden trotz des weiten Seemeges, ist doch dort gerade Erntezeit, wenn auf der nördlichen Halbfugel der Erde, also in Europa , die Bestände zur Neige gehen. Da begann für den Farmer Nordamerifas ein Abgleiten, denn der lange Eisenbahnmeg zur atlantischen Küste hindert die Konkurrenzfähigkeit! Argentiniens Beizen rolf 220 Kilometer auf den Schienen und ist dann nach 9600 Kilometer Seeweg auf dem europäischen Markt( Linerpool). Die Fracht fosten betragen pro Bushel Weizen 25,4 Cents. Der Beizen Emeritas dagegen, etwa aus Datato tommmend, hat uns gejamt 1400 Stilometer Bandmeg und 7400 Stilometer Geemeg bis Liverpool. Die boppelte Umladung bei den großen Seen Nord See Land ameritas, die überwunden werden müssen( Band meer), erhöhen noch die Frachtkasten, so daß dieser Weizen trotz fürzerer Gesamtentfernung( 8800 Kilometer: 9820 Kilometer) mit 33 Cents an Fracht belastet ist, pro Bushel alfo um 7,6 Cents hinter der lateinamerikanischen Konkurrenz zurücksteht.
Ausmaßes, ein Kampf um die Konkurrenzfähigkeit der Volkswirt schaft auf dem Weltmarkt und der einzelnen Wirtschaftszweige im Lande selbst. Der Weltweizenmartt ist nämlich nur zu halten- und damit die weizenbauenden Farmen-, wenn die Frachts. fäße niedriger merden. Die Privatgesellschaften jedoch, die mit den wenigen großen Eisenbahnlinien quer durchs Land eine Monopolstellung inne haben, sind nicht geneigt, aus nolfswirtschaft. fichen Gründen auf einige Prozent Profit zu verzichten. So sezen Bestrebungen und Kämpfe für und gegen Berstaatlichung der Eisenbahnen ein.
Zugleich wird noch eine andere Forderung umfämpft: bas Projekt des St Lorenz- Ranais. Der für Seeschiffe tanalisierte St.- Lorenz- Strom würde für unser Beispiel 720 Kilometer Landweg in etwa 600 Kilometer Seeweg verwandeln und auch die fostspielige doppelte Umladung bei den großen Seen sparen. Dadurch würde die Fracht für 1 Bushel Weizen von 33 Tents auf 26 Cents herabgesezt, der nordamerikanische Weizenfarmer also wieder fonkurrenzfähig sein.
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Die Interessen einer fapitalistischen Wirtschaft stehen aber in vielfacher Ueberschneidung gegeneinander. Ein St. Lorenz Kanal würde sofort Chikago zu einem großen Seehafen machen und die riesige Ausfuhr und Einfuhr der Mitte und des Nordwestens der Vereinigten Staaten über Chitago leiten. Dadurch wäre die Stellung New Yorts erschüttert, der Handel des Ostens und Südostens tönnte diese Metropole nicht aufrechterhalten!
So tobt also auch im freien Amerifa der Kampf um den Ploß an der Sonne und hier vielleicht noch erbitterter also sonstwo. Die Zeiten der gemaltigen Ausdehnung und der unbegrenzten Möglich feiten scheinen ihr Ende erreicht zu haben, neue Gesetze und neue Notwendigkeiten springen aus dem Chaos tapitalistischer Wirtschafts anarchie. Was in diefem Serenfeffel mit seinem Auf und Ab, mit felnem Licht und Schatten die gewaltige Umwälzung der Walt andeutet, schildert uns Adolf Reichweins fleine Schrift Bliglicht über Amerita"( Urania- Berlagsgesellschaft, Jena 1930. Mit 33 Abbildungen und 5 Karten. Broschiert 150 m.). Knopp und bündig, mie Funtberichte, zeigt der befannte Berjaffer auf diese und jene Ereignisse und Zusammenhänge und bringt uns dadurch das Land näher, das heute noch mit der Maßlosigkeit seiner. Darin beruht die Not der nordamerikanischen Farmer, und Baren und seiner Werte die Welt beherrscht. Wilhelm Tietgens.