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Nr. 553 47. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Urteil im Schupoprozeß.

Mittwoch, 26. November 1930

Dies wird ferner erwiesen durch die Aufräumung im Revier 82, durch die alle Beamten versetzt wurden, sowie durch die Versehung des Hauptmanns Alsdorf   in den Ruhestand und des Oberst­leutnants Mader in eine andere Stadt. Wie weit diese Offiziere polizeitechnisch und als Beamte falsch handelten, steht uns zu ent­mobei das bittere Gefühl bleibt, daß die Hauptschuldigen an den bestialischen Mißhandlungen nicht gefaßt sind.

4 Monate Gefängnis für den Prügelhcid.- Zwei Angeklagte freigesprochen. Scheiben nicht zu. Hier mußte nur dem Strafrecht Genüge geschehen,

Der 1. Mai 1929 ist nicht für die preußische Polizei, nicht für die Berliner   Polizei, mohl aber für das Polizeirevier 82 und alle Beamten, die an den Exzessen beteiligt sind, ein schwarzer Tag, ein Tag der Schande. Daß diese Ansicht auch der Chef der preußischen Polizei, der Innenminister, und der Berliner   Polizei präsident teilen, beweist der Umstand, daß, nachdem die Staatsanwaltschaft die Einleitung eines Verfahrens ab­gelehnt hatte, diese Stellen mit aller Macht auf Klärung drängten.

Jm Prozeß gegen den Polizeioberwachtmeister Gert- alters, der auf dem Revier in Ueberschreitung seiner Machtbefugnis ner, den Polizeihauptmann i. R. Alsdorf und den Po- einen wehrlosen, schon verprügelten, völlig unschuldigen Sistierten lizeioberstleutnant Mader verkündete Landgerichtsdirektor schlägt, hat keinen Anspruch auf mildernde Umstände. Steinhaus gestern nachmittag folgendes Urteil: Der An­geklagte Gertner wird wegen Berstoßes gegen§ 340 RStGB. zu vier Monaten Gefängnis verurteilt, die Ange­flagten Alsdorf   und Mader werden freigesprochen. Der Vorsitzende begann die Urteilsbegründung mit der Fest­stellung des Bedauerns darüber, daß es trotz aller Bemühungen nicht gelungen sei, die Haupttäter der bestialischen Mißhandlungen vom 1. Mai 1929 auf dem Polizeirevier 82 zu ermitteln. Es find, so fährt er fort, damals, um ein Bort des Staatsanwalts zu gebrauchen, Dinge vorgefallen, über die sich unsere Haare sträubten. Möllig unschuldige Menschen, die sich absolut einwandfrei benommen haben, sind von Beamten, von Angehörigen der Polizei auf das entsetzlichste mißhandelt worden. Trotz aller Bemühungen der Pc­lizeibehörde und des Ministeriums waren die Täter nicht feſt­zustellen. Sie haben sich im Hintergrund verflüchtigt. Vielleicht wären wir ihnen nähergekommen, wenn manche Zeugen es mit der Heiligkeit des Eides ernster genommen hätten. Dieses Wort bezieht fich wahrlich nicht auf die Zeugen, die wir als Nebenkläger gesehen haben,

die mishandelten sieben Menschen, die alle, vornehm und ohne Haß und Zorn über erlittene schwere Unbill, vorsichtig und kalt überlegend, ihre Aussagen abgaben

und so den besten, glaubwürdigsten Eindruck machten, im Gegensatz zu jenen Zeugen aus der Beamtenschaft, die wir nicht vereidigen fonnten.

In diesem Saale herrschen nicht Gefühle. Es wird Recht und nur Recht gesprochen. Ist der hundertprozentige Beweis für die Schuld des Angeklagten Gertner geliefert? Das Schöffengericht hat mit einem flaren, überzeugten Ja geantwortet. Durch nicht anzweifelbare eidliche Aussagen ist erwiesen, daß nach den furcht baren Mißhandlungen auf der Treppe und in der Wachtstube, deren Urheber nicht festgestellt sind, der

Angeklagte Gertner einem der Festgenommenen, die schon vor­her verprügelt worden waren, mit der Faust ins Gesicht ge­Schlagen

hat. Bei den Angeklagten Alsdorf   und Mader fehlen rechtliche und tatsächliche Unterlagen für eine Verurteilung aus§ 340., Der Wortlaut der Gesetzesbestimmung und die ständige Rechtsprechung verstehen unter dem Begriff, daß ,, ein Beamter in Ausübung seines Amtes vorfäglich eine Körperverlegung begehen läßt", nicht ein bloßes Geschehenlassen, sondern Aktivität, Ansporn, Ermunterung.

Das liegt nicht vor: die beiden Offiziere sind im Gegenteil, Einhalt Das liegt nicht vor: die beiden Offiziere sind im Gegenteil, Einhalt verlangend, dazwischen gegangen. Auch Verstoß gegen den§ 257 Der Begünstigung ist nicht gegeben, wiewohl man fragen darf, on die Offiziere nicht zu lasch gegen die Exzeffe und zur langsam bei der Erforschung nach den Schuldigen vorgegangen sind. Das sind aber Fragen, die an anderer Stelle beim disziplinarrechtlichen Verfahren Würdigung zu finden haben. Der vom Strafgesetz verlangte wiffentliche Borsaz fonnte nicht erwiesen werden. mußte

bei den Offizieren Alsdorf   und Marder Freispruch weniger aus erwiesener Unschuld als wegen mangelnder Beweise

So

erfolgen. Mildernde Umstände kamen bei dem Angeklagten Gertner unter feinen Umständen in Frage. Ein Polizeibeamter seines Dienst­

W.Seemann

20]

O.Wöhrle

Unternehmer.

Ludwig lachte: Der Herr Buchhalter vorn sagte, der Chef ist nicht im Hause!"

Da schlug Hundstötter senior mit der Hand auf den Tisch, daß die Lineale hüpften und der Löschsand sprizte, und schrie: ,, Wat, der Chef ist nicht im Hause? So' ne Jemein­heit! Der Chef ist imma im Hause oda mein Sohn da. For Leute, die for mir arbeeten wollen, bin id imma zu sprechen! Na id wer mal da rinfahren!"

Zornig schob er einen Haufen Papiere zur Seite, die ihm das Fräulin hingelegt hatte.

Eine Weile schwieg er und verschnaufte sich. Dann sagte er: Moriz, hol mal for den Herrn da eenen Stuhl."

Morig rümpfte zwar die Nase, gehorchte aber sofort. Indeffen fragte Hundsfötter weiter: Haben Sie' n jroßen Betrieb, Herr Eisermann?"

,, Es geht!" sagte Ludwig.

Id meene Maschinen, Herr. Ohne Maschinen können Ge solche Atikel, wie id se brauche, jar nich machen. Sie haben, dent id, doch schon meine Ware jesehn?" Ludwig nickte.

,, Na und?"

Maschinen habe ich nicht, Herr Hundstötter."

Jd jebe mir offen, Herr. Id jloobe, denn hat et jar feen 3wed nich, mit' n Auftrag. Id führ ja nur Massen artikel. Billig, wissen Se, for die Ware jibt et nich viel. Sie vastehn mir doch?"

Luwdig stand zweifelnd da.

,, Aba vielleicht könnten Se Ihnen Maschinen anschaffen, det Allanotwendigste meene id. Sie als Fachmann vastehn mir schon."

Ludwig überlegte. Der Alte mit seinem rotgetupften Schnupftuch und den dicken Brillengläsern hatte nicht unrecht. Maschinen gaben bei den fleinen Preisen den Ausschlag. Den Verdienst, der an den Himmelsbachschen Schreibtischen hätte herausspringen fönnen, hatte der Kundenfräser erhalten. Er gab sich einen Ruck und sah Hundskötter offen an: Wenn Sie mir große Aufträge geben, könnte man darüber reden..."

*

*

Wir sind die letzten, die den schweren verantwortungsvollen Dienst der Polizeibeamten verkennen. Wie alle Verständigen lehnen wir es auch ab, aus dem schmerzlichen und unwürdigen Einzel­vorgang Schlußfolgerungen auf die preußische Gesamtpolizei zu ziehen. Gerade deshalb aber verlangen wir, daß Eiterbeulen am Körper der republikanischen Bolizei mit schärfstem Messer heraus­geschnitten werden. Das Bolt hat ein Anrecht auf einen nach innen und außen gefunden, moralisch intakten Polizeikörper.

Neue Tragödie in der Arktis  .

Grönlandexpedition Professor Wegener verschollen.

Seit fast zwei Monaten fehlt jede Nachricht von den Teil­nehmern der großen deutschen Expedition, die seit Frühjahr dieses Jahres auf dem grönländischen Inlandeis mit wiffen­schaftlichen Forschungen beschäftigt ist und deren erste Be­richte auch der Vorwärts" bzw. der Abend" ver­öffentlicht hatte.

"

Die Expedition hatte auf der Mitte der grönländischen Eiskuppe in 3000 Meter Höhe, 400 Kilometer von dem Ost- und Westrande entfernt, eine Beobachtungsstation errichtet, in der der Hamburger Meteorologe Dr. Georgi seit Monaten mit meteoro­logischen Messungen beschäftigt ist. Um diese Station für den Winter mit Proviant zu versorgen, war der Leiter der Expedition Professor Wegener mit Dr. Loewe, 13 Grönländern und einer ent­sprechenden Zahl Hundetransportschlitten Ende September auf­gebrochen.

Am 2. Oktober telegraphierte Wegener: Auf der vierten Hundeschlittenreise zur Zentralstation mitten im Inlandeis trat plöß lich ein Wetter sturz ein, der enorme Kälte brachte. Von unseren Grönländern wollten daher neun nicht mehr weiter und tehrten zurück. Dr. Loewe und ich sind mit vier Grönländern weitergegangen." Dieses Telegramm, das von den zurückkehrenden Grönländern aufgegeben worden ist, ist die letzte Nachricht von Wegener. Während bis dahin etwa vierzehntägige Radiotele­gramme über den Etand der Arbeiten der Expedition oder wichtige Ereignisse Kunde gaben, ist seitdem feine weitere Meldung ein­getroffen. In Kreifen, die die schwierigen klimatischen Verhältnisse Grönlands   fennen, erwartet man deshalb mit wachsender Besorgnis auftlärende Nachricht.

Meereshöhe Temperaturen von 20 Grad unter Null festgestellt. Nach Meldungen von der Ostküste Grönlands   wurden dort in Wenn man eine Abfühlung von auch nur 1 Grad für 100 Meter Höhe annimmt, so tommt man für die Höhe des mettleren Inland­cises auf eine Kälte von mindestens 50 Grad, wahrscheinlich liegt sie aber noch darunter.

Allerdings ist Professor Wegener einer der erfahrensten und erfolgreichsten Grönlandforscher der Welt, aber als ungünstiges Moment kommt hinzu, daß kein Mensch aus eigener Erfahrung die Winterverhältnisse auf dem Inlandeis kennt, daß also Wegener

,, Na jewiß, Meester, an Aufträge soll et bei mir nich fehlen; ick bin zufrieden, wenn id een'n zuverlässigen Mann habe, der mir ordentlich beliefert. Aber billig, vastehn Se, die Konkurrenz is heute mächtig auf'n Damm, fehn Se mal

Ludwig unterbrach ihn: Das hat Himmelsbach auch gesagt, Herr Hundstötter."

Hundstötter stuzte: Wat, haben Se etwa ooch for Himmelsbach jearbeetet?"

,, Jawohl, Herr..."

Der Alte schüttelte sich in stillem Lachen: ,, Na, da sind Se aba tüchtig rinjefallen, Mann. Wie können Se ooch for so'n Blutsauger arbeeten! Der zieht Se nich nur det Hemde vom Leibe, der schindet Se sogar die Haut ab! Det werden Se inzwischen ja schon jemerkt haben. Sehn Se mir an! Id bin' n ehrlicher Kaufmann. Jeder will doch leben. Sie und ich ooch. For Ihnen is det Brot so teuer als for mir, aber sone Sachen wie Himmelsbach der Halsab schneider... nee, da schüttle ich mir. Wenn Se for mir ar­beeten, Meester, kommen Se jut mech!"

Ludwig, der sich inzwischen gesezt hatte, schwieg. Frollein, bitte, geben Se mich mal die Auftragliste Der Alte blätterte darin.

rüber!"

Sehn Se hier, Herr Eisermann... sechstausend Märker een Auftrag, den hat mir een janz fleener Meester jemacht. 3d bin den Mann heute noch dankbar, der hat mir jute, saubere Arbeet jeliefert... da... fumzehntausend Märker, ooch ne janz annehmbare Arbeet von Dotterweich u. Co...

A

,, Bei dieser Firma habe ich als Geselle gearbeitet!" fiel Ludwig ein. Hundstötter guckte ihn durch die dicke Brille hindurch an: Na, denn flappt et ja, denn wissen Se mit den Krempel Bescheid und ich brauche mich den Mund nich fußlig zu reden. Frollein, wat brauchen wir forn Augenblic?"

"

Die kleine Hübsche sah für einen Moment von ihrem Journal auf: Blumentische, Herr Hundskötter!"

,, Na, denn schreiben Se for Herrn Eisermann aus: 400 Dugend Blumentische, det Dutzend vierundzwanzig Mart fumzig. halb und halb, Se wissen schon, Erlenholz, Nußbaum und Mahagoni poliert, aber, Meester, nich so viel Lad ruff­fchmieren, det will die Kundschaft nich."

Der Auftrag war ausgefertigt und unterschrieben. Die brünette Kontoristin schob ihn Ludwig in die Hände.

Hundkötter senior tupfte wieder an seiner Brille herum. ,, Morjen schick ich Se det Probestück zu. Bis wann können Se mir die ersten liefern?"

einen Vorstoß in völlig unbekanntes Gebiet unternommen hat. Auch die Ostgruppe hat feine Verbindung mehr mit den übrigen Teilen der Expedition, wie folgendes Telegramm an die Notgemein­schaft der Deutschen Wissenschaft beweist: Dftstation Nähe Nordost. bucht des Scoresbysund in vollem Betrieb. Haben Verbindung mit Rundfunksendern und vielen Kurzwellensendern und hören Rund­funtprogramme brillant. Mit West- und Zentralgruppe jedoch teine Verbindung. Auch die dänische Funkstation Scoresbysund hat mit uns drahtlose Verbindung, jedoch nicht mit den anderen Gruppen der Expedition."

Andrées Tagebücher.

Uebersetzung in fünfzehn Sprachen.

Stocholm, 25. November. Die mit großer Spannung erwarteten Andréeschen Tagebuch aufzeichnungen sind am Montag in Stockholm   in Buchform er­schienen. Die Uebersetzungen in 15 Sprachen folgen in den nächsten Tagen.

Aus den Aufzeichnungen ergibt sich, daß die früheren Annahmen über den Ballonflug und die Wanderung über das Eis zum Teil unrichtig waren. Obwohl über den Todesaugenblick feine Aufzeich. nungen mehr vorhanden sind, hat Professor Lithberg das Ende der Katastrophe konstruieren können. Andrée und seine Begleiter find damals nicht aus Mangel an Nahrung, Munition und Feuerung zugrunde gegangen, sondern weil ihre Kleidung ungenügend mar. Ohne Belze konnten die drei den, eisigen Stürmen nicht genügend Widerstand leisten. Sehr ergreifend sind die Aufzeichnungen Strindbergs, die für seine Braut bestimmt waren.

Dr. Dornier ist zufrieden.

Der Flug über den Ozean wird gewagt werden.

In einem Telephongespräch, das die Berliner   Tll. mit Dr. Dor­nier in La Coruna   hatte, erklärte Dornier, daß bei den bis­herigen Flügen mit der ,, Do. X" so viele wertvolle Erfahrungen gesammelt worden seien und daß das Vertrauen zu der Maschine

In vier Wochen, Herr Hundsfötter", sagte Ludwig aufs Geradewohl.

,, Det jeht; wissen Se, augenblicklich ist auf den Artikel eene Flaute, aber mit den Export jeht et noch immer.. Jawohl, Herr!" sagte Ludwig und war froh über den großen Auftrag.

Er stand auf und wollte gehen. Aber an der Tür fehrte er sich noch mal um.

Sofort rückte Hundstötter wieder die dicke Brille zurecht: ,, Na, wat haben Se nu noch auf'n Herzen? Irgendwat drückt Se, Meester!"

,, Wenn ich um einen Vorschuß bitten dürfte, Herr Hunds­fötter?"

Der Alte schüttelte sein gewaltiges Patriarchenhaupt: Nee, mein Lieber, ausjeschlossen, nich in die lamäng! Gehn Se mal, det hab ich wohl früher jemacht. Prompt haben mir denn die Meester uff die fühle Bank fizen jelassen. Ein paar­mal jing mein schönet Jeld sogar flöten. Jezt fenn id die Musite; wissen Se, junger Mann, durch Schaden wird man flug. Wat nich jeht, jeht eben nich!"

,, Himmelsbach hat mir auch Vorschuß gegeben, Herr Hundstötter!"

Hundskötter entblößte lächelnd seine Zahnstummel: ,, Ja, Männeken, Himmelsbach! Der mußte sich beeilen, die Leute Jeld in die Finger zu schieben, sonst machten se ihm die Ar­beet jar nich. Ich zahle bei Lieferung, Meester, und ich zahle anständig. Meine Preise können sich sehn lassen. Also.

Immer noch lachend gab er Ludwig zum Abschied die Hand.

Ludwig schüttelte sie derb, hinterließ der brünetten hübschen Kontoristin seine Adresse, nickte Hundskötter junior zu, der immer noch seine Nagellandschaften betrachtete, und ging.

Als er draußen an der Jammergestalt des verwachsenen Buchhalters vorbeikam, dienerte der vor ihm.

Ludwig beachtete den scharwenzelnden Burschen gar nicht. Krachend schlug er die Tür hinter sich zu. Gar nicht aus böser Absicht, sondern einfach darum, weil er schon wieder so tief in seine Gedanken und Kalkulationen eingespannt war, daß die Dinge der Außenwelt gar nicht mehr für ihn existierten.

Was ging einem Mann mit einen Zehntausend- Mark­Auftrag in der Tasche der lautlose Verschluß einer Tür an? Gar nichts.

Mochte sie frachen!

Die Hauptsache war, der Auftrag wurde effektuiert. ( Fortsetzung folgt.)