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BERLIN Mittwoch 26.November 1930

Der Abend

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B276 47. Jahrgang

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Erdbeben in Japan

Hunderte von Toten. - Alle fünf Minuten ein Erdstoß

Zofio, 26. November.

Die 65 Kilometer südwestlich von Tokio gelegene Stadt Mischima auf der Halbinsel Isu ist von einem schweren Erdbeben heimgesucht worden. 900 Per­sonen sollen getötet oder verlegt worden sein. Bisher jind 15 Leichen geborgen. Nach dem Erdbeben brachen Brände aus. Die Halbinsel Isu war in der letzten Zeit bereits mehrfach Schauplatz schwerer Erderschütterungen. Das heutige Erdbeben begann um 4 Uhr 3 Minuten früh und dauerte ungefähr zehn Minuten. Da die Vers bindungen gestört sind, fehlen Einzelheiten, doch ist offenbar großer Schaden in Mischima selbst und auch in der benachbarten Stadt Numaja sowie in zwei Dörfern angerichtet worden.

Erdstöße auch in Tofio.

New Yort, 26. November. Nach den bisher vorliegenden Meldungen aus dem japanischen Erdbebengebiet hat die Katastrophe zahlreiche Todesopfer gefordert. Fast alle Ortschaften auf der Halbinsel Iju, darunter die beliebtesten Badeorte, sind mehr oder weniger zerstört. Die Zahl der Verwundeten ist gleichfalls sehr beträchtlich. Man befürchtet weitere Erdstöße. Auch in Tokio , das etwa 160 Kilometer vom Zenfrum des Erdbebens entfernt liegt, sowie in Jokohama wurden um 4 Uhr vormittags japanischer Zeit heftige Erdstöße verspürt.

Verwüstete Städte.

Cofio, 26. November.

Das Erdbeben hat in einem großen Teil des Bezirks Schifuoka südwestlich der Hauptstadt besonders gewütet. Die Zahl der Todes­cpfer wird hier auf 200 geschätzt, diejenige der Verletzten übersteigt 1000. Ueberall haben Brände die Schäden der Erdstöße noch ver­taehrt. Die Orte, die am meisten gelitten haben, find Mischoma, Numaju, Nagato, Jfo und Atami . Die Sommerstation Hakonenatschi, die 1923 bereits zerstört worden war, wurde von neuem dem Erdboden gleichgemacht.

Kochendes Waffer bricht aus der Erde.

Zofio, 26. November. Nach den letzten amtlichen Meldungen beläuft sich die Zahl der Todesopfer des Erdbebens im Bezirk Schisuofa auf 187, während die Zeitungen von 219 Toten sprechen. In der Nähe von Mischima, d. h. im Mittelpunkt des Bebens, hat man seit dem 10. November jeden Tag durchschnittlich 300 fleine Erdstöße verspürt. Das Zentral­observatorium meldet, daß seit dem 7. November 1500 Stöße in der Umgegend des Thermalbades Ito, das in Brand geraten ist, ver­zeichnet wurden. Man befürchtet, daß auch die Gebiete von Schusinschi, Dhito, Schimoda und Hafoni gelitten haben, doch fehlen Einzelheiten, da die Verbindungen unterbrochen sind. In Atami brach ein Strahl kochenden Waffers aus dem Erdinnern der be­trächtliche Höhe erreicht. Das Schicksal von 300 Arbeitern, die durch einen Erdrutsch in einem Tunnel bei Atami eingeschlossen sind, gibt Anlaß zu Beunruhigung. Das Zentralobservatorium teilte mit, daß die Schwingungen des Hauptstoßes 30 Minuten dauerten.

*

Japan ist das Land der Erdbebenfatastrophen. Noch in aller Erinnerung ist das vernichtende Beben von 1. September 1923, das die Großstädte Totio und Yokohama in Schutt legte, Eisenbahnbrücken wie Bunder zerbrach und ganze Provinzen verwüstete. An 160 000 Menschen fanden den Tod, und man sagte, daß die Wirkungen des Naturausbruchs den Folgen eines ver­Lorenen Krieges gleich fämen. Die ganze Welt bewunderte die rasche Entschloffenheit und Energie, mit der das Inselvolk zum Wiederaufbau schritt und die frühere Holzstadt Tofio als Stein­ftadt errichtete.

Im März 1927 forderte das Beben von Tango. rund drei­einhalbtausend Menschenleben, während das Frühjahrsbeben von Tajima im Jahre 1925 an 400 Personen das Leben kostete. Kleinere Schwankungen der Erdoberfläche sind im östlichen Inselreich beinahe Alltäglichkeit: stellt doch die Statistik der legten 6 Jahre nicht weniger als 1500 Erdbeben fest!

Die Halbinsel Isu , die Stätte der heutigen Katastrophe, ist auch beim größten Erdbeben der letzten 100 Jahre, dem von 1923, schmer heimgesucht worden.

Bredt in der Schwebe

Sein Rücktrittsgesuch bleibt liegen

Wie amtlich mitgeteilt wird, ist das Rücktrittsgesuch des Reichsministers der Justiz, Prof. Dr. Bredt, gestern in der Reichskanzlei eingegangen. Nach einer fernmünd. lichen Vereinbarung zwischen Reichskanzler Dr. Brüning und Reichsminister Dr. Bredt ist die Erledigung des Schreibens bis nach der Rückkehr des noch erkrankten Ministers nach Berlin , die für Anfang nächster Woche zu erwarten steht, zunächst noch zurückgestellt. In­folgedessen ist auch ein Vortrag des Reichskanzlers in dieser Angelegenheit beim Herrn Reichspräsidenten zu­nächst noch nicht nachgesucht.

Das schwankende Bredt.

Die Wandlungen eines deutschen Professors. Der Herr Professor und Reichstagsabgeordnete Dr. Bredt hat, wie wir wissen, dem Reichskanzler sein Amt zur Verfügung gestellt. Auf Befehl des Herrn Bäckermeisters Drewiz, dem es nicht gefällt, daß die Preise gesenkt werden sollen. Die Wirtschaftspartei will an die Seite der Nationalsozialisten, sie drängt danach, daß der Parlamentarismus und die demokratische. Verfassung beseitigt und eine Diktatur von Hitlers Gnaden aufgerichtet werden soll. Der Herr Professor Bredt fügt sich dem Kommando seines Partei­ vorsitzenden . In diesem Augenblick muß daran erinnert werden, wie der gleiche Professor vor vier Jahren gesprochen hat, als er sich wissenschaftlich in die Ursachen vertiefte, die zum Zusammen bruch Deutschlands im Weltkriege geführt haben. In dem von ihm erstatteten Gutachten für den Untersuchungsausschuß des Reichs­tages finden wir( 8. Band 1926, Seite 373 ff.) die folgenden Aus­führungen:

tag so verwüstend gewirkt hat auf die ganzen inneren Berhält­nisse wie nichts anderes im Weltkriege."

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.... Erst im Augenblicke des militärischen Zusammenbruches wurde plötzlich dem Reichstage das parlamentarische Regiment in ten Schoß geworfen als es zu spät war. Im November 1918 fonnte die parlamentarische Regierung den Krieg mur noch liqui­dieren, für alles andere war die Zeit vorbei. Es war daher durchaus verfehlt, in diesem letzten Augenblick der parlamentari­schen Regierung die Verantwortung für den Zusammenbruch zu­schieben zu wollen."

Das nennt sich deutsche Wissenschaft! Gestern noch hat Herr Prof. Bredt sich für die parlamentarische Demokratie eingesetzt, heute aber findet er sich mit seiner Wirtschaftspartei dazu bereit, sich mit den Hakenkreuzlern zu verbinden, die die bemokratische Verfassung abwürgen wollen. Gestern hat er erkannt, daß das System der Dittatur das große Unglück über das deutsche Volt gebracht hat, heute aber will er durch die Wiederaufrichtung einer Diktatur Deutschland in eine neue Ratastrophe hineintreiben.

Noch mehr solche Professoren, Vaterland, du bist verloren!

Staatsfommiffar für Frankfurt a. M. Ablehnung aller Deckungsvorschläge durch die Stadt verordnetenversammlung in Frankfurt a. M.

Frankfurt a. M., 26. November. Die Stadverordnetenversammlung hatte sich heute abend zum lehtenmal mit der Frage der Deckung des Defizits von 8,5 millionen Mark zu befaffen. Trotz der Mahnung des Stadtkämme­rers und des dringenden Appells des Oberbürger­meisters lehnte die Versammlung alle neuerdings ein­gebrachten Dedungsvorschläge ab und hob auch ihren letzten Beschluß, Kaffenkredite aufzunehmen, auf. Da durch einen solchen Beschluß formell die Möglichkeit genommen ist, den Bezirks­ausschuß zur Schlichtung des Streites anzurufen, wird nunmehr der Staatsfommissar über die Defizitdeckung zu entscheiden haben.

Stinkbomben!

Heute im Rückblid tönnen wir sagen, daß sofort bei Kriegsbeginn entschlossen hätte eingelenkt werden follen in die Bahnen des parlamentarischen Regimentes. Es brauchte zunächst teine Berfassungsänderung vorgenommen zu werden; es mußte nur von vornherein gehandelt werden im Ein­vernehmen mit dem Reichstage oder zumindest im Ein­Dernehmen mit einer Reichstagsmehrheit." ... Nur ein einziges Mittel hätte es gegeben zur Wieder- Hafenfreuzler sprengen Dietrich- Versammlung in Bremen . herstellung einer wirklichen Regierung: die Einführung des parlamentarischen Regimentes, denn ihm gegenüber hätten die bisherigen Gewaltmittel der Obersten Heeresleitung bestimmt versagt."

Es zeigt sich heute, daß dieser Kampf gegen den Reichs­

Bruning

Bredt Abbau

Preisabbau

Brede

Wirtschale Parte

W

Wirtschaftspartei: Was, Preisabbau?- Nee, Männeken, da- bauen wir ab!"

Bremen , 26. November.( Eigenbericht.)

In einer öffentlichen Wahlkundgebung der Staatspartei zur Bremer Bürgerschaftswahl sprach am Dienstag der Reichsfinanz­minister Dr. Dietrich. Die Versammlung war äußerst start von jungen Nationalsozialisten, vielen Tabakarbeitern und Angestellten sowie Abordnungen der Bremer Tabakbetriebe besucht, die stür­misch verlangten, von Dr. Dietrich angehört zu werden. Schon die Worte des Versammlungsleiters gingen in dem minutenlang an­haltenden Tumult unter.

Geradezu skandalöse Borgänge spielten sich beim Erscheinen des Reichsfinanzministers ab. Sofort sezte die Nazimeute mit einem ohrenbetäubenden Pfeiffonzert ein. Hausschlüssel quietschten, und die wildgewordenen Razilausbuben antworteten auf jedes Wort des Ministers mit wüstem Fußgetrampel, so daß Dr. Dietrich zeitweise nicht meitersprechen konnte. Während unten im Saal ein paar Nazifrateeler an die frische Luft befördert mur­den, gebärdete sich der nationalsozialistische Mob auf der Galerie wie wild.

Dietrichs Schlußworte gingen unter in einem faum zu bc= schreibenden Pfeiffonzert der Nationalsozialisten. Mit Stint­bomben verschafften sich die Lausbuben des dritten Reiches einen würdigen Abgang.

Versammlungsschlacht in Kiel .

Kiel , 26. November.( Eigenbericht.) In Preez kam es in einer nationalsozialistischen Versammlung zu einer müsten Schlägerei mit Kommunisten, in deren Berlauf die Saaleinrichtung völlig zertrümmert und fast dreißig Personen mehr oder minder schmer verlegt wurden. Mehrere Nationalsozialisten und Kommunisten wurden verhaftet.