( Schluß.)
Eine Gefängnisgeschichte
Ein paar Tage blieb Zelle Nummer 77 oben auf der dritten Station unbelegt. Die Tauben tamen oft ins Fenster, aber sie fanden ihren Freund nicht. Dann legte der Hausinspektor den Gefangenen Aleg Seyda in diese Zelle. Senda war in Gemeinschaftshaft gemesen, hatte sich aber mit seinen Mitgefangenen so menig vertragen, daß er darum bat, in Einzelhaft zu kommen. Er war ein untersetter, fräftiger Mensch mit einem grauen Gesicht und Augen, die wie die eines Gestorbenen aussahen. Die mit ihm solange in der Schneidermerkstatt gearbeitet hatten, behaupteten, er habe den bösen Blic" und könne einem was anheren. Uebrigens war sein Benehmen in der Anstalt sonst musterhaft, er gehörte zur ersten Strafvollzugsstufe. Bfarrer Wäntig schäzte ihn sehr, aber der Hauptlehrer Dalbermann sagte zum Diettor gelegentlich einer Konferenz: er begreife diese Borliebe des Herrn Pfarrers nicht, ihm flöße Seyda immer eine Art Grauen ein. Und als sich Dr. Munter darauf die Akten des Gefangenen tommen ließ und sie mit dem Hauptlehrer zusammen noch einmal durchstudierte Alex Senda saß auch schon vier Jahre! da fanden sie ihr Mißtrauen gegen den ehemaligen Stationsaffiftenten Senda voll erklärt. Im Urteil stand: Der Angeklagte wird zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wegen schwerer Erpressung im wieder
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holten Rückfall. Und in der Begründung ftand: Alex Senda hätte
eine alte Frau langsam zu Tode gequält und es verstanden, immer von neuem Geldzuwendungen von ihr zu erpressen. Die Verstorbene, die mit abgöttischer Liebe an ihren im Tod voraufgegangen Ver= wandten gehangen habe, hätte ihr Leben ganz mit dem Kultus der Verewigten und ihres Andenkens zugebracht. Alex Senda, der fie häufig besucht und ihr immer Trost zugesprochen habe, hätte sich in Abwesenheit der Dame mittels Nachschlüssel zu ihrer Wohnung 3u tritt verschafft und hätte nun durch raffiniert bösartige Veränderungen innerhalb der Wohnung der vielleicht schon fopfschwachen Frau fuggeriert, was für Senda zum Vorteil war. Wollte sie eine seiner Geldforderungen oder Anleihen nicht bewilligen, so fand sie beim Nachhausekommen das Porträt ihres Mannes mit der Bildseite der Band zugedreht. Oder eines der vielen Andenken, die sie zärtlich liebte, mar entzwei geschlagen oder verschwunden. Als schließlich das nicht große Vermögen der so Erpreßten verbraucht war und die Frau die Forderungen des Verbrechers einfach nicht mehr erfüllen konnte, da hezte und ängstigte er die Verzweifelte durch immer neue Winte aus dem Geisterreich buchstäblich in den Tod. Man fand die alte Dame erhängt an der Klinke der Badezimmertür.
,, Sehen Sie, Herr Direktor," sagte der Hauptlehrer, da ist wieder mal einer, wie es in der Schrift heißt, böse von Jugend auf. Sie meinen ja immer, in jeder Seele wäre ein Keim, den man nur pflegen müsse mit ernster Güte, um wieder einen Menschen aus ihm zu machen. Glauben Sie das von dem Aler Seyda auch?"
Dr. Munter nickte mehrmals.
,, Ja! Ein Brunnen, und wenn er noch so verschüttet ist, er bleibt immer eine Quelle! Man muß nur Schutt und Unrat wegräumen, um wieder zu gutem und frischem Wasser zu kommen."
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steckten Dutzende von Nadeln. Sein Essen, als er nach vier Wochen wieder die marme Kost hatte, enthielt alle möglichen Widrigkeiten. Und das schlimmste vom Schlimmen war, daß keiner, aber auch keiner von den Gefangenen mehr ein Wort mit ihm wechselte. Senda war immer ein verschwiegener, verstodter, heimtüdischer und bösartiger Geselle gewesen; aber dieses Gemieden- und Ausgestoßensein selbst aus der Gesellschaft der Geächteten und Verfemten, das ertrug er nicht. Er ließ sich eines Tages beim Direktor vormelden, gestand ihm alles, trug die gerechte Strafe, die in 7 Tagen Dunkelarrest bet Wasser und Brot bestand, und erreichte, daß er in eine andere Anstalt übergeführt wurde.
Und dennoch war es, als wenn der Schatten des armen getöteten Vogels über seinem Haupte schwebte. Auch bis in das Gefängnis, in das man ihn jetzt verbrachte, drang die Kunde von seiner Schändlichkeit. Die Aufseher waren ihm gram, der Direktor und Lehrer ließen sich von ihm nicht sprechen und die Gefangenen zeigten mit Fingern auf ihn. Eines Morgens fand man ihn erhängt in feiner Belle.
Dieser schilderte 1882 eingehend die raffinierte Betrugstechnik Fir mans, der unter denselben Bedingungen" arbeitete, die noch heute in spiritistischen Sigungen gang und gäbe find. Aus dem nächsten Jahre stammt die Aufklärungsschrift„ Die Rehrseite der Medaille" Don John W. Truesdell. Dieses Privatmedium" deckt viele Trids auf, namentlich die feinerzeit beliebten Entfesselungsfünfte, die jetzt aus der Mode gekommen sind. Damals mußte ein Medium noch, wenn es auf der Höhe sein wollte, sich alle möglichen Angaben verschaffen, um den Besuchern zutreffende Mitteilung aus dem Jenseits machen zu können. In Amerifa war ein ganzes System dafür eingerichtet, und eine Zentrale versorgte die organisierten Medien mit ausführlichen Nachrichten, worüber H. Carrington 1907 näheres mitgeteilt hat.
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Ein anderes Werk dieser Art, die 1891 anonym erschienenen Enthüllungen eines spiritistischen Mediums", sind 1922 in einem Neudruck erschienen. Der Verfasser, hinter dem man das Medium Donovan vermutet, erzählt aus seiner 20jährigen erfolgreichen Tätigkeit allerlei Geheimnisse und kommt zu dem Schluß, daß sich ein einmal überzeugter Spiritist auch die gröbsten Dinge bieten läßt, ohne stuzzig zu werden.„ Leute, die an den Spiritismus glauben, sind es selbst, die jedem kleinsten Ereignis während der Sizungen eine übernatürliche Bedeutung zuschreiben“, erklärt ein anderes Medium Frederick Tansley Munnings, und schreibt es daher, daß ihm seine Tricks immer gelangen. Die Enthüllungen eines Mediums der neuesten Zeit, nämlich von Karl Kraus , mit dem Freiherr v. Schrend- Noying arbeitete, sind bisher nicht veröffentauch in diesen Angaben genau mitgeteilt wird, auf welche Weise alle die wunderbaren Phänomene ganz natürlich hervorgebracht wurden.
Medien plaudern aus der Schule licht, ba intereffierte Kreise dies verhindern. Man weiß aber, daß
In der fast unübersehbaren spiritistischen Literatur gibt es eine Gruppe von Büchern, von denen die Spiritisten selbst nicht gern etwas hören, die aber besonders aufschlußreich sind. Das sind die persönlichen Bekenntnisse, in denen Medien aus der Schui: plaudern. Solcher Werke gibt es, wie Graf v. Klincowstroem in der Leipziger Illustrierten Zeitung" ausführt, im ganzen faum zehn, die sämtlich in englischer Sprache erschienen sind. Diese Enthüllungsschriften gewähren einen tiefen Einblick in die Tricks und Betrügereien der Medien und in die„ nicht alle werdende Dummheit" ihrer gläubigen Gemeinde. Fast alle diese Schwindler stimmen darin überein, daß die Gläubigen finderleicht hinters Licht zu führen sind. Wenn sie das einmal meist zum Spaß jucht haben und ihnen der Betrug über Erwarten gut glückt, dann werden sie auf dieser Bahn immer weiter gedrängt und schließlich zu Berufsbetrügern. So war es schon bei den ersten Medien, den Schwestern Fox, die 1848 als Backfische zu Hydesville in den Bereinigten Staaten auftraten; als sie 40 Jahre später in öffentlichen Vorträgen die Natürlichkeit ihrer Wunder" enthüllten, fanden sie bei ihren Anhängern feinen Glauben.
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Die erste Bekenntnisschrift eines Mediums ist die von Alfred Firman, der zwar nicht selbst seine Arbeitsweise darstellte, aber von seinem langjährigen Gehilfen Chapman entlarvt wurde.
Was ist ein millimikron? So wie die Astronomie mit immer größeren Zahlen rechnet, so hat die Mikroskopie mit immer fleineren Einheiten zu tun. Deshalb ist der Millimeter längst durch sein tausendstes Teil, das Mitron, verdrängt worden. Aber auch das Mikron ist zu einem industriellen Maß geworden, jede Automobilfabrik arbeitet schon auf ein Mitron Genauigkeit. Die Wissenschaft bedient sich bereits des Millimifrons, des millionsten Teiles des Millimeters. Hier schien die Berfeinerung eine Grenze erreicht zu haben. Aber die neueste Entwicklung der Mikroskopie, das Luminiszenzmikroskop und die neuen Färbeverfahren, lassen vermuten, daß man das Millimikron wird weiter aufteilen müssen.
Ein Esperanto- Turm. Wie der Turm zu Babel die Sprachverwirrung anzeigte, so soll ein Turm, der jetzt von der EsperantoGesellschaft der bulgarischen Stadt Rahom errichtet wird, als Sinnbild der Spracheinigung in die Lüfte ragen. Der Magistrat von Rahow hat der Esperanto- Gesellschaft eine mitten in der Donau gelegene Insel geschenkt, die eine Oberfläche von 200 hektar hat und den Namen Esperanto erhält. Hier wird die Gesellschaft im Mittelpunkt einen Turm aus Metall errichten, der von einem großen grünen Stern befrönt ist. Dieser trägt die weithin sichtbare Inschrift:„ Esperanto, die Weltsprache". i
Die beiden Herren konnten sich darüber heute wie auch sonst nicht einigen. Das war ein ewiger Streitpunkt ,, und Pfarrer Wäntig stand ganz auf des Anstaltsleiters Seite.. Er wollte auch gleich an diesem Tage noch einmal nach der dritten Station zur Nummer 77 Bas George Washington für den Norden der Neuen Welt, war hinaufgehen. Aber das vergaß der kleine, alte Mann mit dem schloh- Simon Bolivar unter größeren Gefahren, erbitterteren Kämpfen, weißen Haarschopf. Er hatte drüben in der Frauenabteilung zu tun, schlimmeren Enttäuschungen für Südamerika ; wie faum einer hat wo eine Kreißende nach seinem Beistand verlangte. er den Ehrentitet ,, El Libertador " verdient, den ihm Volk und Heer zuriefen. Der Größe seiner Leistung entspricht die seiner Persönlich feit; Sproß einer vornehmen Familie, reich und frühzeitig unabhängig, verschmähte er die Lockungen einer glänzenden Laufbahn, um seiner Idee zu dienen. Von diesem Glauben an die Freiheit, die von Jugend an seine Göttin war, konnten ihn weder Niederlagen, Enttäuschungen noch Berrat abbringen. Den Degen legte er aus der Hand, um den Staat einzurichten; er war, nach den Worten von Unamuno ,,, einer der größten Helden, in denen sich die Seele der Hispania Magima offenbarte". Spanien selbst, das ihm doch den Berlust eines reichen Koloniallandes zuzuschreiben hat, errichtet ihm heute Denkmäler; es zählt Bolivar zu seinen Söhnen, und die Kulturgemeinschaft mit Lateinamerika hat die Erinnerung an den blutigen
Und wie der Abend über diesem schönen und flaren Herbsttag hereinbrach, da flog die schöne zahme Silberlerche an das Fenster von Belle 77, trippelte von dem Mauerkranz durch das Gitter und ließ sich mit janftem Schwung auf den weißen Kiefernholztisch nieder, an dem Alex Seyda, der eben seine Schneiderarbeit fortgepackt hatte, saß und die Wand anstarrte. Erstaunt, ja, fast erschroden, jah er den weißen Friedensboten vor sich über den Tisch schreiten. Dann glomm ein trübes Licht im Auge des vierzigjährigen Mannes auf. Er griff nach der Taube, die sich ihm nicht entzog. Wohl merkte das Tier, daß es nicht die schlanke, weiße und so behutsame Künstlerhand seines Freundes war, die es um die Schwingen faßte; aber das kleine Herz unter dem schimmernden Gefieder ging deshalb nicht schneller. Das
Vertrauen des Tieres in die Güte des Menschen war zu groß, es fonnte nicht einmal ermessen, daß so jäh, in Sekundenschnelligkeit der Tod mit eisernem Griff sein Leben löschte... Alex Seyda drehte der weißen Taube taltblütig den Kopf ab. Dann versteckte er sie unter den alten Schupoanzügen, die er ausbessern mußte, reinigte den Tisch von der purpurnen Farbe des Taubenblutes, flappte sein eisernes
Gurtenbett herunter und legte sich nieder.
Und kaum hatte die erste Nachtwache ihre Runde gemacht, so federte er die Silberlerche mit geschickten Fingern ab, wobei er auch die kleinste Daune in seine graue Arbeitsschürze sammelte; dann zündete er verbotenerweise den Gashahn in seiner Zelle an, goß Wasser in seine Waschschüssel und fochte die Taube über der Gasfiamme. Er aß mit heißhunger, zerbrach mit seinen Wolfszähnen die Knochen und sog das Mart heraus. Selbst den Schädel öffnete er, um das Hirnchen zu lecken, und schlief dann tief und traumlos, ohne die geringste Spur eines bösen Gewissens.
Am nächsten Tage gelang es ihm bei der Arbeitsablieferung, die Reste des verzehrten Vogels in Papier gewitelt in eine Hosecke zu werfen, wo sie von einem der Kalfaktoren gefunden wurden. Tags darauf trat nachmittags um 3 Uhr, wo der Stationsausseher sein Mittagsschläfchen hielt, der Kalfaktor Bromme in die Zelle des
Schneiders.
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,, Du wunderst dir wohl, wie ich bei dich rinkomme? Aber Darüber brauchst du dir nich' n Kopp zu zerbrechen. Ich wollte mir bloß mal erfundigen, wat du mit die Taube gemacht hast... nur
die weiße Taube von Mar Weinbaum?"
Unsicheren Blicks, aber mit der unerhörten Frechheit des gewoh heitsmäßigen Erpressers auf dem Gesicht zuckte Seyda die Achseln. ,, Wenn du nicht rausgehst, flingle ich nach dem Aufseher!" Der andere, ein gewaltiger Mensch, früher Kahnschiffer, der Güter veruntreut hatte, schob seinen Prim von einem Mundwinkel in den anderen:
Wenn du noch eenmal so'n Ton verzappst, denn rennste gegen die Knospe!" Und er zeigte die braune Seemannsfauft, die aussah wie die Klaue eines großen Affen:„ Aber id will mir bei dir nich: uffhalten. Von morgen an friegſte feen Mittag, det heeßt, der Rafaktor schütt' dir nischt in dein Napp! Und wenn de wat sagst oder zeigst einen an, denn kommen wir abends, wenn der Nachtaffe weg ist, und holen dir über! Der Arbeeterrat hat dir vorläufig vier Wochen Kostschmälerung zudiftiert. Du friegst morgens und abends ein Sticke Brot und deine Plärre( Kaffee). Wasser kannste faufen, sopiel de willst."
Der wuchtige Geselle mit seinen schweren Schuhen verschwand wie ein Schatten aus der Zelle. Von diesem Tage an begann ein Dulderleben für Aller Senda. Beim Spaziergang im Gefängnis traten die Hintermänner ihm die Füße entzwei. In seiner Matraße
Waffengang längst ausgelöscht.
Dem sechsjährigen Bolivar, der 1783 in Caracas geboren war, starben Vater und Mutter. Ueber Nacht war er der Erbe eines großen Vermögens geworden. Die Bolivars saßen seit der Eroberung der Neuen Welt in Venezuela und gehörten zu den angesehenſten Familien Neu- Spaniens . Der Lehrer seiner Jugend flößte ihm jenen inbrünstigen Glauben an die Freiheit ein, der seinem Leben das große Ziel steckte. Mit sechzehn Jahren wurde Bolivar, wie alle jungen Leute von Stand, nach Spanien geschickt; unterwegs empfing ihn der Vizekönig von Mexiko , der die tempefamentvollen Aeußerungen des Jünglings über die franzöfifche Revolution so übel vermerkte, daß er die Behörden im Mutterland von diesem unerwünschten Besuch in Kenntnis setzte. Als Bolivar eines Tages bei Madrid spazieren ritt, hielten ihn zwei Polizisten an, die ihn angeblich nach geschmuggelten Diamanten durchsuchen wollten. Dagegen bäumte sich sein spanischer Stolz auf.„ Niemals!" rief er und zog einen Revolver ,,, niemals werde ich einem Polizisten erlauben, Bolivar zu berühren!" Die Häscher zogen sich zurück, aber am nächsten Morgen hatte Bolivar den Ausweisungsbefehl in den Händen. Er begab sich nach Frankreich , wie er sagte, glücklich darüber, die Schönheiten eines republikanischen Landes bewundern zu dürfen. Aber es hielt ihn nicht lange dort. In Spanien hatte er zarte Bande angeknüpft. Raum 19 Jahre alt, heiratete er und begab fich auf seine Güter nach Venezuela . Fünf Monate nach der Hochzeit starb ihm die Frau, und Bolivar, bis ins Mart getroffen, suchte auf Reisen zu vergessen. Nach Frankreich zurückgekehrt, erfannte er mit Entsetzen, was dort aus der Republik geworden war. Sein Abgott Bonaparte hatte sich die Kaiserkrone aufgesetzt, und Bolivar war darüber so erbittert, daß er die Einladung zur Krönungsfeier ausschlug und sich während des ganzen festächen Tages in seinem Zimmer einschloß.
An diesem Wendepunkt seines Lebens lernte er Alexander von Humboldt kennen, der Südamerika bereist und die Geschichte der spanischen Kolonien gründlich studiert hatte. Von ihm empfing Bolivar die Ueberzeugung, daß für Südamerika die Stunde der Unabhängigkeit geschlagen habe. Der Weg lag nun offen vor ihm. 3unächst begab er sich nach den Vereinigten Staaten , um das Werf seines großen Vorbildes Washington zu studieren. Vier Jahre lang wartete er ungeduldig auf die große Gelegenheit. Sie fam mit Napoleons Einfall in Spanien . Der Krieg auf der Pyrenäenhalbinsel löfte den Unabhängigkeitstamps in Südamerika aus. Bolivar fommandierte damals eins der Infanterieregimenter, die kurz vorher für den fünftigen Kampf gegen Spanien aufgestellt worden waren. Die Aufständischen, die ihre Kräfte nicht überschätzten, wollten sich auf einem Umweg Englands verfichern und schickten Bolivar nach London , zunächst nur mit dem Auftrag, die Engländer zu bewegen, gemeinsam mit den Truppen in den spanischen Rolonien einen wahr
scheinlichen Einfall der Franzosen zu verhindern. Napoleons großer Feind an der Themje griff mit beiden Händen zu; aber Spanien , das die Gefahren einer Zusammenarbeit mit den Aufständischen erkannte, lehnte ab.
Die Ereignisse überstürzen sich nun. Bolivar bestimmt den alten General Miranda, sich an die Spitze einer Unabhängigkeitsbewegung zu stellen, und eröffnet mit ihm den Kampf. Im Dezember 1810 wird Benezuelas Unabhängigkeit proklamiert. Auf dem Vormarsch sieht sich Bolivars Truppe durch ein Erdbeben aufgehalten, in dem die abergläubischen Soldaten eine Warnung des Himmels vor ihrem hochverräterischen Unternehmen erblicken. Es ist bezeichnend, wie Bolivar dieses unerwartete Hindernis besiegt. ,, Wenn die Natur gegen uns ist", ruft er seinen Soidaten zu, so werden wir eben auch die Natur zwingen müssen. Aber dieses Vorläufig Selbstvertrauen ist zunächst noch nicht gerechtfertigt.
bleibt der spanische General Monteverde siegreich und kann sogur segar nach und nach Venezuela zurückerobern. Bolivar gelingt es gerade noch, nach Curaçao zu entfliehen. Aber ungebrochenen Mutes sammelt er die Aufständischen von neuem. Er verlangt einheitliche Führung, die General Labatut anvertraut wird, einem Mann, der auf Bolivar eifersüchtig ist und ihn in den Hintergrund zu drängen sucht. Aber Bolivar weiß sich zur Wehr zu setzen. Er chifft sich mit 200 Mann ein und erobert im Handstreich Teneriffa . Sein Siegeslauf hat begonnen. Er schlägt die Spanier vernichtend bei Chiriquana, nimmt ihnen Kriegsschiffe, Kanonen und Gewehre. Er ist der siegreiche Führer geworden, dem alles gelingt. Er wendet sich nach seiner Heimat Venezuela , das er teilweise in die Hand befommt. Jubel des Volles umbraust ihn. Der dreißigjährige General Bolivar verliert darüber den klaren Blick nicht; der Soldat verwandelt sich in einen Staatsmann. Unter den Augen des Feindes verkündet er die Handelsfreiheit, zieht die Fremden ins Land und bereitet eine Verfassung vor. Inzwischen hat sich Monteverde wieder erholt und greift von neuem an; aber Bolivar schlägt ihn, erobert Caracas und wird als Befreier Venezuelas begrüßt.
Wechselvolle Jahre folgen. Man überträgt Bolivar die Zivilund Militärgewalt. Er wird von den Spaniern geschlagen; nimmt ihnen aber neue Provinzen ab. Er muß sich, nach Jamaifa einschiffen, aber er kommt bald darauf wieder. Als Oberhaupt der Republik Venezuelas beruft er einen Kongreß, organisiert die Regierung, läßt sich in Angostura zum Präsidenten mit unumschränkter Gewalt ernennen, führt das Heer über die Kordilleren nach Neugranada, befreit dieses in zwei großen Schlachten und vereinigt Benezuela und Neugranada zur Republik Columbia unter seiner Präsidentschaft. Aber der Krieg ist noch nicht zu Ende. Wieder schlägt er die Spanier, verjagt sie aus Nieder- und Oberperu und macht aus diesem einen neuen Staat, der seinen Namen trägt: Bolivien . Dort wird er Diktator, aber im Jahr darauf vertauscht er sein Amt mit der Präsidentschaft Columbiens. Sein Republikanertum ist nicht mehr ganz einwandfrei. Unzufriedenheit gegen sein unumschränktes Regime erhebt sich, es gibt Verschwörungen, die er im Blut erstickt. In Beru läßt er sich zum lebenslänglichen Präfidenten wählen. Da er dem Kongreß von Bolivien eine wenig republikanische Verfassung aufbrängen will, in Columbien die Pressefreiheit unterdrückt, beschuldigte man ihn monarchistischer Pläne | Peru und Venezuela sagen sich von der Columbischen Union los, und Bolivar dantt am 27. April 1837 ab. Acht Monate später stirbt er, 47 Jahre alt, in Santa Marta. Südamerikas Geschichte ist mit Parteileidenschaft geschrieben. Sie fann ihren großen Männern erst nach dem Tode den Platz im Pantheon anweisen. Hundert Jahre später feiert Südamerika , wieder von Revolutionen und Aufruhrbewegungen heimgesucht, Simon Bolivar , den Befreier.
Friedrich Berka.