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BERLIN Donnerstag 18. Dezember

1930

10 Pf.

Der Abend

Erscheint täglich außer Sonntags. Sugleich Abendausgabe des Vorwärts. Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Erpedition; Berlin GW68, Lindenstr. 3

Spalausgabe des Vorwärts"

Ulrich Rauscher

47. Jahrgang

Anzeigenpreis: Die einspaltige Nonpareillezeile 80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigungen nach Tarif. Bosscheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b.H., Berlin Nr. 37536. Fernsprecher: Dönbeff 292 bis 297

worden. Zu spät und vergeblich hat er in St. Blasien Heilung gesucht.

Der deutsche Gesandte in Warschau , Ulrich Rauscher , I unterfriegen lassen. Ein unverwüstlicher Optimismus und ein ge-| einem überwunden geglaubten Lungenleiden aufs neue gepact ist in der Nacht zu Donnerstag in St. Plajien, wo er sich zur Heilung seines Lungenleidens aufhielt, an den Folgen einer doppelseitigen Lungenentzündung im Alter sor 46 Jahren gestorben.

Unter den Sozialdemokraten, die Deutschland in schwerster Seit unvergängliche Dienste geleistet haben, stand Ulrich Rauscher mit in erster Reihe. Er ist darin besonders Adolf Köfter

zu vergleichen, der wie er den Weg von der Journalistit zur Diplomalle genommen hatte, mie er einer ber glänzendsten Ber freter Deutschlands im Ausland gewesen war und wie er viel zu früh dem Bolt und seiner Partei entriffen wurde.

Ulrich Rauscher war am 26. Juni 1884 in Stuttgart geboren und hatte nach Bollendung seiner Universitätsstudien die journa­liftische Laufbahn eingeschlagen. Als Demokrat mit starkem fozialem Berständnis ging er zur Frankfurter Zeitung ", in deren Kreis er bald durch ausgezeichnete Leistungen auffiel. Doch hatte er schon damals, mehrere Jahre vor dem Kriege, die Fühlung mit der Sozialdemokratischen Partei aufgenommen und für den Bormaris regelmäßig Beiträge geliefert. Während des Krieges war er zwei Jahre an der Front, einen Teil der übrigen Zeit bei der politischen Abteilung in Briffel. Mis dann Scheidemann in der Regierung des Prinzen Mar von Baden Staatssekretär murde, nahm er Rauscher zu seinem Sekretär. In dieser Stellung ver blieb Rauscher während der Zeit der Bollsbeauftragten und nach dem Zusammentritt der Nationalversammlung, bis er zum Chef der Reichstanzlei ernannt murde. Beim Ausbruch des Kapp- Butsches wurde Rauscher zunächst von den Butschiften verhaftet, doch gelang es ihm, zu entfommen und in der Abwehr des tollen Unter nehmens eine äußerst aftive und wirksame Rolle zu spielen. Mit der Reichsregierung fehrte er aus Stuttgart nach Berlin zurüd. Als er bald darauf zum Gesandten in Georgien ernannt wurde, verlor die Pressestelle der Regierung ihren besten Chef, ge­mann die Diplomatie einen ihrer fähigsten Kräfte. Die Eroberung Georgiens durch die Sowjets bereitete der Diplomatentätigkeit Rauschers im Kaufajus ein vorzeitiges Ende. Rauscher wurde nun 1922 zum Gesandten in Warschau ernannt und auf diesem Poften hat er bis turz vor seinem Tode dem Deutschen Reich in ausgezeichneter Weise gedient.

Bon allen diplomatischen Posten ist der Warschauer wohl der Dornenreichste. Rauscher war sich der Schwierigkeiten wohl bewußt und hat oft über fie geflagt. Aufrichtig bestrebt, ein besseres Ber­hältnis zwischen den beiden Bölkern herheizuführen und damit ihnen beiden, vor allem aber der deutschen Wirtschaft und der deutschen Minderheit in Bolen zu dienen, jah er sich in seiner Arbeit durch die Vorstöße des polnischen wie auch des deutschen Nationalismus immer wieder zurückgeworfen. Jahrelang fämpfte er mit eindringlichem Berständnis aller Einzelheiten für den Abschluß eines Handelsvertrages, der an Stelle des Wirtschafts­trieges dauernbe normale Berhältniffe fehen sollte, und für das Liquidationsabtommen, das den deutschen Siedlern weitgehenden Schutz vor willkürlicher Bertreibung bot. Mandher an feiner Sfelle würde schon längst die Flinte ins Korn geworfen haben, aber Rauscher mar nomi Schlage berer, bie fich nicht so leicht

funder. Humor gaben ihm immer wieder die Kraft zu neuen An­strengungen. Wenn es einen gab, der es schließlich doch schaffen fonnte, dann war er es, der sich trotz aller Bidrigkeiten auf seinem Warschauer Posten einen außergewöhnlichen Fonds von persön­lichem Ansehen und Vertrauen geschaffen hatte.

Als ihm die ,, nationale Opposition" in der vorlegten Sizung des Auswärtigen Ausschusses den Dank für seine Arbeit abftattete, indem fte seine sofortige Abberufung forderte, da wußte fie nicht, daß sie ihre Waffe gegen einen totwunden Mann gerichtet hatte. Rauscher mar in dem ungünstigen Warschauer Klima von

Der Tod Rauschers ist ein Unglüd. Das Auswärtige Amt steht bei dem Bersuch, gleichwertigen Erjazz für ihn zu finden, vor einer faum zu lösenden Aufgabe. Die Sozialdemokratische Partei und das sozialdemokratische Schrifttum dem Rauscher auch als Diplomat noch oft durch anonym erschienene Aufsätze im Vorwärts" gedient hatte erleiden einen unerfetzlichen Verlust.

Die Beerdigung Rauschers findet in St. Blasien ſtaff.

Der Minister als Zeuge

Franzens falsche Aussage auf der Polizeiwache- Er wollte seine Partei nicht fompromittieren

Braunschweig . 18: Dezember. ( Eigenbericht)

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Bor der Ziollfammer des Oberlandesgerichts Braunschweig be­gann heute normiffag um 10 Uhr die Berufungsverhand. Iung in dem Prozeß, den der Verlag des Boltsfreund" gegen die einffweilige Verfügung des Landgerichts angeftrengt hat, die ihm die Beröffentlichung von wahrheitsgetreuen Behauptungen über den Naziminifter Franzen unterfagte.

Unter den von der Berliner Polizei zwangsgeffellten Staudal­machern bei der Reichstagseröffnung befand sich, wie erinnerlich, auch der Landwirt Guth aus Schleswig - Holftein. Dieser war mif mehreren feiner nationalsozialistischen Freunde, unter anderen mit Franzen und mit dem preußischen Landtagsabgeordneten Cohje ( at- S03.) in einem Berliner Bierlokal gewesen. Dort hatte Cohle

Kartoffeln für Arbeitslose.

Borstoß der Sozialdemokraten im Stadtparlament. Die fozialdemokratische Stadtverordnetenfraftion bringt in der hertigen Sitzung des Stadtparlaments folgenden Dringlich feitsantrag ein:

daß Franzen wider besseres Wissen den Guth als Cobfe legitimiert habe, brachte es das Gericht fertig, dem Antrag auf Aufhebung der einffweiligen Verfügung nicht stattzu­geben.

Gegen dieses Urteil legte der Boltsfreund" Berufung au das Oberlandesgericht ein, über die heute endlich ver­handelt wurde.

Die heutige Verhandlung

Der Andrang von Publitum und Preise zu der heutigen Berhandlung war sehr groß. Das Gerichtsgebäude ist durch starte Polizeifonimandos gesichert.

Den Vorsitz führte Oberlandespräsident Röpfe. Den Verlag des Boltsfreund" vertrat auch heute der ehemalige fuzialdemokratische Ministerpräsident Dr. Jasper. Bein 3eugenaufruf meldeten sich Polizeimajor Heinrich, Krimi­nalaffiftent Graf und Hauptwachtmeister Gehrmann aus Berlin . Diese drei Zeugen sind diejenigen Berliner Polizeibeamten, die als unmittelbare Latzeugen in der ganzen Affäre bezeichnet werden fönnen. Ferner ist geladen der nationalsozialistische Land­Holstein und die nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten tagsabgeordnete Lohse, der Landwirt Guth aus Edleswig­Thormellen und Meyer Quaade. Als Antragsteller ist Der Magistrat wird ersucht, die Städtische Güter G. m. b. 5. Dr. Franzen mit dem Rechtsanwalt Dr. Ruthenbach erschienen. zu veranlaffen, die auf den städtischen Gütern gewonnenen Kar- Bom Bolksfreund"-Berlag sind noch Regierungsoffeffor Scho ch foffeln direkt in den städtischen Markthallen zum Erzeugungs­preis( zuzüglich Transportfoften) zu verkaufen an alle arbeits­losen Familienväter, die sich durch die Stempelfarte und einen den Familienstand bescheinigenden behördlichen Auswels als folche legitimieren.

ihm seinen Reichstagsausweis ausgehändigt, so daß Guth am 13. Oftober in Berlin als Abgeordneter Lohse herumfpazierte und auch der Eröffnungsfihung des Reichstags auf der Reichstagstribüne beiwohute. Als er nachher auf der Straße beim Krawallmachen er­wischt wurde, wurde er auf die Polizeiwache des Potsdamer Bahn­hofes eingeliefert. Dort fiel den anwesenden Beamten auf, daß das Aussehen des Guth und das Bild in dem Ausweis durchaus nicht übereinstimmten. Darauf verlangte Guth von den Beamten die Herbeiholung des nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten und Minifters Franzen. Dieser tam auch und legitimierte Guth als Cobje, obwohl Franzen wußte, daß der wirkliche Lohle ein ganz anderer Mann ist.

Hierdurch hatte sich Dr. Franzen einer strafbaren Be­günstigung schuldig gemacht. Als auch der Braunschweiger Boltsfreund diese Taten des neuen Braunschweiger Minifters ent­sprechend fennzeichnete, fiel das Herrn Franzen auf die Nerven, so daß er gegen den Braunschweiger Bollsfreund eine ein ft­meilige Berfügung erwirkte, nach der es verboten jel, über Franzen die Behauptungen zu verbreiten, die selbst der Berliner Polizeibericht in alle Welt gab.

Der Berlag des Braunschweiger Bolfsfreund erhob gegen diese ohne Glaubhaftmadung erlassene cinstweilige Verfügung fofort Ein­fprud, über den am 5. November vor dem Landgericht in Braun­ schweig verhandelt wurde. Obwohl dort alle Tatzeugen bestätigten,

von der Berliner politischen Bolizei, Kriminaltom: niffar Meyer und Polizeiwachtmeister Wiejanta geladen.

Dr. Jasper begründet die Berufung: Ein Irrtum bei der Identifizierung des Guth und Lohse wäre ausgeschlossen. Trotzdem mar die Berliner Polizei fo loyal, Dr. Franzen auf die Polizeiwache zu bitten. Hier

gab Franzen den Guth als Lohse aus. Das Urteil der 1. Instanz besagt nun, es sei Franzen als Jurist und ehemaligem preußischen Difizier eine derartige. Tat nicht zuzu­trauen. Dann wundern wir uns, warum in der 1. Instanz über­haupt Zeugen gehört wurden. Auch ein früherer Richter muß sich überführen lassen, wenn er Handlungen be­gangen hat, die nicht einwandfrei sind. Im übrigen haben alle Tatzeugen, also die Polizeibeamten, die Tat übereinstimmend richtig geschildert. Aber das Gericht fagte, diese Zeugen wären nicht glaubwürdig.

Gericht sich gar auf den Standpunkt gestellt, menn die beiden unteren Bezüglich der Aussage des Polizeimajors Heinrich hat das Bolizeibeamten unglaubwürdig seien, dann sei es auch der Polizei­major. Ganz entschieden muß sich aber der Volksfreund" dagegen verwahren, daß das

Gericht durch seine einstweilige Verfügung selbst amtliche Ber­öffentlichungen unterdrückt

hat. Er lege heute vor allem Wert auf eine Bereidigung aller Zeugen, um die Wahrheit zu ergründen.

Der Rechtsbeistand Franzens, Dr. Ruthenbach meint bagegen, Franzen sei langmütig genug gewesen, das Pressetreiben fiber sich ergehen zu laffen. Er habe tagelang beraten, ob er ein schreiten solle. Erst als die Angriffe überhandnahmen, erwirkte er die einstweilige Berfügung. Ruthenbach hat sich eine Reihe von 2eumundsbriefen über Franzen beschafft. Die Zeug­