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BERLIN  Sonnabend 3. Januar 1931

Der Abend

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Nr. 4

B2 48. Jahrgang

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Der Mörder geflüchtet?

Verdächtige Hakenkreuzler festgenommen/ Der Mörder nicht entdeckt

Der Mörder der Genossen Schneider und Graf konnte bisher nicht ermittelt werden. Die Polizei hat eine Reihe von Verdächtigen festgenommen, jedoch br­fand sich der unmittelbare Täter nicht unter ihnen. Es werden zwar weiter bestimmte Spuren verfolgt, doch kann darüber näheres nicht mitgeteilt werden.

Gewisse Anhaltspunkte weisen auf die Möglichkeit hin, daß zwei der Tat dringend verdächtige National­sozialisten sich der Festnahme durch die Flucht entzogen haben.

Wie der Mörder aussieht.

Wegen des zweifachen Mordes in der Hufelandstraße sind bis jeht mehrere Personen verhaftet worden; es steht jedoch bisher nicht

fest, ob darunter der oder die Mörder find. Wie sicher' Genoffe Schneider und fein Sohn fich fühlten, als sie ihre Sivestergäste noch

ein Stüd Beges begleiteten, geht daraus hervor, daß Dater Snelder diesen Weg in Hemdsärmelu vad Sausschuhe angefecten hat. Der Mörder des jungen Schneider hat in seinen Aeußerungen 31 Mutter Schneider, als er in der Wohnung ich bewegte und Kleidungsffüde revidierte Aeußerungen gemacht, die auf seine Nazi­gesinnung schließen faffen. So zum Beispiel auch: 3h fchieße jeden Reichsbannermann nieder. Dieser Mensch trug eine Lederjade und eine helle Mühe. Bafer Schneider hat bereits vor längerer Zeit bei der Polizei die Anzeige erstattet, daß er von Nazis bedroht werde. Diese Anzeige war jedoch nach der Meinung der Polizei so unbestimmt, daß darauf nichts geschehen konnte. Ob Graf von dem gleichen Mörder oder durch einen Schuß aus einem Hause getötet worden ist, tonnte bisher noch nicht festgestellt werden.

Die verhafteten Hakenkreuzler.

Fünf Nationalsozialisten befinden sich im Polizeigemahrsam, von denen feststeht, daß sie an den Schlägereien in hervorragendem Maße beteiligt waren. Unter ihnen ist auch der Sohn des In­habers eines Hafenfrenzierlofales, das einige Straßenzüge entfernt liegt. Es ist also ermiesen, daß die Nationalsozialisten ihre Leute aus der ganzen Umgebung zusammengetrommelt hatten.

Die polizeiliche Untersuchung scheint auf einem toten Punkt an­gelangt zu sein.

Siriminalkommissar Dr. Stumm, der die Ermittlungen an der Mord­tat leitet, hat zwar noch eine Reihe von 3eugen vernommen, das Berhör hat aber zur völligen Klärung auch nur wenig beigetragen. Weiter find einige Konfrantationen vorgenommen worden, bei denen einige Hatenfreugler schwer belastet wurden.

Die eiserne Stirne.

Ein nationalsozialistischer Bericht.

Im Böllischen Beobachter", dem in München   erscheinenden Drgan Hitlers  , ist unter der Ueberschrift Margistische Aus­fchreitungen" folgender aus Berlin   datierter Bericht zu lesen:

Die Don tommunistischer Seite geplanten zahlreichen Störungsversuche famen in der Silvesternachyt faum zur Ausführung. In der Hufelandstraße tam es zu Zusammen­ftößen zwischen unbekannten Tätern und Reichsbanner­leuten, denen der Reichsbannermann Schneider und ein Bant­beamter Graf zum Opfer fielen. Sie starben im Krankenhaus Friedrichshain  . Als der erschossene Schneider Gäste auf den Heimweg brachte, tam er mit verschiedenen unbe­fannten Personen in einen Wortwechsel, der sich zu schweren Zusammenstößen verdichtete. Die Judenpresse be­hauptet einfach, daß die Täter National fozialisten feien, eine Annahme, die durch nichts erwiesen ist.

Im Berliner   Angriff" war der Hergang der Dinge so dar gestellt, als ob das rote Mordgesindel", bestehend aus Reichs­banner und Kommunisten, die Nationalsozialisten überfallen und fürchterlich zugerichtet hätte. Nur der Schießheld follte zufällig gerade fein Nationalsozialist gewesen sein. Nach dem Beobachter" aber find die von fommunistischer Seite geplanten Störungsver­fuche laum zur Ausführung gelangt", b. h. es wäre überhaupt io gut wie nichts passiert, wenn nicht eben Schneider und Graf erschossen worden mären. Diese Bluttat wird dann nach Berliner  Muster einem Inbefannten" zugeschoben. Die Hitler  - Partei abcr wäscht ihre Hände in Unschuld.

Sonntag, den 4. Januar 1931, 11 Uhr

Protest- Kundgebung

im Saalbau Friedrichshain

Wiederum sind zwei der Unsrigen dem national­sozialistischen Mordgesindel zum Opfer gefallen

Der Reichsbannerkamerad und Genosse

Willi Schneider  

und der Genosse

Herbert Graf

wurden in der Silvesternacht nach vorhergegangenen nationalsozialistischen Provokationen erschossen

REPUBLIK   werde hart! Mache endlich Schluß mit dem politischen Verbrechertum S.P.D. Bezirksverband Berlin  , Litke, Holz. A.D.G.B.  , Ortsausschuß Berlin  , Bredow. Reichsbanner Schwarz- Rot- Gold, Gau Berlin­Brandenburg, Stelling, Neidhardt.

Freigewerkschaftlich organisierte Angestellte Berlins  ! Zwei Kollegen sind verbrecherisch hingemordet worden! Vereinigt Euch mit den verantwortungsbewußten Republikanern zum Protest am Sonntag, dem 4. Januar 1931, vormittags 11 Uhr, im Saalbau Allgemeiner freier Angestelltenbund Ortskartell Berlin, Flatau, Petersdorff.

Friedrichshain  .

Es soll vertuscht werden.

Die nationalsozialistische Blutschuld wird totgefchwiegen. Die Deutsche Allgemeine Zeitung", die unermüdlich Propaganda für Herrn Hitler   betreibt, nimmt zu der Berliner  nationalsozialistischen Bluttat in eigenartiger Weise Stellung. Sie ergeht sich in Betrachtungen über die Silvesternacht und alkoholische Exzesse im allgemeinen und über vereinzelte Todesopfer der letzten Nacht im besonderen. Dann moralisiert sie über Berbrechen, die im Rausch begangen werden, über Irrsinnsschüsse und tommt zum Schluß, daß man einen Menschen, der in der Trunkenheit zu Ge­walttätigkeiten neigt und mit einem Revolver in der Tasche fröhliche Gesellschaft auffuche, festhalten müsse. Rein Wort darüber, daß die Ermordung der beiden Sozialdemokraten in Berlin   National sozialisten zur Last fällt. Rein Wort darüber, daß der Täter mit der Waffe in ber Hand mit Mordabsichten in eine fremde Woh mung eingedrungen war und sie Zimmer für Zimmer nach Opfern durchsucht hatte. ein Bort auch über die verbrecherische Mord hezze, die die nationalsozialistische Presse und die nationalsozialistischen

Auch dieser...

In

... hat zu Neujahr pünktlich seine Bisitenkarte abgegeben.

Führer betreiben. Die Hintermänner der Deutschen Allgemeinen Zeitung" wollen auf alle Fälle sich mit den Nationalsozialisten ver bünden. Sie suchen deswegen die Blutschuld und das Bere brechertum der Nationalsozialisten zu vertuschen. Es fümmert sie nicht, daß die Hand des neuen Verbündeten blutig ist, sie sind durchaus befriedigt, wenn über die Mörderhand der Handschuh der Ableugnung und Vertuschung gezogen wird.

Fort mit der Hafenkreuzschmach!

Eine ernfte Mahnung an die Behörden. Die fozialdemokratische Landtagsfraktion hat folgende Große Anfrage eingebracht:

Schon wieder find in Berlin   zwei Menschenleben der national

fozialistischen Mordpolitik zum Opfer gefallen. In der Neujahrsnacht wurde im Hause Hufelandstraße 31 der Angestellte Willi Schneider   in der elterlichen Wohnung von einem Nationalsozia liften erfchoffen. Desgleichen mußte der Bankbeamte Herbert Graf bei demselben Borgang durch einen Kopfschuß sein Leben laffen. Die Tällichkeiten der Nationalsozialisten gingen von ihrem Stamm- und Verkehrslokal in der Hufelandstraße aus. Die Ber­tehtslotale der Nationalsozialisten find wiederholt Ausgangspunkte politischer Bluttaten gewesen. Meldungen ähu­licher Urt können aus zahlreichen anderen Orten des Freistaates Preußen bewiesen werden. Ueberall bilden die Verkehrslokale Sammelpunkte der Nationalsozialisten, von denen die Angriffe auf polfisch Andersdenkende ausgehen.

Die nationalfozialistische Bluftat in der Silvefternacht hat unter der republikanischen Bevölkerung Berlins   und weit darüber hinaus eine ungeheure Erregung hervorgerufen. Nur der vorbildlichen Disziplin und Ordnungsliebe in republikanischen Kreisen ist es zu verdanken, wenn nicht schon zu Mitteln der Selbsthilfe ge­griffen worden ift. Angesichts des haarsträubenden Verhaltens der Hakenkreuzler fragen wir daher:

1. Sind alle Maßnahmen zur Erfassung des Täters getroffen? 2. Jft die Staatsregierung bereit, in Zukunft für ein recht enges Zusammenarbeiten von Polizei und Justiz einzutreten, damit nicht nur die an politischen Morden und sonstigen Gewalttätigkeiten befeiligten Personen gefaßt, sondern auch schnell abgeurteilt und der Strafverbüßung umgehend zugeführt werden?

3. 3ft sie weiterhin bereit, die Hakenkreuzlerlokale mehr als bisher unter polizeiliche Beobachtung zu stellen?

Die Obduktion der Erschossenen.

Im Leichenschauhaus ist heute mittag die Obduktion der beiden Erschofienen vorgenommen worden. Das Ergebnis der gerichtsärztlichen Untersuchung steht bis zur Stunde noch aus. Sehr wesentlich dürften dabei die Feststellungen über das Kaliber der Mordgeschosse fein, woraus dann mit einiger Sicherheit Schlüsse darüber gezogen werden können, ob ein oder zwei Täter für die furchtbare Bluttat in Frage kommen.

Zehn Sportler verschüttet.

Drei fonnten nur noch als Leichen geborgen werden. Bajel, 3. Januar.

Ein fchweres Schneeschuhunglüd ereignete fich gestern abend oberhalb Elms im Kanton Glarus  . Im Hotel Kurhaus hatte eine größere Anzahl Berliner   Touristen längeren Winter. aufenthalt genommen. Eine Gruppe von 15 Personen begab sich geffern nach der Alp Oberwichlen. Plötzlich löste fich eine Schnee­wächte, wodurch 13 Perfonen verschüttet wurden. 10 fonnten noch lebend geborgen werden, die übrigen 3 wurden in der Nacht als Leichen durch eine Rettungstolonne zu Tal gebracht. Es handelt sich um Dr. med. Clare und ein Fräulein Gelpie aus Berlin   sowie ein Fräulein klöppner aus Gladbach.

Frenzel Urteil: 651 Geifen!

Das Urteil im Frenzel- Prozeß ist heute vom Vorsitzenden, Lands gerichtsdirektor Dr. Hellwig, fertiggestellt und abgegeben worden. Das Urteil umfaßt 651 Schreibmaschinenseiten.