Morgenausgabe
Nr. 21 A 11
48.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Mittwoch
14. Januar 1931
Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
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Vorwärts Verlag G. m. b. H.
Kabinettssitung ohne Brüning.
Das Reichstabinett beschäftigte sich am Dienstag- frist gestatten, falls ein Staat, gegen den eine Beschwerde einnachmittag mit der bevorstehenden Tagung des Wölfer gereicht ist, fie verlangt, so besteht die Möglichkeit, daß das deutsche bundsrats. Der Reichsminister des Auswärtigen er- Memorandum auf der gegenwärtigen Tagung des Völkerbundes stattete eingehenden Bericht über die in Genf zu behandelnden nicht öffentlich diskutiert wird. Fragen. Die hierüber gepflogene Aussprache ergab, wie amtlich mitgeteilt wird, vollkommene Einmütigkeit über die von der deutschen Delegation einzunehmende Haltung.
Der Reichstanzler wohnte der Besprechung nicht bei, da er an einer leichten Grippe erfrankt ist und einige Tage das Bett hüten muß.
Die Petition des deutschen Volksbundes, die weiteres Material über die Unterdrückung der deutschen Minder heiten Polnisch- Oberschlesiens enthält, ist beim Generalsekretär des Völkerbundes eingegangen. Es unterliegt der Entscheidung des Generalsekretärs, ob die Petition, wie es der deutsche Volksbund Der Reichspräsident empfing am Dienstag den Reichs- beantragt, für dringlich erklärt und noch auf die Tagesaußenminister Dr. Curtius zum Vortrag. ordnung der bevorstehenden Ratstagung gesetzt wird.
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Bertagung des Falles Deutschland- Polen.
London , 13. Januar. ( Eigenbericht.)
Wie wir erfahren, soll Polen auf der Völkerbundstagung eine Frist von zwei Monaten zur Beantwortung der deutschen Beschwerde über die Behandlung der deutschen Minderheiten beantragen. Da die Völkerbundssatzungen eine solche Beantwortungs
Condon, 13. Januar. ( Eigenbericht.) Außenminister Henderson reist am Donnerstag nach Genf . Am Freitag wird er dort mit den übrigen Delegierten Briands Plan über die Bereinigten Staaten von Europa diskutieren. Die Rats. fitzungen werden nicht por Montag beginnen.
Das Ergebnis der Londoner Konferenz.
Frage und die indische Entwicklung wird sich nicht mehr in dem Seit neun Wochen arbeitet die englisch - indische Konferenz mit Rampf Englands und Indiens ausdrücken. Es wird in Zukunft der Kampf der Inder untereinander sein. Indien wird zu einem Föderatiostaat umgewandelt. Die bisher absoluten Fürsten verzichten auf einen großen Teil ihrer Macht zugunsten der Einzelstaaten und der einzelstaatlichen Verwaltung. Die Basis dieser indischen Föderation bildet ein Parlament, das aus Senat und Unterhaus besteht. Der Senat wird von den cinzelstaat lichen Parlamenten gewählt; das Unterhaus in direkten und indirekten Wahlen, wobei den religiösen Minderheiten, der unterbrüdten Klasse, den Arbeitern usw. eine gewisse Bahl von Barlamentssigen zustehen soll. Der Generalgouverneur ( Bizefönig) ernennt den Ministerpräsidenten, der sein Kabinett bildet, das wiederum dem Parlament verantwortlich ist und von ihm gestürzt werden kann. In der Uebergangszeit bleibt dem Generalgouverneur ein Einspruchsrecht gegen die Parlamentsbeschlüsse, das sich jedoch hauptsächlich auf Armee und Finanzfragen
wechselndem Geschick. Biele Kommissionen und Unterausschüsse waren am Wert, private Unterhändler opferten Tage und Nächte und überall tauchte Macdonald auf, um zu schlichten, zu vermitteln und zu versöhnen. Auf seinen Schultern lag die ganze Last und Schwere der Beratungen, die jetzt ihrem Ende entgegengehen; daß sie ein Problem wie das indische nicht lösen können, war von vornherein flar. Die Entwicklung in Indien ist nicht die Frage einer Konferenz, und wenn sie selbst neun Jahre andauern würde! Die im Anfangsstadium begriffene bürgerliche Revolutionierung Indiens und die bürgerliche Emanzipation seines Volkes wird Jahrzehnte brauchen, bis der letzte Stein gesetzt ist. Welche Probleme sich hier aufhäufen, beweist die eine Tatsache, daß es in London nicht möglich gewesen ist, Hindus und Moslems auf eine gemeinsame Linie zu bringen.
Bom ersten Tag an war dieser religiöse Gegensah das Haupthindernis der Konferenz, er ist es geblieben und bedroht selbst die Arbeiten der Verfassungskommiffioa,
deren Ergebnis auszugsweise veröffentlicht worden ist.
In diesen Arbeiten ist die Frucht der gesamten Londoner Kon ferenz niedergelegt. Sie ist den Umständen nach das Höchstmaß dessen, was erreicht werden konnte. Die Konferenz überläßt die innere Entwicklung Indiens den Inhern, sie gibt dem tausendfach gespaltenen und zersplitterten indischem Bolte einen staatspolitischenRahmen für alle kommenden Fortschritte.
Im Verhältnis zu Endland gibt das Mutterland den alten Herrenstandpunkt auf. Indien ist auf dem Wege zu einem selbständigen Dominion.
In einigen Jahren soll es Herr seiner eigenen Gefchicke sein. England ist mit der Indianisierung" der indischen Armee und dem allmäh lichen Abzug der britischen Truppen einverstanden. Die indische
Streiffrawall in Erfurt . Steinhagel gegen Polizeibeamte. - Die Polizei schießt Ein Maurer getötet.
Erfurt , 13. Januar. ( WTB.) Bei der Berlin - Erfurter Maschinenfabrik Henry Pels u. Co., Erfurt , war die gesamte Belegschaft in den Streit getreten, weil die Werksleitung die im Thüringer Metallschiedsspruch vorgesehene sechs prozentige Lohnsenkung vorgenommen hatte. Nach der Verbindlichkeitserklärung des Schiedsspruchs nahm die Hälfte der Belegschaft die Arbeit wieder auf, während die andere Hälfte, meistens Kommunisten, im Streit ver harrten. Schon gestern nachmittag kam es vor den Werk. stätten zu Beschimpfungen durch die angesammelten
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beschränkt.
Die britischen Konservativen erklärten, fie müßten diesen Zugeständnissen an Indien ihre Zustimmung verweigern. Auch der Führer der indischen Moslems übte heftige Kritik, weil er den Schutz der mohammedanischen Minderheit vermisse. Schließlich haben auch die Delegierten der Hindus Sonverwünsche angemeldet.
Die Konferenz ist zu Ende. Macdonald wird die Stellung der britischen Regierung am Freitag oder Montag in einer Plenarfitzung darlegen.
Als Ausweg aus der Sackgasse der Sonderwünsche soll jeder Delegiertengruppe überlassen bleiben, ihre Vorbehalte dem Verfassungsdokument anzuhängen.
Indien ist auf dem Wege zum Dominion und zur Selbstverwal, tung und damit wird, wenn die Konferenz den Kommissionsbericht annimmt, der schwerste Stein hinweggeräumt sein, der bisher die innere Entwicklung von Land und Volt gehemmnt hat. Das wird die große historische Bedeutung der Londoner Konferenz sein.
Streikenden und Erwerbslosen. Polizei mußte mit dem Gummiknüppel die Demonstranten zerstreuen. Sie wurde mit Steinen beworfen, wobei ein Polizeioffizier eine Wunde am Kopf davontrug.
Heute nachmittag gegen 17 Uhr kam es gelegentlich des Schichtwechsels wieder mehrfach zu Zusammen it ößen zwischen den Arbeitenden, Streifenden und Erwerbslosen. Hierbei wurde ein Arbeitender schwer verletzt. Die Polizei wurde, als sie eine Straße des Er furter Nordens räumen wollte, mit einem Stein hagel empfangen. Sie machte von der Schußwaffe Gebrauch. Hierbei wurde der 28 Jahre alte erwerbs. lose Maurer Hugo Hoffmann aus Gispersleben bei Erfurt tödlich getroffen und eine weitere Perfon durch Armschuß verletzt.
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Die verfassungsrechtliche Bedeutung der neuerlichen Notverordnungs- Gesetzgebung wird sich in vollem Umfange erſt nach einer Reihe von Jahren übersehen lassen. Da moderne Verfassungen ganz überwiegend auf der moralischen Achtung des selbstgegebenen Gesetzes beruhen, ist jede Mißachtung vor handener Berfassungsbestimmungen eine prinzipielle Verneinung der Verfassung und deshalb äußerst gefährlich. Mit 3weckmäßigkeitserwägungen allein lassen sich diese Dinge nicht abtun. Mit den Notverordnungen ist also die Weimarer Ver fassung, gelinde ausgedrückt, in ein sehr schwieriges Kapitel ihrer Entwicklungsgeschichte eingetreten.
Aber hier sollte in erster Linie auf eine andere, sehr bedenkliche Rückwärtsentwicklung hingewiesen werden, die durch die zweite Notverordnung eingeleitet ist: auf die Rückwärtsrevidierung unserer steuerpolitischen Einrichtungen. Wenn man deutlich formulieren will, fann man sagen: die zweite Notverordnung bringt in steuerpolitischer Hinsicht eine Beseitigung der in einem hundert Jahre langen Kampf herbeigeführten Fortschritte und Ideen. Das prägt sich darin aus, daß die Einkommensteuer für die Landwirtschaft mit Einfommen unter 6000 m. ganz beseitigt ist. Ferner wird die Beseitigung der Einkommensteuer für das Gewerbe grundfäßlich ausgesprochen, ihre Durchführung aber noch von einer besonderen Ministerialverfügung abhängig gemacht. Auch im Gewerbe soll die Einkommensteuer erst beginnen bei einem Einkommen von über 6000 M. Da man wohl damit rechnen muß, daß der Reichsfinanzminister von dem ihm erteilten Recht einer folchen Berfügung Gebrauch machen wird, so heißt das, daß für alle Einkommen unter 6000 m. in Ge werbe und Landwirtschaft die Einkommensteuer beseitigt ist. An sich müßte das als selbstverständlich zur Folge haben, daß auch die Lohnsteuer für die Lohn- und Gehaltsempfänger unter 6000 m. Jahreseinkommen beseitigt wird. Ob das beabsichtigt ist, steht dahin. Es würde den Reichshaushalt völlig aus den Fugen reißen.
Gleichzeitig mit dieser Entwicklung hat eine starke Ausdehnung der indirekten Steuern stattgefunden, und es ist durch die Einführung der Bürgersteuer eine neue Klassensteuer in Deutschland geschaffen worden. Was die Bürgersteuer im Rahmen unseres steuerpolitischen Systems auf die Dauer bedeuten wird, läßt sich heute nicht abschätzen. Unzweifelhaft trägt sie in sich die Tendenz auf Beseitigung der Einkommensteuer und ihrer Ersetzung durch eine Klaffenſteuer. Grundsäglich betrachtet, bedeutet das auch die Beseitigung der sozialen Abstufungen im Rahmen der Einkommensteuer. Es bedeutet die Ersetzung der Einkommensteuer durch eine Gewerbe-, das heißt eine indirekte Steuer, deren Abwälzung auf die Produktion grundsäglich vorausgesetzt wird, fassung ausgeht, daß fe ine Abwälzung stattfinden soll. während die Einkommensteuer von der grundsätzlichen Auf
Neben die gewaltige Steigerung der in direkten Steuern einschließlich der neuen Gewerbesteuer tritt die Bürgerabgabe als Klaffensteuer. Die Klassensteuer wurde, wenn ich mich nicht irre, im Jahre 1820 in Preußen eingeführt. Die steuerpolitische Gesetzgebung der zweiten Notverordnung hat also in weitgehendem Umfange die Tendenz, hundert Jahre steuerpolitischer Verbesserungen und Verfeinerungen zu beseitigen und zu rohen Kopf- und Klassensteuern zurückzukehren.
Der Sazz, daß indirekte Steuern abwälzbar, direkte Steuern nicht abwälzbar feien, hatte stets einen stark politischen Charakter. Nachdem die Arbeitnehmerschaft zum neuen Staat anders steht als zum alten, fann sie auch ihre Stellung zur Steuerpolitit einer erneuten Nachprüfung unterziehen Weder find indirekte Steuern auf jeden Fall unsozial, noch find direkte Steuern auf jeden Fall sozialer und gerechter. Wir wissen heute, daß auch die Einkommensteuer abgewälzt wird und abwälzbar ist, sobald sie eine gewisse Höhe der Belastung überschreitet. Die Reichseinkommensteuer ist nicht so hoch, wie manchmal in den agitatorischen Behauptungen ihrer Gegner dargelegt wird, aber sie überschreitet, zum mindesten in Deutschland und England, die Grenzen der Unabwälzbar= feit. Insofern ist der Streit um direkte oder indirekte Steuern heute nicht mehr von derselben Bedeutung wie früher.
Wenn der alte Sah, daß indirekte Steuern auf jeden Fall schlecht und direkte Steuern auf jeden Fall besser seien, auch heute nicht mehr in vollem Umfange zutrifft, so darf man aber daraus nicht den Schluß ziehen, daß das Um
gekehrte richtig sei. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, beffer feien als direkte. wenn wir heute annehmen wollten, daß indirekte Steuern Die Reichssteuerpolitik der letzten Jahre geht sehr weitgehend von diesem falschen Gedanken aus. Und auch die öffentliche Meinung hat sich daran gewöhnt, Erhöhungen der indirekten Steuern ziemlich teilnahmslos gegenüberzustehen. Auch wenn es im Grunde genommen gleichgültig wäre- was nicht der Fall ist, ob man direkte I oder indirekte Steuern macht, so bleibt bei den indirekten