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Nr. 21 48. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Berliner Tor und Johanniterburg   in Lagow  ( Mark)

Dreimal verprügelt.

Ein Unschuldiger in den Klauen eines Rohlings.

Das Schöffengericht Berlin- Mitte ahnte eine ungewöhnlich rohe Tat mit einer ungewöhnlich milden Strafe.

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Ein 17jähriger Schüler führt in der Wallstraße gegen 11 Uhr abends seinen Hund spazieren. Sein 16jähriger Freund, ein Schneiderlehrling, der nach Hause will, begleitet ihn. Einige Meter von ihnen entfernt entwickelt sich eine Schlägerei. Die beiden jungen Leute ziehen sich zur Sicherheit in den Hausflur zurüd. Als die Schlägerei zu Ende ist, gehen sie ein kleines Stück zusammen, dann verabschieden sie sich. Der Schüler befindet sich gerade am Eingang zur U- Bahn Inselbrüde, als ein junger Mann auf ihn zukommt und fragt: Welche politische Gesinnung hast du?" Kaum hat er geantwortet: Ich gehöre feiner politischen Partei an," erhält er auch schon einen Kinnhaken. Zu dem rohen Schläger gefellen fich zwei weitere junge Burschen und bearbeiten den Schüler mit Fäusten, Gummitnüppeln und einen in Papier gewidelten Holzfcheit. Der 17jährige flüchtet, wird eingeholt, zu Boden geworfen und zum zweiten Male fürchterlich bearbeitet. Er erhebt sich, flüchtet wieder, wird in einem Hausflur abermals eingeholt und wird zum dritten Male niedergeschlagen. Jetzt springs der Hund als Retter ein. Er beißt einen der Angreifer, ins Bein; sein Herr fann sich nur losreißen und flieht ins Haus.

Vor dem Schöffengericht Berlin- Mitte verantwortete sich einer der Angreifer, ein 21jähriger Gastwirtssohn. Er bestreitet, Angreifer gewesen zu sein. Nur zugeschaut habe er, wie der Junge verprügelt wurde( und zwar dermaßen, daß er zwei Wochen das Zimmer hüten mußte). Der Begleiter des Verprügelten, der auf den Lärm zurückgeeilt war, und auch der Geschlagene, hatte in dem Angeklagten aber einen der Angreifer erkannt. Ein Bassant hatte ihnen den Namen und die Adresse des jungen Menschen genannt. Weshalb war aber dieser Passant dem jungen Manne nicht zu Hilfe geeilt?

Das Gericht verurteilte den Prügelhelden zu einem Monat Gefängnis unter Zubilligung einer Bewährungsfrist nach Zah­lung einer Buße von 100 m. Wenn offenkundige Roheitsvergehen

10.Seemann

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O.Wöhrle

Unternehmer.

Wie ein Rafender lief Ludwig durch die stillen, ausge­fehrten Säle.

Die Arbeit stierte ihn aus allen Ecken und Enden an. Was war denn eigentlich der Bande in die Krone ge= fahren? Warum hatte man ihn von dem Streif nicht vorher unterrichtet. Soviel war er schließlich doch noch wert.

Sandow folgte ihm, nichts Gutes ahnend, auf dem Fuße. Schließlich blieb Ludwig an einem Stapel halbfertiger Arbeit stehen und prüfte fahrig die einzelnen Stücke. ,, Schweinerei! Was ist den eigentlich los, Sandow?" ,, Kapp- Butsch!" sagte der Angeredete trocken. ,, Kapp- Butsch? Was ist das für ein Ding?" fragte Lud­mig neugierig.

,, Eine andere politische Richtung will an die Spize...!" Ludwig bollerte los: Was geht mich die andere politische Richtung an,? Und sag mal, was geht die meine Leute an? Mich kostet jeder Quadratmeter Raum pro Stunde so und so viel Miete, ganz abgesehen von all den anderen Unkosten. Wo soll ich da hinkommen, sag selber?! Es wird sowieso an der Ware nicht viel verdient. Nun auch das noch! Meine Leute haben doch ihren guten Verdienst und sollen ihn auch behalten. Aber wegen Politik zu streiken, das kapiere ich nicht! Da bleibt mir einfach die Spude weg!"

Sandow tat wie immer in solchen Fällen, wenn das Baro­meter auf Sturm stand, er zuckte die Achseln.

,, Wie lange soll denn dieser gottverdammte Streik dauern, das möchte ich gerne wissen,?"

,, Weiß ich auch nicht. Man kann doch bei einem Streit nicht im voraus bestimmen, wie lange er dauert!"

Sandows Lächeln machte Ludwig noch wütender. ., Du steckst wohl mit den Leuten unter einer Decke, was?" fragte er lauernd und wurde hochrot im Gesicht.

Er ließ Sandom stehen, lief zum Kontor, zog seinen Mantel an, schob den Hut ins Gesicht und verschwand, ohne feiner Tochter oder dem Kontorpersonal auch nur ein Wort des Grußes zu sagen.

Istiq

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Verzicht

auf die Stadtrechte

Lagow   in der Mark, das kleinste Städtchen Brandenburgs  , will auf

seine Stadtrechte ver­zichten und Dorf werden, da es die hohen Verwal­tungskosten nicht mehr erschwingen kann

an absolut harmlosen und unschuldigen Menschen weiter so geahndet werden, dann sind wir dieser Eindrud fönnte beinahe entstehen - dem Zeitpunft nicht mehr fern, wo sich der Geschlagene bei dem Rohling entschuldigen muß, daß er ihm in die Quere gekommen ist.

Das verhaßte Transparent.

Ein Nachspiel zur Reichstagswahl.

Eine Schlägerei, die sich in der Wahlnacht am 14. Sep­tember v. 3. zwischen Kommunisten und Mitgliedern des Reichsbanners ereignet hat, fand vor dem Erweiterten Schöffengericht Neukölln ihr Nachspiel.

Den Anlaß zu den Tätlichkeiten bildete ein Transparent, das vom Reichsbanner quer über die Boberstraße in Neukölln als sozialdemokratische Wahlpropaganda gespannt worden war. Dieses Wahlplakat ärgerte besonders die Kommunisten, die segar für die Beseitigung angeblich eine Belohnung für ihre Mitglieder ausgesetzt haben sollen. Verschiedentlich hatten jugendliche Kommu­nisten in den Nächten vor der Wahl versucht, das Transparent her­unterzureißen, sie wurden daran aber jedesmal von den vielen Polizeistreifen gehindert, die durch die dortige Gegend patrouillierten. Da die Kommunisten immer wieder den Verfuch machten, das Transparent zu entfernen, organisierten die Reichs­bannerfameraden schließlich eine Nachtwache zum Schuße der Wahlpropaganda, denn es ging das Gerücht, daß die politischen Gegner eine besondere Belohnung ausgesetzt hatten, um den sportlichen Ehrgeiz" der jungen Kommunisten anzufeuern. In der Nacht zum 14. September wurde dann auch von einem organisierten, etwa 15 Mann starten kommunistischen Trupp zum entscheidenden Angriff ausgeholt. Mit Totschlägern bewaffnet stürzten sich die Kommunisten auf die nur aus fünf Mann bestehende Reichsbanner­wache, deren Mitglieder zum Teil erheblich verletzt wurden. Bevor allerdings das Transparent heruntergerissen werden fonnte, war das Ueberfallkommando zur Stelle, das jedoch nur vier der Täter festnehmen konnte, während die übrigen im Schutz der Dunkel­heit entfommen waren.

Er hetzte die Treppen hinunter, als fei er vor seiner Fabrik auf der Flucht. Erst vor seinem Grundstück vor der Stadt fand er sich wieder.

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Mittwoch, 14. Januar 1931

Die vier Festgenommenen hatten sich unter der Anklage der schweren gemeinschaftlichen Körperverlegung zu verantworten. 3wei von ihnen, und zwar den 20jährigen Arbeitern Schuster und Schilder, fonnte die Teilnahme an dem Ueberfall nachgewiesen werden, sie wurder zu Geldstrafen von 40 und 60 Mart verurteilt. Als straf mildernd wurde ihnen die damalige politische Erregung und die verurteilenswerte Anstachelung durch die Belohnung zugute gerechnet.

Pest in Französisch- Afrika.

Ein Dorf geräumt und Pesthäuser niedergebrannt. Paris  , 13. Januar.

In der französischen nordafrikanischen Provinz Constantine  ist die Pest ausgebrochen.

Die Seuche scheint sehr viel größeren Umfanges zu sein, als man französischerseits zugeben will. Die sanitären Schuhmaßnahmen, die jetzt ergriffen worden sind, lassen jedenfalls erkennen, daß für die Bevölkerung größte Gefahr besteht und daß sich aus der im Entstehen begriffenen Seuche leicht eine unübersehbare Katastrophe entwickeln kann. Auf Anordnung der Gemeindebehörden wurde munmehr eine große Zahl von Bahnhöfen der Provinz ge­schlossen. Reisende, die dort einireffen, werden sofort in Quarantäne gesetzt und dürfen die Ortschaft vorläufig nicht wieder verlassen. Um Constantine herum wurden zehn leberwachungsposten eingerichtet, so daß es praktisch keinem Einreisenden möglich ist, den Fuß in die Stadt zu sehen, ohne vorher untersucht worden zu sein. Ein arabisches Dorf mußte von sämtlichen Bewohnern ge= räumt werden, und diejenigen Häuser, in denen Pestfälle zum Ausbruch gekommen waren, wurden durch Feuer vernichtet.

Ein Toter zwischen den Schienen. Rätfelhaftes Ende eines Berliner   Oberingenieurs.

Frankfurt   a. M., 13. Januar. Auf der Strede Frankfurt- Darmstadt wurde die Leiche eines älteren Mannes, nur mit Hemd und Hose bekleidet, zwischen den Schienen aufgefunden. Wie festgestellt wurde, handelt es sich um den 63 Jahre alten Oberingenieur Karl Mühleisen von der Berliner   Firma Schwarzkopff. Mühleisen war in Be­gleitung eines Herrn von der gleichen Firma unterwegs nach St. Blasien   im Schwarzwald  , wo er von einem Nervenleiden Er­helung finden sollte. Die beiden hatten in Frankfurt   den Schlaf­wagen aufgesucht. Kurz danach wurde Mühleifen vermißt. Später

fand man seine Leiche auf der Strecke. Ob er aus dem Zuge gesprungen oder durch eine unglückliche Verwechselung herausgestürzt ist, muß die Untersuchung noch ergeben.

Hedemannstraße unter Nazi- Terror.

Die Frechheit der Hafenkreugler wird immer größer.

In der Hedemannstraße wurde gestern ein Reichsbannermann, der das Verwaltungsgebäude des 3d A. aufsuchen wollte, von einer Horde Nationalsozialisten angegriffen und mißhandelt. Im Anschluß an diesen feigen Ueberfall der Hakenkreuzler bildete sich eine Ansammlung von etwa 200 Personen, die gegen die nationalsozialistischen Burschen eine drohende Haltung einnahmen. Die Wegelagerer flüchteten in die Hauptgeschäfte= stelle der Nazis, die sich in nächster Nähe des ZdA. befindet. Der Auflauf mußte von der Polizei zerstreut werden.

Es ist dies keineswegs der erste hinterhältige Ueberfall, den die Hitlerianer in der Hedemannstraße auf Republikaner unternommen haben. Täglich mehren sich die Klagen über den Terror des nationa­listischen Mobs, unter dem besonders die zu leiden haben, die im

Wir brauchen nicht zur Schule zu gehen, wenn wir nicht wollen. Pfemfert, unser medkerbärtiger Klassenlehrer hat ge­fagt, wer zu weit ab wohnt und nicht fahren kann, möge daheim bleiben. Fein das! Gott   sei Dant tommt sowieso eine andere Regierung! Ich habe meinen alten Herrschaften nichts davon gesagt, daß wir frei haben! Na, ich gehe morgen einfach nicht hin. Ich möchte heute noch etwas mit dir zu=

Vier Tage hielt er es in der Ruhe des Landlebens aus. Er genoß die Einsamkeit in vollen Zügen, glaubte sich verbunden mit der Natur und dachte es sich als höchstes, er­strebenswertes Ziel, feine Tage einstmals hier draußen zusammenbleiben, Lotte!" Ende zu führen.

Seine Nervosität hatte sich gelegt. Aus dem friedfertigen, stillen Leben um ihn herum wuchs feiner Seele der beruhigende Gleichklang zu. Er wünschte, ewig hier bleiben zu dürfen. Doch alles war im Grunde nur Selbsttäuschung. Am fünften Tage pacte ihn die Unruhe und Beseffenheit aus neue. Er meinte, nicht länger faulenzen zu können, riß fich, einer plöglichen Eingebung folgend, von der Liebe der alten Eltern, die ihn umgab, förmlich los, und fuhr spät abends wieder nach Berlin   zurück.

Es war stockdunkel auf den menschenleeren Straßen. Keine Laterne brannte.

Während er so in der ägyptischen Finsternis dahinschritt, ahnte er, daß dieser Streik doch um etwas Großes geführt werden müsse, da alles die Arbeit niedergelegt hatte, fogar die Laternenanzünder. In seinem Leben war ihm so etwas noch nie vorgekommen.

Halt. Achtung! Beinahe hätte er einen Baum umgerannt! Er erschraf. Ein glühendrotes, feuriges Auge fuhr durch die Nacht. Es schien im freien Raum zu schweben, losgelöst von allem Körperhaften. Am intensiven Klingeln erkannte er, daß es die Feuerwehr war. Die streifte also nicht,

Irgend jemand lief an ihm vorbei. Eine Frau vielleicht. Er spürte einen weichen Hauch, der seinen Mantel streifte. Eine Männerftimme schlug an sein Ohr und versant wieder in die Nacht, aus der sie kam.

,, Im Südosten wird geschossen!"

Ludwig wunderte sich nicht darüber. Er fand es ganz natürlich, daß im Südosten geschossen wurde. Aber er schlug doch den Rockfragen hoch, weil ihn plöklich fröstelte, und be schleunigte seine Schritte, um eher in die Wohnung zu kommen.

Plöglich mußte er bremsen, um nicht ein Liebespärchen umzurennen, das vor ihm herfchlenderte. Dem Kichern und Rüffen nach waren es Jugendliche. Eine Stimme, die des Sein Sohn hatte fast die Knaben, tam ihm bekannt vor. gleiche Stimmlage. Ludwig horchte hin. Er konnte jedes Wort verstehen, das der Jüngling sprach.

,, Du, ich muß aber bald nach Hause. Sonst merkt meine Mutter was!" fagte das Mädchen.

,, Schläft die denn noch nicht, wenn du nach Hause kommst, Lotte?" ,, Nein! Sie ist immer sehr ängstich, wenn ich nicht da bin!"

,, Na, die wird sich aber wundern, wenn du eines Tages überhaupt nicht mehr nach Hause kommst!" sagte der junge Mann zärtlich.

Hör mal du, du mußt mich bestimmt mal heiraten!" Bestimmt Lotte. Mein alter Herr hat ja Geld!" Lotte kicherte.

Ludwig hörte, wie die beiden sich aufs neue füßten. ,, Du, jetzt aber Schluß!" wehrte das Mädchen ab. Ein furzes Ringen, ein Losreißen, ein lustiger Aufschrei. Das Mädel rannte dicht an Ludwig vorbei. Unsicher, die Hand tastend vorgestreckt, um nicht wieder an einen Baum zu rennen, lief er noch die hundert Schritte bis zu seiner Wohnung. Immer dicht vor ihm die auf dem Granitpflaster hallenden harten, hastigen Schritte des jungen Freiers.

Ein Schlüssel klirrte. ,, Berdammt, der Bursche macht sich ja an der gleichen Haustür zu schaffen, in die ich auch will!" Eine böse Ahnung stieg in Ludwig auf. Zornbebend stedte er ein Streichholz an. Es verlosch zwar sofort, brannte aber lange genug, um in einem Sekundenriß Ludwigs Ver­mutung zu bestätigen.

Franz, der so groß war wie sein Bater, zudte von dem jähen unvermuteten Lichtschein zusammen.

,, Tag Bater!" sagte er fameradschaftlich, als er seinen alten Herrn erkannte ,,, bist du wieder zu Hause? Das habe ich gar nicht gewußt!" und lachte forglos.

Ludwig ging gar nicht auf seinen Gruß ein, sondern stellte sofort die Frage: Wo fommst du denn so spät her?" Ich war bei meinem Schulfreund." Fröhlich pfeifend stieg er die Treppen voran und sperrte bereitwillig die Korridortür auf. ( Fortsetzung folgt.)