Beilage
Mittwoch, 21. Januar 1931
ropodidopsis Der Abend
Eine unterbrochene Heimfahrt/ Von Max Barthel
„ Einsteigen, bitte!" rief der Schaffner und drängte die Passagiere in die Abteile. Plötzlich gab es einen fleinen Aufruhr. Durch die Tür schob sich ein Reisender, schleppte den Koffer nach amd stellte ihn aufatmend hin. Und im selben Augenblick setzte sich der Zug in Bewegung und rollte aus der rauchigen Halle des Bahnhofs hinaus in die Freiheit der Landschaften.
Der Mann, der im letzten Augenblick ausgestiegen war, hieß Herr Beckerhans und wollte eigentlich weiterfahren, nach Berlin , aber als er die Station erreichte, tam ihm plötzlich der Gedanke, Berlin Berlin sein zu lassen und den hellen Nachmittag durch Nürnberg zu bummeln.
Nürnberg ist schön und graufig zu gleicher Zeit: das Mittelalter wird umfränzt von herrischer Neuzeit, das merkte Herr Beckerhans sehr bald, und auch das wurde ihm klar, daß das fünfzehnte Jahrhundert vom zwanzigsten erdrückt wird. Der Reisende freute sich darüber und bummelte langsam an der Lorenzerkirche vorüber und kam dann nach dem Hauptmarft. Dort stehen zwei schöne Brunnen, und schöner als die Brunnen ist die alte Frauenkirche, in derem Schatten das biedere Gänsemännchen vom Erzgießer Peter Vischer die Zeit
verträumt.
„ Nürnberger Tand geht ins ganze Land!" sagt das Sprich wort und will für Nürnberger Spielzeug Reflame machen, aber auch die Nürnberger Rostbratwürstchen sind berühmt. Herr Beckerhans saß in einer uralten Kneipe, deren Bänke die Meister fänger schon gedrückt haben sollen und deren Wände mit eigen händigen Autogrammen„ wirklicher Herrschaften" geziert waren. Der Mann aus Berlin tranf füffiges Bier und aß gute Würstel, und dann tat er auch was für seine Bildung: er ging nach der Frauenkirche und erlebte den Rausch blutrotblühender Glasfenster und das stumpse Gold astetischer Heiliger.
Am Portal jener Kirche hatte er auch gestanden und die verfteinerten Gefichter der Herren Propheten betrachtet. Er sah den gotischen Zierat des schönen dreiteiligen Portales, an dessen Flanken die Statuen von Adam und Eva und dann die Madonna mit dem Kinde tragisch verwitterten. Das zwanzigste Jahrhundert schickte aus seinen Fabriken giftige Gase nach dem weichen Sandstein des fünfzehnten Jahrhunderts und verwischte die alten Formen und Figuren.
Herr Beckerhans ging auch in die Kirche und dort fiel ein Schatten in die Glut der blühenden Fenster. Der Schatten war ein junger Mensch, der unseren Freund leise Erklärungen über Alter und Bauart dieses Hauses ins Gesicht warf, ins Ohr träufelte, man fann sagen wie man will, ja, und ihn dann mit magischen Fäden aus dem Dunkel in den hellen Tag zog, zuerst nach der Tucherstraße, in der es wirklich wundervolle, mittelalterliche Höfe zu sehen gab. Und Beckerhans bejah sich die Höfe.
Sein Führer aber war ein Jüngling von vierzehn Jahren, ein halbes Kind, dessen Lebensgeschichte Beckerhans unterwegs anzu hören die Gelegenheit hatte. Georg Götze nannte sich der junge Mann und gab sich als Sohn eines Fremdenführers aus. Dieser Fremdenführer aber war selbst in die Fremde geführt worden, das heißt, er war schon lange gestorben, auch seine Frau war tot, und so stand der Georg Götze elternlos im Leben und war gegen wärtig als Piffolo in einem Bierhaus beschäftigt. Heute aber mar sein freier Tag und der war dem Menschensang gewidmet. Bei diesem Fang muß man reden können. Der kleine Götze konnte reden und erzählte:
„ Das hier", sagte er im ersten berühmten Hof in der Tucherstraße,„ das hier ist einer von den berühmten alten Höfen der Patrizier der alten Stadt Nürnberg . Beit Stoß hat eigen händig diese Veranda hier geschnitzt! Und der Strebepfeiler dieser Wendeltreppe. besteht nur aus einem einzigen Stück, welches von einem Mann gemacht wurde, der zum Tode verurteilt war und damit sein Leben rettete. Derselbe war ein großer Künstler, Herr, wie Sie sich selbst bitte mit eigenen Augen überzeugen können!"
leber Satzbau und Logik dieser fleinen Rede könnte man streiten. Beckerhans ftritt nicht, er ließ sich nach dem zweiten Hof schleppen und hörte dort beinahe dasselbe, nur gab es feinen Beit Stoß, dafür aber trat ein gewisser Peter Flötner auf. Und im dritten Hof wurde von Herrn Götze sogar der Erzgießer Bischer herbemüht.
„ Peter Vischer ist derjenige, welcher das berühmte Gänsemännchen verfertigt hat, welches wir bereits hinter uns gelassen haben", erklärte Georg Götze, und führte sein armes Opfer weiter.
Snadansgabe des Vorwärts
Fahrt scheitern Jaffe, find die Gräber der alten Geschlechter mit den gemaltigen Sandsteinplatten gedeckt. Die aus dem Geschlecht der Holzschuher haben eine schöne Gruft. Sie waren ein mäch tiger Bürgeradel. Ihr Wappen war der Holzschuh.
Der kleine Götze würzte den Besuch an den alten Gräbern mit alten Geschichten und Anekdoten, die sich durch die Jahrhunderte von einem Führer auf den anderen vererbt haben müssen, denn sie halten den Forschungen der Neuzeit nicht stand. Beckerhans hörte sich aber die Geschichten gern an und starrte auf die stummen Gräber, auf die beinahe antifen Gruben, in denen Hans Sachs , Peter Vischer und Albrecht Dürer schlummerten. In die Reihe der Unsterblichen hatte auch Anselm Feuerbach sein Steinschiff vor Anker gelegt.
Der Tod wird immer vom Leben besiegt, wenn auch die Kinder in die Gruben ihrer Eltern steigen müssen. Und auch in jenem merkwürdigen Falle fiegte schließlich das Leben, als einz streitbare Nürnbergerin vor einigen hundert Jahren ihrem ge= liebten Hausherrn den Schädel einschlug.. Das Leben siegte, denn auch heute noch schlägt man auf die Tische oder auf die Köpfe.
Beckerhans lächelte und dachte:„ Auch das gehört zu einem Streifzug durch eine alte Stadt, der große Meister Vischer, der Der Schädel aber liegt als Lehrstück, als schöner Bronzeguß fleine Piffolo Götze", er lächelte und wurde dann freuz und quer über gefreuzten Knochen, auf der Grabsteinplatte und glänzt in der durch die Stadt geführt, kam an des Schuhmacher und Poeten Sonne . Was soll der Schädel beweisen? Die Schlagfertigkeiten Hans Sachs' Haus vorbei und an dem des Albrecht der alten Nürnbergerinnen? Die großen Gefahren der Ehe? Dürer, er wurde nach der alten Burg mit den Mauern, Türmen Beckerhans wußte das nicht. Der kleine Herr Göße mußte es auch und Hallen geschleppt und bekam auch den Turm zu sehen, in dem nicht, aber er machte den Gast aus Berlin mit der Mechanik des der geheimnisvolle Kaspar Hauser gesessen hatte. Er stand metallischen Totenkopfes bekannt. Da brauchte man nur auf einen auch vor der berüchtigten„ Eisernen Jungfrau", die damals noch runden Knopf zu drücken und schon bewegte sich der Schädel und als echt galt und nicht als Fälschung des vergangenen Jahr- flapperte mit den Kiefern. Das alles war so überraschend und hunderts erkannt war. Ihm wurde die Mauer gezeigt, von der grotest, daß der Mann aus Berlin lachte, laut lachte und immer aus ein Raubritter mit fühnem Satz in die Freiheit sprang und noch lachend den Friedhof verließ. damit, wie Göze versicherte, das Sprichwort ersand:„ Die Nürn berger hängen feinen, sie hätten ihn denn."
Nun ging es in das Leben zurüd, da bemegten sich viel: Schädel, da klapperten viele Kiefer, auch unser Freund bewegte den
Kurz und gut, Herr Beckerhans sah und hörte viel absonder- Schädel, er entlohnte seinen Führer, er flapperte mit dem Kiefer, liche Dinge, Vergangenheit und Gegenwart freuzten sich zu erstaunlichen Mustern. Endlich brachte der kleine Piftolo den Herrn aus Berlin nach dem alten Johannesfriedhof, auf dem die alten Patrizier begraben liegen.
Der Friedhof ist ein Strand des Lebens.
Die Schiffe zur letzten Fahrt liegen dort vor Anfer. Damit der Sturm der Zeiten sie nicht während der großen
er saß nämlich bei einem Glas Bier und den berühmten Würstchen. Ja, und dann verließ er die alte Stadt und bummelte nach jenem breiten Gürtel am Bahnhof, in dem sich die Neuzeit angefiedelt hat. Er sah die Neuzeit und dann die vielen Fabriken, das Leben von heute, die Arbeit von heute, Jammer und Schönheit von heute; er blieb nicht mehr lange in Nürnberg . Mit dem nächsten Buge fuhr er nach Berlin .
Heinrich Hemmer: Berlin assimiliert
Daß es nur ein fleines Häuschen Urberliner in dieser großen| Berliner Stadt gibt, dieser viel erwähnten Tatsache muß einmal jene interessantere andere gegenübergestellt werden: daß eine solche Riesenanzahl von Nicht- Berlinern sich hier erstaunlich gut eingelebt hat und sich wunderbar berlinerisch zu geben versteht; daß Berlin eine ganz unproportioniert große, sicher, wenn auch etwas langsam und ungewalttätig, im Vergleich zu USA . unauffällig, unaufdringlich wirkende Assimilationskraft besitzt.
Drüben werden Sie jojort in einen amerikanischen Anzug geDrüben werden Sie jojort in einen amerikanischen Anzug gesteckt, d. h. Sie kaufen sich im ersten Laden einen von der Stange, weil Ihnen die Leute im europäischen" Aufzug wie einem Clown auf der Straße nachlachen; Hut, Schuhe, Krawatte, Gang, Gruß ( das bloße Nicken zu Männern), die Art zu essen( und mit dem Bahnstocher im Mund prozig vor dem Restaurant zu stehen), jämt liche landesüblichen Arten und Unarten, Sie müssen, müssen sie sofort annehmen, der ganze Millionendruck lastet zu diesem Zwed auf Ihnen, Sie werden mit einem Wort in den Schmelztiegel geschmissen und gewaltsam auf die Marke Yankee eingeschmolzen. Wie sanft verfährt dagegen Europäisch- Amerika: Berlin . Sie können als ungarischer Dandy über die Tauenzienstraße gehen und jede Speisekarte bemonofeln: allright! Sie können in polnisch deutschen Fisteltönen den Kaufhauslistboy anschnarren: allright! Sie fönnen mit Gemsbarthut und Lederhosen auf einen Wirtshaus tisch hauen: allright. Sie können afghanisch fun, soviel Sie wollen, was immer Sie für fremdländische Allüren aufsetzen, man iäßt Sie gewähren und guckt Ihnen zu, aber unmerklich schlingt dennoch Berlin den Arm um Sie und zieht Sie zu sich.
Diese tolerante, unbefangene, naive Einstellung des Berliners
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Du, mein Freund, bist ein heutiger Mensch, der seine immere| Kragenfnopf vorn; um den zu verdecken die Kramatte, um Beschäftigung mit seiner äußeren gern in Deckung weiß. Deshalb die ästhetisch einwandfrei zu gestalten: der Selbstbinder tust du gut, dir die Frage nach Sinn und Gesetz des Fortschrittes beim morgendlichen Anziehen zu beantworten. Hier ergibt sich
bolik
fürchterlich!
Das also, mein Freund, ist Anziehen: unpraktische Gesamtheit ganz zwanglos eine ſelbſtverſtändliche und aufschlußreiche Sym- praktischer Einzelheiten; kompliziertester Komplex aus sorgsam vermutlich darum, weil sich die Menschheit seit dem An- ersonnenen Einfachheiten; rührendes, tragisches Scheitern unstillbruch ihres Zivilisationsmorgens quasi in der Rolle eines eben barer Sehnsucht nach Selbstverständlichkeiten. Und dasselbe ist auch aufgestandenen und nun sich langsam bekleidenden Einzelmenschen der Fortschritt. Sogar Amerika wurde einmal entdeckt, um befindet; und weil also all ihre Errungenschaften und Entdeckungen Europas Schicksal zu erleichtern... aus dieser Situation erklärbar sind.
Nun aber, o Mensch, der du dich anziehst: glaube nicht, du Du, mein Freund, sollst aber bei diesem Versuch durchaus habest dem Fortschritt schon beim Befestigen des linken Hosenträgers Deinen primitivsten Gefühlen nachgeben, sollst widerstandslos deinen die Maske vom Gesicht gerissen. Es kommt noch vieles, es fommt Intellekt von ihnen leiten lassen. Da ist also zunächst der starke, noch der Kragenknopf, der jeden seiner Benußer mehr Nerven Eindruck deiner absoluten Hilflosigkeit gegenüber der Unzahl und kostet, als sein Erfinder vermutlich gehabt hat, und es kommt noch der raffinierten Bielfalt von Handgriffen, Knöpfen, Schnallen, die landläufige Annahme, daß der Fortschritt, alias Borwärtsschritt, Bändern, Schleifen, Umfremplungen, Auffremplungen, Einfahrten dem Willen nach vorwärts entspringe. Nein: sondern er ent in Höhlungen, Ausfahrten aus Höhlungen, Suchen nach Höhlungen, springt dem Willen des Menschen nach rückwärts. Vergleiche Ineinanderschachtelungen und merkwürdigsten Kombinationen, die dich mit der Natur: die zeigt das Bestreben, aus dem Primitiven erforderlich sind, um den nackten Menschen in einen bekleideten zu das Komplizierte, aus dem Einfältigen das Vielfältige zu machen. verwandeln; wobei du den einschneidenden Vorgang des Waschens Je weiter sie ihre Wesen bringt, desto vielteiliger sind die Lebensnoch ganz ignorieren kannst. Du wirst ohne Umstände zugeben, vorgänge. Du aber und dein ganzes Geschlecht, ihr stellt euch dem daß die Gesamtheit dieser Vorgänge ein absolut blödsinniges, un- entgegen. Ihr wollt alles möglichst einfach haben. Die Natur fäglich kompliziertes Verfahren darstellt, und daß eine schwierigere macht faum einen Pilz dem anderen gleich, sie schafft so viele Arten Anordnung und Aufteilung der Kleidung als die in Hemd, Strumpf, und Individuen als nur irgend angeht: Du normierst. Kein Strumpfband, Unterzeug, Hose, Hosenträger, Schuhe, Manschetten Ameisenhaufen ist wie der zweite, aber ein Gropiushaus foll tnöpfe, Kragentnöpfe, Kragen, Kramatte, Wefte, Jadett tatsächlich wie das tausendste sein.. Die Natur gibt jeder fleinen Lebensreise nicht denkbar ist. Nun jedoch gib dich nicht zufrieden; mun schreite tausend gewaltige Stationen, um einen Tautropfen auszuwerten, erkennend vom Allgemeinen ins Besondere und stelle fest, daß jede baut sie Wolfe und Regen und Erde und Wurzel und Stamm und einzelne dieser Vorrichtungen, deren Kompler das Unpraktische im Aft und Blatt und wieder Wolfe: Du aber rationalisierst, Stinnes und Trozki, erkennt ihr Kubus ist, und für sich wirklich zweckmäßig und praktisch war und links herum oder rechts herum sogar noch ist. Um die am schnellsten durchschwitzte Stelle des euch als Brüder? Du, o Mensch, erfandest den Kragenknopf, weil Hemdes rascher wechseln zu können: deshalb der Kragen du zurück willst ins Paradies, ins Paradies der Einfachheit, und einzusehen. Und um den wechseln zu können: der Hemdbund, der Kragenknopf bringt dich in die Hölle. Das, lieber Mensch, ist Der Umiegetragen, der Kragenknopf hinten, der Fortschritt.
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dem fremden Zuwachs gegenüber ist ebenso erstaunlich, wie sie nützlich ist. Jene andere Konglomeratstadt Wien z. B. tagiert, d. h. tagierte seinen( einstmaligen) Zuzug ven vornherein auf seine Nationaleigentümlichkeiten( heute wandert man ja ab: womöglich nach Berlin ).... ein Ungoor, ein Böhm': oha, mir missen schon! Halb Wien ist böhmisch: die Schuhe, den Rock macht der Böhm', die Knödel und das Gulasch die böhmische Köchin, wofür sie sehr geschätzt sind, während man die Leute menschlich weniger ernst nimmt. Bom weitgehend verstandenen Tschechentum bleibt immer ein unabsorbierbarer ,, komischer" Teil zurück, über den man sich luftig macht... Die meisten Wiener Späße sind auf nationale Eigentümlichkeiten eingestellt. Genau das Gegenteil ist in Berlin der Fall. Der in Osteuropa Heimische, der dem nach Berlin Zugezogenen von der Nase ablieft, woher er kommt und genau weiß, welcher Art er ist, kann oft nicht genug staunen, mit welcher olym= pischen Ruhe und paradiesischen Unschuld der Berliner ihm gegenübertritt und sich mit ihm zu verständigen sucht. Man möchte dem Berliner zurufen: He, he, mit diesem Mann müssen Sie anders reden: haben Sie eine Ahnung! Aber eben dieses Nicht schonalles missen wollen, dieses den Menschen neu nehmen und voraussetzungslos auf ihn eingehen, das ist ja gerade das Amerikanische an Berlin . Das ist der Anfang zur Assimilation, die sich erst menig äußerlich, aber um so sicherer innerlich vollzieht. Man glaubt man selber bleiben zu dürfen und ist plötzlich angepaßt an dieses große, laute, hart tuende Energiezentrum Europas .. dann nügt kein Stemmen mehr: In Berlin hat man über Berlin geflagt, aber zu Hause angefommen war alles langweilig, tot, man stieg wieder in den Berliner Zug und fuhr zurück.
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Wien war eine liebenswürdige, singende, geschmeidige Stadt, man nahm ihren Ton leichter, williger an, man renommierte jogar gerne mit einer gewissen wienerischen Note, die man sich gerne an= geeignet, meil man dachte, daß sie einen kleidete in Berlin ist man fachlich, farblos, stillos, das stößt ab, nach dem heimatlich Trauten sehnt man sich. Aber die Nerven von Berlin sind zu stark: wider stehen kann man nicht. Berlin assimiliert. Berlin affimiliert noch mehr, als Wien affimilierte, weil Berlin fein Genre ist. Was ist berlinerisch: Sie können's nicht einmal recht mit Worten sagen, die Berliner Sachsen und Schwaben , die vielen Berliner Schlesier und Ostpreußen ( Berlin wird vom Often her bevölkert), aber wenn Ihnen auch Ihre schon ganz hübsch schnoddernde Zunge
manchmal ein Schnippchen schlägt, Ihr Kopf denki berlinerisch, Ihre Augen blicken berlinerisch in die Welt, und Sie geben sich dem Neuankömmling mit einem unverkennbaren Berliner Air, das da ve
sagt: siehst du, so find wir, immer helle, immer knorke, ja: Berlin !
Berlin ( seien mir ehrlich) ist. nicht beliebt in der Provinz, der Rheinländer äußert einige Bedenten, der Bayer macht schwere Reserven, der Wiener ( wenn man anfängt mit: ,, Bei uns in Berlin ") friegt einen Nervenchoc... sogar in Werder draußen, mo die Berliner ein bißchen unheimlich toben, hörte ich Abfälliges. Und doch gibt es so viel rührende Beispiele gerade auch von besonders schwer assimilierbaren und dennoch assimilierten Wienern, die sich ihr neues Berlin nicht genug loben können, obwohl sie hier für alle Zeiten ein zweitklassiges Gulasch essen und einen grausamen Kaffee trinfen müffen, von Ungarn nicht zu reden, die direkt auf Berlin versessen sind und über die man hier stolpert. Die am liebsten die Ber liner Tore hinter sich abschließen würden, die Lehtangefom menen, und den anderen zuriefen: ich bin gerade noch hereingefchlüpft, jetzt ist's aber genug, wir sind tomplett.
Und wenn man dann so ein Häufchen Urberliner beisammen figen sieht, nachmittags, in einem alten Konzertcafé, wo sie einander ganz stille und verständnisinnig zunicken, gar nicht übertrieben. Keß berlinerisch tuend, ihr Berlinertum gar nicht betonend, da wird einem flar, daß es nicht auf die 3 ahl der Alteingesessenen, sondern( wie in Amerika ) auf die motorische Kraft der Idee ankommt, die sich nicht nur vom Vater auf den Sohn, sondern vom Altberliner auf den Neuzugewanderten überträgt: daß Berlin assimiliert und die Assimilierten Berlin sind.