Morgenausgabe
Nr. 37 A 19
48.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Freitag
23. Januar 1931
Groß- Berlin 10 Df. Auswärts 15 Pf.
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Paris , 22. Januar. ( Eigenbericht.) Die Kammerschlacht über die Preistreibereipolitik des Landwirtschaftsministers Boret ist kurz vor 23 Uhr mit der Niederlage der Regierung Steeg zu Ende gegangen. Mit 293 gegen 283 Stimmen hat die Kammer der Regierung das Vertrauen versagt.
In der Interpellationsdebatte, die von dem angreifenden Abg. Buyat mit mehr Ironie als feindseliger Leidenschaft geführt wurde, verteidigte sich Ackerbauminister Boret überaus lahm, indem er erklärte, er habe lediglich den Getreidepreis stabilisieren wollen. Dabei beging er die Ungeschicklichkeit, seine Gegner persönlich anzugreifen. Buyat hatte Boret vorgeworfen, daß er sich von unzufriedenen Spekulanten an der Páriser Produktenbörse habe falsch unterrichten lassen. Minsterpräsident Steeg, der selbst nur kurz fprach, versuchte auffälligerweise seinen Landwirtschaftsminister auch nicht mit einem einzigen Wort zu verteidigen. Er sagte nur, daß fünftig jede Spekulation in den Getreidepreisen unmöglich sein merde, weil die Regierung eine interministerielle Kommission zur Stabilisierung der Preise eingesetzt habe. Steeg stellte die Bertrauensfrage. Im Namen der Tardieu- Oppofition führte der ehemalige Handelsminister Fladin aus, wenn die katastrophalen Folgen der spekulativen Machenschaften des Landwirtschaftsministers nicht allzu groß feien, so sei dies das Verdienst der Regierung Tardieu, die die strengsten Maßnahmen gegen alle spekulativen Machenschaften eingeführt und im Parlament durchgesetzt habe. Das bisherige Mehrheitsverhältnis in ber Rammer hat sich bei der Abstimmung dadurch zuungunsten der Regierung verkehrt, daß
neben den Kommuniffen, die prinzipiell gegen jede Regierung sfimmen, diesmal auch die Sozialisten und die sozialistischen Kommunisten gegen die Regierung ftimmten, so daß diese fchließlich mit zehn Stimmen in der Minderheit blieb. Bor der Abstimmung hatte es
fann sogar ein Absplittern schwankender bürgerlicher Gruppen| Er hielt die traditionelle Lobrede auf das Leben und unschädlich machen.
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Birkung, daß Briand als demissionierter Minister nichts EntFür Genf hat der Regierungsstreit voraussichtlich die scheidendes mitmachen wird ein Argument mehr für die jenigen, die die Entscheidung in dem Prozeß gegen die polnischen Minderheitenverfolger vertagen wollen!
Zeugnis bei der Akademiefeier.
Paris , 22. Januar. ( Eigenbericht.) Marschall Pétain hat den durch den Tod Fochs frei gewordenen Sik in der Academie Française übernommen.
Wirken seines Vorgängers, während der Lyriker Paul Valery die Begrüßung Pétains besorgte, in der er das Lob auf das Werk eines siegreichen Marschalls wie folgt in einen Appell an den Frieden und die Versöh nung der Völker ausflingen ließ: Es scheint, daß die Erfahrung von 1914/18 nicht genügend war, hier und dort tauchen schon Hoffnungen auf, das Gemetel wieder zu beginnen. Die Schwierigkeiten des Friedens versuchen das Grauen des Krieges verblassen zu lassen. Aber es möge keiner glauben, daß ein neuer Krieg das Los der Menschheit verbessern könnte."
Frick droht dem Zentrum.
Das Zentrum soll ausgelöscht werden. Ein Erzeß von Beschimpfung.
In der Stadthalle zu Kassel sprach heute abend in einer öffent lichen Versammlung der Nationalsozialisten der thüringische Staatsminister Dr. Frid. Zu Beginn seines Vortrages jammerte Frid über die Dittatur der Brüning- Regierung und ver fündete stolz, daß die Nationalsozialisten jetzt die alleinigen Schützer der Demokratie seien. Am ausführlichsten beschäftigte sich Fric mit dem Borsigenden der Zentrumspartei , Prälat Dr. Kaas, der ja bekanntlich vor drei Wochen in Kassel die scharfe Rede gegen die Nationalsozialisten gehalten hat. Einige Säße aus dieser Passage der Frid- Rede sollen wörtlich wiedergegeben werden: Was ein bekannter Parteifreund von mir", so sagte Frid, ,, unlängst behauptet hat,
bak nämlich die Zentrumspartei die Religion zu schmutzigen Geschäften mißbrauche, unterstreiche ich, weil dieser Satz durchaus richtig ist.
außerordentlich heftige Cärmszenen und schwere Tumulte gegeben. Während der Auszählung der Stimmen tam es in den Wandelgängen der Kammer zu einer Schlägerei, wobei der Alle Parteien, die den Marristen Gefolgschaft leisten, die DemoDirektor einer Zeitschrift von einem anderen Journalisten getraten, das Zentrum und die Volkspartei, sind Orga ohrfeigt und zu Boden geschlagen wurde. Schließlich nisationen des Untermenschentums, des professionellen mußte die Wache gerufen werden, um die Kämpfenden zu trennen. Landesverrats und des organisierten Boltsbetruges. Ackerbauminister Boret hat die Regierung Steeg mit feiner Politik der Preistreiberei für Getreide in eine außer ordentlich schwierige Lage hineinmanöpriert. Boret hat mit seinen miederholten Erklärungen, den Getreidepreis auf 175 Franken hinaufzuschrauben, nicht etwa der Landwirtschaft geholfen, sondern nur die übelste Börsenipefulation begünstigt. Er mußte diese Wirkung seiner Ankündigungen um so besser abschäzen fönnen, als er Getreidegroßhändler von Beruf ist. Die Opposition fonnte ihm deshalb zum Vorwurf machen, daß er die spekulativen Manöver an der Produktenbörse nicht nur gewollt, sondern persönlich davon profitiert habe!
Im Ministerrat kam es wegen der Haltung der Regierung in der Interpellationsdebatte über den Fall Boret" zu einer heftigen Diskussion. Es wurde Boret deutlich gemacht, daß er sich durch frei willige Demission aus der Regierung zurückziehen solle. der Regierung zurückziehen solle. Boret weigerte sich aber aufs entschiedenste. Er zwang so das Kabinett, wenn es nicht seine Gesamtdemission einreichen wollte, ihn vor dem Parlament zu decken.
Aus einem früher eingelaufenen Bericht geht hervor, daß das Kabinett den Herrn Boret loswerden wollte, er sich aber geweigert hat, so daß die Entscheidung der Kammer angerufen wurde. Das Kabinett hat seinen Sturz riskiert, um den hartnädig flebenden Preistreiber mitzureißen- und ohne ihn wiederzukommen. Das erklärt auch die Abstimmung der Sozialisten, deren Fraktion ja soeben noch vom Nationalrat volle Handlungsfreiheit, also die Ermächtigung zur Aufrechterhaltung des Kabinetts Steeg bekommen hat. Selbstverständlich werden die Sozialisten, die Steeg stürzen mußten, um Boret zu stürzen, alles tun, um die Wiederkehr des Rechtskurses Tardieu zu verhindern. Werfen unsere Genossen ihre 100 Stimmen für ein neues Lintskabinett in die Wagschale, so wiegt bas die fehlenden 10 Stimmen von heute zehnfach auf und
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Wenn das Zentrum fich nicht, von den roten Bundesgenossen lösen mill, dann muß es im Ortus perschwinden,
so wie die katholische Schwesterpartei in Italien von Mussolini ausgelöscht wurde."
Bon den jetzigen Haushaltausschußberatungen im Reichstag sagte Frick: ..Jetzt fizzen sie wieder im Haushaltausschuß zusammen, um erneut die deutsche Pleite festzustellen."
Nach diesem mirtschaftlichen Landesverrat schilderte Frick die Vorgänge im Strafrechts ausschuß und sagte über den aften und ehrwürdigen Professor Kahl von der Deutschen Volks partei: ,, Der Borsitzende des Strafrechtsausschusses, Herr Kahl, der so uralt ist, daß er den Dingen nicht mehr folgen kann." Dann verlangte Frid Auflösung des Reichstags, des Preußischen Landtags und Appell an das Bolf.
Noch bei der Rede Frids wurden zwei Kasseler Pressevertreter, der Berichterstatter des Kasseler Tageblattes" und des sozialdemofratischen Volksblattes", durch Drohungen und Beleidigung so belästigt, daß diese beiden Zeitungen den Schlußbericht der Frickschen Rede nicht geben fönnen.
Saalschlacht am Friedrichshain .
Hafenkreuzler gegen Kommunisten. - Ueber 100 Verlegte.
Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei veranstaltete am| Der Tumult spielt sich hauptsächlich in der Nähe des Ausganges ab. gestrigen Donnerstagabend im Saalbau Friedrichshain eine Ber - Der Versammlung bemächtigte sich eine Panik, und die hinter fammlung unter dem Thema„ Auseinandersetzung mit dem Reichsbanner". Nachdem die nationalsozialistischen Redner, Reichstagsabgeordneter Schulz( Stettin ) und Dr. Meinshausen, gesprochen hatten, sprach in dreiviertelstündiger Rede der kommunistische Landtagsabgeordnete Ulbricht.
Schon während der Ausführungen dieser Redner war es verschiedentlich zu Sturmizenen gekommen, da sich eine sehr große Anzahl von Kommunisten in der Versammlung befanden, die zwischenrufe machten, die dann von der anderen Seite mit gellenden Pfiffen beantwortet wurden. nistische Abgeordnete 11bricht wurde mit Rot Front Rujen Der kommubegrüßt, während die Nationalsozialisten den in dem Verlauf der Versammlung erschienenen Abgeordneten Goebbels mit heil rufen empfingen.
Als dann Dr. Goebbels das Schlußwort halten wollte, stimmten die Kommunisten die Internationale an und verhinder. ten durch gellende Pfiffe, daß er zu Worte fam.
Die Stimmung wurde immer erregter, man fah, wie die Verfammlungsteilnehmer Stuhlbeine abrissen und schließlich wüst aufeinander losschlugen.
dem Borhang auf der Rednertribüne poftierten Schußpolizisten mußten unter Gebrauch des Gummifnüppels die zu einem wilden Knäuel zusammengeballten Kämpfenden auseinandertreiben.
Zahlreiche Bersammlungsteilnehmer erlitten blutende Berletzungen, und der Saal glich innerhalb weniger Minuten einem wüsten Kampfplatz, da überall zerbrochene Stühle herumlagen
und auch mehrere Tische entzweigeschlagen waren. Versammlung auflösen und auseinandertreiben. Das gesamte Gebiet Die Polizei konnte nur durch Anwendung rücksichtsloser Gewalt die maßnahmen vorgenommen worden waren, glich in furzer Zeit einem des Friedrichshains, wo schon vorsorglicherweise starke AbsperrungsHeerlager. Die Polizeibeamten drängten die Teilnehmer an der aufgelösten Versammlung blizschnell in die Seitenstraßen ab und sperrten das gesamte Viertel bis zum Königstor und weiter nach dem Alexanderplatz ab.
Wie die bisherigen polizeilichen Ermittlungen ergeben haben, beträgt die Zahl der Verlegten aus der Saalschlacht etwa 100, doch ließ sich die Barteizugehörigkeit nicht feststellen. An der Massenversammlung nahmen über 5000 Personen teil. ( Weitere Meldungen auf der dritten Seite.)