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BERLIN Dienstag 27. Januar

1931

Der Abend

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B 22 48. Jahrgang

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Der Reichstag als Asyl

Hakenkreuzler und Kommunisten auf der Flucht vorm Staatsanwalt 280 Strafanträge gegen Abgeordnete

Am Mittwoch wird der Geschäftsordnungsausschuß des Reichs­tags zufammentreten, um die Borschläge zur Aenderung der Ge­schäftsordnung und die Anträge auf Einstellung von Straf­verfahren gegen Abgeordnete zu beraten. Auf der gedruckten Tagesordnung für diese Sigung finden wir 52 folcher An­träge. Es handelt sich aber um eine weit größere Zahl von Ber­fahren, denn zu den aus dem Hause vorliegenden Anträgen kommen noch die Gesuche von Behörden um Einleitung neuer Verfahren. Rechnet man die einzelnen auf den Drudfachen verzeichneten Anträge mit den von den Behörden eingereichten Gesuchen zusammen, so ergibt sich eine Gesamtzahl von 280 Strafverfahren, die auf Grund der Immunität aus der Welt geschafft werden sollen. Allein 273 davon entfallen auf Hafenkreuzler und Kommuniffen.

Hier erfährt man, warum eine große Anzahl von nationalfozia­liftischen Schimpfbolden in den Reichstag gekommen ist: fie haben ihn auf der Flucht vor dem Staatsanwalt als Asyl benuht!

Bon der Gesamtzahl von 280 Strafverfahren, deren Einstellung der Reichstag beschließen soll, entfallen nicht weniger als 209 auf die nationalsozialistische Fraktion. Die kommuni stische Frattion ist mit 64 Anträgen bei diesem Maffen­Sturm auf die Immunität beteiligt. Auf alle übrigen Fraktionen des Reichstages tommen nur fieben Anträge. Sozialdemokraten 3, Deutschnationale 2, Bauernbund 1, Bollsnationale 1. Es ergibt sich also schon aus dieser Aufzählung, daß die beiden Parteien, die in ihrer Agitation die Beseitigung des Parlaments fordern, das Parla­ment nur dazu mißbrauchen wollen, um ihren Abgeordneten völlige Straffreiheit für ihre Handlungen zu schaffen. Diese Straffreiheit foll sich aber nicht nur auf die Zeit erstrecken, in der die Abgeord neten schon dem Reichstag angehörten. Nationalsozialisten und Kom­munisten verlangen für sich noch ein Sonderrecht insofern, als auch alle Verfahren eingestellt werden sollen, die schon eingeleitet worden find, als an die Abgeordnetentätigkeit der meisten Immuni tätslüfternen noch nicht gedacht worden ist.

Bei der tommunistischen Fraktion handelt es sich zu meist um Beleidigungen durch die Presse und in Ber­Jammlungen. In einigen Fällen sollen auch schwerere Bergehen geahndet werden. Mehrere Abgeordnete werden des Land­friedensbruchs, der Aufforderung zum Steuerstreit oder des Ungehorsams gegen Anordnungen bezichtigt. Gegen die Abgeordneten Buchmann, Lohagen, Maddalena, Meyer­Franken, Rädel, Remmele und Schneller schweben Berfahren wegen Hochverrats. Die Führer der Kommunistischen Partei wollen also den Vorzug für sich in Anspruch nehmen, von der Strafverfolgung in allen Fällen geschützt zu werden, während ihre Anhänger, die fein Abgeordnetenmandat besigen, stets die Ver­antwortung für ihre Handlungen übernehmen müssen.

Beit schlimmer ist es mit der Nationalfozialistischen Partei bestellt. Auch hier handelt es sich zumeist um öffentliche Beleidigungen durch die Presse und in Bersammlungen. An der Spitze steht der Abgeordnete Buch, gegen den 36 Berfahren anhängig find. Neben den üblichen Beleidigungen hat er sich mehrerer Bergehen gegen das Republitschutzgesetz schuldig gemacht. An zweiter Stelle tommt Gregor Straßer , der 27 mal wegen Beleidigung oder Bergehens gegen das Republifschutzgesetz an­getlagt ist. Als dritter erscheint der ehemalige Pastor Münch mener, der im Reichstag den Titel Fleischbeschauer des Dritten Reiches erhalten hat. Dieser Gottesmann foll sich verantworten wegen Beleidigung, Bergehen gegen das Republitschutzgesetz und unbefugter Titelführung. Den Abg. Koch Königsberg betreffen 23 Anträge. Gegen Goebbels , den Hitler in Kleinformat, liegen ,, nur" 16 Strafverfahren vor, zumeist wegen Beleidigung, ein mal wegen Beschimpfung der Reichsfarben. 12 Strafverfahren schweben gegen den Abgeordneten Feder; in einem Falle wird um bie Genehmigung zur Durchführung eines Borführungsbefehls erfucht.

Bersammlungsschlacht bei Hamburg

Zwei Tote, sechs Verletzte.

Hamburg , 27. Januar.

Sturm auf ein Versammlungslokal

Der Polizeibericht meldet: In Geesthacht sollte geffern abend in dem Cofal von Petersen eine nationalsozialistische Ber. fammlung abgehalten werden. Es hatten sich etwa 200 Personen eingefunden. Gegen 20 Uhr erhielt die Bergedorfer Polizei eine Mitteilung, nach der etwa 100 kommunisten nach Geesthacht im Anmarsch seien. Die verfügbaren Bergedorfer Polizeibeamten begaben fid fofort nach Geesthacht .

I aus von Kommunisten beschoffen. Ein Beamter erlitt einen Beden, ein zweiter Polizist einen Oberschenkelschuß. ein dritter Polizeibeamter wurde durch Schläge erheblich verleht Die Beamten erwiderten das Feuer. Hierbei wurden der in Hamburg wohnhaft gewesene 23jährige Bernhard Goid und der in Bramfeld wohnhaft gewesene 18jährige Alfons Benthien Hamburg wohnhaft gewesene 23jährige Bernhard Goid und getötet Die verlegten Polizeibeamten und drei Angreifer mußten in ein Krankenhaus geschafft werden.

Mit Hilfe der inzwischen aus Hamburg eingetroffenen Ordnungs­Es tam hier sehr bald zu einem schweren 3ufammen- polijiffen wurde die Ruhe wiederhergestellt. Alsbald fehlen die stoß. Die inzwischen eingetroffenen kommunisten versuchten, das friminellen Ermittlungen ein. Die Außenwände des Lokals weisen Bersammlungslokal zu stürmen. Die Polizeibeamten wurden mit 32 Einschußstellen auf, 19 Personen, fast sämtlich in Altona wohn­Steinen und knüppeln angegriffen, auch von einem Laftkraftwagen haft, wurden festgenommen.

A

Gelöbnis

S

Nur 521 Bersammlungsstörungen weist uns die Polizeiftatiftit nach gegen 1873 fommunistische.

Das muß anders werden!"

fchweigische Minister Franzen will die Weiterführung des Verfahrens wegen Begünstigung verhindern. Der thüringische Minister Frid verlangt Immunität bei Beleidigung durch die Presse. Der Abgeordnete Krause( Ostpreußen ) will sich der Ber­antwortung für eine von ihm begangene Körperverletzung entziehen. Der Abgeordnete Lenz beantragt Straffreiheit für sein Vergehen Widerstand gegen die Staatsgewalt. Die Abgeordneten Dr. Löpel mann und fabricius wünschen die Einstellung der gegen sie schwebenden Disziplinarverfahren. Der Abgeordnete von Ulrich erwartet Straffreiheit in einem beim Reichsgericht schwebenden Berfahren wegen Hochverrets.

Tardieu Ackerbauminister.

Ministerpräsident Laval.- Tardieu- Kabinett wiedergefehrt. Paris , 27. Januar. ( Eigenbericht.)

Nach langwierigen nächtlichen Verhandlungen ist es Senator Laval gelungen, fein Kabinett am frühen Morgen unter Dach und Fach zu bringen. Die neue Regierung ist nach der Weigerung der Radikalen zur Mitarbeit nichts anderes geworden als eine Neu­auflage des reaktionären Kabinetts Tardieu. Die Minifterlifte

umfaßt folgende Namen:

Ministerpräsident u.

Innenminifter

Justizminifter

Außenminister

Kriegsminister

Marineminister

Luftfahrtminifter

Finanzminister

Budgetminister

Kultusminister

Minister für öffent­

liche Arbeiten Aderbauminifter

Handelsminister Bostminister

Arbeitsminister

Rolonialminister

Hygieneminister Minister für

Handelsmarine Pensionsminister

Laval( Senator, unabhängig)

Berard( Senator, republikanische Union )

Briand ( republikanischer Sozialiſt)

Maginot( demokratische Allianz)

Dumont( Senator, demokratische Linke)

Dumesnil( Wilder, aus der radikalen Partei megen Eintritt in das Kabinett Tardieu ausgestoßen)

Flandin ( Linksrepublikaner)

Piétri( Linksrepublikaner)

Roustan( Senator, demakratische Linke)

Deligne( radikale Linke)

Tardieu( demokratische Allianz)

Rollin( Linksrepublikaner)

Guernier( radikale Linke)

Landry( radikale Linke)

Reynaud ( demokratische Allianz) Blaisot( Marin- Gruppe)

Dechappedelaine( radikale Linke) Champetier de Ribes ( Lintsdemokrat) Außer den Ministern umfaßt das Kabinett noch elf Unter staatssekretäre.

Die Personaländerungen, die Laval in der Ministermannschaft Tardieus vorgenommen hat, beschränken sich auf ein Minimum und zwar nur soweit sie durch den Ersatz der im Duffric- Standal tompromittierten Minister oder jener notwendig geworden find, die es gewagt hatten in das Kabinett Steeg einzutreten.

Painlevé lehnte die Mitarbeit an der neuen Regierung ab mit der Begründung, daß sie nach der Absage der Radikalen zu weit nach rechts orientiert jei. Um ein Haar wäre Frantlin Bouillon als Kultusminister in das neue Kabinett eingezogen. Briand aber weigerte sich, sich mit diesem Ueberpatrioten an einen Tisch zu setzen.

So geht es in bunter Reihe durch alle von der nationalsozialisti­schen Reichstagsfraktion gestellten Anträge auf Immunität. 35 Mit glieder dieser Fraktion, ein volles Drittel also, sind daran beteiligt. Und das erst am Anfang der Tagung des Reichstages vom 14. Sep Eine ganz besondere Nummer ist der nationalsozialistische 2b. tember! Es zeigt sich darin eine Verwilderung des politischen geordnete Bey. Gegen ihn schweben mehrere Berfahren wegen Kampfes, der der Reichstag durch Anerkennung der Immunität Bergebens gegen das Gefeß zum Schuße der Republit, zweimal wird feinen Borschub leisten darf. Der Geschäftsordnungsausschuß des um die Genehmigung zur zwangsweisen Borführung gebeten. Trotz Reichstags und das Plenum werden dafür zu sorgen haben, daß dem Paris , 27. Januar. ( Eigenbericht.) feines aus verschiedenen Quellen fließenden verhältnismäßig hohen Mißbrauch der Straffreiheit ein Ende gemacht wird. Der Reichstag fann nicht seine Zustimmung dazu geben, daß die Immunität von Die Radikalen haben am Montagabend einstimmig be­Brivateintommens vermeigert er die Zahlung einer Geldstrafe, in­folgedessen ersucht das zuständige Gericht um die Genehmigung zur einem Teil der Abgeordneten zur straffreien Berlcumdung, zur Umschlossen, dem Senator Laval jede Unterstügung zu versagen. Kein Bollftredung der dafür fälligen Freiheitsstrafe. Der braun.gehung der Strafgefeße und zur Berhöhnung der Justiz benugt wird! Frattionsmitglied darf unter Laval ein Amt annehmen.

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Absage der Radikalen.