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Morgenausgabe

Nr. 47

A 24

48.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Donnerstag

29. Januar 1931

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Macdonald hat gefiegt!

Sturm auf die Labourregierung

Der Ausbruch des Klaffenkampfes. London , Ende Januar.( Eigenbericht.) Borüber ist die englisch - indische Konferenz,

Mit 272 gegen 250 Stimmen.- Unterhausstürme um das Gewerkschaftsgesetz deren Ergebnis felbst die Hoffnungen der Optimisten in Eng­

London, 29. Januar, 12 hr 45 nachts. Die Regierung Macdonald hat die entscheidende Machtprobe um die Abänderung des fonservativen Antigewerkschaftsgesehes erfolgreich überstanden. Am Schluß der zweitägigen Debatte schritt man in später Abendstunde zur Abstimmung, wobei die Arbeiter­fraktion ein schottisches Arbeiterlied anstimmte. Die Liberalen enthielten sich der Stimme. Infolge: dessen wurde die Regierungsvorlage in zweiter Lesung mit 277 gegen 250 Stimmen angenom me n. Dieses Ergebnis wurde von der Regierungspartei mit großem Jubel aufgenommen. Allerdings steht noch die dritte Lesung als letzte Kraftprobe demnächst bevor.

Condon, 28. Januar. ( Eigenbericht.)

Mit großer Spannung wird in England das zweitägige Duell zwischen der Arbeiterregierung und ihren Gegnern im Unterhaus verfolgt. Alle Parteien halen ihre Abgeordneten nochmals telegraphisch zu der Mittwochabstimmung geladen.

Die Beseitigung des fiefen Gefühls der Ungerechtigkeit, das bei den Mitgliedern der Gewerkschaften bestehe und die Aufrecht­erhaltung angemessener und genügender Garantien gegen die Anmaßung ungerechtfertigter Machtbefugnisse durch irgendeine

Klaffe.

Der liberale Abgeordnete Sir Burgin bemerkte, die Er flärung des Generalanwalts, daß eine Wiederholung des General­streits vom Jahre 1926 unter der augenblicklichen Vorlage ungesetz­lich sein würde, sei die wichtigste Erklärung, die im Verlaufe der Debatte gemacht worden sei. Die Liberalen, die in dieser zweiten Lesung für die Borlage eintraten, würden jedoch in den Ausschuß beratungen zahlreiche Abänderungsvorschläge einbringen müffen Je näher die Abstimmung heranrückte, desto heftiger toote der Rampf im Unterhaus.

Die Cabourfraklion steht geschlossen.

Für die Gewerkschaften sprachen der 70jährige Ben Tillet und Bromley, der erklärte, es sei wahrscheinlich das letzte Mal. daß er im Unterhaus das Wort ergreife. Zum Schluß rief Bromley Auftrag des Generalrats der Gewerkschaften zu: Wie auch die Ab fiimmung ausgeht und wie audy das Gesch aussehen wird, wenn die Zeit gekommen ist, da die englische Arbeitertiaise die ihr von dem englischen Kapital zugefügte Kreuzigung nicht länger er­tragen fann,

unter stürmischem Beifall der Labourfraktion der Opposition im

Es geht nicht nur um das Sein und Nichtsein der zweiten Arbeiterregierung. Die Kluft zwischen Kapital und Arbeit hat sich diesmal in ihrer ganzen Breite aufgetan. Die Stimmung des Generalstreits von 1926 ist wieder erwacht. Das Antigewerfschafts­gesetz verbietet den Sympathiest reit und damit den General­streif. Es beschneidet die Koalitionsrechte der Staats- und Kom­munalbeamten, es verbietet das Streitpostenstehen und beraubt die Arbeiter um einen großen Teil ihres Arbeitsrechts. Der politische ob das Antigewerkschaftsgesetz aufgehoben ist oder nicht. Hintergrund dieses Ausnahmegefeßes blieb in der

Dienstagdebatte

nicht verborgen. Es waren die besten Juristen, die die drei Par­teien zunächst vorgeschickt hatten, um die juristische Frage zu prüfen. Der Sympathie- oder der Generalstreit soll fünftig wieder erlaubt sein. Ist aber ein Generalstreif nicht zugleich ein politischer Streif, der in England fiets gegen das Gesez verstoßen hat? Jawohl, sagte der konservative Jurist und fügte hinzu:

Die Aufhebung des Antigewerkschaftsgefehes bedeutet die Revolution und den Bürgerkrieg."

Und die Konservativen begleiteten jeden Satz ihres Sprechers mit großem Beifall. Diese Zustimmung und der entsprechende Wider. spruch in den Arbeiterreihen steigerten sich, als der liberale An­walt Sir John Simon seine Oppositionsrede gegen die Regierung und gegen die eigene Barteimehrheit hielt. Simon ist einer der besten und geschichtesten Redner des Hauses und nie soll er beffer gesprochen haben als diesmal, da er in glänzenden juristischen Dar legungen seinen eigenen Parteifreunden tlarzumachen versuchte, daß fie gegen die Regierungsvorlage zu stimmen hätten. Simon stieß selbst gegen seinen Parteiführer Lloyd George vor, der, mie gestochen von seinem Siz aufschnellte und die spißfindige Be­mertung feines Angreifers ebenso spisfindig zurückgab. Es ist der Stampf im liberalen Lager, ob das Klasseninteresse oder die politische Tattif wichtiger sei. Die juristische Antwort der Arbeiterregierung, vertreten durch Atchinson, war:

,, fair play für die Arbeiterklasse",

wird es wiederum einen Generalstreif geben,

Marineminister schützt Matrosen. Auffehenerregende Schritte des Labour- Ministers. London , 28. Januar. ( Eigenbericht.)

Um die Weihnachtszeit hatten 30 Matrosen des Kriegs­schiffes Lucia" die Sonntagsarbeit verweigert. 26 von ihnen wurden disziplinarisch bestraft, vier vom Kriegsgericht zu 6 bzw. 4 Monaten Zuchthaus und Gefängnis sowie zur Dienst cntlassung verurteilt.

Im Namen der Arbeiterregierung machte der Erste Lord der Admiralität Alexander am Mittwoch im Unterhaus die auf= lehenerregende Mitteilung, daß er sich in der An­gelegenheit der ,, Lucia" zu weiteren Schritten und Maßnahmen genötigt gesehen habe. Die Vorgänge hätten bewiesen, daß das cligemein in der englische Marine bestehende gute Verhältnis wijchen Offizieren und Mannschaften auf der Lucia" nicht vor­handen war und auch nichts von den Offizieren getan worden sei, die Mißstände zu beseitigen. Das Marineministerium habe des halb verfügt: daß das Urteil gegen die Matrofen auf ein Drittel der Strafen ermäßigt und für alle bestraften Matrosen in Gefängnis umgewandelt wird und fämtliche Offiziere der Lucia" aus dem Dienst entlassen und zur Disposition gestellt werden. Außerdem wurde ihr Gehalt um die Hälfte gekürzt. Die gefamte Belagung des Schiffes wird auf andere Schiffe verteilt und

die Lucia" neu bemannt.

Im Zusammenhang mit der Lucia"-Affäre dürfte gleichzeitig einer Prüfung und Verbesserung unterzogen werden.

die die gleiche Freiheit im Wirtschaftskampf beanspruche wie sie die auch das Beschwerdeverfahren in der englischen Marine

Unternehmer besigen, die gerade jezt aus Sympathie mit einigen Fabrikanten 220 000 Weber von Lancashire auf die Straße ge­worfen haben.

Die Mittwochsizung begann unter weit gereizterer Stimmung. Von der Arbeiterpartei sprach zunächst der Führer der Beamtenorganisationen Brown, der die Koalitionsfreiheit der tommunalen und staatlichen Angestellten und Arbeiter in aus­gezeichneter Weise verteidigte. Es folgte Churchill , der sich nur zu erheben brauchte, um sofort das Haus durch seinen

Scharfmacherton

mit Explosion zu laden. An Ausbrüchen und persönlichen Bemer fungen gegen die Regierung fehlte es auch bei der diesmaligen Rede Churchills nicht. Um so angenehmer stach die vornehme Art ab, mit der der Jurist der Regierung Stafford Cripps , die Bor­lage verteidigte und die Gleichberechtigung der organisierten Arbeiter im Staate vertrat. Er erklärte, daß unter dem Gesetz von 1927 jeder Streik ungefeßlich sei. Auf eine Frage, ob nach dem Wort­laut der neuen Vorlage der Generalstreif von 1926 als gefeßlich betrachtet werden würde, erklärte Cripps , seiner Ansicht nach würde der Streif vom Jahre 1926 auch auf Grund der neuen Vorlage als ungeseglich betrachtet werden müssen, da die Vorlage bestimme, daß der Hauptzwed" und nicht lediglich ein 3wed" des Streits wirtschaftlicher Art sein müsse. Die Borlage, so fuhr der General anwalt fort, foll zwei große Ziele erreichen:

Spaltung in der Heimwehr . Rebellion gegen Starhemberg .

Wien , 28. Januar. ( Eigenbericht.)

In der Heimwehr ist eine Spaltung eingetreten. Bon Montag bis Mittwoch tagten die Landesführer der Heimwehr hinter verschloffenen Türen. Sie diskutierten die Frage, ob die Heim­wehr als selbständige Gruppe Heimatblod" weiter bestehen, wie es Star hemberg will, oder ob sie den Charakter einer überparteilichen Formation annehmen soll. Am Schlusse der Beratungen verließen die Vertreter der Heimwehren von Wien , Tirol, Vorarlberg und Burgenland sowie die Vertreter der Eisen­bahuerwehr die Beratungen und richteten an Starhemberg ein Schreiben, in dem sie erklärten, an den Beratungen der Heimwehr unter der gegenwärtigen Führung fein 3ntereffe mehr zu haben.

In einer Sondersitzung der Abfrünnigen unter dem Vorsitz von Steidle wurde erklärt, daß man die Führung Starhembergs nicht anerkenne und fich als eigene Gruppe fonftituiere. Nachdem die Oppo­fifion die Tagung verlassen hatte, soll, wie berichtet wird, Starhem­berg eine Geschäftsordnung vorgelegt haben, wonach dem Bundes­führer diktatorische Bollmachten erteilt werden.

land wie in Indien übertroffen hat. In beiden Ländern und von allen Parteien wird in diesen drei Monaten von Macdonald und der Labourregierung geleistete Arbeit und Vermittlungstätigkeit anerkannt. Für eine bessere Zu­funft Indiens und für eine friedliche Gestaltung der englisch­indischen Beziehungen ist wenigstens ein Weg gebahnt worden, Eine große historische Tat, die unverwischbar auf dem Aktivkonto der zweiten englischen Arbeiterregierung stehen

wird.

Borüber mit der Indienkonferenz ist aber auch die von der bürgerlichen Mehrheit Englands der Arbeiterregierung ges währte S cho ngeit. Als Macdonald im Jahre 1929 zum zweiten Male in der Downingstreet einzog, war der Himmel Englands mit schwarzen schweren außenpolitischen Wolken überzogen. Inzwischen ist das Wetter für England bedeutend besser geworden. Gewiß, das Labourfabinett konnte keinen ewigen Frieden stabilisieren. Die Regierung Macdonald­Henderson- Snowden hat jedoch die amerikanischen Wolken und Schatten vertrieben; sie hat durch das Flotten­abtommen das Wettrüsten zur See für die größten See­mächte gebannt und die Grundlagen zu einer Verständigung gelegt; sie hat die diplomatischen Beziehungen zu Rußland wiederhergestellt und aufrechterhalten trog aller russischen Dummheiten und englisch - konservativer Gegnerschaft; sie hat zwar auf der britischen Reichsfonferenz keine Weltwirt­schaftskrise gelöst, dennoch aber die politischen Bande zwischen dem Mutterland, und den Ueberfeestaaten fester geschlungen. Mit dem Iraf ist ein Freundschaftsvertrag geschlossen, mit Aegypten und Ostafrika eine Politik eingeleitet morden, die ihre Früchte bringen muß, weil sie nicht mit den dortigen ein­heimischen oder fremden Unterdrückern marschiert, sondern mit den nach Freiheit und Selbstverwaltung dürstenden Volks massen. Was Henderson für Genf und die Arbeiterregierung für Europa bedeuten, weiß jeder, der die Lage unseres Erd­teils zu lesen versteht, zeigt das Ergebnis des deutsch - polnischen Konfliktes über die deutsche Minderhei.., rage in Polen . Summa summarum: das zweite Labourkabinett mag nicht und kann auch nicht eine Erfüllung sein für Eng­land und die Welt. Daß aber sein Dasein bereits ein Glück ist, dafür bürgt das außenpolitische Konto dieser Arbeiter­regierung.

Das Minderheitsfabinett der englischen Ar­beiterpartei ist ein Beweis für die durchschnittliche politische Klugheit des englischen Bürgertums. Aber die Schonzeit für die Labourregierung scheint vorüber. Auch England ist von einer Wirtschaftskrise geschüttelt, die fein Beispiel findet. Die Zahl der Arbeitslosen wächst zur dritten Million; in weiten Gebieten der englischen Industrie raucht seit Jahren kein Schornstein, schon wachsen dort Gene­rationen, die feinen Arbeitsplatz gesehen haben; die Krise zehrt am Mark des Landes. Reichtum und Wohlhaben mindern sich zusehends, die Dominions und leberseeländer werden wirt schaftlich immer selbständiger und unabhängiger, und der nach England flutende Strom des Handels und der Gewinne fließt immer dünner. Immer höher steigen die sozialen Lasten, und immer schwerer wuchten die von Snowden auf den Besitz gelegten Steuern und Abgaben. Soll dieser Starrkopf, dieser vom englischen Bürgertum geradezu als Anarchist betrachtete und gehaßte Finanzministe ein zweites Mal ein Budget ausarbeiten und durchpeitschen? Soll den Gebietern von In­dustrie und Finanz noch weiterhin eine Arbeiterregierung hemmend im Wege stehen, hindern im Plan?

Was sie planen? Es ist die gleiche Weisheit, die heute das Kapitel aller Länder begeistert: Abbauder sozialen Lasten und damit Verminderung der Steuern, zugleich aber Rationalisierung, Verminderung der Arbeitskräfte und damit der Produktionskosten. Als Krönung: Lohnabbau, Lohn­abbau! So gerüstet, glauben auch die englischen Unternehmer auf dem Weltmarkt die Konkurrenz zu schlagen und die Pro­duftion anfurbeln zu lönnen. Da erhebt sich das Heer der Arbeiter und der Arbeitslosen. Es geht um das Stück Brot der Arbeitslosenunterstüßung und um die Erhaltung des Lebensstandards. Da sind die Bergleute, da sind die Weber, die Landarbeiter, die Angestellten, Provokationen, Verhand­lungen, Streif und Aussperrung: es entbrennt der Klassen­fampf auf der ganzen Breite und in erbittertster Form

In diesem Augenblick steht im Unterhaus das von der Ar­