Kurt Rudolf Neubert:
Briefe über einen Selbstmord
gemissen Fertigteit. Allein das genügte ihm nicht. Er war mit einem Lŋzeum für Schwachsichtige im Braunschweigischen in Ber bindung getreten, er wollte einen geistigen Beruf ergreifen, mollte eine unabhängige Stellung gewinnen. Morgen gedachte er abzureisen.
Das trug er Elfe Berminghoff, die ergriffen zuhörte, schlicht und
Geliebte! Hast Du gestern in der Zeitung den Bericht über den| schluß erkennen und mit diesem Liebesbeweis müssen unsere Gegner treuherzig vor. Und sie plauschten, als seien sie dem Lärm, der sie Freitad des Ehepaares E. gelesen? Was sagst Du dazu? Dofu- verstummen. mentiert sich hier nicht erschütternd die innere Berbundenheit zweier Menschen: an verschiedenen Orten getrennt zur verabredeten Stunde aus dem Leben zu scheiden?
Du hast mir oft zugeben müssen, daß es für uns besser wäre, den letzten Weg zu gehen, den vor uns schon viele andere Paare gegangen sind. Eigentlich läßt man nicht viel zurück. Was hat man von diesem Leben, das man ewig in der Angst zwischen drohender Stellungslosigkeit und vagen Genüssen zubringt? Und daß Deine Eltern sich immer noch so entschieden unserer Verbindung widersetzen, und daß andererseits feine materielle Möglichkeit vorhanden ist, auch gegen den Willen der Eltern, allein dem Gebot unserer Liebe folgend, uns für das Leben zu verbinden, das hat uus ja schon oft mit diesen Gedanken spielen lassen. Weißt Du noch, wie wir den Kahn mieteten und abends auf den See hinausruderten, und wie ich zuerst scherzte und den Kahn ins Schaufeln brachte und plötzlich ganz ernst sagte:„ Das wäre die beste Gelegenheit, Lore!" Ich glaube, wir hätten es getan, wenn es heller Tag gewesen wäre, aber Du fürchtetest Dich so in der Dunkelheit, Dir schien alles schwerer, unheimlicher in dieser über dem Waffer ruhenden Finsternis, und die Lichter, die am Ufer aufhellten, erfüllten Dich mit einem unberechtigten Bertrauen, wir ruderten zurück und mir war, eine Gelegenheit wäre für immer verpaßt.
Geliebte, ich meiß, daß Du den Gedanken, durch einen gemeinfamen Freitod allen Bermidlungen der Zukunft zu entgehen, niemals aufgegeben hast. Auch aus Deinem letzten Briefe spricht die düstere, hoffnungslose Stimmung, die die traurige Gewißheit unserer unverbrüchlichen Liebe ist.
Als ich gestern in der Zeitung von dem tragisch- heroischen Selbstmord des uns unbekannten, aber im Erleben doch so nahen Baares las, war mir, ich läse unsere Geschichte, unsere Liebe, unseren Tod. Und die Teilnahme, alles Mitleid und Verstehen und Ergriffensein, das ihr Schicksal überall auslöfte, galt uns, Lore, uns! Die Menschen sagten von uns: Ihre Liebe war stärker als der Tod! Die Zeitungen schrieben: Sie hatten ein unbegrenztes Vertrauen zueinander. Ihre Liebe bestand die allergrößte Prüfung! Und Deine Eltern waren zu Boden geschmettert, befehrt, versöhnt durch den Liebesbeweis unseres Todes.
Ich schreibe Dir hier, ganz aufgewühlt von diesen Gedanken und in der felfenfesten Ueberzeugung, daß meine Gedanken Deine Gedanken sein werden, wenn Du diesen Brief gelesen hast.
Die Zeitung lege ich bei. Aus ihr fannst Du alle näheren Einzelheiten diefes Falles ersehen.
Ich habe Dir nichts mehr darüber zu sagen. Du weißt alles, alles. Dein Hans.
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Geliebter! Ich habe innerlich schon lange von meinen Eltern Abschied genommen, es bleibt also nicht mehr viel zu tun übrig, in diesem Falle. Da ich Dir solches schreibe, wirst Du wissen, mie es steht. Aber wir müssen noch einmal zusammenkommen, bedente, es wird das letztemal sein. Wir treffen uns am besten in D., da hat jeder ungefähr den gleichen Weg, es sind von hier aus acht Stationen, glaube ich. Ich würde mit dem Frühzug fahren. Schreibe mir. Telegraphiere. Ich halte dieses Leben nicht mehr aus. Deine Lore.
Telegramm an Lore:
*
Geliebte, nun bist Du fortgefahren, aber wir werden bald für immer zusammen sein.
Ich size hier noch im Hotelzimmer in D. und schreibe Dir den letzten Brief. Ich habe noch die Wärme Deines Körpers in meinem Buit und der Gedanke, daß ich Dich nie, nie mehr so lächeln, so meinen sehen, so in den Armen tragen werde wie heute nacht, dieser Gedanke allein schon beschleunigt das Ende.
Es wäre leichter, Hand in Hand zu sterben, hier in den Betten zu liegen, Gift zu nehmen, hinüberzuschlummern. Aber sich: wie überzeugen wir die Welt von der Größe unserer Liebe, wenn wir sterben wie jenes Baar! Deine Eltern fönnen nicht sagen, ich hätte Dich mitgenommen", Dich gezwungen, jeder wird den freien Ent
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Ich fahre mit dem nächsten Zug. Ich werde zu Hause noch alle Deine Briefe ordnen und zusammenbinden. Dein Bild füsse ich, das auf dem Schreibtisch steht.
Morgen früh gelangt dieser Brief in Deine Hände, als letzter Gruß.
Du bist ganz bei mir. Bis zur letzten Stunde. Morgen, Geliebte, um drei. Um drei.
Lebe wohl!
Auf Wiedersehen!
Dein
*
Hans.
umbrauste, meit entrückt. Sie erzählte von ihrer einförmigen Tätigteit in der Weberei. Jüngst an einem Montag hatte sie sich überreden lassen, für ein paar durstige Arbeitsgenossen Bier aus der Nachbarschaft zu holen, was im Betrieb streng verboten war. Der Geschäftsführer faßte sie ab, drohte ihr mit jofortiger Entlassung, wenn er sie noch einmal bei solcher Ungehörigkeit ertappte. Dummerei hatte ihr einen Streich gespielt. Sie lebte mit ihrer Mutter zusammen, die immer fräntelte und arbeitsunfähig war. Ihre beiden Schwestern waren nach Amerika ausgewandert, ließen nichts von sich hören. Sie hatte mit niemand Verkehr. In ihrem Stübchen las sie Romane, die sie aus der Volksbibliothek holte. Was da vor ihr lebendig wurde, trug fie für Stunden über ihre Verlassenheit hinweg.
,, Das Schicksal," sprach er teilnahmsvoll ,,, hat Ihnen nicht die
Telegramm, aufgegeben zwanzig Minuten nach drei, von Lore besten Karten gegeben. Was will man machen? Man muß durchan Hans:
halten." Brief abwarten! Immer Deine Lore. Telegramm, aufgegeben zehn Minuten nach drei, von Hans unter den ihren.
an Lore:
Brief abwarten! Immer Dein Hans. Eilbrief von Lore an Hans:
muß Dich unbedingt sehen. Als ich plötzlich das Giftfläschchen fortGeliebter! Ich habe die schrecklichsten Stunden hinter mir. Ich warf, habe ich inbrünstig gebetet und an Dich gedacht, daß mich der Himmel erhört haben muß: Du lebst, wie ich. Du konntest es nicht tun.
Wie habe ich irrsinnig Deinen Namen gerufen, wie bin ich die einsamen Wege bis zum See hinausgelaufen, geheizt von einer aber es war dunkel und beklemmend, wie alle Liebe letzten Endes. Furcht, von einem Gefühl, das ich nicht Mißtrauen nennen möchte, Es war Angst, Eifersucht auf das Leben. Wenn Dir nun, so dachte ich, im letzten Moment die Kraft fehlt, wenn Du vor dem Tode fliehst, in den ich eingehen wollte im Vertrauen auf Deine Liebe, und Dich auf der Erde geblieben weiß, glücklich mit einer anderen! wenn ich dort dann, hinter der Welt, dem Leben, allein mich finde Geliebter, verzeih diese Gedanken. danken. Ich will ja alles tun, auch sterben, aber mit Dir, mit Dir, Es sind schreckliche Gean Deiner Brust.
Eisbrief von Hans an Lore:
Deine
Lore.
Geliebte! Wenn Du ahntest, was ich in diesen Stunden alles durchlitten habe! Ich bin noch nicht tot, noch immer nicht tot, und es ist eine Stunde nach drei. Daß auch Du noch unter den Lebenden weilst, sagt mir mein Herz. Wie schrecklich ist das alles ge= worden! Soll ich mich rechtfertigen? Mußt Du Dich rechtfertigen?
Geliebte! Ich sah Dich, als ich die letzten Minuten von der Uhr ablas, plöglich wie damals im Boot, Dein Gesicht drückte eine solche Angst vor dem Tode aus, Deine Augen sahen mich so entgeistert, in hilflosem Grauen an, daß ich auf einmal wußte, Du fönntest es nie und nimmer hun. Diese Gewißheit sprang auf wie ein elektrischer Funke auf mich über. Ich fehrte um und gab das Telegramm auf. Wenn Du den entscheidenden Schritt doch getan hättest, dann wäre ich Dir sogleich gefolgt. Daß ich mich nun bei allemi Vertrauen zu Deiner Liebe doch für diese Borsichtsmaßregel
Nach einer Stunde brachen sie auf. Wieder schob er seinen Arm ,, Meine Wohnung," sagte er ,,, ist teine fünf Minuten von hier. Bitte, kommen Sie mit. Wir wollen noch ein bißchen plaudern." Ihr Herz schlug hastig. Ihr Gesicht erglühte. Sie durfte nicht mitgehen. Sie machte kurze zögernde Schritte.
Mit einem Male richtete sie sich auf, zog die Brauen hoch. Sie ging doch mit. Sie wollte ihm zeigen, daß sie Zuneigung für ihn empfand. Wenn er nur nicht merfte, wie es um sie bestellt war. O Gott, o Gott!
..Noch ein halbes Stündchen!" lispelte sie. Ich muß ja heim!" Wenige Minuten später waren sie vor einem alten hochgiebligen Haus angelangt. Er führte sie in sein Zimmer im dritten Stock. Lampe hing, ein paar Stühle. In der Nähe des Ofens, der eine behagliche Wärme ausströmte, stand ein mit Wachstuch bezogenes Sofa. Die Wände waren mit Aquarellen, die Ziergärten darstellten, geschmückt: Schöpfungen des Gartenbauarchitekten. Das Belt war mit dem Kopf an die Hauptwand gestellt.
Die Einrichtung war sehr einfach. Ein Tisch, über dem eine
Er bat Else, abzulegen. Das tat sie.
Er ging auf sie zu, schlang die Arme um sie und gewahrte, daß sie bucklig war.
Unwillkürlich trat er einen Schrift zurück. Sie zitterte. Schwindel befiel sie. Die Borstellung tauchte vor ihr auf: er mies ihr die Tür.
Er aber sprach bei sich:
Das arme Geschöpf! Ihr war auferlegt, den Leidenstelch bis auf die Neige zu leeren. Weder im Tanzlofal, noch auf der Straße, hatte er, der Halbblinde, ihre Berunstaltung entdeckt. Waren sie im Grunde nicht Schicksalsgenossen? Es gab kein Gebrechen, das Güte nicht überwand. Er mußte doppelt so gut zu ihr sein. Er umarmte und füßte sie. Sie meinte wie ein Kind.
Und sie blieb. Erst da der Morgen dämmerte, ging fie fort. Sie sah ihn nicht wieder. Die Erinnerung an diese Nacht schlug Funken aus ihr, die nicht mehr erloschen.
entschied, verzeih, es ist doch gisherzeihen. Und wie sollte ich Dir Erich Grifar: Philofophie des Wartens
nicht verzeihen können? Was jetzt werden soll, Geliebte, ich übers laffe es Dir. Ich lebe mit Dir, ich sterbe mit Dir...
Dein
*
Hans.
Sie sahen sich, umarmenten sich, aber allem Glück und Rausch dieser Umarmung blieb eine leise, tiefste Enttäuschung haften. Sie beteten, jo sehr sie es einmal vernichten wollten, das Leben an, sie empfanden es dankbar, daß sie noch waren, atmeten, fühlen konnten, aber sie hatten auch blighelle Erleuchtungen wie Haß: Du hättest mich allein gehen lassen!
Sie knirschten es, in aller Liebe, aller Leidenschaft, sie schrien es zuletzt heraus.
Dann wurden sie stiller, fremder. Sie lösten sich, und diesem Lösen waren sie so unentrinnbar verfallen wie früher Gedanken des Todes.
Else Berminghoff, die in bitterer Armut aufmuchs, ward von der Mutter aufgebürdet, die jüngeren Geschwister herumzuschleppen. Uebermäßige Anstrengung führte bei ihr eine Verkrümmung des Rückgrats herbei, die sich allmählich zum Buckel entwickelte. In der Schule mußte sie wegen ihrer Mißgestalt den Spott boshafter Kameradinnen erdulden. Schwermut drückte sie nieder. Viel später, da fie die Zwanzig längst überschritten, hatte sie das Gefühl, nie jung gewesen zu sein. Sie war Spulerin in einer Weberei. Die Kolleginnen mit ihren feschen Beinen tanzten abends, was das Zeug hielt. Erzählten sie von ihren Erlebnissen, preßte Else Werminghoff die Zähne zusammen, Blässe und Röte wechselten auf ihrem Gesicht. Achilos gingen die jungen Leute an ihr vorüber, sahen nicht, wie die Lippen der Buckligen in sehnsüchtigem Verlangen zitterten. Sie par verurteilt, einsam zu sein.
November. Tagsüber hatte es geschneit. As die Nacht hereinbrach, verzog das Gewölk. Else Werminghoff ging nach dem Abendbrot die Uferstraße entlang, noch ein wenig die reine Luft zu genießen. Im Strom, der ruhig dahinfloß, blitzten gelbrote Lichter auf. Ein Zug donnerte über die Eisenbahnbrücke. Vom Turm der nahen Marienkirche schlug es neun.
Else blieb vor einem hellerleuchteten Tanzlokal stehen. Die Mufit, die man deutlich hörte, verfündete übermütige Fröhlichkeit. Die Bucklige seufzte, legte die Hände auf die Brust. Den Fall gesetzt, sie magte es, sich unter das ausgelassene Bölfchen zu mischen, welch traurige Rolle würde sie spielen! Vielleicht, daß sich einer einen Jug machte und sie zum Tanzen aufforderte. Und dann? Alle würden sich scheckig lachen.
Sie warf den Kopf zurüd. Fort, fort!"
In diesem Augenblic trat ein Herr auf sie zu und fragte, den Hut lüftend, mit wohlflingender, etwas unsicherer Stimme: ,, Darf ich Sie einladen, Fräulein, ein Stündchen mit mir hineinzugehen?" Sie starrte ihn an. Zuckte mit den Schultern. Noch nie hatte jemand auf der Straße sie angesprochen. Wollte er sich über sie luftig machen?
Sehr freundlich von Ihnen," fagte sie leije, ich tanze nicht."
Bon Zeit zu Zeit setzt ein ausgeruhter Kopf seine Zeit daran, auszurechnen, wieviel Kilometer der Weg mißt, den ein Kellner im Laufe eines Tages zurücklegt. Oder es rechnet jemand aus, wie oft ein Briefträger schon auf der Spitze des Montblancs gewesen wäre, wenn er statt Treppen hinauf- und hinabzuklettern, den Beruf eines Bergsteigers ergriffen hätte.
Aber soviel auch schon ausgerechnet und den Lefern der Tages zeitungen unter der Rubrik interessante Ergebnisse serviert wurde, es ist noch nie jemand darauf gekommen, auszurechnen, wieviel Stunden der moderne Durchschnittsmensch von seinem Leben verliert, weil er auf irgend etwas warten muß. Denn Warten, das ist die Krankheit unserer Zeit geworden.
Wir warten vor den Schaltern der Post und an der Eisenbahn, wir warten im Borzimmer des Arztes und an den Kassen der Warenhäuser. Wir warten an den Theaterkassen und an den Stempelstellen der Arbeitsämter. Ueberall, wo ein tüchtiger Bürochef was zu rationalifieren gefunden hat, müssen wir warten. Um einen Arbeitstag von acht Stunden zu sparen, müssen zwanzig oder dreißig Menschen eine Stunde und länger warten. Denn das ist das Geheimnis des ewigen Wartens. Man hat rationalisiert. Man hat ausgerechnet, daß die von zwei oder drei Leuten geleistete Arbeit auch von einem Mann geleistet werden kann, wenn man nur dafür sorgt, daß der zu bewältigende Verkehr ununterbrochen bleibt. Das
,, Ich tanze auch nicht," erwiderte er ,,, ich denke, wir fönnen Prinzip ist klar. An jedem Siauwert ist es praktisch durchgeführt, deshalb doch vergnügt sein."
Sie senkte die Augen. Ich muß nach Haus."
Bitte, kommen Sie!" drängte er und berührte zaghaft ihre Fingerspitzen.
Sie schaute zu ihm auf. Er war ein stattlicher, ein schöner Mann. Seltsam, daß ihr Buckel ihn nicht abstieß. Er wollte ihr eine Freude verschaffen. Er war sicher ein guter Mensch.
Und sie gab nach. Er schob seinen Arm unter den ihren. ,, Ich sehe schlecht," sagte er ,,, ich überlasse es Ihnen, einen Platz für uns zu suchen."
Ein Licht ging ihr auf. Er hatte wohl einen Schleier vor den Augen. Sie gefiel ihm, wie sie ihm erschien. Er hatte aud, jein Pädchen zu tragen. Sie würde ihm gern Gesellschaft leisten.
Im Tanzlofal empfing fie betäubender Lärm. Jazzmusik schrie. Die Paare wirbelfen durcheinander.
Else Berminghoff eripähte einen kleinen Tisch, der eben freigeworden war. Dorthin steuerten sie.
Der Herr ließ eine Flasche Rheinwein kommen. Vor dem Krieg, erzählte er, war er ein leidenschaftlicher Tänzer gewesen. Die Damen lobten ihn, weil er sie nicht herumriß, und. so behaupteten sie
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in der Haltung und in den Bendungen seines Körpers den geschickten Tänzer verriet. Nach der Anleitung eines vortrefflichen Lehrers, dessen Unterricht er genossen, hatte er sich bemüht, tunstmäßig zu tanzen. Das war einmal. Im Weltkrieg bei den Kämpfen um die Feste Baur , war er auf dem linken Auge erblindet, auf dem rechten war sein Sehvermögen nur noch gering. Er führte ein trauriges Leben. Von Beruf war er Gartenbauarchiteft. Er hatte sich der Neuanlage von Gärten gewidmet. Dabei hatte er sich mit der Seranzucht winterharter Blütensträucher befaßt. Kräftige Jungpflanzen waren weithin von ihm verschickt worden, so daß er ein hübsches Stück Geld verdiente. Nach seiner Heimkehr aus dem Kriege hatte er seine Tage in dumpjem Hinbrüten verbracht, doch raffte er sich auf, versuchte Stühle zu flechten und Bürsten zu binden. Darauf wandte er sich der Schreibmaschine au, brachte es zu einer
aber hat ein denkender Mensch Lust, die Reservoire der Rationalifierung zu füllen und so lange zu warten, bis die Reihe an ihn getommen ist, das auf Gleichmäßigkeit eingestellte Räderwerk eines rationalisierten Betriebes in Gang zu halten? Er hat keine Lust, also läuft er, um wenigstens der erste an der Sperrmauer eines Echalters zu sein und damit der Qual endlosen Wartens zu entgehen. Aber die anderen, gejagt von gleichen Aengsten, laufen auch, und weil alle laufen, ist keiner der erste. Und der letzte muß sowieso morgen wiederkommen, weil der Mann hinter dem Schalter, der den ganzen Tag geheizt wurde, keine Luft hat, aus freien Stücken auch nur eine halbe Viertelstunde zuzugeben. Und außerdem, rationalisieren heißt, auch am nächsten Tag noch Arbeit haben.
Und der Erfolg all dieser Warterei? Ueberall werden Kräfte ge= spart, die dann stempeln gehen, manchmal spart der Kunde, der Geduld hat, durch sein Warten auch etwas Geld. Aber nirgends mehr werden wir reibungslos bedient. Ueberall müssen wir warten. Und wenn in dieser Zeit, wo die Geschäfte schlecht gehen und niemand Arbeit hat, auch Zeit nicht immer Geld bedeutet, sie be= deutet doch Leben, und um die Stunden, die wir mißmutig vor Schaltern warten, wird unser Leben gefürzt. Durch die Eile, die wir entwickeln, um das Wettrennen zu überfüllten Schaltern zu ge= minnen, holen wir die verlorene Zeit nicht ein, statt dessen werden wir nervös und bekommen Krach mit den Schalterbeamten, die schon so vor Arbeit nicht wissen, wohin. Und das Ende vom Liede ist. daß immer wieder mal einer vor einem Schalter verrückt wird und den Schalter zertrümmert. Dann wartet er darauf, daß man ihn einlocht. Aber da braucht er nicht lange zu warten, denn die Polizei ist so ziemlich das ein lpe Inftitut, das sich seiner Kunden prompt annimmt. Vorausgesetzt, daß man nicht etwas an- oder abzumelden hat.