Der Abend
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Nr. 56 B 28 48. Jahrgang
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Todesstrafe beantragt!
Für Stolpe und Benziger- 9 Jahre Gefängnis für Luise Neumann
Der Erste Staatsanwalt beantragte im Mordprozek Ulbrich gegen den Angeklagten Stolpe bie Todes. strafe, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und sechs Monate Gefängnis für Unterschlagung. Gegen Benziger gleichfalls die Todesstrafe, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und drei Monate Gefängnis für Unterschlagung. Gegen Luise Neumann wegen Der Reichstag tritt heute nachmittag 3 Uhr zu seiner ersten Mordes neun Jahre Gefängnis und einen Monat für Unterschlagung. Die Strafe gegen sie ist zu Plenarberatung zusammen. In den heutigen Vormittagsstunden beeiner Gesamtstrafe von neun Jahren einer Woche Geschäftigte sich der Welt est enrat in zweistündiger Sigung mit dem fängnis zusammenzuziehen. Sämtlichen drei Angeklagten Arbeitsplan. Das Plenum soll bis zum 28. März ohne große ist die Untersuchungshaft anzurechnen. Pause durchtagen. Sigungsfrei follen nur die Tage vom 16. bis 18. Februar und die Tage vom 9. bis 11. März bleiben. Für den Mittwoch ist die Beratung fleinerer Vorlagen in Aussicht genommen. Die Beratung des Reichshaushalts für 1931, die im Mittelpunkt diefes Tagungsabschnittes des Reichstags stehen wird, soll er st am Donnerstag beginnen. Sie wird mit der Beratung des Etats des Reichstanzlers eingeleitet werden.
Staatsanwaltschaftsrat Herf schildert ausführlich die bereits aus der Beweisaufnahme bekannten Einzelheiten. Er ist der Ansicht, daß sämtliche Angeklagten beim Fassen des Planes die vom Gesez erforderliche Ueberlegungsfähigkeit beseffen haben; es genügt, fagt er, dazu auch eine geringe Intelligenz. Zwischen der Ueberlegung beim Fassen des Planes und der Ueberlegung bei der Ausführung der Tat hat teinen Augenblid eine Unterbrechung stattgefunden. Benzinger, der so schrecklich gezittert haben soll, hatte Ueberlegung genug, die elettrische Lampe anzutnipfen und den toten Uhrmacher abzuleuchten. Ich kann nicht zugeben, daß den Angeklagten bei Begehung der Tat die Ueberlegungsfähigkeit gefehlt hat. Sie haben sich alle drei des gemeinschaftlichen Mordes im Sinne des§ 211 schuldig gemacht, außerdem noch der
Unterschlagung.
Erster Staatsanwalt Rombrecht: Ich schließe mich den Aus führungen meines Kollegen in pollem Umfange an.
Lieschen Neumanns Bater erklärt.
Bevor die Staatsanwälte heute mit ihrem Plädoyer begannen, kam der Vater der Angeklagten Neumann zu Wort. Er fagt ungefähr folgendes: Ich möchte die Sache von meinem Standpunkt darstellen. Ich kann nur erklären, daß meine Tochter ein schwer erziehbares kind war, die Schuld dafür liegt nicht allein an uns, fondern auch an der Allgemeinheit. Vor einem Jahr hatten wir immer noch die Herrschaft über unsere Tochter. Als fie aber Stolpe kennenlernte, da war es mit unserer Macht vorbei. Jm Tagesjugendheim lernte sie verschiedene Mädels aus der Fürsorge tennen. Wir waren beim Jugendamt, man erflärte uns aber, daß, solange nichts über sie vorliege, man nichts unternehmen könne, der lose Mund allein fei fein genügender Grund zu irgend welchen Maßnahmen. Mit dem Jugendheim wurde aufgeräumt, je strenger rir aber gegen Lieschen wurden, desto widerspenstiger wurde fie. Ich mußte meiner Arbeit nachgehen, die Frau ihrer Beschäftigung.
Eines Tages fanden wir einen Zettel vor: sie hatte sich von uns abgemeldet und war unbekannt verzogen. Später erfuhren wir, daß sie in Pankow wohne. Einige Zeit darauf erhielten wir vom Bezirksamt Pankow die Nachricht, daß sie in Stellung gegeben sei und daß das Jugendamt sich ihrer annehmen wolle, solange fie auf der Stelle bleiben würde. Weshalb hat das Jugendamt uns nicht benachrichtigt, bevor es seine Maßnahmen ergriff, es hat doch wissen müssen, daß das Lokal, in dem es Lieschen untergebracht hatte, ihre Angestellten stets vom Jugendamt bezog und daß Lieschen, das mit einem anderen Mädchen eine gemeinsame Schlafstelle hatte, nach 10 Uhr sich selbst überlassen war. Zwei Monate später ersuchte uns das Jugendamt, Lieschen wieder bei uns aufzunehmen. Wir erklärten uns bereit, es zu versuchen. Eine Zeitlang ging es gut. Stolpe war aber hinter ihr her wie die Katze hinter der Maus. Lieschen war bald wieder fort. Meine Frau ging zum Vater Stolpes und erklärte ihm, sie verbiete, Lieschen in| seinem Haushalt aufzunehmen. Er war aber mit ihr zufrieden, faufte ihr Stoff zum Kleide, auch alle Verwandten von Stolpe waren mit Lieschen zufrieden und dann kommen sie hierher ins Gericht und fagen ganz etwas anderes.
Ich fann von Stolpe nichts Schlechtes sagen, ich habe ihn für einen anständigen Kerl gehalten. Ich hatte aber feine Ahnung, was Lieschen trieb.
Mir wurde auch nichts erzählt von der Bekanntschaft mit Ulbrich. Benn Lieschen lange fort gewesen ist, fam er und bat, ich soll sie nicht bestrafen. Wir stehen nun vor einem Rätsel. Wir tönnen nicht begreifen, daß sie jemand zur Tat beeinflußt haben soll. Und die Presse hat soviel Tamtam aus der Sache gemacht und soviel Unwahres erzählt, daß man alles gar nicht widerlegen kann. Es märe vielleicht nicht so gefomumen, wenn das Jugendamt eingegriffen hätte.
Reichsfanzler Brüning wird bei dieser Gelegenheit eine Rede über die politische Gesamtlage halten. Die sich an die Ausführungen anschließende politische Aussprache wird auch noch den Freitag in Anspruch nehmen. Mit der Beratung verbunden wird der nationalsozialistische Antrag, den Reichspräsidenten zu er suchen, den Reichstag aufzulösen. Jeder Fraktion ist eine Redezeit
Don einer Stunde bewilligt.
Die auswärtige Debatte und der Bericht über die letzten Genfer Verhandlungen sollen am Dienstag nächster Woche mit einer großen Rede des Reichsaußenministers Curtius beginnen.
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Die Absichten einiger Parteien des Reichstags, seine Arbeitsfähigkeit, unter allen Umständen aufrecht zu erhalten und zu sichern, die durch interfraktionelle Besprechungen in den letzten Tagen eingeleitet wurden, haben bereits in den Berhandlungen des Aeltestenrats zu Protesten der tommunistisch nationaliftifchen Oppofition geführt. Es ist auch wahrscheinlich, daß diese Proteste in der heutigen Plenarverhandlung wiederholt werden. Irgendwelche Wirkungen werden diese Proteste nicht haben, da es das Recht jeder Partei ist, Anträge auf Aenderung der Geschäftsordnung und der Handhabung der Immunität zu stellen. Positive Möglichkeiten zur Beeinflussung des Reichstags werden erst gegeben sein, wenn die Anträge, die der Sicherung der parlamentarischen Arbeit dienen, überhaupt vorliegen.
Grüne Woche
aw
Aus dem nervösen Verhalten der Opposition aber läßt sich bereits erkennen, wie unangenehm ihnen die angekündigten Anträge sind und welch ungeheuren Wert Kommunisten und Nazis darauf legen, den Mißbrauch der Immunität weiter zu treiben.
Der Aeltestenrat hat sich mit diesen Anträgen nicht beschäftigt, da sie nicht zu seiner Kompetenz gehören. Das Zentrum hatte lediglich den Streit im Rechtsausschuß unterbreitet. Nach der grundfäßlichen Entscheidung des Aeltestenrates hat die Mehrheit eines Ausschusses das Recht, den Vorsitzenden nicht nur zu wählen, sondern auch abzuberufen. Zu dem Streitfall selbst nahm der Aeltestenrat nicht Stellung.
Endlich beschloß er, nichtständige Ausschiffe einzusetzen für Leibesübungen, Kommunalpolitit, Liquidationsschäden und einen Dftausschus.
Kinomord vor Aufklärung.
Verdächtiger Artist zum zweiten Mal verhaftet.
Bon der Mordkommission ist gestern der 31jährige Artist Karl Urban abermals festgenommen worden, da sich auf Grund weiterer Ermittelungen erneut der Berdacht gegen ihn verstärkt hat, daß er als Täter für das Verbrechen an dem Geschäftsführer des Mercedes - Palastes in Neukölln in Frage fommt. Obgleich Urban die Tat bestreitet, sprechen die Tatsachen gegen ihn.
genommen und eingehend verhört worden. Zwei Angestellte des Urban war seinerzeit schon wenige Tage nach dem Mord festMercedes- Balastes wollten in ihm den Mann erkannt haben, der in der für die Tat in Frage kommenden Zeit über die Bühne gelaufen und durch einen Notausgang geflüchtet war. Urban trat fein Alibi an und benannte einige Beugen, die bestätigen sollten, daß er sich an dem Mordabend in seinem Hotel aufgehalten habe. Der Artist gab damals auch an, nach seiner Rückkehr aus Amentia feine Waffe besessen zu haben. Da nach einer oberflächlichen
Prüfung die Angaben des U. zu stimmen schienen, wurde er alsbald wieder auf freien Fuß gesetzt.
Inzwischen waren aber neue Verdachtsmomente gegen den Artisten aufgetaucht, so daß sich Kommiffar Johannes Müller die von 1. benannten Zeugen einmal genauer ansah und verhörte. Dabei ergaben sich so starke Widersprüche, die eine erneute Festnahme des Artister gerechtfertigt erscheinen ließen. So ist es gelungen, ihm nachzuweisen, daß er sich, entgegen seiner früheren Behauptung, im Besitze einer automatischen Pistole Kaliber 6,35 befand. U. will sich der Waffe am 20. Januar, also wenige Stunden vor dem Mord an dem Geschäftsführer Schmoller, entledigt und in einen Mülltaften geworfen(!) haben. Da sich inzwischen auch auf Grund der genouen Rekonstruktion der Tat, wobei die Zeit des Mordes eine wesentliche Rolle spielt, schwerwiegende Berbc chtsmomente gegen U. ergeben haben, scheint es nicht ausgs hlossen, daß Urban tatsächlich der Mörder ist.
Wellington ( Neuseeland ). 3. Februar. Heute vormittag ereignete sich im Bezirk Hawkes Bay ein heftiges Erdbeben. Der Meeresboden bei Napier senft fich. Eine Anzahl Deltants in Napier stehen in Flammen. Die Telegraphenlinien sind zerstört. Nach den bis jetzt eingetroffenen Nachrichten haben in der Stadt Hastings ( füdlich von Napier ) 21 Personen den Tod gefunden. Das Krankenhaus und das Haus der Krankenschwestern stürzte ein, mehrere Bewohner wurden unter den Trümmern begraben. Die Stadt steht in Flammen und soll bereits zur Hölfte zerstört sein. Ein Ausschuß zur Verteilung von Lebensmitteln hat sich dort gebildet. Auch Wairoa( nördlich von Napier ) hat große Verwüstungen " Famos, auf die Art triegt auch der Weft en mal was zu verzeichnen Bon dort werden zwei Todesopfer gemeldet. Die von der Osthilfe ab!"
„ Schlage jetzt vor: Tanenkienbummel!"
Städte Baipukurau und Waipama haben ebenfalls sehr gelitten.