Der Abend
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Nr. 28 B 39 48. Jahrgang
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Justizminister gegen Verleumder
Die preußische Justizverwaltung wehrt sich/ Erklärung Deerbergs
Im Rahmen der Beratungen über den Justizetat im Hauptausschuß des Preußischen Landtags , machte heute vormittag Justizminister Dr. Schmidt eine Reihe wichtiger Ausführungen, von denen wir einige um ihrer allgemeinen Bedeutung millen hier wiederholen.
Um irrigen Borstellungen über die, Gnadenpragis vor zubeugen, mies der Minister darauf hin, daß an der Gewährung bebingter Strafausfegung( 1929 34 399, 1928 33 211, 1927 35 005) das Justizministerium mur mit 5,2 Bro3. im Jahre 1929, 6 Proz. im Jahre 1928, 5,7 Broz. im Jahre 1927 beteiligt gewefen fei, mährend in allen anderen Fällen die Bewährungsfrist von den Gerichten bewilligt wurde. Der geringe Einfluß des Landtags auf die Gnadenpraris gehe daraus hervor, daß dem Rechtsausschuß Des Landtags von Januar 1925 bis Juni 1930 5244 Petitionen gigegangen feien, und daß der Rechtsausfdniß nur in 228 Fällen, alfo mir in 4,4 Proz. der Fälle, Berücksichtigung der Gnadengefuche empfohlen habe. Rund 75 bis 80 Proz der bedingt Begnadigten hätten sich bewährt.
Die politischen Straffachen, die ihre Ursachen pielfach in Zusammenstößen zwischen Kampforganisationen radifalpolitischer Parteien und in Berleumdungen und Beschimpfungen des Staates und feiner Organe hätten, hätten in bedrohlichem Maße zugenommen. Die Beschleunigung und nachdrüdliche Berfol gung dieser Straftaten sei den Strafverfolgungsbehörden durch mehrere Anweisungen ganz besonders dringlich ans Herz gelegt. Die nach dieser Richtung gegebenen Anordnungen feien in feiner Weise dazu bestimmt oder geeignet,
die Unabhängigkeit der Gerichte
zu berühren. Mit der formellen äußeren Unabhängigkeit, sei es freilich nicht getan, sondern fie müsse ergänzt werden durch die innere Unabhängigkeit des Richters, der sich freizuhalten habe von jeder politischen Boreingenommenheit. Auch für den unabhängigen Richter gelie Artitel 130 2bfat 1 der Reichsverfassung, auch er sei Diener der Gesamtheit, nicht einer Partei, und erst die richtige Synhese zwischen der durch Artikel 102 eingeräum'en Borzugsstellung und der durch Artifel 130 auferlegten Berpflich bmg ergebe das Bild des guten Richters, wie man ihn für den Boltsstaat wünsche.
Der Richter sei als berufenster Diener der Geseke in besonderem Maße verpflichtet, die republikanische Verfassung, auf die er seinen Eid geleistet habe, zu wahren und zu festigen und unbedingte parteipoli. tische Neutralität zu beweisen.
Daß der größte Teil der Tätigkeit unferer Gerichte sich in völliger Objektivität vollziehe, werde allerfeits anerkannt. Immer feien es nur Einzelfälle, namentlich politische Straffachen, die den Gegenstand des Zweifels an der zu verlangenden inneren Unab hängigkeit der Richter bilden. Zum Schutz der Richter müsse auch auf die Anhaltspunkte hingewiesen werden, die dafür bestehen, daß in manchen Fällen die Entscheidung der Gerichte ent gegen der Sach- und Rechtslage durch die Haltung der 2aienrichter beeinflußt werde. Die preußische Justizverwaltung hat es seit Bestehen der Republik als eine ihrer vornehm sten Aufgaben betrachtet, die
Justizbeamfenschaft in den Geist und die Aufgaben des Boltsftaates einzuführen
und durch ihre Einflußnahme die angedeuteten unliebſamen Einzelfälle zu vermeiden. Die Möglichkeit dieser Einflußnahme sei angesichts der Unabhängigkeit der Gerichte eine beschränkte. In politischen Strafsachen namentlich habe sich die Justizverwaltung der gemäß den§§ 146, 147 des Gerichtsverfassungsgesetzes ihrer Aufficht und Leitung unterstehenden Staatsanwaltschaften bedient, um durch geeignete Anträge Aufklärung und die Voraussetzungen für den fünftigen richtigen Richterspruch zu schaffen. Die Justizverwaltung habe ferner, wenn Richtersprüche vorlagen, die offensichtliche Mängel der Begründung oder des Verfahrens zeigten, nachträglich an solchen Entscheidungen Kritik geübt. Daß diese nachträgliche Atritit erlaubt sei, ja eine notwendige Ergänzung der richterlichen Unabhängigkeit bedeute, sei von jeher anerkannt
worden.
Die Justizverwaltung habe sich also mit ihrer Einflußnahme auf die richterliche Tätigkeit durchaus in den durch Reichs, Landes- und Gerichtsverfassung gezogenen Grenzen gehalten. Niemals sei durch eine folche Maßnahme auf einen Richter ein Druck hinsichtlich einer bevorstehenden Entscheidung ausgeübt
worden.
Polizeimißgriff für Hugenberg- Film
Sozialdemokratischer Abgeordneter und Stadtverordneter verhaftet
des Erzelsior- kinos, das bekanntlich den nationaliffifchen Gestern abend gegen 8 Uhr wurde in Neukölln in der Nähe Hehfilm„ Das Flötenkonzert von Sanssouci" spielt, Landtagsabgeordneter Genosse Mag Fechner verhaftet. Aleber den mert. würdigen Vorfall geht uns folgender Bericht zu:
Genosse Fechner passierte, von Berlin tommend, gegen 8 Uhr die Kaiser- Friedrich- Straße. Kurz nor der Wildenbruchstraße, in der Nähe des Erzelsior- Kinos, geriet er in eine Menschenansammlung Fechner hatte die Absicht, sich in seine Wohnung zu begeben und befand sich in Begleitung des Genossen Stadtrat Waldheim und des Stadtverordneten Genoffen Aschenbrenner. Zur gleichen Beit machte ein Polizeiauto halt, die Mannschaften sprangen vom Wagen und forderten die Baffanten auf, weiterzugehen. Als Polizei beamte auch die erwähnten Genossen aufforderten, sich zu entfernen, erklärte Genoffe Abg. Fechner, daß er sich in seine Wohnung be geben wolle.
Darauf wurden er sowohl als auch Stadtverordneter Aschenbrenner furzerhand von den Polizeibeamten verhaftet. Trotzdem fich Fechner als Abgeordneter legitimierte, wurde er gepackt und mit Aschenbrenner zusammen unter Stößen und Püffen nach der Polizeiwache gebracht.
Sier legitimierte er sich wiederum als Abgeordneter. Aber auch hier murde die brutale Behandlung fortgesetzt. Zunächst wurden ihm sämtliche gefährlichen Gegenstände, wie Uhr usw., abgenommen. Er wurde aufgefordert, ben ragen abzubinden. Er weigerte sich und man beließ ihm dieses Kleidungs stüd. Man mollte ihn zwingen, selbst die Hosenträger ab zuliefern. Er weigerte sich entschieden, das zu tun, und darauf
Dies erneut zu betonen, nehme der Minister deshalb Ber anlaffung, weil neuerdings der sich unter dem Pseudonym Gottfried 3arnow verbergende ehemalige Proviantamtsinspettor Ewald Morig in seinem Buche ,, Gefesselte Justiz" Ausführungen darüber gemacht habe, daß in einer Reihe politischer Strafprozesse aus der Zeit nach 1918 die Justizverwaltung in politischer Absicht die richter liche Unabhängigkeit verlegt sei, und weil sich mit dieser Tendenz schrift eine in die Deffentlichkeit gelangte
Aeußerung des früheren Reichsgerichtspräsidenten Simons sowie ein Urantrag der deutschnationalen Fraktion und schließlich ein an den Minister gerichtetes und aus der Tagespresse bekanntgewordenes Schreiben des Präsidenten des Reichslandbundes befasse. Die irreführende Art, in der diese Schrift gegen die Staatsautorität, gegen die Rechtspflege und den Richterstand fämpfe, ergebe fich aus zahlreichen Beispielen. Gegenüber der längst wider legten Behauptung, die Justizverwaltung habe im Jahre 1920 das Strafverfahren gegen die Brüder Stlarz im Sande verlaufen lassen, tönne erinnert werden an die eingehenden parlamentarischen Erörterungen dieser Angelegenheit und an die Aus führungen des Abgeordneten Eichhoff( D. Bp.) im Jahre 1925,
der festgestellt habe:
,, Die Sache ist nach meiner Ansicht vollkommen einwandfrei und klar. Ich freue mich, feststellen zu können, daß das Ministerium in dieser Sache völlig gereinigt dasteht, und daß auch nicht der leiseste Bormurf gegen das Ministerium nach der Erklärung des Herrn Staatsfefretärs übrigbleibt."
Ebenso habe, entgegen den Behauptungen, in das Strafverfahren gegen Barmat und Kutister sei von der Justizverwaltung unzulässigerweise eingegriffen worden, der Barmat- Untersuchungsausschuß des Landtags am 12. Oktober 1925 die Untersuchung dieser Angelegenheit mit der Feststellung abgeschlossen:
In dem Ermittlungsverfahren Barnat und Kutister hat eine Beeinflussung des Justizministeriums oder nach geordneter Stellen durch politische Persönlichkeiten zugunsten der Angeschuldigten nicht stattgefunden. Das Justiz ministerium feinerseits hat in die schwebenden Verfahren teine von politischen oder unsachlichen Erwägungen dittierte Eingriffe vorgenommen. Diese Feststellungen lasse Moriz ebenso unberücksichtigt wie die eingehenden parlamentarischen Verhandlungen über die Straffachen gegen die sog. Fememörber und den früheren Direktor der
in eine Dunkelzelle. Erst auf seinen energischen Protest hire | nahm man sie ihm mit Gewalt fort. Dann stießen ihn die Beamten wurde Licht gemacht. Inzwischen wurde Genosse Franz Künstler von dem Borfall verständigt, der sich mit dem Polizeipräsidium in Berbindung setzte.
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Fechner wurde daraufhin zusammen mit dem Stadtverordneten Aschenbrenner in Begleitung von drei mit Karabinern bewaffneten Beamten nach der Ab.eilung IA am Alexanderplatz gebracht
und verhört, wobei er den Vorgang und die ihm widerfahrene Behandlung zu Protokoll gab. Er sowohl wie Aschenbrenner wurden daraufhin sofort in Freiheit gesett
Ganz unglaublich erscheint auch die Behandlung des Genossen Stadtverordneten dhe nbrenner auf der Polizeiwache in Neukölln. Obwohl er sich in Begleitung von Fechner befand, wurde er von den Polizeibeamten auf der Treppe von einem Podest zume anderen hinuntergestoßen, so daß er mit dem Kopf zuerst unden antam. Auf der Wache selbst zwang man ihn zum Sizen, indem man ihn am Halse padte, ihn würgte und auf den Stuhl niederdrückte.
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Für diese empörenden Borgänge find 3 eugen vorhanden. Es scheint höchste Zeit, daß der Polizeipräsident diesen brutalen Beamten gegenüber mit aller Schärfe durchgreift. Diese Vorgänge spielten fich ab als eine Folge der Borführungen des Hehfilms ,, Das Flötenkonzert in Sanssouci", die fich allmählich zu einem öffentlichen Standal auswachsen. Abg. Fechner und Stadtverordneter Aschen| brenner hatten mit der Protestaktion nicht das geringste zu tun. Sie befanden sich von Berlin fommend auf dem Heimwege in ihre Neuföllner Wohnungen.
Porzellanmanufaftur. Moritz stellte in seiner Schrift Aeußerungen aus Zeitungsartikeln der republikfeindlichen Presse zusammen, vermische sie mit eigenen Ausführungen, ohne immer erkenntlich zu machen, was seine und was fremde Meinung ist, versuche den Anschein zu erwecken, als gehe es ihm allein um die Gerechtigkeit, sei aber selbst aufs höchste ungerecht gegen den politischen Gegner. Faft auf jeder Seite des Buches fänden sich tatsächliche Unrichtig
teiten und Entstellungen.
Es sei daher unverständlich, daß der frühere Reichs gerichtspräsident Simons sich dahin geäußert habe: Die von Morih angeführten Tatsachen ließen sich nicht leugnen. Diese ,, Tatsachen" seien unrichtig.
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Engelbert nach durchgeführter Boruntersuchung durch BeSo feien 3. B. die Rechtsanwälte Werthauer und chluß des Landgerichts I Berlin vom 23. Januar 1926 von den gegen sie erhobenen Beschuldigungen außer Verfolgung gefett, nicht aber durch die Justizverwaltung der Strafverfolgung ent 30gen, wie Moritz behauptet. So sei auch die bedingte Strafausfegung hinsichtlich der Reststrafe Barmats nicht durch Anordnung der Justizverwaltung, sondern ohne jegliche Einwirkung durch Beschluß des Amtsgerichts Berlin- Mitte 12. Juli 1929 angeordnet worden. Auch die Behauptung, daß Schulz und Umhofer seinerzeit in die sogenannte ,, Mörder. ellen " übergeführt. seien, Schulz sogar die Matraße des furz zuvor hingerichteten Lust- und Raubmörders Böttcher erhalten habe, sei unrichtig. Ebenso sei die alte Behauptung, im Fe memordprozeß Bilms sei das Schwurgericht gesetzwidrig zustande ge= tommen, durch Urteil des Reichsgerichts vom 15. Dezember 1927, wie auch in der Deffentlichkeit bekannt, längst ad absurdum geführt. Das Reichsgericht habe festgestellt, daß die erkennenden Richter gefegmäßig berufen worden und die Angeklagten nicht ihren gesetzlichen Richtern entzogen worden sind. Das auf Seite 40 her Schrift gegebene Zitat aus dem Urteil des Großen Disziplinare fenats in dem Disziplinarverfahren gegen Kußmann und Caspary, wonach ohne genügende Begründung dem Caspary die Untersuchung gegen Rutisfer entzogen worden sei, sei unrichtig. Eine derartige Stelle findet sich in dem Disziplinarurteil überhaupt nicht. Die auf Seite 37 der Schrift wiedergegebene angebliche Anklagerebe bes Vertreters der