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Heine und die Gegenwart

Zum 75. Todestag

Nichts gejagt und nichts gejungen wird an meinen Sterbetagen",| Bolt geliebt werden. Bieles   von dem, was er angestrebt, ist in Er. diese prophetischen Borte Heines scheinen Geltung zu haben, soweit füllung gegangen, aber ewig wird sein ,, Weberlied  ", das seinen Beit­die bürgerliche Welt in Frage kommt. Während die Gedenktage von genossen wie ein Fanfarenruf ins Ohr gellte, nicht nur als Zeitdofu­Geistern dritten, vierten Ranges im Rundfunk als Ereignisse begangen ment, sondern als gewaltige Anlage der aus den Tiefen zum Licht werden, bringen die Aetherwellen der deutschen   und öster- Ringenden die fühlenden Herzen erschüttern. Altdeutschland, wir reichischen Sender mit Ausnahme des rheinischen, der einige belang- weben dein Leichentuch, wir weben hinein den dreifachen Fluch, wir lose Gedichte rezitieren läßt, und zwei, drei anderer feine weven", dieses Deutschland   ist dahin, fein König läßt mehr die um Runde vom 75. Todestag eines der größten unter den deutschen   den färglichsten Lohn ringenden Arbeiter wie Hunde erschießen, aber Dichtern, der von der gesamten ausländischen Kulturwelt geliebt und auch heute fämpft das Volt um sein nacktes Dasein. Die dröhnenden verehrt wird. Das Deutschland   von heute und das Deutschland  , das Strophen des Weberlieds" werden nicht verhallen, auch wenn der Seine aus allzugroßer Liebe mit seinem Spott geißelte, sind eben Kampf zwischen Befiz und Arbeit beendet sein wird. noch nicht so sehr von einander verschieden. Im Gegenteil scheint es, als ob jener Ungeist, um dessentwillen Heine sein Vaterland verlassen

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" Dafür schulde ich Ihnen eine Genugtuung, unbedingt eine ent sprechende Genugtuung."

Bei diesen Worten spijte ich er freut die Ohren.

Da, nehmen Sie Ihr Manuskript wieder. Das wird Ihnen ein langes, unnüges Barten ersparen."

Ich betrachtete ihn, ohne zu verstehen. Er fuhr fort:

Auf diese Weise handle ich am ehrlichsten und forrettesten, um das an Ihrem Hut verübte Unrecht wieder gut zu machen. Sehen Sie, wir haben viel zu viel Manuskripte, so viele, daß wir sie überhaupt nicht mehr lesen. Was uns übrigens nicht hindert, iie mit den schönsten Höflichkeitsbezeugungen zurückzuerstatten. Be­trachten Sie dies also als einen ganz besonderen Höflichkeitsbeweis." Dann öffnete er die Tür und ermahnte mich, weiter mutig und standhaft zu bleiben. Als ich mich wieder auf der Straße befand, glaubte ich, ge­träumt zu haben, aber leider überzeugte mich mein Märtyrerhut davon, daß alles reinste Wirklichkeit gewesen war. ( Berechtigte Uebertragung von Ernst Levy  .)

mußte und in der Verbannung ftarb, in einem großen Teil des nichte? Steht wirklich Deutſchland   im Frühlings for?" Die 3meifel, Schutz für den Darẞivald

Bürgertums wieder eine traurige Wiedergeburt erlebt. Um so größer ist seine Mission in dem anderen Deutschland  , in dem der Arbeit, der Kraft, des freien Menschentums.

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was die

,, Herwegh  , du eiserne Lerche, mit flirrendem Jubel steigst du empor zum heiligen Sonnenlichte. Ward wirklich der Winter zu­die Heinrich Heine   nach dem Jahr 1848 gehegt hat, wollen uns auch heute, nach so vielen Fortschritten auf dem Gebiet der sozialen Gesetz welt, hat die deutsche Ostseeküste besucht und war auch in dem Bengt Berg  , der bekannte Schilderer der nordischen Tier­gebung, bedrücken. Sein Schlachtruf soll uns leiten: Girre nicht Küstengebiet an der Grenze Mecklenburgs und Pommerns  , wo sich Zwar schnarcht Deutschland   nicht mehr. ,, in sanfter Hut von sechs mehr wie ein Werther, welcher nur für Lotten glüht unddreißig Monarchen", die deutschen   Fürsten haben sich sanft aus im Laufe der Zeiten aus vorgelagerten Inseln die eigenartige Halb­Glocke hat geschlagen, sollst du deinem Volke sagen, rede Dolche, rede inselkette Fischland- Darß- 3ingst gebildet hat mit dahinterliegenden dem Staub gemacht, aber die Gesinnung, die von ihnen, nicht in das Schwerter!" Dieser gegen Goethe   gemünzte Ausfall kennzeichnet so ebenso eigenartigen Boddenbildungen. Diese Bodden, die jetzt nur im Bolt, wohl aber auf die sonstigen Machthaber übergegangen, ft noch recht die Feueralut des wahrhaften Freiheitssängers, der den Kampf Osten eine einzige Verbindung mit der Ostsee   haben, hatten einst eine die gleiche. Noch immer das hölzern pedantische Bolt, noch immer stets an der Seite des Volkes geführt hat. Die dem gebildeten Deut- Reihe von Ausflüssen in die See, die im Laufe der Zeit verſandet ein rechter Winkel in jeder Bewegung, und im Geficht der eingefchen eigentümliche Ablehnung des Bolfhaften, ein gewiffer frostiger find, oder wie der Prerowstrom( 1876) künstlich geschlossen wurden. frorene Dünkel"-so sieht auch heute noch das Gesicht der herrschen- Hochmut, der auch den letzten deutschen   Nobelpreisträger fennzeichnet, Das Mittelstück der Halbinseltette, an der die See unausgesetzt Neu­den Klasse" aus. Auch das Studententum vor hundert Jahren, lebt ist nie seine Art gewesen. Er bespöttelt diese Art Menschen: Nur in land anschwemmt, ist der Darß, an dessen von Sandbänken um­es nicht zum Teil heute wie damals, namentlich auf fleinen Univerfi- der Tiefe des Gemüts ein deutscher Mann die Freiheit trägt." Seine lagerter Nordspige, dem Darßer Ort, sich die Anschwemmungstätig­täten in seinen grotesfen mittelalterlichen Sitten, gilt nicht noch heute, Doktrin lautet: Trommle die Leute aus dem Schlaf, trommle feit der See am auffälligsten zeigt. Dort, wo einst der Prerow­was Heine in der Harzreise  " über Göttingen   schreibt: Davon Reveille mit Jugendkraft, marschiere trommelnd immer voran, das ist strom den Darß von Zingst   völlig trennte, liegt auf der Darßjeite stammen( aus der Völkerwanderung) alle die Bandalen, Friesen  , die ganze Wissenschaft." der bekannte Badeort Prerow  . Jeder, der hier schon frohe Sommer­Schwaben, Teutonen, Sachsen  , Thüringer   usw., die noch heutzutage mochen verlebt, fennt auch den herrlichen Darßwalld, der unmittel­( vor hundert Jahren) in Göttingen   hordenweis und geschieden durch bar bei Brerom beginnt und fast die ganze Halbinsel Darß   bedeckt die Farben der Mützen und Pfeifenquasten, über die Weenderstraße bis an die Süd- und Ostgestade des Bodden, wo die wenigen Darß­einherziehen... sich ewig untereinander herumschlagen, in Sitten orte ihr bißchen Wiese und Acker haben. Ein großer Teil dieses und Gebräuchen noch immer wie zur Zeit der Völkerwanderung 26 000 Morgen umfassenden herrlichen Mischwaldes wurde noch nie­dahinleben." mals irgendwelcher systematischer Forstwirtschaft unterzogen; hier fiel taum je ein Baum der Art zum Opfer. Es gibt hier neben präch­tigem, an der Küste sturmzerzaustem Riefernwald ganze Reviere alter, prachtvoller Buchen, faum durchdringliche Fichtendichichte und, da das Innere des Darß teilweise moorig ist, unzugängliche' Erlen­ brüche  . Die Vegetation ist erstaunlich. Typisch für den Darßwalld sind die mehrhundertjährigen Rotbuchen, viell Wacholderbüsche   von be­deutendem Ausmaß und oft auffallender Formung, baumartige Stech­palmen, alte Giben und, was besonders auffällig, riesiger wild­wachsender Efeu. Der zur Westtüfte sanft absteigende Darzwald ist durch eine große Anzahl quer durch die Halbinsel streichender ehe­maliger Dünen und Schluchten zerrissen, in deren moorigen Grün­den es weltvergessene und unzugängliche Moorteiche gibt. Bon früher her bevölkert diese urdeutschen Waldungen noch stattliches Hirsch- und Rehwild.

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Hat dieser große Satiriker, vielleicht der einzige, den Deutschland  bisher hervorgebracht hat, nicht auch in allem übrigen das Wesen des deutschen   Philifters erfannt? Wie flug auch die Maschinen sind, welche die Menschen schmieden, dem Ejel bleibt zu jeder Zeit fein ficheres Dasein beschieden. Der Himmel verläßt seine Esel nicht, die ruhig im Pflichtgefühle, wie ihre frommen Bäter getan, tagtäglich traben zur Mühle."

Wird Heine   vom deutschen   Spießbürger gehaßt, so sollte der große Berfünder menschlicher Freiheit, der Feind aller Unterdrücker, der erste Sänger des sozialen Elends, um so mehr vom arbeitenden

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An der Grenzscheide zmeier Zeitalter starb dieser größte Revo lutionär der deutschen   Dichtung. Er erlebte in Paris   die Morgenröte des Sozialismus. Er hatte noch Fourier gekannt und berichtet voll Ehrfurcht. wie oft er ihn in seinem grauen abgeschabten Rod an den Häuserpfeilern entlangschreiten sah und wie dieser Prophet der fozialen Umwälzung während er sich mit der leidenden Menschheit, dem aroßen Batienten beschäftigte und Heilmittel erfann für dessen acht­zehnhundertjähriges Gebreste, sein Leben nur durch Bettein fristete." Er begrüßte in Paris   enthusiastisch den Jüngling Lassalle  , und er fah prophetisch den Aufstieg der Arbeiterklasse. Er ist in dem Deutschland   der Arbeit und der freien Geistigkeit heute so lebendig wie vor fast einem Jahrhundert, das Volk wird ihn nie vergessen, und wenn das reaftionäre Bürgertum ihm Gedenffeiern und ein Denkmal verweigert, so wird diese Kulturschmach wettgemacht durch die Liebe und Berehrung des Voltes für seinen leidenschaftlichsten und wortgewaltigsten Sänger. Paul Gutmann.

Alphonse Croziere: Der Hut

Nachdem ich meinen psychologischen Roman mit dem Titel ,, Zwei Märtyrerherzen" fertig geschrieben hatte, warf ich mich in meinen besten Staat und begab mich fort, um das Buch Herrn Hinhalt, dem Berleger, zu unterbreiten. Es war eine schmere Belastung für meine angeborene Bescheidenheit.

In Bälbe betrat ich einen feierlich anmutenden Raum, in dem tiefftes Gdyweigen vorgeschrieben sein mußte. Daselbst wandte ich mich an einen jungen Angestellten, der trübsinnig ein Batet zu­sammenschnürte.

,, Berzeihung, fönnte ich mit Herrn Hinhalt sprechen?" ,, Aus welchem Grunde?"

Es ist wegen eines Manuftripts."

Er maß mich mit der gleichen verächtlichen Miene, als ob ich ihm Fliegentüten angeboten hätte; dann jagte er schroff: Ganz hinten rechts."

Ganz hinten rechts wurde ich von einem alten Schreiber empfangen, dem ich meinen Wunsch auseinanderseßte, Leider mar der gute Mann stocktaub. Er glaubte, ich wäre getommen, um Gelb zu bringen und schleppte mich zur Kaffe. Es toftete mich Mühe, ihm begreiflich zu machen, weshalb ich eigentlich gekommen war. Nachdem er es endlich begriffen hatte, stieß der biedere Alte die Zür zu einem großen, düsteren Raume auf.

Sehen Sie sich, der Chef wird gleich fommen."

Ich ließ mich auf einem Stuhl nieder, legte meinen Filzhut auf einen breiten Ledersessel und wischte mir den Schweiß von der

Stirn. Dann fiel mein Blick auf die Stöße von Schriftstücken, die sich an allen Enden und Eden häuften, sowie auf einen antiken Stich: er stellte einen fleinen Jungen im Badeanzug dar, der mit

einer Krabbe spielte.

Endlich öffnete sich die Tür. Ich schoß in die Höhe. Herr Hinhalt machte einen großartigen Eindruck auf mich. Er grüßte mich furz, forderte mich auf, Platz zu nehmen und ließ sich dann mit der ganzen Wucht seines Körpers auf dem Sessel nieder, mo ich meinen Hut hingelegt hatte. Ich verspürte eine unbeschreibliche Angst. Man dente nur: mein neuer Hut!

Run, womit tonn ich Ihnen dienen?" fragte er mit leiser

Stimme.

Jetzt holte ich linfisch mein Mamuffript aus seinem Umschlage hervor. Es ist," stammelte ich, eine Arbeit, die ich mit besonderer Sorgfalt vorgenommen habe. Ich hege nur einen Wunsch: daß Sie beim Lesen genau dieselbe Freude haben wie ich beim Schreiben." Diese schwungvolle fleine Rede hatte ich mir schon lange ein geübt. Leider kam sie nicht mit der gewollten Sicherheit heraus, denn ich dachte an nichts anderes als an meinen armen Filzbut, der zwischen dem Sessel und der Hinterseite des Herrn Hinhalt zerdrückt dalag.

Er warf einen fühlen Blick auf den Titel.

Zwei Märtyrerherzen. Hm, hm, etwas peraltet. Warum wollen Sie nicht der Tagesströmung folgen? Machen wir daraus lieber: Mord an zwei Herzen". Sc was zieht und fodt zum Rauf."

,, Aber gang wie Sie wollen!" Er überflog rasch die erste Seite und mußte mit meiner Phantasie, die gleich am Anfang die schönsten Blüten getrieben hatte, zufrieden sein. Denn er geruhte lächelnd zu sagen: Sehr schön. Ich werde Ihnen in etwa vierzehn Tagen eine Antwort geben. Ich habe allen Grund anzunehmen, daß sie he= friedigend ausfallen wird und daß wir uns verständigen tönnen." Ich hätte ihn am liebsten umarmt. Dann wurde er fast freundschaftlich, befragte mich über meine gewöhnliche Beschäftigung und brachte durch geschickte Fragen heraus, daß ich feinerlei persönliche Bermögen besaß und mit den Lebens­unterhalt durch Schreiben von Romanen zu perdienen gedachte.

Als er aufstand und fah, wie ich die Hand furchtsam ausstrecte, um mir den Hut, über den eine Dampfwalze gegangen zu fein schien, wieder zu nehmen, rief er entfett:

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ie, ich habe darauf gesessen? Ich weiß wirklich nicht, wie ich mich für meine Unachtsamkeit entschuldigen soll.. ,, Aber das hat nichts zu bedeuten," fagte ich mit blöder Wiene. Das läßt sich wieder gutmachen.

,, Das ist möglich, aber die Sache ist mir trotzdem recht peinlich." Laffen Sie sich deswegen teine grauen Haare wachsen," wehrte ich in meiner Einfalt ab. Da meinte er tröstend:

Bengt Berg   hat nun angeregt, diesen, wie er sagt ,,, urteutoni­fchen", mafferumrauschten Waldkompler zu einem Urmilopart auszugeftalten. Es schweben ihm dabei die bekannten Naturschutz­Reservationen in den Bereinigten Staaten vor. Er hält es fogar für möglich, hier eine Herde von Wisenten zu begründen, und hat feine Anregungen bereits der prochen Regierung unterbreitet, in deren Staatsbesiz sich der Darßund befindet. Man erinnert sich hierbei daran, daß ein ähnlicher Borschlag vor Jahrzehnten in bezug auf das ebenfalls noch sehr urwüchsige Waldgebiet am Benemünder Haken( Vogelfreiftatt an der Nordwestspige der Insel Usedom  ) ge­macht wurde, Der Darhwald ist schon seit Jahrzehnten ein begehrtes 3iel namhafter Landschaftsmaler. Prerow   und Uhrenhops( legteres am Uebergang vom Darß zum Festland) wurden bekannte Maler­folonien".

Ein Pud Zucker für eine Frau

Von Dobriansky

Der Berfasser war Teilnehmer an einer Expedition in den aserbeid.| eine Vorstellung von den Moralbegriffen, in welchen die Ein­schanischen Kurdistan   und hatte Gelegenheit, die barbarischen Gitten der geborenen von ihren Arakalen erzogen werden und von der eigen­Eingeborenen zu studieren. Wir bringen einen Auszug aus seinen über. aus intereffanten Reifenotizen.

Im Innern Rußlands   wurde vor Jahren ein großes Dorf entdeckt, das von der Welt so abgeschnitten gewesen war, daß seine Einwohner von Weltkrieg und Revolution unberührt blieben, ja sie wußten nicht einmal, daß er feinen Baren mehr gab und daß ganz andere Berhältnisse eingetreten waren. Dieser Fall fann vielleicht eine Vorstellung von der ungeheuren Ausdehnung Rußlands  geben, das in sich Länder birgt, die der Wissenschaft noch unbekannt oder nur halb erforscht und dabei so groß sind, daß manches euro­päische Land in jedem von ihnen ein paarmal Plag fände. Wenn sie auch mit dem Reich administrativ zusammenhängen, so haben diese Länder oft nur eine lose Verbindung mit Rußland   und ihre Be­völkerungen sind von der Zivilisation noch vollkommen unberührt. Schilderungen aus diesen Gebieten flingen wie Darstellungen eines Lebens, das Jahrhunderte zurückliegen mag, und dennoch ist es lebendige Gegenwart.

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Nicht fern von den Pforten Europas  , im afferbeidschanischen Kurdistan  , ist die Entwicklung der Menschheit in einem Anfangs­stadium stehen geblieben, und die Bevölkerung dieses Landes schon hart bedrängt von den Einflüssen des europäischen   Rußland  bewahrt hartnäckig, von der Unwegsamkeit der Heimat begünstigt, die fonderbaren Bräuche, die ihr ein barbarisches Sittengesetz vorschreibt. Greise Priester, Agafalen, sind die finsteren Hüter der Traditionen der furdischen Dörfer, der Kischlafs, die aus Erdhütten und Filz jurten bestehen. Die Agakalen sind zugleich auch Richter, die nach einem ungeschriebenen Gesetz urteilen. Ein ordentliches ruffisches Gericht tommt in manche Rischlafs nur einmal im Jahre. Es ist dies ein Sendgericht, das das Land bereist, um über die schweren Fälle Mord, Raub und Blutrache zu urteilen. Während der Anwesenheit unserer Expedition in Mintend, dem größten Kischiat des Landes, tagte dort ein solches Gericht. Der wichtigste Fall, der zur Berhandlung stand, war bezeichnend für die kulturelle Verfassung der Bevölkerung. Es handelte sich um einen Mord an einer 14jährigen Frau, den ihr eigner Mann begangen hatte. Die schreckliche Tat im Einverständnis mit der Familie des Opfers vollbracht worden, und zwar darum, weil der Gatte und die Familie gefunden hatten, daß die Bierzehnjährige perdorben" sei. Ein regelrechter Familienrat beschloß nun den Tod des armen Kindes, und der Gatte nahm es auf sich, diesen Beschluß durchzuführen. Er erwürgte seine junge Frau und warf fie dann von einem Felsen hinunter. Diese entfeßliche Episode gibt

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tümlichen Familienehre", der hier gehuldigt wird. Viele dieser Gesetzgebung streng verfolgt wird, bleiben unaufgedeckt, weil die Fälle und vor allem solche von Polygamie, die von der russischen Majorität der Bevölkerung der scheriatischen Moral die Treue hält. Außerordentlich charakteristisch für diese Moral ist die entwürdigende Stellung der Frau. Sie ist die Schwerarbeiterin, ja oft die einzige Arbeiterin in der Familie. Arbeiterin in der Familie. Ein furdisches Sprichwort stellt diese Tatsache recht naiv fest: Ich habe ein Pferd, um meine Habe zu führen, einen Hund, um sie zu bewachen, und eine Frau, um sie zu schaffen. Deffenungeachtet genießt die Frau nicht das geringste Ansehen: fie darf sich zum Beispiel nicht in ein männliches Gespräch hineinmischen und ist ihrem Mann zu blindem, sflavischem Gehorsam verpflichtet. Nicht nur das: die Frau ist ein unreines Wesen. Während ihres Unwohlfeins und auch 40 Tage nach einer Geburt, darf sie, weil sie den Eingeborenen noch unreiner erscheint als sonst, kein Brot baden, tein Geschirr anrühren, fein Gebet vortragen und feine Besuche machen. Noch heute wird die Frau von ihrem Zu­fünftigen den Eltern einfach abgetauft. Kalym, der Kaufpreis, beträgt meistens fünf, sechs Schafe, eine Kuh oder einen Ochsen oder 1 Bud Zucker( gegen 16,5 Kilogramm). Die getaufte Frau wird vollständig Eigentum des Mannes. Darum ist es nicht weiter ver­wunderlich, daß dieser glaubt, mit ihr verfahren zu dürfen, wie es ihm beliebt. Der Borsigende des reifenden Gerichtes erzählte uns, daß darum die Opfer der meisten Morde Frauen sind. Die Motive für diese Greultaten sind meistens in dem Streben nach Rache für eine beleidigte Familienehre zu suchen Als Beispiel dafür erzählte uns ein Lehrer, daß vor einer Reihe von Jahren im Dorfe Alchasly eine verwitwete Frau von ihrem Bruder ermordet wurde, weil sie ein von seinem Standpunkt leichtsinniges Benehmen gezeigt hätte. Der Mörder glaubte durchaus ehrenhaft und seiner Pflicht als treuer Bruder gemäß zu verfahren. Nachdem er die Schwester erwürgt und damit der Familienehre Genuntuung verschafft hatte. hännte er die Leiche am Eingang des Hauses zur Schau auf, damit sie den anderen Frauen zur Warnung und Lehre diene. Die Leidenschaftslosigkeit, mit der uns diele Dinge erzählt wurden, beweist, wie sehr man hier an solche Vorfälle gewöhnt ist und wie sehr sie an der Tages­ordnung sind. Es wird auch folange so bleiben, solange dieses primitive Bolt den Arafalen ausgeliefert bleibt und, fern von jeder 3ivilisation, in seinen Erdhöhlen und Filzjurten hauft. Aber schon ziehen Wanderlehrer durch das Land, und neben den Filzjurten er heben sich schon die Woltentrager der Zivilisation.