mehr irrt als früher, sondern daß man fich damals zum größten Teil aus Eigensinn gegen Wiederaufnahmeverfahren verschloß. Gerade unter Herrn Deerbergs Mitwirkung sind ja folche Biederaufnahmeverfahren in Gang gekommen.( Der Redner führt eine ganze Reihe von solchen Fällen an, mo nachträglich festgestellt wurde, daß nad) jahrelanger 3uchthaushaft wegen Mordes und anderer fchwerer Verbrechen Berurteilte rehabilitiert wurden. In einem Fall fam das Wiederaufnahmeverfahren zu spät, da der unschuldig Verurteilte inzwischer im Zuchthaus verstorben mar.)
Wie fann sich nach diesen Beispielen Herr Steuer hier hinstellen und behaupten, daß Justizmorde unmöglich sind!
Wir sind der Auffassung, daß angesichts der unglaublichen Berrohung unserer Zeit der Staat zuerst mit gutem Beispiel vorangehen und das Gebot beachten muß: Du sollst nicht löfen!( Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.)
Den Fall des Stahlhelmführers Düfterberg in Halle versuchte Herr Steuer ganz harmlos hinzustellen. Demgegenüber jei noch einmal festgestellt, worum es sich handelt. Düſterberg hat behauptet, daß der damalige Innenminister Grzesinski im Solde des Feindbundes steht. Dafür habe er sich einen Orden verdient, den er sich an seinen Frack heften möge, damit man ihn bei seinen festlichen Gelagen besser von einem Kellner unterscheiden tann.( Stürmisches hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Jetzt ist es glücklich das vierte Verfahren, das wegen dieser ganz eindeutigen Beleidigung und Verleumdung schwebt!
Herr Steuer hat auch behauptet, daß die Sozialdemokratie 1918 Landesverrat begangen und das deutsche Volk mit Gewalt gezwungen hat, mit demokratischen Karten zu spielen. Ich stelle fest, daß 1918 in feinem Falle Gewalt angewendet worden ist. Es war nämlich überhaupt feiner da, gegen den man Gewalt hätte anwenden tönnen. Denn alle die Herren, die heute so gewaltig den Mund aufreißen, haben damals nicht die Verpflichtung gefühlt, das alte System gegen ble Demokratie zu verteidigen.( Sehr richtig! bei den Sozialdemofraten.) Wir haben auch nicht den politischen Mord als die Voraus jehung zur Verhinderung eines Verfassungsbruches gebilligt. Die aus solchen Motiven entsprungene Tat Friedrich Adlers, der in Desterreich den Grafen Stürgh erschoß, ist damals von der sozialdemokratischen Presse mißbilligt worden. Immerhin mar es eine Tat des Mutes und nicht auf eine Stufe zu stellen mit den Verbrechen feiger Fememörder.( Sehr wahr! bei den Sozialdemo= fraten.) Wir verwerfen grundsätzlich die Gewalt des einzelnen als politisches Kampfmittel.( Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) 3m allgemein ist unsere Krifit als fachlich anerkannt worden. Trotzdem hat man versucht, alles auf jogenannte Einzelfälle abzufchieben. Zweifellos aber handelt es sich um ein System. Der Redakteur der„ Saale- Zeitung" Elze fonnte u. a. schreiben, die Zustimmung Otto Brauns sei nichts weiter, als eine Judasscharioth- Tat. Er sollte so tun wie jener: hingehen und sich auf hängen, weil er die Ehrlichkeit verkauft habe! Das Urteil war ein Freispruch mit der Begründung, daß er in starter Erregung und in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt habe. In den Urteil findet sich weiter der Saß, daß aus der Form nicht die Absicht der Beleidigung hervorgeht.( Große Bewegung und Unruhe lints und in der Mitte.)
Dergleichen fann auch Hindenburg passieren. Goebbels ist ber fanntlich schon freigesprochen worden dafür, daß er die Worte schrieb: Lebt Hindenburg noch?, als er dem Reichspräsidenten völlige Apathie vorwerf und ihn beschuldigte, daß er tatenlos dem Elend des deutschen Boltes zufehe. Das tonnte in Berlin passieren, nicht in Hinterpommern! Solche Fälle fönnte ich Ihnen wochenlang vor tragen.
In Naumburg fomohl als auch in alle sind die leitenden Juftizbeamten völlisch oder nationalistisch. In Halle fiẞt Herr Landgerichtsdirektor Bühnemann im Löwenbräu und rühmt fich den Nazis gegenüber seiner Heldentaten und der Schikanen von Mitgliedern des republitanischen Richterbundes. Das alles find feine Cinzelfälle, hier handelt es sich um Ausflüsse eines Systems, das wir mit aller Entſchiedenheit bekämpfen.( Sehr gut! bei den Sosial
bemotraten.)
Dabei erfennen mir an, daß die Richter sich meist in mirtschaft. lich bedrängter Bage befinden, treue Arbeit leisten und in den meisten Fallen gemissenhaft und objettiv Recht sprechen. Nicht piese greifen mir an, sondern diejenigen, die eine politische Tendenz in die Justiz tragen und nicht objektin find.
Ganz zweifellos tönnte die Justiz angesichts der beispiellofen Berrohung bes öffentlichen Lebens mehr tan, als fie tut. Bir machen nicht die bis zur Besinnungslosigkeit von Hegern fanatifierten jungen Leute für Ausschreitungen und Bluttaten verantwortlich. Unter dem olten System wurde der Schriftsteller Brandt zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, weil er den Reichstanzler Bülow beleidigte, als er ihn homoferueller Neigungen beschuldigte. Man tann über das Strafmaß gemis ftreiten. Es scheint aber, daß heute geradezu Prämien ausgefekt werden für Berleumdungen von Männern in exponierter Stellung. Die Kräntung der persönlichen Ehre darf nicht weiter als Kleinigkeit betrachtet werden.( Sehr wahr! bei den Sozialdemokaten.)
Unsere Kritik an der Justiz ist fachlich und nicht beschimpfend. Sie hat den Zwed, dem Fortschritt des Rechtsgefühls, des Rechtes und der Menschlichkeit zu dienen. Nicht umsonst stand an der Wiege der Sozialdemokratie das alte Kampflied, das mit den Worten beginnt:
Wohlan, wer Recht und Wahrheit achtet, Zu unserer Fahne steht zu Hauf! ( Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.)
Abg. Grebe( 3.) wendet sich ebenfalls gegen die Ausführungen des Abgeordneten Steuer. Ebenfalls sei die Kritit an der Personalpolitit des Ministers zurückzuweisen. Hierauf bespricht der Redner Beamtenfragen.
Abg. Steinfurth( Konum.) erklärt, daß die Justiz gefesselt sei. Gegen das Proletariat jei fie aber entfeffelt, um den Faschismus ter Regierung Braun durchzuführen Er tritisiert Strafanstalten und die Ausbeutung der Gefangenen durch Unternehmer. In Köln habe man einen neuen Juftismord verübt. Dort sei der Arbeiter Koch gestorben, weil ihn troh Strankheit der Gefängnisarzt für haft. fähig erklärt habe.
Die Debatte über den Justizhaushalt wird hierauf abgebrochen und auf Dienstag, 12 Uhr, vertagt.
Reynauds Rolle im Ouftric- Prozeß. Eine Rechtfertigungsrede vor dem Untersuchungsausschuß.
Paris , 27. Februar( Eigenbericht). Bor der parlamentarischen Untersuchungstommiffion im Duftric Standal erschien am Freitag der ehemalige Finanzminister und gegenwärtige Solonial minister Reynaud , der an der Pariser Börse im Oktober vorigen Jahres bas höchft eigen artige Polizeiverfahren gegen die Baiffiers einleiten ließ
Regnaud erklärte in einer gut ausgearbeiteten Rede, daß er für diese Maßnahme nach wie vor persönlich einstehe. Er beftritt jedoch, das Verfahren zum Schuze Duftrics unternommen zu haben; die gesamte börsentechnische Lage habe damals ein rigoroses Einschreiten erfordert, da sich die Baisjespetulation ausnahmslos über alle, selbst über die besten Werte geworfen hatte unb tatastro phale 3ufammenbrüche heraufbeschworen hätte. Daß er, Reynaud , die Art dieser Manöver richtig beurteilt habe, beweise, daß sofort nach der Einleitung des Polizeiverfahrens das Fallen der Surfe aufgajárt habe. In: übrigen, les Rennard, tabe er mi dem ganzen Duftric- Standal nichts anderes zu schaffen gehabt, als daß er bie Bant Abam und die dem Duftric- Konzern zugehörigen Subfabriten vor bem Sujammenbrudh bemohrt habe.
Franzen- Polizei.
In Braunschweig wurde ein Schußpolizist gezwungen, in feinem Bericht aus einem als Messerhelden festgestellten Nationalsozialisten eine Person" zu machen.
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TEINE PERSON
Die Polizei denkt, Nazi- Börner lenft!
BERICHT
POFT
EINWAZI
EX
der Auflösung des Unterhauses enden tönnte. Niemand wäre aber dadurch schwerer getroffen als die Liberalen, die in Wahrheit am Donnerstag nur das Spiel der Konservativen getrieben haben. Es würde eine Neuwahl ohne Wahlreform bedeuten, denn es tann tein Zweifel darüber bestehen, daß bei dem in der nächsten Woche zur Beratung stehenden neuen Wahlgesetz auch die Arbeiter
Wenn es eines Beweises bedurft hätte, daß alle bisherigen Meldungen über einen Stoalitionspaft zwischen der Arbeiterpartei und den Liberalen unrichtig sind, so lieferte ihn die Vereinigung der den Liberalen unrichtig sind, so lieferte ihn die Vereinigung der Riberalen und Konservativen gegen das neue Gewerkschaftsgefeg. Mit 37 gegen 31 Stimmen wurde in der Unterhaus Rommission der liberale 3ufazantrag angespartei der von ihr bisher den Liberalen zugestandenen Alternativnommen, der nicht nur den Generalstreif und jeden politischen Streit als friminelles Bergehen stempelt, sondern auch
jeden größeren Streit und jeden größeren Cohutamps.
Der entschelbende Sag bes Bedürftes der Stommiſſion ſoutet: Ber durch Strelt oder Ausfperrung die Allgemeinbeit oder wichtige Teile der Allgemeinheit der Gefahr ausfest, daß die Lieferung Don Bebensmitteln, Basser, Gas oder anderen lebenswich tigen Bedarfs gestört mird, macht sich eines friminellen Ber brechens dubig." Dieser Satz macht nicht nur das gesamte neue Gewerkschaftsgesetz mertlos, fondern verschärft fogar das im Jahre 1927 erlassene Baldwinsche Ausnahmegesetz Dieses konser ratine Gesetz verbietet nur den Generalstreif und den politischen Streit. Die Liberalen wollen jedoch in Zukunft jeden größeren Streit verhindern. Kein Eisenbahner, fein Bergmann, fein Trans. portarbeiter fönnte es fünftig wagen, in einen Lohnkampf zu treten. Selbst ein liberales Blatt wie der Manchester Guardian" übt hieran scharffte Kritit, indem er sagt: Selbst für die Liberale Partei ist es eine völlig neue Dottrin, wenn der Arbeiterschaft das Streifrecht genommen werden soll.
Der Artikel des Manchester Guardian" zeigt, wie unan= wird. In der Lat : der tonservativ- liberale Kommissionsbeschluß genehm der liberale Antrag felbft in liberalen Kreifen empfunden würde, wenn er bestehen bleibt, dem neuen Gewerkschaftsgesetz den Todesstoß geben. Damit
wäre aber auch gleichzeitig jede weitere Zusammenarbeit zwischen
der Arbeiterregierung und den Liberalen unmöglich
wahl das gleiche Schicksal bereiten werden, wie es jetzt das Gewerkschaftsgesetz durch die Liberalen erlitten hat. Damit wäre aber gleichzeitig die bisherige Tattit Blond Georges wie ein Startenhous betonen beshalb verschiedene- eng
menger, bus ber to get Stommillions bezobungen langenöromena Tiberale Antrag einen Sieg des rechten Ingels der Lipe fiche Blatter, in den ralen und eine schwere Niederlage von Blond George bedeute.
Die Arbeiterregierung wird am Montag gu ber neugeschaffenent palitischen Lage Stellung nehmen. Was sie auch beschließen mag, das liberale Vorgehen ist eine Kriegserflärung an die Labour Party und an die englische Gewerkschaftsbewegung. So sieht es auch der Generalrat der Gewerkschaften. In seinem Auftrag hat am Freitag der Borsitzende Citrine dem Ministerpräsi denten schriftlich mitgeteilt, daß der liberale Antrag eine Heraus forderung der gesamten Gewerkschaftsbewegung sei und der Generalrat diese Herausforderung annehme. Für die Gemertso heißt es in dem Brief weiter schaften ist jetzt das Gesetz
völlig
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werflos und unannehmbar
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ihrem Sprecher Jowitt für die unvergeßliche Art, mit der er in den geworden, da es die Arbeiterschaft ihrer primitivsten Rechte berauben will. Die Gewerkschaften danken der Regierung und vor allem Kommissionsberatungen das Arbeitsrecht gegen die liberal- konser= vative Koalition verteidigte. Durch den neuen Beschluß sollen die Gewerkschaften bis in das Jahr 1871 zurüdgeworfen werden. Aber wir haben ähnliche Anschläge in früheren Jahren abzumehren ver
geworden und eine politische rise eröffnet, die mir mit standen, und wir werden es auch jetzt zu tun wissen."
Belgische Sozialisten sollen helfen. Lockende Koalitionsangebote, aber starte Bedenten. Brüffel, 27. Februar( Eigenbericht).
Die politische Lage in Belgien hat sich plötzlich zugespitzt. Die Regierungsmehrheit ist in einer großen Reihe von Fragen hoffnungslos gespalten. In der gegenwärtig im Senat behandelten Frage der Erhöhung des Einfuhrzolles auf Hafer betämpfen sich der Landwirtschaftsminister Baels und der Außenminister Hymans auf offener Tribüne. Dazu kommen die emigen Unzuträglichkeiten in der Sprachenfrage, die Schwierigkeiten in bezug auf die Militärvorlage und verschiedene persönliche
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Reibereien. Unter diesen Umständen prophezeif man der Regierung Jasper fein langes Leben mehr. Schon verschiedentlich hatte man Don Regierungsseite den Sozialisten zu verstehen gegeben, daß man ihren Eintritt in die Regierung nicht ungern sehen würde. Jezt aber fir sehr verantwortungsvolle Persönlichkeiten der Regierungsparteien offen an die sozialistischen Führer herangegangen, um sie zur Teilnahme an einer Dreis parteten Regierung zu bewegen. Da man längst meiß, baß die Sozialisten dies entschieben ablehnen, bis nicht Neumahlen den Willen der Wähler deutlich fundgetan haben, so hat man sich jetzt erst entschlossen, einen stärkeren Drud auf die Sozia. listen auszuüben, indem man ihnen den Vorschlag macht, der e gierungsteilnahme zum ausdrücklichen Zwecke der Verwirts lichung der Sozialversicherung zuzustimmen. Das ist natürlich eine sehr wichtige Forderung für diese Partei, aber fic wird es sich noch sehr gründlich überlegen, ob sie sich auf eine der artige Kombination einläßt, denn die Jasper- Regierung hat in den legten vier Jahren eine so schwere finanzpolitische Weißwirtschaft getrieben, insbesondere durch Herabfeßung der Befigsteuern unter gleichzeitiger fortgefeßter Erhöhung der Kriegsausgaben eine fo schmere finanzielle Lage geschaffen, daß es schwer einzusehen ist, mo
das Geld für eine Sozialversicherung, wie sie vor allem die Sozialisten befriedigen fönnte, herkommen soll. Auf keinen Fall tönnten die Sozialisten den für die Festungsbauten angeforderten 300 millionen Franten zustimmen. Immerhin ist in der nächsten Zukunft mit einer lebhafteren Entwicklung auf der politischen Bühne zu rechnen.
Frankreichs Arbeitslosigkeit. Linderungsvorschläge auf dem Rücken der Ausländer. Paris , 27. Februar.( Eigenbericht.)
Im Auftrag der Regierung hat der Wirtschaftsrat Frankreichs ein Programm zur Linderung der Arbeitslosig Teit aufgestellt.
Wie hoch die Ziffer der Arbeitslosen zu veranschlagen ist, gibt das Dokument nicht an. Es beschränkt sich auf die Angabe, daß etwa ein Fünftel der Arbeiterschaft nur nody 40 Stunden in der Woche beschäftigt sei. Was der Wirtschaftsrat als Abhilfe gegen die Arbeitslosigkeit vorzuschlagen hat, ist im großen und ganzen die schon von Boincaré während der Frankentrife angewandte Taftif, die Ausländer abzuschieben. So schlägt der Wirtschaftsrat vor, daß zunächst einmal die Grenzen gesperrt werden müßten. Dann aber müsse jeder Ausländer, der arbeitslos geworden fet oder sich als landwirtschaftlicher Arbeiter verbingt habe, später aber zur Industrie abgewandert fet, unverzüglich abtrans. portiert werden. Im übrigen sei durch Arbeitsstreckung und burch energischen behördlichen Drud jede Arbeiterentiaffung zu vermeiben. Auch müsse das große Finanzprogramm zur Anfurbelung der Wirtschaft schleunigft als Rotstandsprogramm durchgeführt werden. Endlich müffe man versuchen, arbeitslos gewordene n dustriearbeiter in der Sandwirtschaft unterzubringen, um so auch den Suzug landwirtschaftlicher Saisonarbeiter aus dem Ausland zu verhindern.