Nr 159• 48. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Gonntag. 5 April 1931
Freidenker und Notverordnung.
Ausnahmezustand! Von Max Sievers . Die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 28. März bedeutet einen scharfen Eingriff in die durch die Reichsoer- faffung gewährleistete politische Bewegungsfrecheit des Staats- bürgers. Trotzdem haben ihre Bestimmungen in der Oeffent- lichkeit nur wenig Widerstand gefunden, weil sie allgemein als eine Kampfmaßnahme gegen daspolitischeRowdy- tum aufgefaßt werden. Daß im Kampf gegen diese rohen, auch vor Mordtaten nicht zurückschreckenden Auswüchse des politischen Kampfes die ganze Härte der staatlichen Machtmittel eingesetzt werden muß, kann kein vernünftiger Mensch bestreiten.' Ob aber mit dieser Notverordnung dieses Ziel erreicht wird, ob sie nicht leicht in das Gegenteil umschlagen kann, nach dieser Richtung sind ernste Bedenken durchaus berechtigt. Es ist nicht der Zweck dieses Artikels, diese Bedenken in ihrem ganzen Umfang darzulegen, nur zu dem folgenden sei Stellung genommen. Der ganze, nach den amtlichen Kommentatoren gewollte Zweck dieser Notverordnung wird erheblich dadurch verwischt, daß sie eine ganz unnötig scharfe Kulturkampf- n o t e aufweist. Es ist ein unerhört unsachliches Vorgehen, wenn in der Notverordnung die Agitation der Frei- denkerbewegung auf das gleiche Niveau gestellt wird mit dem Treiben des politischen Nowdytums. Auch hier darf man den Einwand nicht gelten lasten, als wenn die Veranstaltungen der kommunistischen Gottlosen die berechtigten Vorwände geliefert hätten. Die hinter der Notverordnung stehenden kirchlichen Kreise wisten sehr genau, daß ihnen von kommunistischer Seite her gar keine Gefahr droht, und daß die ebenso blöden wie geistlosen Kampfesmethoden der bolschewistischen Gottlosenpropaganda wenig geeignet sind, der Kirche massenhaft Anhänger zu ent- ziehen. Wer die Kirchenpresse verfolgt, weiß seit Monaten, daß ew großer Schlag gegen die gesamte und in erster Linie gegen die nicht kommunistische Freidenkerbewegung, vor allem gegen den Deutschen Freidenker- verband geplant ist. An diesem Kampf liegt dem Zentrumsminister mehr als an dem Kampf um die Er- Haltung der Republik . Die streng katholische„Augsburger Poftzeitung" schrieb am 29. April 1930: «Wir Katholiken stellen fest, daß dl« Republik uns viel« Frei- heilen gebracht hat. Es ist gut, daß die Atheisten uns daran erinnern, daß auch st« von dieser Freiheit Nutzen ge- zogen haben. Wir lernen daraus, daß wir auch in der Gegenwart und erst recht in der Zukunft für die Freiheit und den Bestand unserer Weltanschauung zu sorgen und zu kämpfen haben... Wir lernen auch daraus, daß es falsch wäre, unser« politischen Energien etwa>m Kampf um die politische Staatsform zu erschöpfen. Wir müssen vielmehr auch im polltischen Staate unsere Weltanschauung zur Geltung bringen. Der Kampf um den christlichen oder unchristlichen Charakter de» Staates ist wichtiger als der Kampf um die Staatsfor in/ Und der Sachverständige der katholischen Kirche in Frei- denkerfragen. Pater Algermissen , schrieb in der �kölnischen Volkszeitung" am 16. Februar 1931: �.. Hier hat unsere Tätigkeit einzusetzen, die sich nicht auf papierene Proteste beschränkt, sondern klar sieht, daß der Einfluß des russischen Golllosenbundes sich schon längst bei uns auswirkt und ebenso klar bekennt, daß der zahlenmäßig und geistig be- deutender« Deutsche Freidenkerverband diesen antireligiösen Geist mit viel raffinierteren und deshalb vi«l gefährlicheren Methoden zum Sieg« zu verhelfen sucht.. Auf derselben Linie bewegt sich dann der„Bayerische Kurier" vom 2. Mai 1930: „Der ausgesprochen politisch« Tharakter des Deutschen Frei- denkerverbande« wird durch die Tatsach«, daß der Verband die organisierten kommunistischen Freidenker nicht mehr umschließt, nicht etwa verwischt, sondern im Gegenteil noch besonders gekräftigt. Weltanschauliche Motiv« können ja für die Trennung nicht maß- gebend gewesen sein... es waren politische bzw. parteipolitisch« Erwägungen..." Am 24. Februar 1931 schrieb die„Germania " unter der Ueberschrist„Uebele Freidenkerhetze": „Die Kirchenaustrittsbewegung des Deutschen Freidenker- Verbandes unterscheidet sich in keiner Weise von der der kom- mumstischen Freidenker. Sie hat mit dem Begriff der freien religiösen Ueberzeugung nichts mehr zu tun, sondern ist vielmehr di« sinngemäße Uebertragung des übelsten Rowdytums auf das kirchlich-religiöse Gebiet." Gerade diese letzte Auslassung des führenden katholischen Blattes zeigt, was man in diesen Kreisen unter politischem Rowdytum versteht. Denn der Anlaß zu dieser Schimpf- kanonade war e i n F l u g b l a t t d e s De u t s ch e n F r e>- denkerverbandes. das die Summen anführte, die der Staat jährlich den Kirchen zuschießt. Und was war denn sonst geschehen? Der größte Teil dieser und vieler anderer Aussprüche über die Freidenker- bewegung fiel im Rahmen einer Besprechung über den Kon- greß des Deutschen Freidenkerverbandes, der im April v. I. in Berlin stattfand und sich mit rein geistigen Fragen befaßte. So wurde seit Monaten die Hetze vorbereitet, die nun- mehr zur Ausnahmegesetzgebung gegen die freigeistige Welt- anschauung geführt hat und deren Auswirkungen sehr gut prophezeit werden können. Es liegt von nun an in dem Crmessen eines jeden Polizeibeamten, ob er eine Freidenkerversammlung genehmigt oder untersagt. Kein Minister, welche Absicht er auch immer verfolgen mag, wird verhüten können, daß die Entscheidung der Polizeibehörden je nach der individuellen Einstellung ihrer Organe in weltanschaulichen Fragen ausfällt. Ein xbeliebiger Polizeibeamter kann in einer ge- nehmigten Versammlung entscheiden, ob der Redner soeben eine Gotteslästerung ausgesprochen hat und dann diese Ver-
sammlung auflösen. Aus Gründen der Staatsraison wird jede Beschwerde gegen ein solches Verbot oder eine solche Auflösung wirkungslos verpuffen Diese Gefahren einer Ausnahmegesetzgebung treffen die Freidenkerbewegung viel schwerer als alle anderen Organi- fationen, weil einmal der Begriff der Gotteslästerung oder � Verächtlichmachung der Religion oder der Kirche gar nicht fest umrissen werden kann, sondern immer nur gefühlsmäßig � entschieden wird. Die Verneinung der Existenz eines Gottes,
An alle Mitglieder der Sozialdemokratie
Trage stets einige ZM.- Flugblätter bei dir.
die Verneinung der Auferstehung nach dem Tode kann— und auch hierfür liegen Erfahrungen vor—, als schwere Gotteslästerung angesehen werden, selbst wenn sie in der einwandfreiesten vornehmsten Form vorgetragen wird. Vor allem aber muß beachtet werden, daß alle ver- fassungsmäßigen und gesetzlichen Bestimmungen, die die Be- tätigung einer Freidenkerbewegung schützen sollen, immer als Kompromißformeln zur Welt gekommen sind, und darum schon keine feste Rechtssicherheit bieten. Die Gefahren dieser Notverordnung sind damit aber
keineswegs erschöpft. Nach ihrem§ 7 können ganze Vereinigungen. die wiederholt gegen die doch sehr kautschuk- artigen Bestimmungen der. Notverordnung verstoßen haben. aufgelöst werden. Und nun sei es ausgesprochen: Das Ver- bot der gesamten Freidenkerbewegung ist das Ziel.aufdas.die stark katholisch beein- flußte Regierung Brüning-Wirth hinzielt. Dem Preußischen Landtag liegt ja bereits folgender Antrag vor: „Das Staatsminifterium wird ersucht, gegen Organisationen, die unter Verächtlichmachung der Religion die organisierte Kirchen- austrittepropaganda fördern, einzuschreiten und zu prüfen, inwie- weit ihr Verbot und die Beschlagnahme ihres Werbematerials möglich ist." Die Kirche will nicht länger mit ansehen, daß der Deutsche Freidenkerverband heute bereits 600 000 Mitglieder umfaßt, sich jährlich um mindestens 50 000 vermehrt und jährlich mehr denn 100 000 Mitglieder der Kirche entreißt. Was diese in legalem geistigen Ringen mit der Vertretung der frei- geistigen Weltanschauung nicht erreicht, will sie auf dem illegalen Wege eines Ausnahmegesetzes durchsetzen. Gegen diese ebenso geistlosen wie reaktionären Methoden wird sich nicht nur die Freidenkerbewegung zur Wehr setzen, sondern hat sich auch die Sozialdemokratische Partei ' zu 'wenden. Die Freidenkerbewegung erwartet von der sozial- demokratischen Reichstagsfraktion und vom Parteivorstand, daß sie unverzüglich Sicherungen verlangen. Der Reichsinnenminister muß zur verbindlichen Aeußerung darüber veranlaßt werden, ob er die Kirchenaustritts- bewegung an sich verbieten will, ob er Versammlungen zu unterdrücken gedenkt, in denen vom weltanschaulichen Standpunkt aus im Sinne der Freidenker kritisch zu Fragen der Religion und Kirch« Stellung genommen wird. Die Partei muß entscheidenden Einfluß auf den Inhalt der Ausführunjjsbestimmungen nehmen, in denen verbindlich für alle Polizewrgane dargelegt werden muß, was unter groben Beschimpfungen zu oerstehen ist, und muß scharfe Grenzen für die Möglichkeit eines Verbotes oder einer Auf- lösung ziehen. Gelingt es der Partei nicht, diese unbedingten Siche- rungen zu schaffen, so wird sie, und sie hat die Möglichkeit dazu, die Notverordnungen zu Fall bringen müssen, weil sie sonst die Verantwortung dafür tragen müßte, wenn mit den Mitteln einer Ausnahmegesetzgebung eine Bewegung vernichtet wird, die nur deswegen so stark aufblühen konnte, well sie von rein sozialistischen Gesichtspunkten getragen ist. * NachschriftderRedaktion: Wir haben die Aus- führungen des Genossen Max S i e v e r s gern zum Abdruck gebracht, well wir mit ihm einig sind in der Absicht, die Frei- denkerbewegung in ihrer legitimen Bewegungsfreiheit zu schützen. Wr meinen jedoch nicht, daß die Partei an Herrn Wirth Fragen stellen soll, wie er die Verordnung handhaben will— die Handhabung liegt bei den Landesbehörden sondern wir fo r d e r n, wie der„Vorwärts" das sofott nach dem Erscheinen der Verordnung getan hat, daß in allen Fragen des Glaubens oder Nichtglaubens, der Kirchen- Zugehörigkeit oder des Kirchenaustritts volle Freiheit gewahrt bleibt. Sollte sich herausstellen, daß die Verordnung statt gegen das radikale Rowdytum gegen die maßvollen und besonnenen Bestrebungen des Deutschen Freidenkerverbandes zur Anwendung gebracht wird, so wäre es auch nach unserer Auffassung die Pflicht der sozialdemokratischen Reichstags- fraktion, ihre Aufhebung herbeizuführen.
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1. Kreis Mitte. Dienstag, den 21. April, 19% Uhr, im Hacke schen Hof. Rosenthaler Str. 40/41, groher Saal. Musik. Fahnen- einmarsch der SAJ.. Rezitationen, Politische Revue. Ansprachen: Dr. Käthe Frankenthal, M. d. L.. Gertrud Ellert. AfA-Bund. 2. Kreis Tiergarten. Freitag, den 17. April, 19% Uhr, in den Arminiushallen, Bremer Str. 72, Vorführung der Lichtbiwferie „Im Westen nichts Neues". Ansprache: Franz Künstler, M. d. R. 3. Kreis Weddina. Freitag, den 17. April. 19% Uhr. in den Pharus-Sälen. Müllerftr. 142. Gesang. Rezitationen: Elfried« Wollmann, Vorführung der Lichtbildseri«„Kampf der Frau um den Sozialismus", Ansprache: Klara Bohm-Schuch. M. d. R. 4. Kreis Prenzlauer Berg . Dienstag, den 21. April, 19% Uhr. in der Aula der Schule Gleimstraße 49. Vorführung des Films „Lohnbuchhaller Kremke". Ansprach« Gertrud Hanna , M. d. L. 5. Kreis Friedrichshain . Montag, den 29. April, 19% Uhr, in den Andreas-Festsälen, Andreasstr. 21. Ansprachen: Mari« K u n e r t. M. d. R.. E l s e M i ch a e l i s. AfA-Bund. 6. Kreis Kreuzberg . Montag, den 29. April. 19% Uhr, im Orpheum. S. 59, Hafenheide 32/38, Vorführung des Films ..Lohnbuchhalter Kremke". Ansprachen: Genosse G rz e s i n s k i. Gertrud Hanna , ADGB . 7. Kreis Charlottenburg . Dienstag, den 21. April, 19% Uhr. in Ahlerls Festsälen, Berliner Str. 88, Vorführung des Films „Giftgas", Ansprache: Gertrud D üb y- Schweiz. 8. Kreis Spandau . Montag, den 29. April, 19% Uhr.(Lokal wird noch mitgeteilt). Ansprachen: Dr. Hildegard Weg- scheider. M. d. L.. Luis« Köhler. ADGB . 9. Kreis Wilmersdorf . Freitag, den 17. April, 19% Uhr, im „Viktoriagarten", Wilhelmsaue 114/115,„Unser Kampf gegen den Faschismus", Referentin: Mathilde Wurm , M. d. R., außerdem Ansprache der Genossm Gertud Ehler t, AfA- Bund. 10. Kreis Zehlendorf . Donnerstag, den 9. April, 29 Uhr, im „Lindenpark", Garten- Ecke Berliner Straße ,„Unser Kamps gegen den§ 218". Nähere Mitteilung wegen der Referentm erfolgt am Mittwoch, dem 8. April, im„Vorwästs".
11. Kreis Schöneberg . Dienstag, den 21. April, 19% Uhr, im Gesellschaftshaus des Westens, Hauptstr. 29/39(unterer Saal). Vorführung der Lichtbildserie„Im Westen nichts Neues", Re- femüin für die Gewerkschaft Frida Gladosch vom ADGB . Nähere Angaben folgen noch. 12. Kreis Steglitz . Montag, den 13. April, 19% Uhr, in den Lichterfelder Festsälen. Lichterfelde , Zehlendorfer Str. 5, Vor- führung de» Films„Giftgas", Ansprache: Käthe Kern. 13. Kreis Tempelhof , Mariendorf , Marienfelde , Lichten- rade. Mittwoch, den 15. April. 19% Uhr. in der Aula de« Realgymnasiums, Tempelhof , Kaiserin-Augusta-Straße, Gesang: Voltschor Tempelhof-Mariendorß Rezitationen: Friedet Hall, Emma
Ansprachen: Klara Bohm-Schuch, M. d. Ritsch«. ADGB . Montag, den 29. April. 19% Uhr, im Saal- Vorführung des Films„Lohnbuchhaller Dr. Meyer-Brodniß. Donnerstag, den 16. April, 19% Uhr. in Mörners Blumengarten, Oberschöneweide . Ostendstraße, Fahnen- einmarsch der SAJ., Gesang: Volkschor�„Südosten", Rezi- tationen, Ansprachen: Klara Bohm-Schuch, W. d. R.. Marie Weber. ADGB . 101. Abt. Treptow . Montag, den 27. April, 19% Uhr, im „Viktorlogarten", Am Treptower Park 25/26(vorm. Nitschke), Vorführung des Films„Lohnbuchhaller Kremke", Mitwirkung der SAJ., Ansprachen: Adele Schreiber-Krieger , M. d. R.. E m m a R i t s ch e. ADGB . Kreis Köpenick . Montag, den 29. April, 29 Uhr, im Stadt- theater Köpenick, Withelmplatz. Referat des Genossen Dr. Georg Löwen st«in. Außerdem Ansprache von Marie Weber, ADGB . 17. Kreis Lichtenberg . Sonntag, den 19. April.%12 Uhr vormittags, in der Städtischen Jugendbühne In der Schule Holtei- straße in Lichtenberg , Vorführung des Films„Lohnbuchhalter Kremke", Ansprachen: Minna Todenhagcn, Stadtver- ordnete. L u i s e K ä h l e r, M. d. L.. ADGB . 10. Kreis Pankow . Dienstag, 21. April. 19% Uhr, bei Linder. Breite Straße, Vorführung des Films„Lohnbuchhalter Kremke", Ansprachen: Marie Kunert , M. d. R., Else Krumm- sch m i d t, ADGB . 20. Kreis Reinickendorf . Sonntag, den 19. April, 14 Uhr, Film- Vorführung. Das Lokal wird noch bekanntgegeben. Ansprachen: Marie Kunert . M. d.R., Gertrud Hanna , ADGB .
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