Der Abend
6764
Erscheinttiglich außer Sonntags. Sugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Vf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition: Berlin SW68, Lindenstr. 3 Fernfprecher: Donhoff 292-297
Spätausgabe des„ Vorwärts"
10 Pf.
Nr. 183 B 92
48. Jahrgang
Anzeigenpreis: Die einfpaltige Nonpareillegeile 80 Pf., Reklamezeile 5 M. Ermäßigunaen nach Tarif. Poftfcheckkonto: Vorwärts- Verlag G. m. b... Berlin Nr. 37 536. Der Verlag behält sich das Recht der Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vor!
Rattenkönig von Fälschungen
Die Ehrengarde um Geldte, Hitler und Holz
Mit ihrem Schwindel über den angeblichen Aufruf der Boltsbeauftragten in geradezu grotester Weise haben sich die Fälscher vom Stahlhelm und Hakenkreuz in eine Sadgasse ver= rannt und blamiert.
Man überlege einmal, was diese Fälscherbande dem Publikum an Leichtgläubigkeit und Stupidität zumutet: Es soll glauben, daß der erste Aufruf der Revolutionsregierung", den sie angeblich an die breiteste Deffentlichkeit, an Arbeiter, Bauern, Soldaten, an alle" richtete, damals von allen Organen des öffentlichen Lebens völlig ignoriert, weber von einer bürgerlichen noch von einer sozialistischen Zeitung, auch nicht von den eigenen Organen der damaligen Regierung, dem Reichs anzeiger und. dem Reichsgesetzblatt abgedruckt wurde, daß er in tein öffentliches Archiv, in feine Bibliothet, in teine Samm lung der Revolutionsdokumente und fein Buch über die Revolution Aufnahme fand! Ist das nicht Tollhausphantasie?
Glaubt jemand, daß die erste Proflamation der neugebildeten Revolutionsregierung in Spanien , wo sich ja jetzt perselbe Aft des Bechfels der Staatsform abspielt, wie 1918 bei uns in Deutschland , von der Preise Spaniens usw. nicht veröffentlicht wird, daß er schließlich ohne jede Spur aus der Deffentlichfeit verschwinden fönne, wie es mit dem Aufruf unserer Volksbeauftragten angeblich geschehen ist? Was in Spanien unmöglich ist, ist natürlich erst recht in Deutschland , das so gut wie feine Analphabeten tennt, undenkbar. Schon diese allgemeine Bes trachtung zeigt, daß der angebliche, aber nirgends feststell bare Aufruf der Boltsbeauftragten eine Mystifitation ist. Der wirkliche erfte Aufruf der Boltsbeauftragten, datiert vom 12. November 1918, gerichtet„ An das deutsche Bolt", ist damals von allen Zeitungen veröffentlicht worden und heute in der Revolutionsliteratur, in den Archiven und Bibliotheken überall nachzuschlagen.
Wie Feuer und Wasser unterscheiden sich der wirkliche und Der gefälschte erste Aufruf der Boltsbeauftragten voneinander. Der mirtliche Aufruf, abgefaßt in der phrasenlosen juristisch geschliffenen, plastischen Sprache Haases, verkündet mit Ge fegestraft die Aufhebung des Belagerungszustandes, der Zensur, des Hilfsdienstzwanges und der Gesindeordnungen, dekretiert das unbeschränkte Bereins- und Bersammlungsrecht, das Recht der freien Meinungsäußerung und der Freiheit der Religions= übung, die politische Amnestie und die Wiederinfraftjeßung sozialpolitischer Schutzbestimmungen, die Einführung des Achtstundentages und der Erwerbslosenunterstützung sowie das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht. Noch nie vorher ist in einer einzigen Verordnung mit Gejeges: fraft in einfachen lapidaren Sägen so viel historischer Schutt beseitigt und ein so gewaltiger Rud nach vorwärts manifestiert worden als in diesem wirtlichen Aufruf der Volks= beauftragten!
Der gefälschte Aufruf dagegen ist ein Sammel, furium von politischen Schlagworten und phrasenhaften Redewendungen, die der damaligen inneren Einstellung der Boltsbeauftragten schnurstrads zuwiderlaufen, wie ich das an Beispielen gezeigt habe!
Bei der Agitation zur fächsischen Landtagswahl am 30. Juni 1930 abe ich ihn in der Gestalt des rofarofen Naziflugblattes aus München zum erstenmal zu Gesicht bekommen und veranlaßt, daß er in unserer sächsischen Parteipreffe als dreifte Fälschung gebrandmarkt wurde.
Am 8. Juli 1930 brachte der Wirtschaftsparteiler Coloffer dies Naziflugblatt im Reichstage zur Verlesung, worauf unser nächster Redner, Genosse Beine, auf Veranlassung des verstorbenen Dr. David das Machwert sofort als Mystifikation tennzeichnete.
Der deutschnationale Strigauer Anzeiger" hatte behauptet:„ Das Originalmanuskript zu diesem Aufruf befindet sich im Archin des Reichsinnenministeriums." Auf meine Anfrage beim Reichsinnenministerium erfolgte nach vorgenommenen sorgfältigen Nachforschungen, auch im Reichsarchiv die bekannte Antwort des Reichsinnenministers Dr. Birth an mich, daß es sich um eine ,, ungewöhnlich plumpe Fälschung" handle. Auch der Fridericus" hatte in seiner Nummer vom Sep. tember 1930 behauptet, daß er sogar in Archiven der Republik vorhanden ist". Dies Sudelblatt war offenbar die Quelle für den Striegauer Anzeiger" gewesen, auch bezüglich des Wortlautes des angeblichen Aufrufs. Beide hatten ihn datiert: ,, Berlin , den 9. NoDember 1918."
|
eng
lip and de
Blutiger Sonntag bei Pelfum
Kommunistische Gewaltakte.- Mehrere Tote
Wien , 20. April. Der Präsident des österreichischen Nationalrats Matthias Eldersch ist nach furzer Krankheit heute früh um 6 Uhr im 63. Lebensjahre gestorben. Eldersch , der Sozialdemokrat war,
Als kommunistische Demonstranten am Sonntag den Verfuch machten, trotz des behördlichen Verbotes zu dem Maffengrab der im März 1920 bei den Unruhen bei Bellum gefallenen 300 kom- Der Präsident des österreichischen Nationalrats gestorben. muniffen zu gelangen, tam es an der Gemeindegrenze von Peltum zu einem schweren Zusammenstoß mit Posten der £ andjägerei. Alles gütliche Zureden der Beamten, den Zug aufzulösen, war vergeblich. Als die Landjäger dann mit dem Gummifnüppel vorgingen, setzten sich die Kommuniffen zur Wehr, indem fie auf die Beamten einschlugen und einstachen. In dieser Situation machten die Posten von der Waffe Gebrauch. Nach einigen Schüssen in die Luft schossen fie scharf. Drei Personen wurden getötet, vier schwer verleht.
In den letzten Jahren haben die Kommunisten in Hamm fast regelmäßig Ende März zu dem Massengrab der während des Kapp. Butsches bei Peltum Gefallenen einen Demonstrationszug unternommen. Auch in diesem Jahre war der Demonstrationszug in Hamm gestattet, während er auf Belfumer Gebiet berboten war. Erlaubt war lediglich, daß die Angehörigen und die Kranzträger in Stärfe von 150 Personen von der Beltumer Gemeindegrenze an zum Grabe gingen. Zur Durch führung dieser Anordnung waren an der Grenze in Wiescherhöfen mehrere Beamte der Landjägerei postiert worden.
Der Demonstrationszug, der annnähernd 1000 Personen umfaßte, traf nachmittags gegen drei Uhr an der Beltumer Gemeindegrenze ein. In aller Ruhe forderten die Beamten die Demonftranten auf, aus den Angehörigen der Gefallenen und den Kranzträgern eine Abordnung zum Besuch des Massengrabes zu bilden. Außerdem wurden noch 30 Personen zugelassen, die angaben, als Mitglieder eines Gesangvereins an dem Grabe der Opfer des Kapp- Butsches singen zu wollen. Schon schien alles in bester Ordnung, als aus der Abordnung heraus immer wieder der Ruf erscholl: Alles mitfommen!"
Die Landjäger versuchten dennoch, ruhig und gütlich auf die Demonstranten einzuwirken und den Demonstrationszug durch Zureden von der Abordnung zu trennen. Die Antwort war, daß die Beamten tätlich angegriffen und mit Stöden und Latten geschlagen wurden. Fünf wurden durch Stockschläge und Steinwürfe verlegt. Einer davon erhielt einen Messerstich in den Kopf. Erst als es soweit, war, machten die Beamten von der Waffe
Gebrauch.
TW.
Aus der Sudelfüche
€
Rezept für eine Agitation à la Nazi. Man nehme Fälschungen und Lügen rühre gut Zusammen,
Stahlhelm
F
H H H I
In einer Bersammlung zur Reichstagswahl in Striegan hatte„ Die Hauptfache ist, die Leute schlucken das Zeug erfimal. Forthegung auf der 2. Seite.) Daß es unverdaulich ist, merken sie immer noch früh genug"
sloQ
S
wurde nach den letzten Nationalratswahlen am 9. November vorigen Jahres als Bertreter der stärksten Partei zum Präsidenten des nationalrats gewählt. Er gehörte schon vor dem Kriege dem österreichischen Reichsrat an und war seit 1919 im Nationalrat Bizepräsident, bis er zum Präsidenten gewählt wurde.
Genosse Matthias Eldersch stammte aus Brünn , wo er in der Textilindustrie und im Textilhandel aufwuchs. Er gehörte zu den ersten, die sich dort der jungen Arbeiterbewegung mit Feuereiser anschlossen. 1901 wurde er ins Abgeordnetenhaus gewählt. Dort hat er ganz besonders die fozialpolitischen Forderungen der Partei vertreten. Er war der führende Fachmann auf dem Gebiet der Sozialversicherung etwa unserem Molkenbuhr zu vergleichen. Daneben aber war Eldersch in allen Sätteln gerecht und gleichzeitig ein glänzender Verhandlungsführer, diese letzte Eigenschaft hat ihn, zusammen mit einem nie versagenden töstlichen Humor, zum Prä sidenten des Nationalrats besonders geeignet gemacht.
Genosse Eldersch hatte auch in Deutschland viele Freunde. Cr war wiederholt Delegierter auf unseren Parteitagen und fam auch sonst öfter nach Berlin , zumal er jahrelang der Leitung der Arbeiterfonjumbewegung in Desterreich angehörte und in dieser Eigenschaft manche Besprechung in Deutschland zu führen hatte. Die deutsche Sozialdemokratie empfindet schmerzlich den Verlust mit, den der Tod Matthias Eldersch ' der österreichischen Bruderpartei zugefügt hat.
Beileid des Parteivorstandes.
Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Desterreichs folgendes Beileidstelegramm gefandt: Lieferschüttert durch die Nachricht vont Tode des Genossen Eldersch sprechen wir Euch unser herzlichstes Beileid aus. Wir empfinden mit Euch den schweren Verlust, den die österreichische Bruderpartei durch den Tod diefes edlen Menschen und selbstlosen Kämpfers erlitten hat."
Grüßuer beim Steuerfach. Das Präsidium des preußischen Oberverwaltungsgerichts hat den zu den Nationalsozialisten übergetretenen Senatspräsidenten Grüner von der Leitung des höchsten Disziplinarsenats für die preußischen Kommunalbeamten entfernt und ihm ein Steuerfenat übertragen. An
Stelle Grügners wird der neu ernannte Senatspräsident von Kries, ein Bruder des deutschnationalen Landtagsabgeordneten, den Disziplinarsenat übernehmen.