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Morgenausgabe

Nr. 190

A 96

48.Jahrgang

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Der Borwärts" erscheint mochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend" Illustrierte Beilage Bolt und Zeit". Ferner Frauenstimme", Technit", Blick in die Bücherwelt", Jugend- Borwärts" u. Stadtbeilage

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Freitag

24. Apríl 1931

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Die einfpalt. Nonpareillezeile 80 31. Reflamezeile 5,- RM. Kleine Un­zeigen" das fettgebrudte Wort 25 Pf. ( zuläffig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Wort 12 Bf. Rabatt It. Tarif. Stellengesuche das erste Wort 15 Bf. Jebes weitere Wort 10 Pt. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Worte. Arbeitsmarkt Beile 60 Bf. Familiens anzeigen Beile 40 Bf. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3, wochen täglich von 81%, bis 17 Uhr. Der Berlag behält fich das Recht der Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vorl

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Bollschraube ohne Ende?

Untaugliche Experimente.  - Das Reichskabinett vor der Entscheidung.

Das Reichskabinett hat in diesen Tagen ernste agrar­politische Entscheidungen zu fällen. Das scharfsmacherische Agrariertum fordert vom Reichsernährungsminister Schiele Unmögliches. Dieser selbst hat ein Bufett von Zollforderun­gen, deren Erfüllung teils bedenklich, teils sinnlos ist. Das Reichskabinett wird sich so entscheiden müssen, daß die gesamt­wirtschaftlichen Interessen zu ihrem Recht kommen. In erster Linie darf die Lebenshaltung nicht mehr verteuert werden.

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Die derzeitigen Getreidepreise liegen 10 bis 20 Proz. über den Preisen vom Frühjahr vorigen Jahres. Während Weizen im April 1930 je Tonne 269 M., Roggen nur 165 M. foſtete, nähern sich jetzt die Preise für Weizen der 300 M., für Roggen der 200 M.- Grenze. Ja, fie haben fie teilweise schon überschritten. Diese Preiserhöhungen sind die Folge einer außerordentlichen Steigerung der Zölle fo ist der Weizenzoll innerhalb eines Jahres von 6,50 auf 25 M. erhöht worden und einer überspannten Anwendung des Weizenvermahlungszwanges. In der Getreidepolitik iſt die Zollschraube überdreht worden. Die Sperrung der Weizeneinfuhr hat jeht die Getreidevorräte so verknappt, daß zur Sicherstellung der Ernährung und zur Verhinderung einer Brotteuerung der Weizenzoll und höchstwahrscheinlich auch der Roggenzoll ermäßigt werden muß. Selbstverständ­lich kommt Herrn Schiele eine Herabsetzung der Zölle poli­tisch äußerst ungelegen, denn hierdurch wird den Deutsch­nationalen und dem Landbund Wasser für ihre Mühlen ge­liefert. Der Vorwurf, daß Herr Schiele nicht energisch genug für die Interessen, der Landwirtschaft tämpft, ist wirklich un begründet. Der Reichsernährungsminister tat und tut mehr für die Landwirtschaft, als man im Interesse der Gesamtwirt­schaft verantworten kann. Außerdem würden die Landwirte auch gar feinen Schaden durch eine Zollsenkung erleiden, meil sie nur noch ganz geringe Borräte besigen. Eine weitere Preissteigerung würde daher nicht der Landwirtschaft, sondern nur den Händlern zugute kommen.

Um den Agrariern die notwendige Herabsehung der Brotgetreidezölle mundgerechter zu machen, sollen als Gegen leistung für einige andere landwirtschaftliche Waren neue und untaugliche Zollerperimente gemacht werden. Wie weit die Zollschraube wieder hinaufgedreht werden soll, darüber wird heute im Reichskabinett beraten werden. Teilweise handelt es sich bei den von Schiele geforderten Zollerhöhungen prat­tisch um ziemlich harmlose Aktionen, die aber grundsätzlich be­denklich sind, weil sie das Streben nach der Lückenlosig feit des agrarischen 3ollschußes von neuem unterstreichen. So ist die Einführung eines Bolles auf In­dustriestroh und die Erhöhung des Korbweidenzolles für die Gesamtwirtschaft völlig belanglos. Sie bringt auch für die Landwirtschaft gar keinen Nutzen, da der Anteil der Einfuhr an der eigenen Erzeugung minimal ist. Die Forderung nach einer Erhöhung des Schweine zolls von 27 auf 50 m. und nach einer Beseitigung der 3mischenzölle für Schmalz und Sped ist praktisch ebenfalls fast überflüssig. Sie hätte für die Gestaltung der Schweinepreise und damit der Klein­handelspreise für Schweinefleisch kaum eine Wirkung. Der jezige niedrige Breisstand für Schweine wird nicht durch Ein­fuhr von Schweinen verursacht, sondern ausschließlich durch das mehr als ausreichende Angebot an deutschen   Schweinen. Die deutsche Landwirtschaft ist selber für den Preisstand ver­antwortlich, da sie je nach dem Preisstand die Schweinemast ausdehnt oder einschränkt, ohne Rücksicht darauf, daß kurz über lang der Veränderung des Schweinebestandes und das mit der Veränderung des Angebotes ein Preissturz oder eine Breissteigerung folgen muß. Nicht durch Erhöhung der Zölle fann der schweinemästenden Landwirtschaft zur Zeit geholfen werden, sondern nur durch Sentung der Futter­mittelpreise, durch die ihre Produktionskosten gesenkt werden, also durch Berbilligung der ausländischen Gerste.

Geradezu ein Unfug ist die Forderung nach einer Er­höhung der Zölle für Linsen und Bohnen, wenn man mit einer solchen Zollerhöhung das Ziel verfolgt, die Lage der Landwirtschaft zu verbessern. Der Linsenanbau spielt in Deutschland   überhaupt feine Rolle und die Bohnen auf den Markt bringende Landwirtschaft hat ihre Ernte längst ver­fauft, so daß sie von einer Erhöhung des Zolls nicht den geringsten Vorteil hätte. Um so ärger würden die Berbraucher von einer Erhöhung des Zolles betroffen, denn für die Preis­gestaltung der Hülsenfrüchte spielen die Weltmarktpreise eine

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Neue Zollunionsdebatte.

Benesch gegen den Plan Berlin  - Wien  .

Prag  , 23. April.  ( Eigenbericht.) Außenminister Dr. Benesch hat seinen Kreuzzug gegen den österreichisch- deutschen Zollplan mit der Ver­lejung einer 64 Seiten langen Darlegung vor den Aus­wärtigen Ausschüssen beider Häuser des Parlaments fortgesetzt. Der wesentliche Inhalt dieser Ausführun gen ist:

In der Beurteilung der Frage der Zollunion ist die Regierung mit der französischen   sowie mit den Regierungen der fleinen Entente Sinie. Der Standpunkt des deutschen   Außenministers, daß der staaten vollkommen eines Sinnes. Auch Polen   steht auf derselben Blan als wirtschaftliche unpolitische Aktion nur noch der juristischen Seite in Genf   zu prüfen wäre, ist unhaltbar.( Groß britannien hat ausdrücklich nur juristische Prüfung beantragt! Red. d. ,, B.".) Drei Viertel der gesamten europäischen   Politik jei wirtschaftlicher Art;

besonders die österreichischen Wirtschaftsfragen sind hohe

Politik.

Staaten an die drei interessierten Großmächte, nämlich an Deutschland  , Frankreich   und Italien   gewünscht, da sie immer der Ueberzeugung gewesen ist, daß

die Einigung Berlins   mit Paris   und dann weiter mit Romi für die Konfolidierung Europas   notwendig

ist. Ohne die Einigung zwischen Berlin   und Paris   wird es in Europa   feinen Frieden geben. Die Tschechoslowakei   kann die Zoll­union nicht akzeptieren und dem Wunsch, sich anzuschließen, nicht Folge leisten. Politisch würde die Tschechoslowakei   in einem 70- Millionen- Block fast alle Bedeutung perlieren. Die jetzige Wirtschaftstrije tann nur durch einen alleuropäischen, für alle Interessenten annehmbaren und im Genfer   Geist gehaltenen Plan gelöst werden. Es ist

ein Abkommen der Industriestaaten über die internationale Reglementierung der Produktion und die Warenverteilung, begleitet von einem Abkommen über die soziale Gesetzgebung und über die Berkürzung der Arbeitszeit notwendig. Die Tschechoslowakei   ist Desterreich und seiner Regierung freundlich und aufrichtig gesinnt, das Verhältnis zu Deutschland   ist offen und freundschaftlich.

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Die Bollunion wäre nicht der erste Schritt zu einer europäischen  Kooperation und Einigung, sie würde nur zur Schaffung von zwei einander gegenüberstehenden Blocks führen. Die Tschecho Die Tschechoslowakei   und Deutschland   so schloß Benesch-- flowakei hat niemals Desterreich in irgendeine Kombination gelodt, werden sich durch den Zollunionsstreit noch mehr dessen bewußt hat es auch in eine solche nicht hineinziehen wollen, wie man in werden, wie sehr gute Zusammenarbeit und armonie zwischen Berlin   überflüffigerweise befürchtet hat. Die tschechische Regierung ihnen notwendig ist und wie besonders an einer Annäherung hat immer die Notwendigkeit der wirtschaftlichen 3ufammen- Frankreichs   mit Deutschland   und einem Uebereinkommen zwischen arbeit Desterreichs mit den anderen mitteleuropäischen Staaten Paris   und Berlin   intenfio weitergearbeitet werden muß. Der Streit betont. Debei hat sie vor allem nur an Handelsverträge gedacht tann schließlich auch seine guten Folgen haben. Die Mai­und eine Konföderation und andere Vergangenheitsformationen verhandlungen in Genf   werden ficher gute Ergebnisse für alie abgelehnt. Sie hat die Angliederung der mitteleuropäischen bringen.

Massenaufmarsch zum Frauentag.

Drei überfüllte Riesenfäle in der Hasenheide.

Der große Saal der neuen Welt" in der Hasenheide| Frauentages hunderttausende Frauen in ihren Veranstaltungen zu reichte nicht aus, die Massen aufzunehmen, es genügte auch nicht der zählen, ist die bürgerliche Welt den schwersten materiellen und 3 weite Saal, auch liems Festfäle müssen noch in An- ideellen Erschütterungen ausgesetzt. Wirtschaftskrise in allen Industrie­spruch genommen werden, um den Zuftrom der Frauen und Männer ländern! Arbeitslosigkeit aller Orte! Der Kapitalismus hat zu fassen, die im Rahmen des Internationalen Frauentages   gegen| versagt! Wer aber fann eine Wirtschaftsverfassung noch ver­Sozialreaktion und Faschismus protestieren wollen. Die Freie teidigen, die ihre vornehmste Aufgabe nicht erfüllt? Ihre Aufgabe, Sport- und Musikvereinigung leitete die kundgebung ein. Mit be- die Menschen zu nähren, zu fleiden, ihnen menschenwürdige Woh­nungen zu geben? Diese Krise des Kapitalismus hat nicht nur die geistertem Beifall wurden die roten Sturmfahnen der Partei be­grüßt. Genoffin ern hielt eine furze Eröffnungsansprache: Massen der Arbeitnehmer ergriffen, fie in die Not der Arbeitslosig­Unier Kampf gilt für Gleichberechtigung aller, gegen Lohnabbau, feit gestürzt, durch einen unsinnigen Lohn- und Gehaltsabbau die gegen joziale Reaktion, gegen den§ 218, gegen die Hehe der Natio- Arbeitseinkommen auf ein unerträgliches Maß herabgedrückt. Aber nalsozialisten ebenso wie gegen das Bürgerkriegsgeschrei der Kom- ebenso wie Weltkrieg und Inflation zehrt die Krise am Bestand munisten. Der Zulauf zu unserer Kundgebung zeigt uns, in welchem jener Kreise, die man als Mittelstand bezeichnen kann. Sie hat Cager die Berliner   Arbeiterfrau steht." In der politischen Revue weite bürgerliche Schichten ergriffen, die noch vor einem Jahrzehnt der Kleinfunftbühne wird das Leid der Arbeitslosen und die nicht geahnt hätten, wie eng ihre wirtschaftliche Bindung an Lebens­Mühen der Werftätigen in ergreifender Weise dargestellt. haltung und Lohnhöhe der Arbeiter und Angestellten in Wirklich Dann sprach für die Gewerkschaften feit ist. Zu dieser wirtschaftlichen Unsicherheit, in der heute der größte Teil der deutschen   Bevölkerung lebt, tritt die Unsicherheit des Geistes und der Ueberzeugung. Was soll werden? Wie soll die Zu­funft aussehen für uns und unsere Kinder? Wie soll die Wirtschaft gestaltet werden, von welchem Geiste soll die Kultur der neuen

Gertrud Ellert:

,, Während es der Sozialdemokratie und den freien Gewerf­

schaften gelingt, in den Veranstaltungen des Internationalen

große Rolle, so daß jede Zollerhöhung sich sofort im Inlands preis auswirken muß. Linsen und Bohnen gehören aber in Notzeiten zu den wichtigsten Nahrungsmitteln.

Die Sinnlosigkeit aller dieser Zollforderungen wird am besten durch die Wünsche des Landbundes nach einer Er höhung des Haferzolles gefennzeichnet. Im Inlandspreis tommt zur Zeit der Zoll voll zur Auswirkung. Eine Zoll erhöhung würde also sofort bei der jezigen Knappheit an Hafer den Preis in die Höhe treiben, was natürlich die Folge hätte, daß auch der Roggenpreis wieder steigt und damit die Notwendigkeit einer Zollfenfung für Roggen noch stärker als jezt in Erscheinung tritt.

Das schlimme an der Politik der agrarischen Interessenten in Deutschland   ist, daß sie immer ideen- und gedankenloser, immer mehr Selbstzweck wird. Bei den agrarischen Organi­fationen wie auch im Reichsernährungsministerium scheint die Ansicht immer mehr an Boden zu gewinnen, daß ein 3oll nur dazu da ist, jegliche Einfuhr zu verhindern, also schlechthin prohibitiv zu wirken. Früher wurde von diesen Kreisen in dem Zoll immerhin noch ein Mittel gesehen, das der Landwirtschaft eine Bevorzugung vor der ausländischen Konturrenz gewähren soll, weil entweder die Produktions­

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fosten im Inland höher find, als in überseeischen Getreide­ländern, oder weil man der Landwirtschaft einen gewissen Schutz vor der sehr hochentwidelten und intensiv betriebenen dänischen oder holländischen Veredelungswirtschaft zubilligen will. Jetzt wird nur noch stur gefordert, die ausländische Ware muß durch den Zoll unbedingt vom Markte ferngehalten werden. Sobald infolge des vermehrten Zollschutzes die In­landspreise so weit steigen, daß die Differenz zwischen den Weltmarktpreisen und den Inlandspreisen gleich dem Zoll ist, sich der Zoll im Inlandspreis also voll auswirkt und die so­genannte Einfuhrparität besteht, fordern die landwirtschaft­lichen Interessenten eine neue Erhöhung der Zölle, da sonst vielleicht wieder geringe Mengen eingeführt werden könnten und dadurch endgültig zum wievielten Male wohl die Landwirtschaft verloren sei.

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Das Reichskabinett wird sich in diesen Tagen entscheiden müffen, ob es den protektionistischen Forderungen des Reichs­landwirtschaftsministers, die Zollschraube wieder um einige Umdrehungen anzuziehen, nachgeben und damit eine völlig ideen- und sinnlose Politit fortseßen mill, die nicht einmal der Landwirtschaft einen Vorteil verschafft, der Verbraucherschaft aber neue Lasten aufbürdet!