1931
Der Abend
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Nr. 195
B 98 48. Jahrgang
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Vorzeichen für Preußen
Das Auflösungsbegehren für Lippe kläglich gescheitert
Detmold, 27. April. ( Eigenbericht.) Der am Sonntag in Lippe durchgeführte Bolfsentscheid zur Auflösung des Landtags endete mit einer Niederlage der Nationalsozialisten und Rechtsparteien.
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Um den Bolfsentscheid durchzubringen, war die Hälfte der Stimmen aller stimmberechtigten Wähler, das find 54 000 Stimmen. erforderlich. Erreich wurden nach den bisher vorliegenden Ergebnissen die Ziffern aus einigen fleineren Dörfern stehen noch nur rund 28 000 3a- Stimmen. 3m Höchstfall werden, einschließlich der noch ausstehenden Ziffern, rund 30 000 Ja- Stimmen erreicht werden, also 24 000 meniger als zum Erfolg des Boltsentscheids notwendig waren und als feine Beranstalter erhofft hatten.
Cus
Die Politik der Partei
Sozialdemokratischer Bezirkstag
Am geftrigen Sonntag fetzte der Bezirksparteitag der Sozialdemokratie Berlin feine Beratungen fort. Auf der Tagesordnung ftand zunächst ein Referat des Genoffen
Dittmann über den Reichsparteitag.
Genosse Dittmann führte aus:
Es ist überaus charakteristisch, daß bei dem Boltsentscheid Die sozialdemokratischen Parteitage unterfdheiden sich grundnicht einmal die zum Boltsbegehren zur Auflösung des fäßlich von denen anderer Parteien: Bei diesen sind Parteitage Lippischen Landtags abgegebenen 38 000 Stimmen erzielt wurden. meist leere Paraden und Schautagungen, bei uns dienen sie ernster Bei der Reichstagswahl hatte die sieben Parteien, die diesen Volks- Arbeit und offener Aussprache, sie dienen der Klärung, entscheiden entheid veranstalteten, 46 000 Stimmen aufgebracht. Jetzt fehlt wichtige Fragen der Politik, zeigen die großen Linien der Taftit, ihnen mehr als ein Drittel diefer Jiffer! So ist das große Unter- festigen die Disziplin und die innere Geschlossenheit der Partei. nehmen efend verpufft. Ein gutes Borzeichen für die preußische Zum vierten Male merden die Leipziger Genossen einen Barteitag Abstimmung! im großen Boltshaus, tagen jehen, Leipzig ist und bleibt eine Hochburg der Sozialdemokratie.
Wie fag ichs meinem Kinde?
Hugenbergs Montagsblatt muß die Niederlage der Stahlhelmparteien in Lippe nach Möglichkeit zu verschleiern suchen. Es schwindelt deshalb seine Leser folgendermaßen an:
8000 Ja- Stimmen mehr als erforderlich.
Der Volksentscheid in Lippe.
Wir haben die Wähler vor der Reichstagswahl aufgerufen, uns die Stimme zu geben, damit mir reaftionäre Anschläge abwehren fönnten. Der Ausfall der Wahl ist bekannt, die Sozialdemokraten famen mit geschwächter Front in den Reichstag zurüd, die Wähler hatten den strupellosesten Demagogen, den Nationalsozialisten, zu einem von ihnen selbst faum erwarteten das Zentrum, eine Rechtsregierung mit Einschluß der National sozialisten zu bilden, sich die Sozialdemokratie nicht entgegengestellt, so wäre sicher eine Aera nationalsozialistischer Regierungs ,, kunst" gefammen, die für die Arbeiterschaft schlimmste Verfolgungen gebracht hätte.
Das ist die Ueberschrift der Meldung. Im Tert aber Wahlfieg verholfen. Hätte dem Drängen der Rechtsparteien auf fommt ganz hinten dieses Kauderwelsch:
Die Zahl der Stimmberechtigten beträgt 108 000, es waren zum Erfolg des Boltsentscheides 54 000 Stimmen erforderlich und von diesen mußten 27 001 Ja- Stimmen sein. An den erforderlichen 54 000 fehlen rund 19 000 Stimmen, so daß aus formalen Gründen ein negativer Erfolg des Bolfsentscheids festzustellen ist, obgleich die Zahl der zu verzeichnenden Ja- Stimmen um rund 8000 höher ist als die erforderliche Zahl von 27 001 Stimmen.
Da zum Erfolg" 54.000 Stimmen erforderlich waren, aber daran rund 20 000 Stimmen fehlten, so ist das ein„ negativer Erfolg", trotzdem 8000 mehr abgegeben waren, als nötig!
Ein Hugenberg- Deutsch zur Rettung der deutschen Seele! Aber es wird nichts anderes übrig bleiben, als das auch in Preußen ein ,, negativer Erfolg" festgestellt werden muß, weil etwas fehlt, mas eigentlich schon zu viel ist!
Die Sorgen des Stahlhelms.
Ebbe in den Kaffen.
Der Bundesvorstand des Stahlhelm, der sich am Sonntag mit dem Ergebnis des Volksbegehrens, wie er es bisher berechnet hat, befaßte, erläßt zu seiner Aktion eine öffentliche Erklärung, in der er im Gegensatz zu der Hugenberg- Bresse alles andere als Jubelhymnen anstimmt. Er begnügt sich mit der Behauptung, das Boltsbegehren sei ,, nur der erste Borstoß" gegen Preußen gewesen, in absehbarer Zeit würden ,, noch größere Kräfte" in Aktion gesetzt werden.
Die Nüchternheit dieser Erklärung hat ihren Grund darin, daß der Stahlhelm bisher nicht einmal weiß, wer die Kosten für den ersten Vorstoß, noch viel weniger die für die in Aussicht gestellte größere Attion" zahlen soll. Die gestrige Sigung des Bundesvorstandes galt deshalb auch weniger der zweiten Aktion als der Frage, wer die Kosten für den ersten Sieg" auf: bringen soll. Der Stahlhelm selbst ist dazu nicht in der Lage. Er ist arm wie eine Kirchenmaus.
Aus diesem Grunde beabsichtigen die Akteure des Voltsbegehrens, an die an der moralischen Pleite beteiligten Parteien mit dem Anfinnen heranzutreten, die für die„ gemeinfame" Beranstaltung entstandenen gemeinsamen" Schulden auch gemeinsam zu decken. Angesichts der Ebbe bei der Boltspartei, der Wirtschaftspartei und den übrigen unscheinbaren Bundesgenossen des Stahlhelm ist kaum damit zu rechnen, daß bei der neuesten Schnorraktion viel herauskommt.
Der neue Opium- Direktor des Bölferbundes. Die Leitung der Opium und sozialen Abteilung des Völkerbundes hat der Schwede Etstrand als Direktor übernommen. Von 1921 bis 1922 war er Chef der Hilfsexpedition in Rußland , die das schwedische Rote Kreuz organisierte. Von 1925 bis 1929 mar Ekstrand schwedischer Gesandter in Argentinien , Chile , Paraguay und Uruguay und wurde 1929 Präsident der Bölkerbunds- Untersuchungskommission für Rauchppium im fernen Often.
Deshalb mußte die Reichstagsfraktion eine Taftif einschlagen, die eine
Regierungsbeteiligung der Nazis ausschloß.
So famen wir zur Tolerierung der Regierung Brüning, weil wir die Demokratie, die Berfassung, das parlamentarische System erhalten mußten. Diese Taktik und ihre Erfolge sind im ganzen Reiche von den Parteimitgliedern anerkannt worden; überall ist die Partei wieder im Aufstieg unter der Parole: Wo bleibt der
Betriebsratswahlen
FR.
GEW
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zweite Mann? Die Naziflut ist zum Stehen gekommen, das Bürgertum hat sich von seinem Schrecken erholt, alles wendet sich von den Nazis ab, ja in ihren eigenen Reihen ist die Rebellion ausgebrochen, weil sich die Posten- und Krippenjäger um ihre Hoffnungen betrogen sehen. Die leberwindung der Nazimelle ist eine Frage der stärkeren Nerven; die Nazis haben sie jedenfalls nicht. Ihr Auszug aus dem Reichstag ist selbst ihren Anhängern gedanklich nicht eingegangen; der Reichstag blieb weiter arbeitsfähig, der Etat murde erledigt, der Reichstag vertagte sich bis zum Herbst und die Nazis stehen mit leeren Händen vor ihren Wählern. Allerdings, mehr Stimmen und mehr Einfluß, als uns die Wähler bei der Wahl gegeben, hatten wir nicht, und so mußten wir uns mit dem Erreichten bescheiden. Um die
Ermattungs- und Zermürbungstaffif
gegen die Nazis fortsetzen zu können, haben wir auch beim Panzera freuzer uns der Stimme enthalten. Dadurch erhielten Nationalsozialisten und Deutschnationale nicht die Möglichkeit, ihre Staatsretterdienste anzubieten und auszuüben, sie fonnten sich nicht als die Retter des Vaterlandes" aufspielen. Wie stand die Frage zu den Erjaßbauten, für üteralterte Panzerschiffe? 3weimal hat der alte Reichstag unseren Antrag abgelehnt, diese Ersatzbauten einzustellen, der neue Reichstag hat eine noch größere Mehrheit für die Panzerfreuzer, auch für das Programm, das Erjazz aller überalterten Schiffe fordert. Den 220 sozialdemokratischen und kommunistischen Stimmen stehen im Reichstag 357 bürgerliche gegenüber, die natürlich für die Panzerfreuzerbauten find. Die Sachlage mar also so, daß trog unserer Gegnerschaft die Schiffe doch gebaut worden wären, bei einer anderen Haltung wäre durch unsere Mitschuld die radikale Rechte an die Macht gefommen. Genosse Dittmann vermies auf das eng= lische Beispiel, wo bereits zwei Jahre lang die Arbeiterregierung am Ruder ist, nur, weil die Liberalen sie gegen die Konservativen tolerieren. Selbst in Sachsen müssen unsere Parteigenossen eine bürgerliche Regierung tolerieren, wahrlich nicht aus Liebe zu ihr. Man könne überzeugt sein, daß der Reichsparteitag die Politik und die Taktik der Reichstagsfraktion anerkennen wird. Die Haltung der Fraktion zum Panzerkreuzerbau hat mit grund säglichen Ermägungen gar nichts zu tun; wir betonen noch heute, daß die Schiffe nicht nötig sind. Unsere Stimmenthaltung mar lediglich ein tattisches Gegenmanöver gegen die Faschisten aller Schattierungen, die auf diesem Wege glaubten an die Macht kommen zu können. Die
Stimmabgabe der neun Fraktionsmitglieder gegen die Beschlüsse der Mehrheit
sei auf das schärfste zu mißbilligen( Sehr richtig!), sie ist geeignet, die Parteidisziplin zu untergraben.( 3ustimmung.) Im Plenum des Reichstags müsse jedes Mitglied der Fraktion mit der Mehrheit stimmen, nur im einheitlichen Auftreten liegt unsere Kraft. Wo sollte es hinführen, wenn, wie es jetzt von den Neun geschah, die Meinung der Parteibezirke für die Abstimmung des einzelnen Abgeordneten maßgebend sein sol!? Eine solche Krähmintelei müßte zur Auflösung der Fraktion und damit zur Hinderung an jeder positiven Arbeit führen. Wie lustig habe sich die Fraktion und die Parteimitgliedschaft im Lande gegenüber den Deutschnationalen gemacht, als diese bei der Dawes Abstimmung in zwei Hälften zerfielen; haben wir nicht über die Fraktion Mampe halb und halb" gehöhnt und gespottet? Und jetzt sollen wir, die sozialdemokratische Fraktion, dasselbe tun? Der Reichsparteitag werde die Fraktion auffordern müssen, unbedingten Fraktionszwang einzuführen.( Beifall und Widerspruch.)
Genosse Dittmann ging dann zu dem von Tarnow auf dem Reichsparteitag zu erstattenden Referat über und betonte dabei, daß dabei die
Frauenarbeit und die Forderung nach der Einführung der 40- Stunden- Woche.
eine große Rolle spielen werden. Die Erörterungen darüber werden unferer Agitation neuen Antrieb und neue Impulse geben. Wir haben bis jetzt unsere Agitation zu sehr von Tagesfragen ab1ängig gemacht und von laufenden politischen Fragen beeinflussen lassen, das muß anders werden. Gewiß hat die Krise und die
Mächtig eingegangen bei der letzten Wäsche, der junge Herr?" Erwerbslosigkeit die Gemüter für solche Tagespolitik empfänglicher