Die Beichte des Millionärs
Boichemel erhob nicht seinen Kopf mit dem ernsten Gesicht, als der Kassierer zitternd in das Direktionszimmer eintrat. Er sah den Mann, der so schuldig war, nicht an, sondern wies ihm mit befehlender Gebärde Plaz an, so wie man einem Hund Zeichen macht, fich niederzulegen.
Ich habe Ihren Brief erhalten, Jandron." ,, Lassen Sie mich verhaften, Herr Direktor."
Ja", meinte er ,,, das wäre zu einfach, mein Lieber!" Dann die Arme treuzend, lehnte er sich im Sessel zurück und seine kleinen Augen glänzten plöglich.
,, Sie haben sich gesagt: Entweder wird mein Chef mich verhaften lassen oder mir verzeihen. Bas immer auch geschehen mag, ich werde endlich von dieser unerträglichen Todesangst befreit sein!' Denn es war eine unerträgliche Todesangft, die nicht zum Aushalten ist, nicht wahr?"
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haben.... Es war vor 38 Jahren. Ich war ungefähr in Ihrem Alter an einem Frühlingsabend, der so schön war wie der heutige, habe ich dieses schöne Perlenhalsband an einer Straßenecke gefunden, vor der Türe eines Hauses der Avenue du Bois de Boulogne. Aus dem Hause war soeben eine äußerst elegante Frau gekommen, die in einen Zweispänner gestiegen war. Die Equipage war prächtig und die Frau schön, niemand hatte mich das Berlenhalsband auf Auf den müden breiten Schultern Boichemels pendelte der große heben sehen ich überzeugte mich davon, indem ich einen verKopf hin und her. stohlenen Blick nach rechts und links warf. Ich erzähle Ihnen nichts Don meiner ersten Regung, dem Wagen nachzulaufen, auch nicht von meinem zweiten Gedanken, an der Tür des Hauses zu läuten. Sie sollen nur das Wesentliche erfahren: ich nahm das Halsband mit. Zu dieser Zeit war ich verlobt und hatte noch keinen Widerwillen gegen Schmuckfachen und alle Nichtigkeiten des Lurus. Oft war ich vor Juwelenhandlungen stehen geblieben und ich glaubte mich nicht zu irren, wenn ich den Wert dieser Perlen mit über hunderttausend Franten einschäßte. Hätte ich nur die Hälfte diefer Summe in der Hand gehabt, so hätte ich etwas unternehmen können, das mich aus dem Nichts, in dem ich vegetierte, emporgehoben hätte. Es ist genau fo, als ob Sie an der Börse gewonnen hätten, mein Freund, und als ob Sie mir alles im stillen wiedererstattet hätten. Ich brauchte bloß die Perlen einzeln zu verkaufen, nichts leichter als das. Es war ein Diebstahl, sicherlich, aber alle großen Vermögen scheinen mir eine faule, schmutzige Grundlage zu haben und ich dachte, daß ich den Sumpf durchwaten würde. Es war nicht der Sumpf, den ich durchquert habe, sondern die Hölle! Brauche ich es Ihnen zu beschreiben? Sie machten es jetzt durch. Während dieser Tage fonnte ich die Perlen weder zurückgeben noch vertaufen. Während dieser Nächte dachte ich nie mehr Schlaf finden zu
,, Monsieur Boichemel, ich bin fein unehrlicher Mensch
,, und deshalb haben Sie nach Ihrer bösen Tat die Feigheit des Geständnisses begangen, das Sie von Ihren Gewissensbiffen befreit, aber Ihre Ehre vernichtet. Ich kenne das, mein Freund. Es kommt mir vor, als wäre ich in Ihrer Lage, zumindest versuche ich mich, in diese zu versetzen."
Er nahm mit einer Hand den Brief, den ihm der ungetreue Angestellte geschrieben hatte, mit der anderen begann er mit einem Glaskästchen zu spielen, das der einzige Gegenstand war, der den Schreibtisch zierte. Auf den Seiten des Briefes schienen die Zeilen, die das Geständnis enthielten, zu zittern. In dem Glaskästchen ruhte das schöne Perlenhalsband, das jeder Besucher des alten Finanzmannes erstaunt ansah.
Boichemel war ein Siebziger, Witwer seit einigen Jahren, undhatte den Ruf, seine Frau, ebenso wie seine Klientinnen, nie betrogen zu haben. Ein anständiger Mensch, der mit nichts angefangen und es zu einem großen Vermögen gebracht hatte, nichts liebte er als seinen Beruf, Geschäfte und seine Banf, fümmerte sich meder um Literatur, noch Malerei, nicht um Antiquitäten und Schmuck. Dieses Perlenhalsband im Glaskästchen war ganz vereinfamt, nur die untergehende Sonne besuchte es. ,, Wie alt sind Sie, Jandron?"
3weiunddreißig Jahre, Herr Direftor."
,, Erst zweiunddreißig Jahre? Warum haben Sie das getan? Schweigen Sie! Ich bin unterrichtet, ich tenne Ihr Leben! Sie sind ein anständiger strebsamer Mensch. Ich war einmal wie Sie. Bermögen fommt langfam, man hat es hart, wenn einem die Mutter ganz unten auf die soziale Stufenleiter gestellt hat, sehr hart. Man fragt sich oft, durch welches Wunder es jenen glückte, die ein Bermögen gemacht haben. Auch ich habe mich das gefragt, wenn ich meine Vordermänner sah, und Sie haben sich das öfter als einmal fragen müssen, wenn Sie an meine Karriere gedacht haben. Meine Karriere mar äußerst mühsam, Jandron...
Die Hand, die den Brief hielt, ließ ihn fallen, während die andere, die mit dem Glaskästchen spielte, das Perlenhalsband heraushob.
Jawohl, mühsam!" wiederholte Boichemel. In Ihrem Alter hatte ich noch keinen Einfluß bei M. M. Schreiner, Malan u. Traub, aber ich verdiente meinen Lebensunterhalt reichlich. Ich spielte nicht auf der Börse, versuchte aber gelegentlich ganz wie Sie, fleine Geschäfte. Aber die meinen gelangen, während die Ihren oh! leugnen Sie nicht, ich habe die Beweise!"
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Ich leugne nicht, Herr-" " Ja, Sie sind nicht imstande, irgend etwas zu leugnen! Sie find in der Lage eines Mannes, der bereit wäre, sich jedweden Berbrechens zu beschuldigen. Ich kenne das- das heißt nein, doch! Ich kenne das!- Sehen Sie dieses Halsband. Seine Anwesenheit auf meinem Schreibtisch hat Sie interessiert, nicht wahr? Nun, ich verdanke diesem Halsband sehr viel, mein Freund. Es ist eine recht seltsame Geschichte. Bloß meine verstorbene Frau fannte sie, und damit ich sie Ihnen erzähle, muß ich großes Mitleid mit Ihnen
as
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fönnen.
Dennoch gelangen in diesen drei Tagen alle meine Börsenspekulationen und ich habe während meines Gefühlskonfliktes zehn tausend Franken verdient. Vielleicht war das der Grund, daß ich am Morgen des vierten Tages an der Tür der schönen Dame geläutet habe. Etwas hatte mich ein wenig gewundert: in feiner Zeitung war ein Wort von diesem großen Verlust zu lesen gewesen. Dennoch hatte ich keinen Augenblick die Wahrheit vermutet, die mir, über meine Aufregung lachend, die schöne Frau gab: die Perlen waren falsch! Ich habe vor Freude geweint! Ich bedeckte die Hände der Frau, die ich nicht bestohlen hatte, mit Küssen und plöglich, wie ein Wahnsinniger, hatte ich ein unwiderstehliches Verlangen. Ich beschwor die schöne Dame, mir dieses schäbige Schmuckstück zu verfaufen, in dem ich einen unbesiegbaren Fetisch erblickte. Beluftigt durch alles, was sie erriet, wollte sie es mir schenken. Ich bestand darauf, es zu bezahlen und kaufte es um 200 Franken. Am selben Abend wollte ich es meiner Braut schenken, der ich die Qualen meiner Versuchung gestand. Die Gefährtin meines fünftigen Lebens aber hatte eine geniale Idee, daß ich die mahnende Erinnerung an meinen Diebstahl stets vor Augen behalten sollte. Ich habe ihr gefolgt und folge ihr noch immer. Jedesmal, wenn ich am Sprung war oder bin, schlecht zu handeln, erinnere ich mich daran, so viel wegen falscher Perlen gelitten zu haben und so ist es gekommen, wegen falscher Berlen gelitten zu haben und so ist es gekommen, Sandron, daß ich langsam, mit Erbitterung der ehrenhafte Boichemel geworden bin, der seinem unglücklichen Raffierer verzeiht. Still! Kein Wort! Sie können nicht in der Bank bleiben, aber ich werde Ihnen eine Stelle im Ausland geben, und ich werde versuchen, Ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, genug Geld zu verdienen, um mir schließlich alles zurückzuerstatten. Aber was mich vor allem interessiert, ist, wie soll ich es sagen-? Das t Ihre Seele? Dieser Brief, den Sie mir geschrieben haben, dieser etwas feige Brief, der Sie ebenso entehrt hätte wie Ihre Tat, den werden Sie zurüdnehmen, indem Sie mir schwören, ihn nicht zu vernichten und ihr ganzes Leben bei sich zu tragen, verstehen Sie? Wie ein Büßerhemd, ebenso wie ich stets die falschen Berlen auf meinem Schreibtisch behalten habe. Schwören Sie es? Und jetzt reichen Sie mir die Hand. Hier ist der Brief, und wenn Sie nicht besser werden, dann lassen Sie sich wo anders aufhängen. ( Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Anna Drawe.)
Was es bisher und früher in Europa an Räuberromantit gab, geht seiner raschen und wohl unwiderruflichen Auflösung entgegen. Die fizilianische Maffia ist aufgelöst, in den montenegrinischen Bergen ist es still geworden, und von all diesen berühmten Schlupfwinkeln ist eigentlich nur das rumänische Donaudelta übriggeblieben. Und in diesem einen und legten Falle steht es kaum zu befürchten, daß dieser letzte Rest urwüchsigen Räubertums so rasch verschwinden wird. Die Natur hat hier verschwenderisch für unzugängliche und abgelegene Schlupfwinkel gesorgt, sie ist auf diese Weise zur unfrei willigen und besten Bundesgenoffin der dortigen Desperados ge=
worden.
Das Donaudelta bedeckt zur Hälfte die frühere bulgarische Provinz Dobrudscha und hat eine Gesamtausdehnung so groß etwa mie die Mart Brandenburg . Es ist eines der phantastischsten Gebiete der Erde, Zugleich eines der unerforschtesten. Zum erstenmal wissenschaftlich durchforscht wurde das Donaudelta eigentlich erst durch Deutsche während des Krieges. Es schläft seitdem schon längst wieder seinen alten jahrtausendelangen Schlaf.
Die Bewohner dieses Deltas fennt man fast noch weniger als Das Gebiet selbst Sie sind freilich auf den Landkarten eingezeichnet, alle die vielen fleinen Dörfer und Flecken, die inmitten dieses fieberschwangeren aber fruchtbaren Gebietes liegen, aber fie liegen trotzdem so gut wie außerhalb der Welt. Einigemal im Jahr tommt der Steuereinnehmer, das ist eigentlich das einzige feste Band, das sie mit der übrigen Menschheit perbindet. Hie und da, weit verstreut, find Gendarmerieposten, die schon längst ihren Frieden mit den eingefeffenen Banditen gemacht haben, weil ihnen ihr Leben lieber ist als die fehr fragwürdigen Lorbeeren, die ihrer eventuell harren. Damit sind aber auch die Sendboten der europäischen Binilisation restlos erschöpft.
As nor Monaten eine der letzten großen Gestalten dieses Ban ditendoradas erschossen wurde, Eliade Sofosch , da ging durch den rumänischen Blätterwald die erstaunte Frage, ob denn eigentlich Rumänien oder einige Banditenfönige dieses Gebiet beherrichten. Das Begtere ist der Fall. Was innerhalb der brei Donauarme liegt, non Sulina , Tultscha und Ismail aufmärts, wird nur sehr bedingt von Rumänien beherricht. Die eigentlichen Herren dieses Gebietes sind die Banditen.
Es sind durchaus nicht nur Eingeborene der bortigen Gegend, aus denen die Banden sich refrutieren. In der Mehrzahl handelt es sich um Deserteure, denen infolge der Militärabkommen mit den benachbarten Ländern gar nichts anderes übrig bleibt, als in die
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| Dobrudscha zu flüchten. Die meisten von ihnen tragen auch noch Die alten zerfetzten Militäruniformen. Ihrer Sicherheit kommt die die alten zerfetzten Militäruniformen. Ihrer Sicherheit kommt die genaue Kenntnis der Pfade und Wege zustatten, ohne die man dort rettungslos verloren ist. Ein falscher Schritt führt manchmal ins sichere Verderben. Eine Verfolgung im eigentlichen Delta ist fast unmöglich. Nicht nur, weil es tausendundeinen unzugänglichen Schlupfwinkel dort gibt, sondern auch die Bevölkerung steht auf Schlupfwinkel dort gibt, sondern auch die Bevölkerung steht auf der Seite der Banditen und gewährt ihnen jede erdenkliche Hilfe. 3um Teil, soweit es sich dabei um Bulgarien handelt, spielen nationale Gründe mit, größtenteils aber rein praktische Erwägungen. Es hieße dort nämlich ungebührlich sein Leben verkürzen, wenn man den Banditen gegenüber offene Feindschaft an den Tag legen
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würde.
Wie weit die eigentliche Herrschaft der Banditen dort geht, davon fann man sich eine Vorstellung machen, wenn man hört, daß einige Banditen in den Dörfern richtige Refruterungen zur Auffrischung ihrer Bande vornehmen. Bei ihren fortwährenden Zügen durch das dortige Gebiet hat fast jedes Dorf einmal in der Woche eine Art Einquartierung". Da heißt es dann allemal, Lebensmittel und Obdach ohne Wimperzuden bereitzustellen.
Dabei machen es die Donaubanditen wie die Marder: sie verschonen das eigene Haus. Ihre Beutezüge machen sie nach außer halb. Auf ihren fleinen Booten seßen sie über die zahlreichen Wasserläufe und überfallen die benachbarten Gebiete. Wenn sich diese Einfälle mehren und zu einer richtigen Plage auswachsen, dann erwacht nach geraumer Zeit die Regierung aus ihrer Lethar gie und befiehlt eine Strafexpedition. Bon zwanzig dieser Straf expeditionen hat taum eine irgendein Ergebnis. Bedentlicher wirs es erst, wenn die öffentliche Meinung gebieterisch eine Bestrafung Derlangt. Dann wird oft ein recht beträchtliches Machtaufgebat entfaltet. 2s man daran ging, den Banditen Rotosch lebendig oder tot zu fangen, murden rund zwei Regimenter in Bewegung gefest. tot zu fangen, murden rund zwei Regimenter in Bewegung gefeßt. Es fielen dabei von beiden Seiten mehr als hundert Mann und die Erbschaft des einen Stotosch traten eben daraufhin ein paar andere Banditenhäuptlinge an. Prämien auf den Kopf eines Banditen helfen recht wenig, weil die Bevölkerung genau weiß, daß sie die helfen recht wenig, weil die Bevölkerung genau weiß, daß fie die Regierung nicht vor Racheaften schüßen tann.
Der berühmteste Bandit des Deltas, Terente, ist fast ein halbes Jahrzehnt ohne Erfolg gejagt worden, bis man ihn schließlich durch Zufall aufstöberte.
Wenn einer der Banditen erschossen worden ist( Gefangen nahme tommt aus bestimmten Gründen nie vor), bann heißt es in
ben Zeitungen allemal: Der Ropf des Banditen wurde vom Rumpf getrennt und dem Bukarester gerichtsmedizinischen Institute übersandt." Was geschieht dort mit diesem Kopfe? Er kommt in das Kopfmuseum.
Es ist das schaurigste und unheimlichste Museum der Welt. In großen Sälen kann man dort in Ruhe und Anschaulichkeit ein halbes Jahrhundert rumänischen Banditentums studieren. An den Wänden find ihre Waffen aufgehängt, oft noch blutig: Säbel, breite mazedonische Dolche, Messer aller Art, Pistolen, altertümliche bis zum modernen Browning, Gewehre, vom alten Vorlader bis zum modernen Militärgewehr.
An der Wand schließlich in großen Spiritusbehältern die Banditenköpfe, konserviert und erhalten. Es sind interessante und eindrucksvolle Köpfe darunter und nichts von der ursprünglichen Wildheit, der Wut des letzten Augenblics ist verlorengegangen. Jedes Haar auf dem Kopfe ist erhalten. Nur die Augen sind bei allen geschlossen.
Andere Banditenköpfe, die sich wohl nicht in gutem Zustande befanden, als sie hier eingeliefert wurden, sind nur als Schädel et= halten. Auf jedem eine genaue Etikette mit Namen, Taten und Datum des Todes. An den Wänden unzählige Photos aus dem Leben dieser Banditen. Viele Hochzeitsbilder darunter.
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Nicht weit von meiner Wohnung, in einer frummwinteligen Nebenstraße, haust ein alter, ebenso frummwinfeliger Antiquitätenhändler. Oft komme ich bei ihm vorüber, spreche auch mal vor und durchstöbere etwa inzwischen eingelaufene alte Schmöker und Scharteken. Denn von Büchern versteht er nichts, und ich habe schon manchen guten Fang für ein paar Groschen gemacht. Aber seit Jahr und Tag liefen keine Druckerzeugnisse mehr ein, und meine Anteilnahme für den alten Kauz und seinen Laden beschränkte sich darauf, das Schaufenster zu betrachten oder durch die meist offenstehende Tür in das Innere zu blicken. Alles, was da lag und stand, war müßig, verstaubt und teilweise zerbrochen oder notdürftig gefittet. Da gibt's auch alte Uhren und rostige Waffen, brüchige Bilder neben Tassen und Tellern, Möbel ,. verschossene Decken, ab= genutzte Teppiche, Geräte aus Silber, Zinn und Tombat. Es war ein Kirchhof verstorbener und zerfallener Wesen und Dinge alles wertlos, veraltet, überlebt, aus abgetanen Zeiten. Vor einigen Wochen fand ich in seinem Schaufenster, wohl als neueste Errungenschaft, neun Gipsfiguren, alles Frauenzimmer mit buntbemalten Kleidern, schwarz-, blond, weiß und rothaarig, jünger und älter von Aussehen, aber alle bemühten sich, wie Porzellan auszusehen. Auf einem Pappdeckel stand ,, Die neun Musen". Nach einigen Tagen fand ich zwei weniger dastehen mit der Aufschrift „ Die sieben Farben". Die sieben Laster wäre passender gewesen. Ein paar Wochen waren vergangen, als ich wiederum den Abgang von zweien dieser scheußlichen Puppen feststellen konnte, die jetzt als ,, Die fünf Sinne" angepriesen wurden. Von diesen wurde( wie mir der Alte mitteilte) ,, das Gehör" verkauft und der Rest prangte als„ Die vier Temperamente" im Schaufenster. Um es furz zu machen: als ein Cholerifer die ihm zusagende Figur erworben hatte, wurden sie als„ Die drei Grazien" ausgestellt, obwohl ich dem Alten als passende Bezeichnung Die drei Furien" vorgeschlagen hatte, und als wiederum eine vertauft war weiß der Himmel, daß es so viele geschmacklose Käufer gibt! und das letzte Baar als„ Die Schwestern" übrigblieb, dauerte es geraume Zeit, his die fiamesischen Zwillinge getrennt wurden. Nun lautete die Inschrift auf einem Pappdeckel ,, Die Verlassene". Sie soll nur eine Mart fosten, aber sie steht jetzt schon seit mehreren Monaten da, ohne daß sich einer erbarmie, ihrer Verlassenheit ein Ende zu machen. Sie ist die häßlichste von allen, hat zudem einen geflicten Hintertopf und die Farben sind verwaschen: ich ärgere mich jedesmal beim Borübergehen! So wie ich mal eine Mart übrig habe, faufe ich sie und zerschmettere fie auf dem Straßenpflaster.
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Woher flammen Apfel und Birne?
Heute mag es uns scheinen, als seien sie immer dagewesen; so selbstverständlich sind uns Aepfel und Birnen im Fruchtgarten und auf dem Markt. Und da der wilde Birnbaum, wenigstens in Süd deutschland , ganz von selbst in den urwüchsigen Wäldern steht, liegt es nahe, zu glauben, er sei einfach von da in den Bauerngarten eingewandert. Wer jedoch einmal versucht hat, im Walde in eine Wildbirne zu beißen, der weiß, warum sie im Volksmunde Holz birne heißt. Sie ist einfach ungenießbar, und es mußte erst durch mühsame Zucht eine Kulturpflanze geschaffen werden, die eßbare Früchte bietet. Wo standen diese ersten veredelten, also die witklichen Apfel- und Birnbäume? Wann hat man sie geschaffen?
Holzäpfel und Holzbirnen haben freilich schon vor Jahrzehn tausenden die Menschen in unserem Lande verzehrt, denn namentlich Apfelterne finden sich in fast allen Pfahlbauten bis zur Jungsteinzeit zurück.
Edeläpfel scheinen zuerst die Römer gegessen zu haben. Erst aus ihrer Zeit gibt es sichere Kunde von guten und wirklichen EBäpfeln. Italien war das wahre Apfelland, und im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung nennt man es sogar einen richtigen Apfelwald. Zweihundert Jahre später gibt es dann schon viele Sorten, freilich nicht als Näscherei, sondern als Medizin. Die Römer betrachteten die Aepfel als Mittel zur Erhaltung der Ge
ſundheit und jede, auch die ärmste Mahlzeit, mußte mit einem Ei
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begonnen und mit einem Apfel beschlossen werden. Es war eine Redensart, daß man von den Eiern bis zu den Aepfeln, d. h. während der ganzen Mahlzeit, fröhlich sein wollte. Denn Lachen beim Essen war das zweite große Gesundheitsmittel im antiken Rom und man war vielleicht gar nicht schlecht beraten damit. Von Rom tam der Apfel zu den Griechen, und die bedankten sich dafür mit Birnen. Griechenland war nämlich das Birnenland; ein Teil des Landes hieß einfach so( Apia ). Man scheint im Peloponnesus tatsächlich aus den dort massenhaft in Wäldern beijammen stehenden Holzbirnen die Edelbirne herausgezüchtet zu haben. In Spätrom waren schon alle Fruchtschüsseln mit Aepfeln, Birnen, Pfirsichen, Aprikosen und Kirschen als den eigentlichen Dbstarten gefüllt. Freilich dürfen wir uns das trop aller Nachrichten von altrömischem Lurus und Verschwendung nicht allzu üppig vorstellen. Denn die antite Beit tannte überhaupt nur 29 Apfelsorten, während wir heute unter 2000 wählen können. Auf der römischen Pfaffenstraße", entlang dem Rhein , sind dann Apfel und Birne in Deutschland eingewandert, und gerade der Apfel ist zum richtigen deutschen Obst geworden, während die Birne ihre besten Früchte doch nach wie vor mehr im Süden spendet. Und merfwürdig genug, erft ganz spät, erst seit 50 Jahren haben sich die eigentlichen Apfel- und Birnenländer aufgetan, nämlich in llebersee: in Kanada , Kalifornien und Australien . Die find heute die Weltlieferanten und haben oft genug sogar auf unferm Tische das Obst des eigenen Bandes verdrängt. Dr. R. Francé.
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