Notverordnung tut not!
Sozialistischer Wiederaufbau. Zum Lahreskongreß der(Sozialistischen Partei Krankreichs.
Pari«. 23. Mai.(Eigenbericht.) Zehn Jahre sind es her, daß auf dem Kongreß in Tours durch die auf Befehl von Moskau befohlene Spaltung die im Jahre 1903 auf dem Kongreß in Tours geeinigte Sozialistische Partei Frankreichs in Trümmer flog. Damals mochte es scheinen. als ob der Kommunismus in Frankreich die ganze Arbeiterklasse hinter sich scharen würde. Die Zahl derjenigen, die nach dem osteuro- päischen pseudorevolutionären Sturm der sozialistischen Fahne treu blieben, war nicht gerade groß.„Es heißt nun, das alte chaus zu schützen, um eines Tages den Rückkehrenden wieder ihr sozialistisches Heim geben zu können", rief um die Jahreswende 1920/21 LeonBlumin Tours aus. Höhnisches Gelächter der sich mächtig fühlenden Bolschewisten dröhnte durch den Kongreßsaal, als Blum und der inzwischen verstorbene Führer Marcel Sembät prophezeiten, der Tag würde kommen, an dem der kommunistische Spuk zusammenbrechen würde. Am heutigen Tage, an dem die Sozialistische Partei zu ihrem 28. Iahrcskongreß wieder in Ihours zusammentritt, darf sie mir Stolz auf das Wiedcraufbauwerk zurückblicken, das sie in diesen zehn Jahren vollbracht Hot. Während die Kommunistische Partei von über 200 000 Mitgliedern auf höchstens noch 30 000 im ganzen Lande zurückgegangen ist, verfügt die Sozialistische Partei über 130 000 ZRilglieder. Während die ko mm u n i tt iick-e Barlamentsfraktion 1 0 Mitglieder umfaßt, zählt die sozialistische 109 Abgeord- ne t e"lmd �/Senatoren, lieber 1000 Bürgermeister, zum TP der wichtigsten Städte wie Bordeaux , Lille . Roubaix , Mülhausen , Nimes , Grenoble usw., und über 16 000 Gemcinderatsmitglieder bilden den Rahmen der 98 Bezirksoerbände. Und das Parteiorgan „P o p u l a i r e" konnte nach langen Schwierigkeiten endlich auch seine Leserzahl im Laufe der letzten zwei Jahre verdreifachen! Die politische Stellung der Sozialistischen Partei im Lande ist so st a r k geworden, daß gegenwärtig alle Parteien mit der Möglichkeit rechnen, nächstes Jahr, wenn die Kammerwahlen der Linken und vor allen den Sozialisten den erwarteten Sieg gebracht haben werden, die Sozialistische Partei in
der Regierung zu sehen. Das verleiht dem bevorstehenden Kongreß eine noch größere Bedeutung als gewöhnlich und es ist kein Wunder. daß die Blätter aller Richtungen sich schon vor der Eröffnung des Parteitages mit den kommenden Beschlüssen beschäftigen. Rein objektiv betrachtet scheinen in Tours heißereAusein- andersetzungen bevorzustehen, als dies ist den letzten Jahren der Fall zu sein pflegte. Was besonders die Stellung der Sozio- listischen Partei zu der wichtigen Frage der Landesverteidi- g u n g betrifft, setzen die bürgerlichen Parteien große Hoffnungen auf die zweifellos zwischen den einzelnen Tendenzen bestehenden Meinungsverschiedenheiten. In den letzten Monaten hat plötzlich eine in der französischen Bewegung schon vor dem Kriege wohl- bekannte Tendenz, die seinerzeit z. B- auf dem Internationalen Kongreß in Stuttgart 1907 unter dem Namen„Herveismus" Sensation machte und die in der völligen Ablehnung jed- weder Landesverteidigung besteht, wieder Fürsprecher ge- sunden: gewisse Tolstoianer, Anhänger der passiven Resistenz, haben ebenfalls in verschiedenen Verbänden Entschließungen in diesem Sinne zur Annohme gebracht: sogar die„Gewissensrebellen" nach englischem Muster haben es verstanden, die Leute um sich zu scharen. Allerdings scheint die traditionelle Richtung zugunsten einer in sozio- listischem Sinne beeinflußten prinzipiellen Bejahung der Landesverteidigung einstweilen noch ihre vorherrschende Stellung behalten zu haben. Aber an sich ist sie auch wieder gespalten in bezug auf die praktische Stellungnahme gegenüber den für Heer und Marine im gegenwärtigen Staat geforderten Krediten. Man darf daher für Tours außerordentlich lebhaft« und interessante Debatten voraussehen. Es ist nicht wahr- Icheinstch, daß die extremen Auffassungen die Oberhand gewinnen. Zwar setzen die reaktionären Parteien ihre größten Hoffnungen darauf, denn, wenn dos der Fall wäre, würde in der Zukunft jede Zusammenarbeit zwischen der Sozialistischen Partei und den links- bürgerlichen Radikalen unmöglich werden und damit zu gleicher Zeit dem Eintritt der Sozialisten in irgendeine Regierung ein u n ü b e r- windliches Hindernis gesetzt. Die Fragen, die auf der Tagesordnung des Jnternatio« n a l e n Kongresses von Wien stehen, werden in Tours nicht zur Diskussion gelangen, da ein außerordentlicher Parteitag, der unmittelbar vor der Wiener Tagung im Juli stattfindet, dafür vor- gesehen ist.
Hakenkreuzphantafie am Radio Eine mysteriöse Angelegenheit. Seit einiger Zeit erscheint als„Wochenschrift des Reichsvcr- bandes deutscher Rundfunkteilnehmer" eine nationalsozia- listische Funkzcilschrift„Der Deutsche Sender", die den heftigsten Kampf gegen die Sendegesellschaften führt uni> sich zur Aufgabe gestellt hat, den Rundfunk den Zielen der Hitler-Bewegung Untertan zu machen. Ueberslüssig zu sagen, daß diese Zeitschrist in jeder Nummer den„Roten Rundfunk" bekämpft und an den Pro- grommen des Rundfunks kein gutes Haar läßt. Ein Lichtblick findet sich in ihrer neuesten Nummer vom 22. Mai(Nr. 21), in der die Ausführung von Grab des„Hermannsschlacht " in Breslau in höchsten Tönen gefeiert wird: „Breslau hat— heißc es dort— sich das Verdienst erworben, seine(Grabbes)„Hermannsschlacht" a u s g e- f ü �u hoben. Dieses Werk mit seiner Geistsülle, seiner pla- stischeir�i Drache, seiner herben modernen Prosa, seinem schnellen phantastischen Wechsel der Schauplätze, eignet sich vorzüglich für die unsichtbare Bühne des Funks. Es wurde sicher vielen jungen und altenHörern ein starkes Erlebnis." Das Merkwürdige an diesem„Erlebnis" ist, daß die Auffüh- rung von Grabbes„Hermannsschlacht" im Breslauer Rundfunk, ebenso wie die Uebertragung dieses Stückes im Berliner Rundfunk, zwar für den 12. Mai angekündigt war, aber in letzter Stunde durch den„Fuhrmann H e n s ch e l" von Gerhart Hauptmann ersetzt wurde! Da wohl kaum anzunehmen ist, daß die Redaktion des„Deutschen Sender", die so energisch für die„Reinigung" des deutschen Rundfunks kämpft, einfach geschwindelt hat, bleibt zur Erklärung des merkwürdigen Phänomens nur folgende Deutung übrig: Entweder hat die Redaktion des„Deutschen Sender" Gerhart Hauptmann ebenso mit Krabbe verwechselt, wie die Redaktion des „Angriff" einen„Scheinpflug" mir Erich Maria Remarque . Oder aber die arme Hakenkreuz-Funkzeitschrift ist ebenso wie seinerzeit der„Angrifs" dos Opfer eines„jüdischen Tricks" geworden. Es ist unbedingt notwendig, daß man diese mysteriöse An- gclegcnheit klärt, schon um die Mitglieder des Reichsverbandes Deutscher Rundfunkteilnehmer vor weiterem geistigen Schaden zu bewahren. A. S.
Gchlageter-Oenkmal in Düsseldorf . Eine nationalistische Kundgebung. In Düsseldorf wurde am Sonnabend ein Denkmal für den während des Ruhrkampfes von Franzosen wegen angeblicher Spionage erschossenen Albert Schlageter enthüllt. Dabei hieben die Oberbürgermeister Lehr- Düsseldorf und I a r r e s- Duisburg Ansprachen. Als letzter Redner sprach der Jnflationsreichs- kanzler Tuno, jetzt wieder Generaldirektor der Hamburg-Amerika- Linie . Er hielt es für ratsam, in dieser wirtschaftlich so trüben Zeit an die„immer große und unvergeßliche" Zeit zu erinnern, in der unter seiner Führung die Mark an Wert ins Bodenlose sank!
Eamille Huysmans 60 Lahre. Die Feier in Brüssel . Prüssel, 23. Mai.(Eigenbericht.) —-Die belgische Arbeiterpartei hat den 60. Geburtstag C a mi l l e H u y s m a n s' eindrucksvoll gefeiert. Ansprachen hielten Bänder- neld'e, A n s e e l e und D e st r e e. Aus dem ganzen Lande, düs Wallomen und aus Flandern , wurden dem Jubilar Blumen und Geschenke übersandt. Vanderoelde erinnerte an die Tätigkeit Huysmans ' als Sekretär der Sozialistischen Arbeiterinternationale von 1903 bis 1920. besonders auch bei der Stockholmer Friedens- aktion 1917. Er betonte, daß Huysmans dabei den Mut gehabt bat, in der. Minderheit zu bleiben, in der Minderheit, von der Ibsen sagte, daß sie immer endlich Recht hat. 5)uysmaiis ist ja auch trotz Stockholm belgischer Minister geworden. Anseele sprach von den großen Fortschritten, die der Sozia- lismus dank Huysmans im klerikalen Flandern gemacht hat. D e st r e e drückte die Sympathie der wallonischen Sozialisten für den Flamen Huysmans aus: Dank Huysmans ist die Parlei die einzige im Lande, die eine ausführbare Lösung der Sprachenfrage gezeigt hat, eine Lösung, die die Einheit der Partei gerettet hat und die Einheit de« Landes. Als Staatsmann und Journalist hat Huysmans durch seine Tätigkeit gegen die Feswngzentwürfe eine solche Weltdung in der öffentlichen Meinung verursacht, daß die parlamentarische Mehrheit geteilt wurde und die Regie- rung stürzte. * Der Flame Eamille Huysmans, dem seine 60 Jahre nicht an- zusehen sind, ist von dem einen Elternteil her spanischer Abstam- mung— und das erkannt man aus dem interessanten Kopf und der Schlankheit der hohen Figur sofort. Ein großes Sprachcntalcnt gab Huysmans die Möglichkeit, als internationaler Sekretär mit einer ganzen Anzahl der angeschlossenen Parteien in ihrer Sprache zu verkehren. Er ist damals auf den meisten unsererjßarteitagc gewesen, auch nach dein Krieg hatten wir öfter die Freude, ihn bei uns zu sehen. Wir schließen uns den Glückwünschen der belgischen Genossen und der Internationale auf das herzlichste an.
Oer Antisaschistenprozeß. Anklage gegen die Organisation„Giuslizia e Liberia". Rom . 23. Mai.(Eigenbericht.) Ein revolutionärer Plan bürgerlicher Intellektueller und gemäßigter Sozialisten, der im vergangenen Herbst zum Sturz der faschistischen Herrschaft führen sollte und sehr viel« Berhaftungen. zur Folge hatte, wird am Sonnabend durch die Anklageschrift in seinen höchst interessanten Einzelheiten ausgedeckt. Es müssen sich nämlich zehn von diesen Intellektuellen am 29. Mai vor dem Ausnahmegericht verantworten. Von ihnen werden als Führer die bekannten Mailänder Antifaschisten Ricardo Bauer und E r n e st R o s s i angegeben: drei sind flüchtig. Unter den anderen Angeklagten sind Ingenieure, Universitätsprofessoren und Flieger. Die am Sonnabend veröffentlichte Zlnklogeschrift zeigt die Pläne der Revolutionäre in vielen Einzelheiten auf. Nach der Anklage haben sie in Mailand . Sardinien und anderswo eine geheime revolutionäre Organisation republikanischen Charakters gehabt.' Der Name dieser Organisation war gleichzeitig die Losung: '.G e r e ch t i g k e i t u n d F r e i h e i t." Sie Hobe den bewaffneten Aufstand und Bürgerkrieg zum erklärten Ziel gehabt. Dieser, viele Kreise umfassenden Organisation hätten Republikaner . Sozialisten, Liberale und Demokraten angehört. In zahlreichen geheimen Bcr- sammlungen habe sie ihre Propaganda getrieben mit Flugschriften und sie in breite Massen getragen. Auch Bomben seien ange- fertigt worden, mit denen die staatlichen Gebäude belegt werden sollten. Gelder seien auf ollen Wegen für diesen Kampf gesammelt worden. Nach der Anklageschrift hätte die Untersuchung ergeben, daß die ganz« Bewegung von der Pariser Antifaschisten»
zentrale unterstützt und geleitet worden sei. Der Flieger Viezzoli sollte bei Ausbruch der Revolution Flugze.ttel über Rom abwerfen und die Bevölkerung zum Aufstand auf- rufen, ähnlich, wie es Bassanesi einmal über Mailand getan Hai. Die Korrespondenz wurde von der Schweiz heimlich im Auto ab- geholt. So kam die Sache heraus.
Käuflicher Korrupiionsbekämpfer. Eine Erttärung Davidsohnel. Bon G. Davidsohn erholten wir folgendes Schreiben: In Ihrem Artikel„Käuflicher Korruptionsbekämpfer" vom 23. Mai'1931(Morgenausgabc) behaupten Sie- 1. ich sei meines Postens als Redakteur der Zeitschrist„Der abstinente Arbeiter" und als Mitglied des Vorstandes des Deutschen Arbciter-Abstinenten-Bundes enthoben worden. Diese Behauptung ist unwahr. Wahr ist, daß ich freiwillig zurückgetreten bin, nachdem vor mir Simon Katzenstein seinen Austritt vollzogen hatte; 2. ich hätte im Komplott mit entlassenen Angestellten des Deutschen Broucr-Bundez und als deren Vermittler diesen Ratschläge gegeben und an einer Broschüre, die diese entlassenen Angestellten herausgeben wollten, aber nicht Herausgaben, Geld verdient. Diese Behauptungen sind unwahr. Wahr ist, daß ich keinen entlassenen Angestellten des Deutschen Brauer-Bundes kenne, daß ich keinem entlassenen Angestellte:: des Deutschen Brauer-Bundes Ratschläge erteilt und an keiner Broschüre, die entlassene Angestellte des Deutschen Brauer-Bundes unterdrückten, Geld verdient habe. Achnliche Behauptungen, die das Wochenblatt„Neuland" kürz- lich ausstellte, werden demnächst in zwei Beleidigungsprozessen ge- klärt werden. GeorgDavidsohn. Die entscheidende Behauptung unserer gestrigen Ausführungen ging dahin, daß Dovidsohn um die Jahreswende 1928/29 vom Chef der Propagandaobteilung des Brauer-Bundes ein Honorar von rund 1000 M. für dos Nicht erscheinen einer angekündigten Broschüre erhalten habe. Es muß festgestellt werde, n daß die oben abgedruckte Erklärung sich nur auf einen spateren Porgang bezieht, den von 1928/29 jedoch mit keinem Wort berührt. Zusammenbruch der Kleinindustrien. v Klagen der Landgemeinden. Der Preußische La«dgemeindetag West hat in einer Eingabe an den Reichswirtschastsminister auf die in letzter Zeit immer mehr »m sich greisende Konzernierung bzw. Vertrustung hin- gewiesen, die eine außerordentliche Gefahr für die in ,i>en Land- gemeinden angesiedelte Industrie darstellt und das gesamte Erwerbs-
leben in diesen aufs äußerste gefährdet, da hiernach nicht nur der einzelne Arbeitnehmer brotlos wird, sondern auch die auf dtp wertvolle Kaufkraft der Arbeiterbevölkerung sehr wesentlich an- gewiesene Geschäftswelt in ihrer Existenz bedroht ist. Vor allein aber wird auf diese Weise in den betroffenen Gemeinden die Steuer- basis vollständig erschüttert, während gleichzeitig die an sich schon hohen Lasten der Gemeinden eine unerträgliche Steigerung erfahren. Durch dies« verderblichen Vorgänge wird gleichzeitig ober auch die doch gerade regierungsseitig betriebene und eifrigst geförderte Wirtschafts- und Siedlungspolitik untergraben; denn auf Grund des Erliegcns der verschiedensten für da» platte Land lebenswichtigen Industrien muß zwangsläufig die A b- Wanderung in die umliegenden Großstädte immer größeren Umfang annehmen. Mit Rücksicht auf die an sich schon große Not der Landgemeinden hat daher der Preußische Landgemeindetag West den Herrn Reichswirtschaftsminister gebeten, zum Schutze der bedrohten Landgemeinden, der Arbeiterschaft und des gesamten geschäftlichen Mittelstandes dieser gefahrdrohenden Entwicklung erhöhte Aufmerk- somkeit zu schenken und ihr durch geeignete Maßnahmen zu begegnen.
Spanische Markaufwertler. Die Regierung verbietet eine Queruiantenversammlung. Madrid . 23. Msi. Dieser Tage hatte die spanische Vereinigung von Papiermarkbesitzern beschlossen, eine Versammlung abzu- halten und an die vorläufige Regierung der Republik zu appellieren, baß bcr Außenminister einen diplomatischen Schritt mit dem Ziel unternehme, daß Deutschland das Papiergeld anerkenne. Die Versammlung sollte in einem Theater stattfinden, wurde aber verboten. Keine Gerichtslermiue am Verfassungsloge. Wie der Amtliche Preußische Pressedienst mitteilt, ersucht der Justizminister, vor- behaltlich weiterer Bestimmungen über die Feier des diesjährigen Berfassungstoges. schon jetzt, auf den 11. August d. I. Termine tunlichst nicht anzuberaumen. Die ungarische Parlamenlswahl soll vor der Ernte zwischen dem 28. Juni und dem 7. Juli abgeholten werden Bethlen bemyht sich um eine bürgerliche Einheitsfron)!. 3m Prozeß gegen französische Exminister hat der Untersuchunos- ausjchuß des Senat?(als Stoatsgerichtshof) drei Vizepräsidenten aewählt.unb beschlossen, am 29. Mai mit der ergänzenden Unter- suchung zu' beginnen. Die Untersuchung wird geheim sein und soll noch im Juni beendet werden.