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Vorwärts immer...! Organisation der politischen Arbeit. Voll?rllll2 Klühs. Mit einem kaum verhohlenen Neide blicken die bürger­lichen Parteien auf die festgeschlossenen Reihen der Sozial- demokratie. Mit einem Neide, den sie zu verschleiern suchen durch herablassende Bemerkungen überZahlabendpolitik" und über dasBonzentum", das angeblich die größte Partei Deutschlands zu einem Haufen blind Gehorchender gemacht habe. Ungeistige Hilflosigkeit prägt sich in solchem Urteil aus. Man versteht die geistigen Bande nicht, die in der Orga- nisation die Massen der Sozialdemokraten zusammenketten, und wegen dieses Nichtverstehens kommt man zu den un- möglichsten Vorstellungen und Urteilen. Dabei liegt das Geheimnis unserer Erfolge und unserer Unllberwindlichkeit offen zutage. Seit nach dem Fall des Sozialistengesetzes die Sozialdemokratie wieder in der Oeffentlichkeit tagen konnte, hat sie die Offenheit in allen Dingen ihres inneren Lebens gleichsam zum Grund- satz erhoben. Da steht eine lange Reihe von Parteitagsproto- kollen vor mir, von Halle im Jahre 1890 angefangen bis zum zweiten Magdeburger Parteitag von 1929. In jedem dieser Bände befindet sich ein ausführlicher Arbeitsbericht der Parteileitung, in den letzten Jahren noch ergänzt durch ein Jahrbuch, das vor dem Parteitag herausgegeben wird. Wer die Sozialdemokratie kennen und begreifen lernen will, auch wenn er ein Gegner ihrer Ziele ist, der sollte gelegentlich einen Blick in diese Berichte tun. Sie würden ihm ein Ge» heimnis entschleiern, das eigentlich kein Geheimnis ist: die Organisation der politischen Arbeit durch Organisation! Das Glaubensbekenntnis jedes Sozialdemokraten läßt sich zusammenfassen in die wenigen Worte: Aus der Unkultur privatkapitalistischen Profitstrebens zur höheren Gesellschafts» form des organisierten Gemeinschaftswillens! Um dieses hohe Ziel zu erreichen, ist nötig die tatbereits, opfernde Mitarbeit jedes einzelnen, zusammengefaßt in den Kampfverbänden der Partei, zusammengehalten durch die Solidarität, die sich gründet auf den gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse und getragen wird von dem gemeinsamen Wollen, vorwärts und e m p o r zu steigen! Diese fast selbstverständliche gemeinsame Arbeit von zehn- taufenden, von Hunderttausenden Arbeitern und Angestellten hat die Sozialdemokratische. Partei zu dem unzer stör- baren Organismus gemacht, der sich in ihrer äußeren Organisation widerspiegelt. Die Organisation aber würde nur eine seelenlose Maschine sein, wenn sie nicht von dem idealen Schwung belebt wäre, den der sozialistische Glaube und der W i l l e z u m W i r k e n ihr verleiht. Ein Blick in das Jahrbuch 1930 bestätigt diese alte Tatsache mit neuen Belegen. Politiker, die öffentliches Ge- schehen nur von der hohen Warte der Parlamentstribüne aus beurteilen, pflegen in ihre politische Rechnung nur die Be- deutung, die Geschicklichkeit und die Verantwortungsfreude derFührer" einzustellen. Sie wissen nicht, daß in der demo- kratisch organisierten Maffe politische Kräfte lebendig sind, die ihr Eigengewicht haben und kein Spielball in den Händen eines Führers sind, der die Fühlung mit ihnen verloren hätte. Aber diese Kräfte sind ein gewaltiges Plus für jeden wirklich führenden Geist, der ihr Vertrauen gewinnt nicht durch fade Schmeicheleien, sondern durch harte und ehrliche Arbeit im Dienste der gepieinsamen Sache. Dieses Vertrauen zur Arbeit der Partei und ihrer Führer spricht deutlich aus den nüchternen Zahlen, die das Jahrbuch 1930 über die Organisationsverhältnisse aufführt. Mehr als eine Million Sozialdemokraten sind als Kerntrupp einer großen Bewegung in der Partei organisiert, das heißt, sie zahlen regelmäßig ihren Beitrag, sie nehmen teil an dem politischen Leben der Partei, sie helfen die Wahlkämpf� vor- zubereiten und durchzuführen, sie halten sich und ihre Ver- bände dauernd kampfbereit für die Ideale des Sozialismus! Aber diese Riesenzahl arbeits- und opferbereiter Mitkämpfer ist nicht auf wenige Landstriche zusammengedrängt. Sie ver- teilen sich auf das ganze Reichsgebiet von den Ufern des Rheins bis nach Ostpreußen , von den Kohlenbezirken Ober- schlefiens bis zur Wasserkante, von den bayerischen Alpen bis zur dänischen Grenze. Nicht weniger als 9814 Ortsgruppen wurden am Schluß des Jahres ge- zählt. In jeder von ihnen pulsiert warmes politisches Leben. In jeder von ihnen wirkt die Kleinarbeit der N i e e r m ü d e t e n, die in der sozialistischen Gemeinschaft und im Wirken für sie die geistige Befriedigung finden, die ihnen die mechanische Tätigkeit im modernen Fabrikbetriebe vorenthält. Welche Unsumme von Fleiß, Opfermut und Bekenner­treue in dieser Arbeit liegt, kann nur der ermessen, der sich in die sozialen Verhältnisse der Mitglieder unserer Orts- vereine zu versetzen weiß. Noch am leichtesten haben es da die Arbeiter in den Jndustrierevieren und den Großstädten. Unendlich mühsam aber die Proletarier in den Kleinstädten und auf dem flachen Lande, denen vielfach auch die be- scheidenste Möglichkeit zur geistigen Fortbildung fehlt. Trotz allem aber harren sie aus im Dienste der Idee, für ein Ziel, dessen Würde und Schönheit sie lockt, von dem sie aber über- zeugt sind, daß es erst voll von einer neuen Generation er- reicht und erkannt werden kann. Deshalb auch der Wunsch, daß die Jugend sich mit gleicher Liebe und dem gleichen Eifer in die Reihen der Kämpfer stellt, die diesem Ziel zustreben.. Es ist eine der bös­willigsten Erfindungen der Gegner, daß die Sozialdemokratie ohne Jugend fei. Schon ein flüchtiger Blick auf die Mitglieder- listen, noch mehr aber auf die Beranstaltungen der Partei zeigt das Gegenteil. Aber es ist nötig, der nachwachsenden Generation immer neu vor Augen zu führen, wie stark die Arbeiterklasie sein kann, wenn sie im Wollen und Handeln einig ist. Dieses Wollen setzt Erkenntnisse voraus von der demokratischen Selbstbestimmung und der demokratischen Mitverantwortung des einzelnen. Dieses Handeln aber bedingt freiwilliges Einordnen in selbst-

gesetzte Schranken, bedingt das Deifeitelaffen des Ich und seine Ersetzung durch ein starkes überzeugtes: Wir! Getragen von diesem Wir-Gedanken wuchs unsere Orga- nisation aus schwachen Anfängen zu dem stolzen Gebäude der Gegenwart. Getragen von diesem Gedanken ist sie die K ü n d e r i n und Mittlerin des politischen W o l l e n s der großen Masie ihrer Glieder, der Mühseligen und Beladenen, die es satthaben, sich zu ducken, die kühn und aufrecht der Zukunft entgegengehen mit dem Treuegelöb- nis: Vorwärts immer rückwärts nimmer!

Vor der Eröffnung. Oer Parteiausschuß zur Oisziplinfrage. Leipzig , 30. Mai. (Eigenbericht.) Am Sonnabentwor- und nachmittag tagte in Leipzig der Parteiausschuß zur Vorbereitung des Parteitage». Der Parteitag wird am Sonntagnachmittag in dem festlich geschmückten Volkshaus von Otto Wels eröffnet.*

Det Vorsitzende des ADGV. hat an Reichskanzler Brüning das nochstehende Schreiben gerichtet: Sehr verehrter Herr Reichskanzler! Die Sorge um das Schicksal des deutschen Volkes, die Sie in den Stunden der Entscheidung über die neue Rotoerordnung bewegt, wird auch von uns geteilt. Im Auftrage unsere» Bunde «- vorstände» beehre ich mich daher. Ihnen nochmal» kurz unsere Ausfassung darzulegen. Die bisherigen Maßnahmen der Regierung haben den Umfang der Arbeitslosigkeit nicht verändert. Der Lohnabbau hat die Krise verschärft. Er hat die Sauf- kraft geschwächt, die Steuereingänge herabgedrückt und einen wesentlichen Teil des Defizits der öffentlichen Haushalte verursacht. was an Kaufkraft übrig blieb, wurde von der Agrarpolitik aufgezehrt. Durch den Auftrieb der preise wichtigster Rohrungs- und Fullermillel auf da» Zwei- bis Dreifache der Weltmarktpreise erhält die G r o h l a n d w i r t s ch a s l auf Kosten der städtischen Bevölkerung eine Subvention, die den Ausgaben für die so oft ungerechtfertigt angegriffene Arbeitslosenversicherung mindestens gleichkommt. E, kann der Arbeiterschaft nicht zugemutet werden, diese Last weiter zu tragen. Aber sie ist bereit, eine namhafte Arbeit»- Zeitverkürzung aus sich zu nehmen, um die vorhandenen Arbeitsgelegenheiten mit den erwerbslosen Kollegen zu teilen. Die allgemeine gesetzliche lO-Stunden-woche ist ein dringendes Erfordernis. Die sozialen Versicherung», und Versorgungs­leistungen müssen erhalten bleiben. Die Sozial­versicherung ist durch die Reservenentwertung infolge der Inflation

Die Tagesordnung des Leipziger Parteitages weist keinen Punkt auf, der sich ausdrücklich auf Problem« der internationalen Politik bezieht. Auch das vorgesehene Referat des Genossen Breitscheid über den.Kampf gegen den Faschismus* ist wohl vorwiegend als eine innenpolitische Kampfansage unserer Partei an die deutsche Abart des Faschismus, gegen den sogenannten Nationalsozialismus gedacht: dabei können wohl die Erfahrungen der anderen Sektionen unserer Internationale herangezogen, aber doch nur gestreift werden. Bei der ungeheuren Fülle der innerdeutschen Probleme politischer und wirtschaftlicher Art, die der Leipziger Parteitag zu behandeln hat und die seine vorgesehene Dauer vermutlich mehr als genügend ausfüllen werden, ist es erklärlich, daß man diesrnol von einem besonderen außenpolitischen Referat abgesehen hat. Wenn nicht dos berechtigte Argument der Ueberlastung dafür den Aus- schlag gegeben hätte, mußte man diesen Verzicht aus eine Aussprach« über die großen Probleme der internationalen Politik als eine Lücke empfinden und ihn bedauern, zumal im Hinblick auf den neuen Kongreß der Sozialistischen Arbeiterinternationale, der in der zweiten Julihälfte in Wien zusammentritt. Indessen darf man wolzl feststellen, daß in allen großen Fragen der Internationale und der auswärtigen Politik innerhalb der deutschen Sozialdemokratie ein weites Maß von U« b e r e i n- stimmung besteht, und dieser Umstand ist es, der den Verzicht auf eine außenpolitische Diskussion in Leipzig erleichtert. Wäre es anders, würden tatsächlich innerhalb der Partei wesentliche Mei- nungsverschiedenheiten über Probleme dieser Art vorhanden sein, dann würden sie längst ihr Echo in der Parteipresse gefunden haben und der Ruf nach einer Klärung auf dem Parteitag wäre nicht nur laut ertönt, sondern sicherlich auch berücksichtigt worden. Tatsächlich besteht innerhalb unserer Reihen, obrechts* oder .links*, allgemein die Erkenntnis, daß die von der.deutschen Sozial- demokratie befürwortete auswärtige Politik in ihren großen Linien die einzige richtige und auch die einzige mögliche war. Wir waren immer bestrebt, im Rahmen der gegebenen realpolitischen Möglichkeiten die Synthese zwischen den nationalen Interessen der deutschen Republik und den internationalen Erfordernissen des Friedens herzustellen. Das war nicht immer leicht.' Nicht etwa, weil tiefgehende objektive Gegensäße zwischen den Interessen des deutschen Volkes. Namentlich der deutschen Arbeiterklasse, und denen anderer Völker, insbesondere des Weltproletariats, bestehen. Wir

Der Ausschoß beschäfNgt- flch haopkflchktch«tt orgaokfatorkscheo Fragen und nahm Stellung zu den an den Parteitag gerichteten Anträgen. E» wurde unter-anderem beschlossen, alle An- träge gegen die neun sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, die bei der Abstimmung über die erste Rate für den Panzerkreuzer S gegen die Fraktion für die Ablehnung dieser Rate gestimmt hatten, durch Annahme einer Mißbilligung für erledigt zu erklären und dem Parteitag die Annahme einer entsprechenden Entschließung zu empfehlen, in der die sozlaldemokrakische Reichsiagsfrakiion zugleich ermächtigt wird, den Abstimmuagszwang zn beschließen und strengstens durchzuführen. Der Parteiausschuß setzt seine Beratungen am Sonntag­vormittag mit der Frage fort, wie der p arteivorstaud nach dem Tode Hermann Müllers ergänzt werden soll und welche Personen dem Parteitag für die Ergänzungswahl in Vorschlag gebracht werden sollen. * Außer dem parleiausfchuß tagten am Sonabend im Volkshaus noch zahlreiche andere parleiinslitutionen.

sowie durch die Mindereinnahmen und Mehrausgaben infolge der Krise gefährdet: sie muß gesichert werden. Insbesondere muß die Versorgung der Arbeitsloseu in ihrem bisherige« Aus- maße bestehen bleiben: die zusätzliche Finanzierung muß au» Milleln de» Reiche, ermöglicht werden, gegebenenfalls mit Hilfe derjenigen, die infolge ihrer Stellung oder ihres Einkommens von den Gefahren der Arbeitslosigkeit verschont bleiben. Die Steuerlasten sind gewiß ein« schwer« Bürde ge­worden. Aber der Staat muh gerade in Zelten der Rot seine sozialen verpfllchiungen gegen die ärmsten Schichten de» Volke» mit allen Mitteln erfüllen. Zu diesem Zwecke müssen vermögen und höhere Einkommen vordringlich in Anspruch genommen werden, zum Beispiel durch weitere Zuschläge zur Einkommens-. vermögen»-. Erbschasts- und Auffichlsratssteuer. Die Regierung muß ferner jede Möglichkeil für die Aufnahme von Ausländsanleihen wahrnehmen, damit die öffentlich« Verwaltung die Mittel für umfassende Arbeitsbeschaffung erhält. Die bevorstehende Rotverordaung muß von folgenden Leil- gedanken beherrscht sein: 1. Belebung der Kaufkraft. Abkehr von der gegenwärtigen Agrarpolitik. 2. Erhaltung der sozialen Versichernag», und Versorgungs­leistungen. Besteuerung der Lrlstungssähigea. Z. Entlastung de» ArbeUsmarkle». Gesetzliche Einführung der 40-Slunden.Woche. Ohne Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte. Herr Retchs- kanzler, und ohne gleichzeitigen Verzicht auf weiteren Lohnabbau wird weder die dringend noiweadlge soziale und politische Eat- spannung noch der erhosste Auftrieb der Wirtschaft eintreten. Zn ausgezeichneter Hochachtung Lei park.

, sind im Gegenteil überzeugt, daß unsere außenpolitischen Ziele, die I nächsten wie die fernsten, sich durchaus mit den Bedürfnissen aller übrigen Völker vertragen. Wir haben auch stets für dies« Ziele das weitestgehend« Verständnis bei der Internationale, oft sogar mutige Unterstützung bei unseren ausländischen Bruder- Parteien gesunden, vor allem bei den französischen und b e l- g i s ch e n Sozialisten, die es im Kampfe gegen die Nationalisten im eigenen Lande mindestens so schwer haben wie wir. Aber Deutschland ist nun einmal als Besiegter des Welt- krieges, als Objekt des Verfailler Vertrages, in einer besonderen Lage: auf den internationalen Konferenzen der Regierungen wie auf den Zusammenkünsten unserer Internationale müssen die beut- schen Vertreter fast immer als die Fordernden, die Nehmenden er- scheinen. Und da die Welt gegenwärtig alles eher denn sozialistisch regiert wird, stoßen unsere Forderungen bei den Herrschenden meist auf schwere Widerstände: Zugeständnisse lassen sich nur im harten Kampfe abringen, sie werden immer von den eigenen Nationalisten als völlig ungenügend, von den Nationalisten der anderen Seite als viel zu weitgehend kritisiert: der blöde SchmährufVerrat* ertönt stets im Chor auf beiden Seiten der Grenze gegen die Träger der Verständigungspolitik. Diese kann leider immer nur eine Politik der Kompromisse sein. Denn ist das Absolute in keinem Zweige der Politik erreichbar, so gilt das ganz besonders für die Auslandspolitik. Sie erfordert Geduld und nochmals Geduld, besonders für uns Deutsche . Sie zwingt uns, Vernunft und nochmals Vernunft zu predigen, besonders uns Sozialdemokraten, die wir allein fähig und entschlossen sind, das Ab- gleiten des Bürgertums auf nationalistische Irrwege zu verhindern, die wir immer die Regierungen und ihre Parteien davor warnen und daran hindern müssen, gefährliche Konzessionen an die chouvi- nistische Ideologie zu machen. Fürwahr, eine undantbareAuf- gäbe, die auch in den politisch unreifen oder ungeschulten Teilen der deutschen Arbeiterschaft auf Kritik und Ablehnung stößt: eine Aufgabe, von der wir ohne salfche Bescheidenheit ruhig sagen dürfen, daß sie oft Mut erfordert, mehr Mut als ihn jene aufzubringen brauchen, die das Volk immerfort aufpeitschen und mitnationalen* Schlagworten berauschen. Indessen beweist der weltpolitische Wiederaujstieg Deutschlands seit Versailles und besonders seit dem Ende des Ruhrabenteuers, daß unsere Beharrlichkeit nicht vergebens war: die Räumung aller besetzten Landesteil« vom

Die Arbeiterschast fordert. Die steten Gewerkschaften an den Kanzler.

Wir sind der Friede! Leipziger Parteitag und auswärtige Politik.- Von Victor Sdutt.