10 Pf. Nr. 252 B 126 48. Jahrgang
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Aus Lugano wird uns zur Vorgeschichte des schweren Konfliktes zwischen dem Faschismus und dem Vatikan geschrieben: Der„Lavoro fascista", das Organ der Syndikate, hat durch Spitzel, die es im klerikalen Lager hält, ein Stenogramm von zwei geheimen Sitzungen der„Azurne cattolica" erlangen können, eine vom 12. und eine vom 16. und 17. April. In diesen Sitzungen sind a n t i f a s ch i st i- sche Tendenzen ziemlich klar hervorgetreten. Als Leit- satz wurde aufgestellt: die katholischen Organisationen inner- halb der Arbeiterschaft zu fördern.„Unsere Tätigkeit muß sein ohne zu scheinen; man muß die rein r e l i g i ö- sen Kundgebungen vermehren und allein sichtbar werden lassen, so daß wir dem Gegner keine Blöße bieten, in der er uns treffen kann. Wenn er trotzdem auf uns einschlagen will, so ist es opportun, daß dies auf religiösem Gebiet erfolge, so daß wir den Faschismus vor der öffentlichen Mei- nung Italiens und der ganzen Welt anklagen können, daß er gegen uns vorgeht, nicht, wie er versucht hat, weil wir eine politische Bewegung gegen die Regierung vorbereitet hätten, sondern einzig und allein wegen unserer religiösen Bewegung und wegen rein religiöser Kundgebungen, und das entgegen den durch das Konkordat übernommenen Verpflichtungen." Es wurde weiter hervorgehoben, daß heute die katholischen und die faschistischen Organisationen tatsächlich u n v e r e i n- bar seien, so daß gelegentlich die faschistische Sektion die Mitgliedskarten der katholischen Arbeiter hat einziehen lassen. Es ist dann vom Generalsekretär der katholischen Aktion, einem Professor S a l v a t o r i, vorgeschlagen worden, we- nigstens den katholischen Führern den Eintritt in die fa-
schistischen Syndikate zu verbieten, doch wurde das abgelehnt. Ein anderer Redner hat gegen das kampflose Aufgeben der Positionen, wie in dem Fall der P f a d s i n d e r, der land - wirtschaftlichen Kreditkassen usw. gesprochen. Auch die Hal- tung der obersten kirchlichen Behörden, die erst eine gegebene Taktik autorisieren und sie dann desavouieren, ist gemiß- billigt worden. Wichtig ist weiter eine Aeußerung des Grafen Dalla Torre, des Herausgebers des„Osfervatore Ro- mano", über die katholische Presse. Er meinte, daß man in Italien vier mächtige Tageszeitungen haben müsse, um dem verhängnisvollen Einfluß der faschistischen Blätter entgegenzuwirken. Er schloß mit der Bemerkung, daß dem Dachs im Winterschlaf die Krallen wüchsen. Interessant war auch, daß ein Redner auf die Ereignisse in Spanien als eine Folge der Diktatur hin- wies. An Stelle des Ankaufs eines Kelches für eine Million Pesetas hätten die spanischen Katholiken eine Tageszeitung zur Verbreitung ihrer Ideen gründen sollen, schloß Mon- seignore P i z z a r d o. Dann wären die antiklerikalen Exzesse unterblieben.< Die Veröffentlichung dieses Versammlungsberichtes hat nun in Italien ganz ausgiebige„antiklerikale Exzesse" aus- gelöst: Verbrennung eines Papstbildes, Miß- Handlung katholischer Studenten, Beschimpfungen eines Kruzifixes, usw. Und dann die Schlammströme der Eni- rüstung, die das Blatt dem von ihm veröffentlichten Spitzel- bericht beifügt! Es schreit„nach extremen Mitteln gegen ex- tremes Uebel". So geht es in Italien zu im dritten Jahr des Konkor- dats. Mussolini kann seine Leute nicht mehr im Zaun halten.
Leipzig . 2. Juni. (Eigenbericht.) Am Dienstagvormittag nahm der Parteitag zunächst ein fast zweistündiges Referat des Vorsitzenden der sozialdemo- kratischen Reichstagsfraktton Dr. Breitscheid über die Gefahren des Faschismus entgegen. Breitscheid begann mit einer historischen Betrachtung über den Werdegang Mussolinis und den Werdegang des Faschismus in Italien . Als der Marsch auf Rom vor sich ge- gangen sei, habe Mussolini in der Nähe der Schweizer Grenze gesessen. Dieses Talent von Charakterlosigkeit sei erst wieder auf der Bildfläche erschienen, als der Marsch zu 1<X> Proz. gelungen gewesen wäre. Als das erste Experiment der Fabrikbesetzung in Italien gemacht worden sei, habe Mussolini
SSreUfcheid
den Arbeitern den Rücken gestärkt. Als dann aber die Arbeiter- schaft den Kampf verloren hätte, sei der Faschismus als Orb- nungsstifter aufgetreten. Der deutsche Faschismus sei später entstanden, nicht als ob in Deutschland unmittelbar nach dem Kriege nicht ähnliche Vorbedingungen vorhanden gewesen wären, wie in Italien . An Empörung der Krieger über die Daheingebliebenen, die sich, während die Soldaten ihr Blut vergossen, bereichert hätten, habe es in Deutschland nicht ge- fehlt. Ebenso habe es nicht an deklassierten Existenzen ge- fehlt, an Menschen, die nach vier Jahren Krieg nicht wieder in das bürgerliche Leben zurückfanden, die Landsknechte waren und Landsknechte geblieben seien. Das Elend der dauernden Arbeitslosigkeit, die Unsicherheit des Erwerbs, die Verarmung breiter Schichten habe dann die Anfänge des Faschismus in der Nachkriegszeit immer mehr erstarken lassen. Was die Bewegung jedoch Neues gebracht habe, sei im wesentlichen die Lebhaftigkeit der Propaganda, die Romantik der Ziele wie der Mechoden. Was ihr zum Vorteil gereicht, sei das An- wachsen der Klasse, die durch die Entwicklung zum Groß- betrieb und zum Monopolkapitalismus hin ihrer Selbständig- keit mehr und mehr verlustig gehe, die sich proletarisiert sche und die doch diese Proletarisierung fürchte und abwenden möchte. Für den größten Teil der leitenden Mäner im deutschen Nationalsozialismus sei das Proletariertum und der Sozia- lismus nie viel mehr gewesen, als auf der einen Seite Stim- menfang und Erpressungsmittel auf der anderen. Die Herren wären bereit gewesen, unmittelbar nach der Wahl vom -14. September mit den kapitalistischen Parteien gegen die Arbeiterschaft zusammenzugehen. Die Taktik der National- sozialisten im Reichstag hätte in diesem Winter mit einem
Mißerfolg geendet. Der Auszug aus dem Parlament sei im Grunde nur der Ausdruck eines Fiaskos gewesen. Die Sozialdemokratische Partei und ihre Reichstags- fraktion hätten sich nicht verleiten lassen, das Spiel ihrer Gegner zu spielen. Gewiß habe man neue und schwere Opfer auf sich nehmen müssen, aber dadurch sei auch verhindert worden, daß das Parlament arbeitsunfähig wurde und die Feinde des Parlamentarismus an ihrem Ziel angelangt wären. Die Sozialdemokratie habe ihre ganze bisherige Abwehr in erster Linie auf die Fernhaltung der Nationalsozialisten von einer Beteili- gung an der Regierung in Gemeinschaft mit den bürgerlichen Vertretern eingestellt. Das Wesentliche sei für sie gewesen, eine sozusagen auf friedlichem Wege zustande gekommene bürgerlich-nationalsozialistische Koalition zu verhindern, und es liege kein Anlaß im Grundsatz vor, die bisher angewandte Me- thodezuändern. Am Schlüsse seiner Rede wies Breitscheid mit allem Ernste auf die Gefahren hin, die ein Abgleiten der Außen- Politik in den nationalistischen Kurs nach sich ziehen würde. Er rief aus, daß er solche Gefahren sehe, und er sprach Zweifel aus, ob Herr C u r t i u s der Mann sei, ihnen ent- schlössen zu begegnen. Der ganze Parteitag, der diese Ausführungen mit leb- hafter Bewegung entgegennahm, empfand, daß hier eines der ernstesten Probleme der deutschen Politik berührt wurde! Die neue Notverordnung. Heute redaktionelle Fertigstellung. Unter Vorsitz des Staatssekretärs Zweigert tagt seit heute vormittag ein Ausschuß der zuständigen Referenten zur re d a k- tionellen Bearbeitung der neuen Notoerord- nung, die in der gestrigen Kabinettssitzung abschließend beraten wurde. Das Reichskabinett wird dann heute abend um 21 Uhr noch einmal zusammentreten, um zu dem dam» vorliegenden
Wortlaut der Notverordnung Stellung zu nehmen. Am M i t t- wochvormittag findet eine letzte Kabinettssitzung statt, nach deren Beendigung sich Reichskanzler Brüning zum Reichspräsidenten begeben wird, um über die neue Notoerordnung Vortrag zu halten. * Der Kanzler und der Außenminister werden am Mittwoch abend nach Chequers abreisen. Die Notverordnung wird wahrscheinlich schon während der Reise bekanntgegeben werden. Vor- her oder im Zusammenhang mit der Bekanntgabe der Notverordnung soll eine Art Appell an das deutsche Volk ergehen.
Reuer Konflikt in Rordfrankreich. Belgische Textilarbeiter werden gegen den Streik ausgespielt- Paris , 2. Juni. (Eigenbericht.) In Nordfrankreich droht ein neuer Lohnkonflikt auszubrechen. Der Arbeitgeberverband der Metallindustrie von R o u b a i x- Tourcoing hat den sozialistischen Gewerkschasten am Montag mitgeteilt, daß die Löhne demnächst um vier Prozent gesenkt werden würden. Die Arbeitgeber begründen ihre Forderung mit der kürz- lich von der Jndexkommission festgestellten Senkung der Lebens- Haltungskosten. Die Gewerkschaften, die gegen den neuen Index protestieren, werden bei den Verhandlungen in den nächsten Tagen sich einer Lohnsenkung energisch widersetzen. Die Industriellen haben am Montag eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie be- haupten, daß die belgischen Arbeitergewerkschaften mit der Ab- schafsung der Anwesenheitsprämie, die den Beiträgen für die So- zialversicherung entspricht, einverstanden seien. Die christlichen Gewerkschaften haben in mehreren belgischen Grenzorten Versammlungen abgehalten, in denen die Arbeiter aus- gefordert worden sind, die Bedingungen der Unternehmer an- zunehmen und am nächsten Montag den Streik abzubrechen. Um die Arbeiter beim Ueberschreiten der Grenze vor Gewalttätigkeiten zu schützen, soll die Polizei in den Grenzorten verstärkt werden. wetler für Berlin : Teils heiter, teils wolkig, ohne erhebliche Niederschläge, Temperaturen wenig verändert.— Für Deutschland : Ueberall langsam fortschreitende Besserung, nur noch vereinzelt leichte Gewitterschauer. Im Binnenlande am Tage maßig warm.