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BERLIN  

Donnerstag 4. Juni

1931

Der Abend

Erfcheint täglich außer Sonntag 5. Bugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition: Berlin   SW68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: Donboff 292-297

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Spalausgabe des Vorwärts

10 Pf.

Nr. 256

B 128 48. Jahrgang

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Kindesmord in Lichtenberg  

Stiefmutter erdroffelt elfjährigen Stiefsohn

Ein entsetzliches Verbrechen wurde gestern in der Neuen Bahnhofstraße 5 in Lichtenberg   verübt. Während der Abwesenheit ihres Mannes, des 38jährigen Weichenstellers Kurt Poste, erdrosselte seine

Für die Opfer der Arbeit!

34jährige Frau Anna ihren 10 Jahre alten Stiefsohn Der Parteitag gegen Verschlechterung in der Invaliden- und Unfallversicherung

Manfred mit einer Gardinenschnur. Außerdem brachte die entmenschte Stiefmutter dem Kinde furchtbare Schnittwunden an der linken Pulsader bei. Die Kindesmörderin ist von Mietern das lettemal gestern gegen 16 Uhr gesehen worden, als sie mit einem Kleinen Handkoffer das Haus verließ. Der Mord must wenige Stunden zuvor passiert sein.

Die Tat wurde von Boßte entdeckt, als er gegen 22.30 Uhr von feinem Dienst heimkehrte. Die ganze Wohnung war in größter Unordnung. Als Poste das Schlafzimmer betrat, fah er zu seinem Schrecken fein Kind regungslos auf den Dielen liegen. Der Kopf war in ein Unterbett gedrückt. Um den Hals des Jungen war eine Schlinge aus neuer Gardinenschnur fest zusammengezogen. Der Bater alarmierte sofort das zuständige Polizeirevier. Kurze Zeit darauf trafen auch die Mord tommiffion und ein Gerichtsarzt am Tatort ein. Der Befund ließ den Tatbestand fast im Augen­

blid erkennen.

Frau Poßle hat den ziemlich fräftigen Jungen hinterrüds ge­packt und mit dem Kopf in das Unterbett gedrückt, um ihn am Schreien zu verhindern.

Mit der Gardinenschnur erdrosselte sie dann das wahrscheinlich schon vor Angst halb bewußtlos gewordene Kind. Die schweren Schnitte an der Pulsader sind dem fleinen unglücklichen Opfer nach dem Obduktionsbefund erst, nachdem der Tod eingetreten war, bei­gebracht worden.

Die Mörderin ist flüchtig und entgegen der ersten An­nahme, daß auch sie sich ein Leid angetan habe, steht mit ziemlicher Sicherheit fest, daß sie das Weite gesucht hat. Die Kindesmörderin, die mit Poßte seit etwa 1% Jahren in zweiter Ehe, die kinderlos blieb, verheiratet ist, besaß ein Spartassenbuch über 10 000 mart. Das Geld ist von der Täterin abgehoben worden, ein Beweis mehr dafür, daß der Mord schon seit längerer 3eit geplant sein muß. Poßke hat den Weltkrieg mitgemacht und trat als Hilfsweichensteller bei der Eisenbahn ein, nach­dem er aus dem Heere entlassen worden war. Er war auf dem Berschiebebahnhof Rummelsburg tätig. Seine erste Ehe, aus der der jetzt 10% Jahre alte Sohn Manfred hervorging, wurde im Juni 1928 geschieden. Der Hauptteil der Schuld fiel der Frau zu, und infolgedessen blieb der Sohn beim Bater. Ein Jahr später, 1929, heiratete Boßte zum zweitenmal die aus Angermünde   ge­bürtige Anna Glaz. Die Ehe scheint aber nicht sehr glücklich gewesen zu sein, denn Hausbewohner haben des öfteren Streit zwischen Poßte und seiner Frau gehört.

Das Motiv zu dem schrecklichen Verbrechen ist noch unge= lärt, durch Zeugenvernehmungen, die bisher sehr widersprechend waren, hofft man das Dunkel um den gewaltsamen Tod des Kindes zu lichten.

Der Parteitag nahm den folgenden Antrag der Sozialpolitischen Kommission zum Bericht der Reichstagsfraktion an:

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Der Pareitag stellt fest, daß die anhaltende Wirtschaftstrije in der Invaliden und Unfallversicherung eine Ver­schlechterung der Finanzverhältnisse hervorgerufen hat, die der Sozial­reaktion ein erwünschter Anlaß zu sein scheint, um einen Abbau der Leistungen erzwingen zu fönnen. In der Unfallversicherung, die feinerlei Reichszuschuß bekommt, ergeben sich aus der Berringerung der Belegschaften höhere Umlagefäße, die den Anlaß zur Kürzung der kleinen Renten und der Auferlegung von Kosten im Rechts mittelverfahren bieten sollen, obwohl das Unternehmertum in seinen Beiträgen zur UV.   lediglich eine Ersageinrichtung für seine allge meine Haftpflicht und Schadenersaßpflicht finanziert. In der IV. haben Krise, veränderter Altersaufbau und nicht ersetzte Inflations. verluste in Verbindung mit entzogenen Reichszuschüssen und der mehrten Fürsorgelasten das Eintreten der finanziellen Notlage be­schleunigt.

Der Parteitag erwartet von der Reichstagsfraktion, daß fie An­griffe der Unternehmer auf die Leistungen der beiden Versicherungen

Stahlhelmismus

Rezept

a la Stalin

Man nehme:

Bir müffen uns emporbungern."

Beseitigung

der

Lohntarife

Lebensstandard des Arbeiters

Generaldirektor Reusch

Abschaffung

des Tarifrechts

Zerschlagung der Schlichtungs ordnung Lohn­abbau

Gut

Der Schwerindustrielle: Nach diesem Rezept à la Stalin   werden wir bezw. werden die Arbeiter uns schon emporhungern

-

Der Parteitag fordert für die gesamte Sozialversicherung die Schaffung unabhängiger Selbstverwaltungstörper schaften unter maßgeblicher Mitwirkung der Versicherten.

Die Enttäuschten.

Kommunisten, Galonbolschewiffen, Hugenbergianer. Die Kommunisten und die Hugenberg- Leute weinen gemeinsam, weil der Leipziger   Parteitag ganz anders verlaufen ist, als sie es gewünscht hatten. Der starte Eindruck von Macht und Geschlossen­heit, von Kampfwillen und geistiger Beherrschung der Probleme der Beit paßt nicht in das Bild, von dem sie geträumt haben!

So trösten sie sich, indem sie die unbesonnensten Sprecher der Oppofition als Schwurzeugen aufrufen dafür, daß die innere Zer­rissenheit" nur noch einmal einigermaßen zurechtgebogen" worden fei Die Rote Fahne  " sucht aus der Diskussionsrede von Ed stein agitatorischen Stoff gegen die sozialdemokratische Preußen­politik herauszuschlagen, und der Lokal- Anzeiger" benut die Rede von Portune, um legte Hoffnungen auf sozialdemo­tratische Spaltung zu retten.

Der Aerger der Enttäuschten tritt jedoch ganz deutlich hervor. Die Rote Fahne  " berichtet über die Annahme des Antrags gegen die Disziplinbrecher: Das Ergebnis wird bei den Delegierten und auf der Galerie mit betroffenem Schweigen auf­genommen." Wunderbar erfunden! Die 342 Delegierten, die dem Antrag zugestimmt haben, waren offenbar ,, betreten", daß ihr Antrag angenommen wurde? Dümmer fann man nicht lügen! Einer war freilich sicher betreten: der Kommunist Torgler  , den die KPD.   in ihrer Hoffnung auf fozialdemokratische Spaltung als Be­obachter nach Leipzig   gesandt hat! Der ,, Lokal- Anzeiger" redet von ,, dem siegreichen Parteiapparat". Wie gut ihm die Phraseologie der linksradikalen Angreifer ansteht!

=

Man darf die Salonbolschemisten nicht vergessen, die sich im ,, Berliner Tageblatt" des Herrn Lachmann- Mosse   betätigen. Sie reden davon, daß die SPD  . Opposition nieder­gestimmt worden sei. Niedergeftimmt das klingt so hübsch nach Vergewaltigung und läßt die Position dieser BT.- Leute er­tennen. Sie arbeiten für ein bürgerliches Blatt und sympathisieren mit dem Linksradikalismus.

Der Kampf um Preußen.

Carl Gevering in der Parteitagsnummer des Freien Wort". Das Heft 22/23 des Freien Wort" ist dem Leipziger   Par­teitag gewidmet. Die Probleme, die auf dem Parteitag erörtert wurden, werden darin von den Genossen Tony Sender  , Wilhelm Krüger, Karl Renner  , Julius Deutsch  , Friz Baade besprochen. Hans Vogel   hat dem Heft ein Ge­leitwort zum Parteitag vorausgeschickt. Im Mittelpunkt steht ein

Verkehrsunglück in Schleswig  . urückweist und für eine rechtzeitige und ausreichende Sanierung Hugo Saupe  , Curt Geyer  , Philipp Scheidemann  ,

eintritt. In der UV. ist zu diesem Zweck die Einführung Zwei Berlinerinnen schwer verletzt. einer Gemein la ft für alle Träger der Berufsgenossenschaft und Schleswig  , 4. Juni. die Ersparnis an Verwaltungskosten anzustreben, die heute 10,07 Am Donnerstagmorgen um Uhr hat sich an der Weg- Prozent der Gesamtausgaben betragen. Ebenso find die Ausdehnung Am Donnerstagmorgen um Uhr hat sich an der Weg- des Geltungsbereiches und die Verbesserung der Unfallverhütungs­freuzung Schleswig- Moldenit beim Bahnübergang der Kr eisbahnftrede nach Satrup an der Haltestelle Sankt Jürgen ein vorschriften geeignet, die Tragfähigkeit der UV. zu stärken. schwerer Zusammenstoß zwischen einem Triebwagen der Schleswiger Kreisbahn und einem& raftwagen aus Schleswig  ereignet.

Der Kraftwagen wurde Triebwagen erfaßt und 50 Meter mitgeschleift. Die Karosserie des Kraftwagens wurde abgerissen und stürzte einen 10 Meter hohen Bahndamm herunter. Dabei erlitten drei Personen, und zwar eine Frau Hering aus Berlin  , ihre Schwester Fräulein Dr. Behrend sen aus Klensby und die achtjährige Tochter der Frau Hering schwere Berlegungen. Zwei andere Kinder und der Chauffeur wurden leicht verletzt. Sämtliche Verletzten bis auf den Chauffeur wurden dem Schleswiger   Krankenhaus zugeführt. Der Chauffeur hatte die Signale des Triebwagens nicht gehört.

In der IV. sind eine Steigerung des Beitragsauf. Beitragsklassen und Reichszuschüsse unerläßlich. tommens insbesondere auch durch Auf stodung weiterer Gegenüber dem Verlangen auf Rententürzung verweist der Parteitag auf die Tatsache, daß heute die Durchschnittssäße der Renten mur 36 Mart monatlich betragen und 30 Prozent der Invalidenrentner die öffentliche Fürsorge in Anspruch nehmen müssen. Der Versuch, in der Unfall- und Invalidenversicherung Ersparnisse auf Kosten der Rentner machen zu wollen, müßte zur weiteren Belastung der gemeindlichen Wohlfahrt führen.

Der Parteitag hält die Sanierung der Invalidenver sicherung um so dringlicher, als sie die Voraussetzung für den längst notwendig gewordenen Ausbau der Versicherungsleistungen ist.

Auffag von Karl Severing   über Verwaltungsmacht gegen Reaktion". Darin heißt es:

,, Die vor uns liegenden Monate werden an politischen wich­tigen Entscheidungen bringen den Boltsentscheid über die Landtages selbst. Der vom Stahlhelm" betriebene Volksent­Auflösung des Preußischen Landtags  , im Frühjahr nächsten Jahres die Reichspräsidentenwahl und die Neuwahl des scheid richtet sich gegen das heutige Preußen, deffen Regierung und dessen Verwaltung der Realtion ganz Deutschlands   so wesentlich er­scheint, daß sie seit Jahren immer wieder dagegen anstürmt. Man soll auch in der Politik von seinen Gegnern lernen, und wüßten wir es nicht schon, dann würde dieses leidenschaftliche und beharr liche Bemühen der Reaktionäre aller Schattierungen, Preußen zu

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erobern, uns zeigen, was Preußen auch der Reichspolitik mert ist. In Preußen ist seit dem November 1918 ein fester republikanischer Kurs gesteuert worden. Die Stetigkeit der Regierung hat es er­möglicht, die Verwaltung Preußens, die einst ein Werkzeug in der Hand der Reaktion war, zu einem sicheren Bollwert der Republit