Nr. 2SS» 4S. Jahrgang 2» Mittwoch, lO. Ium 1931
'» Brotpreise/ Futtermittel/ Zuckerteuerung Notverordnung und Volksernährung.
Auch in die Ernährung?- und Agrarpolitik wird durch die Not- Verordnung vielfach und unzulänglich«ingegriffen. Die ernährungspolitischen Maßnahmen betreffen im wesent- lichen die Brotpreise. Di« Reichsregierung hat endlich eingesehen, daß auf dem Wege-der lokalen Verhandlungen mit den Bäcker- innungen allein die gesetzlich vorgeschriebene und so bitter not- wendige Senkung der Brotpreise nicht erreicht werden kann. Die geplanten Maßnahmen werden aber immer noch nicht die Brotpreise so schnell, wie es technisch möglich wäre, auf ihren alten Stand bringen. In der Notverordnung ist lediglich die Aufhebung sämtlicher den Konsum behindernden Borschriffen des Lrotgesetzes bestimmt worden. Geblieben sind nur die Erlaubnis einer Bei- Mischung von W Proz. Kartoffelmehl zum Weizengebäck und die zum Schutz der Verbraucher von der Sozialdemokratie in das Gesetz hin- eingebrachte, aber bisher infolge Unzulänglichkeit der Strasbestim- mungen noch nicht zur allgemeinen Anwendung gelangte Vorschrift, daß das Gewicht des Roggenbrotes nicht willkürlich ge- ändert werden darf. Das Gewicht jedes Brotes soll künstig durch 230 teilbar und für den Käufer leicht erkennbar auf dem Brote an- gegeben sein; bei Mehlpreisschwantungen soll der veränderte Mehl- preis von den Bäckern nicht mehr durch Veränderung des Brot- gewichtes ausgeglichen werden können, die Verbraucher sollen den Brotpreis kontrollieren können. Außerdem erhält der Reichsarbeitsminister durch die Notverord- nung die Ermächtigung, das Nachtbackverbot für Betriebe aufzuheben, in denen in drei Schichten Arbeiter beschäftigt werden können. Hier entsteht die Gefahr, daß die sozialen Schäden, die durch die Auf- Hebung des Nachtbackverbots entstehen, größer sind als die Vorteile hinsichtlich der Verbilligung der Brotherstellungskosten. Durch die Freigabe der Nachtarbeit für die Großbetriebe werden die kleinen Bäckereibetriebe benachteiligt, so daß die Bäcker wahrschein- lich versuchen werden, sich durch Umgehung des für sie fort- bestehenden Verbots schadlos zu halten. Wird die Nachtarbeit wieder in den kleinen Betrieben üblich, so geht eine soziale Errungenschaft, die das Nachtbackoerbot für die Bäckereiarbeiter in den kleinen Be- trieben unbedingt darstellt, wieder verloren. Deshalb mutz gefordert werden, datz bei etwaiger Freigabe der Rachtarheit für Großbetriebe Sicherheiten ge- schaffen werden, um jede Uebertretung des Nachtbackverbots in den einschichtig arbeitenden Betrieben zu verhindern. Begrüßenswert ist die Aufhebung der erhöhten Um- satzsteuer für die an der Brocherstellung beteiligten Gewerbe, denn durch die erhöhte Steuer sind die Konsumvereine und die großen Brotfabriken zum Schaden der Verbraucher belastet worden. Gleichzeitig mit der Notverordnung sind die Pläne der Regie- rung veröffentlicht worden, eine Verbilligung des Auttergetreides zu ermöglichen. Angesichts der Verknappung der Brotgetreidevor- räte soll jede Bersütterung von Roggen und in der Folge die Stei- gerung der Roggenpreise vermieden werden. Es ist beabsichtigt, den Maispreis in der am 10. Juni stattfindenden Sitzung des Ver- waltungsrats des Maismonopols um 100 Mark je Tonne zu er- mäßigen. Luch soll der Zoll, für Futtergerste gegen Be- zugsschein von 00 auf SO Mark herabgesetzt werden. Zwar gilt diese Zolloergünstigung nur bei gleichzeitigem Bezug von Kartoffelflocken. Die Landwirte, die Kartoffelstöcken zu einem Preis von 18, SO Mark je Doppelzentner(bisher Ig Mark) kaufen, erhalten einen Gersten- und Maisbezugsschein, so daß das Gemisch aus Futtergetreide und Kartoffelstöcken um ungefähr SS Mark die Tonne verbilligt werden soll. Außerdem soll die Einfuhr von Weizen zur Förderung der Geflügelhaltung verbilligt werden. Der eingeführte Futterweizen wird„eosiniert", und ist beabsichtigt, den Zoll so fest- zusetzen, daß der Preis dös Futterweizens im Einfuhrhafen nicht mehr als 170 Mark beträgt. Hierdurch wird die Forderung der Sozialdemo- k r a t i e nach Verbilligung der Futtermittel grundsätzlich anerkannt. Ob die Pläne- aber wirklich ausgeführt werden und die Ver- billigung ausreichen wird, um einen Druck auf die Roggenpreise auszuüben und dadurch zur Ermäßigung des Brotpreifes bei- zutragen, müssen wir bezweifeln. Die Erfahrung hat gelehrt, datz die Preisabbauaktionen, die aus dem Reichsernährungsmini- sterium kommen, mit großer Skepsis zu betrachten sind. Es ist auch nicht einzusehen, warum diese Verbilligung « r st o m 1 S. I u n i in Kraft treten soll. Alle diese Maßnahmen können nur als der erste Schritt auf dem Wege zu einer vernünftigen Futtergetreidepolitik betrachtet werden, besonders da es sich hierbei nur um eine vorläufige Rege- lung bis zur neuen Ernte handelt. Die sinnlose und unsoziale Erhöhung der Zuckersteuer. Die Notverordnung will die Zuckersteuer von S,2S Mark auf 10,50 Mark je Doppelzentner erhöhen, also verdoppeln. Für das R e i ch bringt diese Verdoppelung, wenn durch die Verteuerung des Zuckers keine Einschränkung des Verbrauchs erfolgt, für den Rest des Etatsjahres 110 Millionen Mark Mehreinnahmen. Volks- wirtschaftlich ist die Verdoppelung der Zuckersteuer ein Wahn- sinn. Sie verteuert ein außerordentlich wichtiges Nahrungsmittel um fast 20 Proz. Die Steuererhöhung hat zur Folge, daß der Zuckerpreis im Kleinhandel von durchschnittlich 28� Pf. a u f 3 4 P f. st e i g t. Jede Erhöhung des Zuckerpreises bedeutet aber, wie die Erfahrung lehrt, Einschränkung des Derbrauchs, ganz besonders in der jetzigen Zeit, in der di« Einkommen weiter Schichten so dezimiert sind. Deshalb
wird auch die Landwirtschaft, der durch proiektionistishe Maßnahmen in den letzten Iahren eine Ausdehnung ihrer Pro- duktion ermöglicht sowie ein hoher Zuckerpreis garantiert wurde und die jetzt auf enormen Vorräten festsitzt, durch die Steuer- erhöhung mitbetroffen. Mit allem Nachdruck ist zu verlangen, daß im gleichen Ausmaß, wie die Steuer erhöht wird, auch der Zuckerhöchstpreis gesenkt wird. Nur so wird vermieden, daß der Konsum zurückgeht. Sonst wachsen die Zuckervorräte immer mehr an, während den Ver- brauchern ein Massennahrungsmittel zu einem Luxuskonsum gemacht wird. Es ist der Höhepunkt der wirtschaftlichen und politischen Un- Vernunft, vorhandene Vorräte in den Lagerhäusern zurückzuhalten, nur um den Preis hochzuhalten, dabei aber die Massen hungern zu lassen. Wir erwarten daher, daß der Reichsfinanzminister die im Rundfunk geäußerte Absicht, den Zuckerhöchstpreis zu senken, auch durchgeführt. Mit der Verdoppelung der Zuckersteuer ist in der Notverordnung das gleiche unverantwortliche Spiel getrieben wie bei d'cr K r i s e n st« u e r. Man bürdet die Lasten den breiten Massen des Volkes auf, denn die Zuckersteuer zieht als indirekte Steuer alle Verbraucher ohne Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in Mitleidenschaft. Nutzniesier der Notverordnung. Die erhöhten Treibfioffzölle und die Schwerindustrie. Handelsmeldung aus Essen:„Der Benzol - verband hat mit sofortiger Wirkung seine Preise an sämt- lichen Zapfstellen um 4 Pf. pro Liter erhöht. Die Erhöhung steht im Zusammenhang mit der Notoerordnung." In dieser Meldung kommt die schnelle Wirkung des an dieser Stell« bereits gekennzeichneten Skandals zum Ausdruck, daß die
Staat und Trust« in LlSA. Auf dem Wege zum neuen Standard Oil-Trust. Das amerikanische Iustizdepartement hat mitgeteilt, daß es gegen eine Fusion der Standard Oil Co. of New Jork und der Vakuum Oil Co. nichts einzuwenden habe. Durch diese Entscheidung wird e n d g ü l t i g~der Weg zur Verschmelzung dieser beiden großen Oelkonzerne, die schon seit mehr als Jahresfrist vorbereitet ist, frei. Es handelt sich um zwei der größten Standard-Oil-Gesellschaften. Die Standard Oil Co. o f N e w Jork, die auch mit der Sowjetunion die viel Aufsehen erregenden Oel- lieferungsverträge abgeschlossen hat, betätigt sich außer in den Ver- einigten Staaten im Fernen Osten, in Vorderasien und in den Balkanländern, dagegen nicht in Afrika , Australien , Südamerika und im übrigen Europa . Sie gehört zu den wenigen Oelgesellschaften, die im Jahre 1930 ihren Reingewinn noch haben steigern tonnen(von 38,8 auf 40,2 Millionen Dollar). Die Absatzinteressen der V a c u u m Oil Co. umspannen ziemlich den gesamten Erdball. Ihr Reingewinn ist stärker, nämlich von 35,8 auf 20,4 Millionen Dollar zurückge- gangen. Die jetzt durchführbare Fusion schafft aber nicht nur einen.neuen Machtkomplex innerhalb der Standard-Oil-Gesellschaften, sondern wird in den Vereinigten Staaten als Auftakt zu einer neuen Verschmelzungsaktion innerhalb der verschiedenen Standard-Oil-Konzerne aufgefaßt. Die Standard Oil Co. of N e w Jersey war ursprünglich die Spitzengesellschaft für den gewaltigen Trust, der sich bis zum Jahre 1911 die Kontrolle über 02 Gesell- schaften sicherte, die in insgesamt S3 Ländern arbeiteten. Auf Grund des Antitrustgefetzes leitete die amerikanische Regierung im Jahre 1900 ein Verfahren gegen die Macht dieser Gesellschaft ein, das im Jahre 1911 damit endete, daß der große Konzern in einzelne Bestandteile aufgelöst wurde. 33 verschiedene Etandard-Oil-Gesell- schaften teilten sich in das Erbe. Es wird sich jetzt zeigen, nachdem die erste Fusion zwei der wichtigsten Glieder des ehemaligen Standard-Oil-Trusts wieder mit- einander oerschmilzt, inwieweit die verschiedenen Standard-Oil-Gesell- schaften heute noch ein einheitliches Ganzes bilden. Es ist bekannt, daß zwischen verschiedenen Gesellschaften des ehemaligen Konzerns in den letzten Iahren die Beziehungen so locker geworden sind, daß es zu regelrechten Jnteressenkonflitten kam. Auf jeden Fall regt aber die jetzt erlaubte Fusion als Beispiel an. Die Standard Oil Co. of New Jersey steht bereits in Verhandlungen mit der Standard Oil Co. of California und anderen früheren Konzerngliedern, um ihrerseits eine mochtvolle Truftorganifation zu entwickeln. Die Fusion der Standard Oil Co. of New Pork mit der Vacuum Oil Co. wird auf dem Wege über die Schaffung einer neuen Dach- gefellschaft durchgeführt, � die den Namen General Petro- leum Co. führt. Gegen die Mneralwassersteuer! Die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Mineralwasser-Industrie schreibt uns: Mit Abschluß des St?uerr«chnungsjahres 1930/31 hat die Mineralwasser st euer, entgegen dem Boranschlag von 3S nur 15,04 Millionen Mark erbracht. Aber auch dieses Auf- kommen steht lediglich auf dem Papier; die Erhebungskosten, der durch den beispiellosen, über 50prozentigen Konsumrückgang verminderte allgemeine Steuerertrag aus Betrieben der Mineralwasser-
Erhöhung der Treibstoffzolle, die in der Notverordnung zum Zwecke der Erschließung höherer Einnahmen vorgenommen worden ist, nicht mit einer entsprechenden Erhöhung der Ausgleichs- abgäbe für inländische Treib st offe verbunden worden ist. Selbstverständlich passen die inländischen Erzeuger sofort ihre Preise an den erhöhten Zollschutz an. Sie werden deshalb un- mittelbar Nutznießer einer Verordnung, die erlassen wird, nicht um Geschenke zu oerteilen, sondern um die Not der öffent- lichen Kassen zu vermindern. Diese Liebesgabe an die Erzeuger von Benzol und deutschem Benzin im Augenblick des Abbaues der sozialen Leistungen ist ein öffentlicher Skandal, der schleunigst durch eine entsprechende Er- höhung der Ausgleichsabgabe beseitigt werden muh. Diese Forderung ist um so dringlicher, als es sich nicht nur um ein unverantwortliches Geschenk an die Benzolerzeuger handelt, sondern weil auch durch die so geschaffene Schutzzollwirkung ge- radezu eine Prämie auf neue Fehlinvestitionen in der deutschen Treibstosferzeugung gesetzt wird. Es ist sinnlos, zum Aus- bau neuer Produktionsmöglichkeiten durch diesen Zollschutz onzu- reizen, wenn die Existenzfähigkeit dieser Produktion nur davon ab- hängt, daß die deutschen Verbraucher eine Sondersteuer bezahlen müssen, die nicht in die Taschen des Reiches, sondern in die Taschen der Produzenten fließt. Im Rahmen des Gesamtgebietes der Notverordnung mag diese Frage als eine Kleinigkeit erscheinen, aber gerade in diesem Augen- blick der allgemeinen Einschränkung muß das Verteilen von G e- schenken an einen der„Jnteressentenhaufen", die Herr Dietrich einst auszog zu bekämpfen, besonders aufreizend wirken.
industrie und ihrer Lieferanten, die erhöhte Arbeislofenzahl, über- treffen das Aufkommen um viele Millionen. Es ist zu hoffen, daß dieses Fiasko zu einer baldigen Wieder- aufnahm« der kürzlich vertagten Beratungen über die vorliegenden Aufhebungsanträge fast aller Reichstagsparteien Veran- lassüng gibt.
Konzentration aus Not. Die Nordstern-Versicherung muß sich an die rheinische Interessengemeinschaft anlehnen! Wir konnten schon vor einigen Tagen mitteilen, daß die N o r d- stern und Vaterländische Allgemeine Versiche- r u n g s A.- G. durch die im September 1929 erfolgte Uebernahme der zusammengebrochenen„Vaterländische" und„R h e- n a n i a" Versicherungs-A.-G. unvorhergesehene Verluste in Höhe von 10 Millionen Mark(Kapital des Nordstern 8 Millionen!) er- litten hat. Aus dem jetzt vorliegenden Geschäftsbericht für 1930 geht hervor, daß man zu außergewöhnlichen Mitteln greifen mußte, um eine neue riesige Versicherungspleite zu vermeiden. Dar- über hinaus hat sich der Aufsichtsrat entschließen müssen, eine An- l e h n u n g an die rheinische Interessengemeinschaft zu suchen. Um die Bilanz auszugleichen und die nötigen Reserven zurück- stellen zu können, hat man im Einverständnis mit dem Reichs- a u f s i ch t s a m t stille Reserven in erheblichem Umfange auslösen müssen. Das Grund st ück in Schöneberg wurde mit dem Ver- kehrswert(dem wahrscheinlichen Verkaufspreis) in die Bilanz eingesetzt; die Beteiligungen an der Nordstern Lebensoersich«- rungsbank A.-G. und an der Concordia Lebensversicherungsbank A.-G. wurden verkauft. Dadurch sind Buchgewinne in Höhe von 13 Millionen Mark entstanden. Außerdem ist die Allgemeine Sicherheitsrücklage von 4,2 Millionen Mark aufgelöst worden. Da- durch war es möglich, die offenen Reserven von 19,8 auf 30,2 Millionen Mark zu erhöhen: die Verluste werden nämlich erst bei. der weiteren Abwicklung eintreten. Zu bedchten ist aller- dings, daß der Ausgleich nur buchmäßig eingetreten ist(Höher- bewertung!), daß also unter Umständen doch noch eine Zahlungs- mittelklemme eintreten kann. Sich auf alle Fälle die Versorgung mit Barmitteln zu sichern, das wird wohl auch der Hauptgrund für die Anlehnung an di« rheinisch« Interessengemeinschaft sein. Dieser gehörten bisher die Aachener und Münchener Feuerversicherung»- Gesellschaft und die„C o l o n i a". Kölnische Feuer- und Kiil- nische Unfall-Bersicherungs A.-G. an. Sie besaß bereits 11 Proz. des Llktienkopitals des Nordstern und soll ihre Beteiligung durch Kauf von Aktien, die die Verwaltung des Nordstern in Besitz hat, auf 33 Proz. des Kapitals erhöhen. Trotz dieser kapitalmäßigen Bindung soll die Selbständigkeit des Nordstern erhalten bleiben. Durch diese Aktion wird ein neuer großer Versicherungs- block, und zwar für die S a ch o e r f i ch e r u n g(Feuer, Unfall, Haftpflicht) geschaffen. Denn die rheinische Interessengemeinschaft hat maßgeblichen Einfluß a�if eine»große Zahl bedeutender Ver- sicherungsunternehmen, so auf die H a m b u r g- B r e m e r Feuerversicherung, die Oldenburger Versicherung, die Schlesische Feuer- Versicherung, die Versicherungsgesellschaften„T h u r i n g i a", Erfurt , „Globus", Wien ,„National Allgemeine", Stettin . Die Prämieneinnahmen dieser Gesellschaften zusammen sollen sich für 1930 auf 125 Millionen Mark belaufen haben; zu dieser Summe käme nun noch die Prämieneinnahme des Nordstern(1930: 08,83 Millionen Mark), fo daß der neu« Block über eine Ge- samtprämieneinnahme von etwa 200 Millionen Mark jährlich verfügt.