Marcella d'Arle:
Ohne das Radio...
Clara war in Mario verliebt und Mario in Clara, aber Sie dürfen sich absolut nicht denken, daß es sich dabei um eine gewöhne liche beliebige Liebe handelte: es war vielmehr eine ungeheuerliche Liebe, etwas noch nie Dagewesenes, Bulkanisches, voll verzweifelter Pläne, immer hin und herpendelnd zwischen Selbstmord und Mord, Purz, eine Liebe, wie sie nur in Sizilien entstehen kann zwischen einem blassen, braunen, leidenschaftlichen Mädchen von sechzehn Jahren und einem blassen, braunen, leidenschaftlichen Burschen
von neunzehn.
Der Vater von Clara war ein biedrer Mann, mit gesundem Menschenverstand begabt und mit einer so schönen Stimme, daß ihm die Freunde noch heute sagten, er hätte Tenor werden sollen. Statt dessen war er sein Leben lang Buchhalter gewesen, bis ihn die Fabrik wegen schlechten Geschäftsganges vor der Zeit abbaute.
Das Ruhegehalt war spärlich, und um damit auszukommen, hätte Clara Bunder an Sparsamkeit vollbringen müssen. Statt dessen war sie nicht nur unluſtig und nachlässig, sondern verschwendete noch Geld für Puder, Lippenstift und Parfüm.
,, Das wäre noch nicht das Schlimmste", sagte der Bater, der, wie schon gesagt, gesunden Menschenverstand hatte, alle jungen Leute werfen das Geld zum Fenster hinaus. Daß du aber Geld und Zeit für diesen Taugenichts, diesen Mario verschwendest, das ist unerhört. Neunzehn Jahre ist der Strolch alt, und was hat er fertig gebracht? Nicht einmal die Matura vom Realgymnasium! Bor deinem Fenster auf und ab gehen, das ist seine Beschäftigung, bis ich ihm eines Tages einen Eimer voll schmutzigem Wasser auf den Kopf gieße, um ihm im Guten beizubringen, daß er gefälligst wo anders auf und ab gehen soll. Von heute an gehe ich mit dir einkaufen. Es ist ohnehin eine wahre Schande, daß du bis jetzt allein gegangen bist, wo du doch kein Kind mehr bist. Wenn deine Mutter Gott habe sie selig! nicht gestorben wäre nicht einen Schritt aus dem Hause hättest du allein getan. Aber heute, wo ich nicht mehr in die Fabrik muß, wirst du etwas erleben.
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Und so gewöhnte fich der Biedere, der übrigens nichts zu tun hatte und sich schrecklich langweilte, jeden Tag mit Clara auf den Markt zu gehen, so daß den beiden Verliebten nun auch die furzen Augenblicke wurden, in sie früher in zitternder flatschenden überrascht zu werden
Gäßchens, durch eine besondere Tücke des Schicksals, nur von frommen Schwestern bewohnt waren.
Und so nahm das Schicksal seinen Lauf, so daß eines Tages Clara einen Brief bekam, in dem Mario ihr erflärte, er ſei ge
" Ja", sagte Mario und dann waren beide still und langweilten zwungen, sich auf immer von ihr zu trennen. Mit gebrochenem sich gründlich.
Als endlich die schöne Stimme allseitig ,, Gute Nacht" wünschte, fuhren sie zusammen und bildeten sich ein, daß der Vater jeden Augenblick auftauchen könnte. Das Gefühl der Gefahr hob die Stimmung, fie fanden wieder leidenschaftliche Worte und zum Abschied gaben sie sich endlich den ersten Ruß, um gleich darauf in fritischem Rückblick sich selbst einzugestehen, daß der durchaus nicht so etwas Besonderes war, wie sie es sich eingebildet hatten.
Trotzdem wurde das Stelldichein zur regelmäßigen, beinahe täglichen Gewohnheit. Nach einer Woche gab Clara es auf, fich Die Haare in Ordnung zu bringen, ehe sie in den Garten tam, weil man ja doch nichts sah, und aus demselben Grunde machte sich Mario die Nägel nicht mehr sauber. Sobald sie beieinander im Garten waren, füßten sie sich, weil das dazu gehörte, dann setzten sie sich auf die übliche Bank und langweilten sich gründlich.
Zum Glück blieb Mario eines Abends aus, ohne abzusagen. Für Clara war es eine wahre Erleichterung. Sie verbrachte den Abend im Wohnzimmer, wo sie Radio hörte und Strümpfe stopfte. Als er aber am nächsten Tage fam, machte sie ihm natürlich eine furchtbare Eifersuchtsszene, in der die Worte„ Liebe" und ich bringe mich um" nach langer ungerechter Vernachlässigung endlich Das schien die Rettung. wieder in Gebrauch genommen wurden. Endlich hatten sie einen Gesprächsstoff gefunden, und sie fauchten in ihm unter. Mario brachte es fertig, auf den Besitzer des Nebenhauses eifersüchtig zu sein, obwohl er beinahe achtzig Jahre alt mar, und Clara ihrerseits auf eine Freundin, die hinkte und einen kleinen Buckel hatte.
Unglüdlicherweise verschwand aber der Alte mit seinen achtzig Jahren eines Tages aus beider Gesichtskreis, und die Freundin verlobte sich, andere Gegenstände der Eifersucht ließen sich beim besten Willen nicht ausfindig machen, auch weil die Häuser des
Herzen, glaube es mir, aber das Leben ist grausam und fordert von uns Fezzen unserer Seele..."
Clara gab sich große Mühe, ein paar Tränen zu vergießen, mußte aber nach einer halben Stunde fruchtloser Anstrengungen darauf verzichten. Ja, als sie sich an diesem Abend gemütlich zum Radio sezten fonne, mußte sie sich selbst gestehen, daß ihr sehr froh Bater zu stricken und gewissen alten Träumen nachzuhängen, die ums Herz war, und sie fing wieder an, an den Pantoffeln für den in den letzten Monaten sich irgendwo vertrochen hatten.
Als der Vater heimkam, fand er sie noch im Wohnzimmer. Er war guter Laune, wie immer am Samstagabend und sagte: ,, Morgen bekommen wir Besuch. Sieh zu, daß du dich schön machst. Ein Jugendfreund von mir, mit seinem Sohn. Der heißt auch Mario, wie der Tunichtgut, aber du wirst ſehen, was für ein
Unterschied."
Als Clara ein paar Monate später gewahr wurde, daß sie im Begriff stand, sich in den neuen Mario zu verlieben, empfand sie ein großes Mißtrauen gegen sich selbst. Sollte sie fich ein zweites Mal irren? Aber das Mißtrauen verschwand, aus Raummangel, denn neben ihrer Liebe fand es feinen Platz mehr. Und als nach zwei Jahren der Hochzeitstag fam, wollte sie vom Vater fein anderes Geschenk als das Radio, obwohl es längst bessere Apparate gab. Im neuen Hause sah sie es oft mit Dankbarkeit an. Eines Tages fonnte sie nicht anders:
,, Gesegnet sei, wer das Radio erfunden hat!" Ja, ja", meinte der Gatte, ein wenig verblüfft, denn er mar gerade dabei, ihr einen Kuß zu geben und verstand den Zufammenhang nicht.
"
"
Wenn ich denke, daß ohne das Radio... Nein, ich erzähle dir das ein andermal.. Aber erzählt hat sie es ihm nie, und daran hat sie gut getan. ( Autorisierte Ueberfehung aus dem Italienischen.)
Englt, von einer fotigenden Befannten herraingt arben Erna Bilfing: Unter 120000 Schädeln
ein paar Worte tauschen fonnten, früher, in der schönen Zeit, als der Vater seine Stelle noch hatte.
Unter diesen Umständen schrieben die Beiden einander täglich glühende Briefe, in denen das Wort Liebe wenigstens je zwanzig mal vortam und steckten die Epistel unter einen Stein in der Gartenmauer. Und zweimal täglich ging Clara mit gespielter Un befangenheit zur festgesetzten Stunde an den improvisierten Brief= tasten, wobei ihr gelegentlich auch die lächelnden Augen des Vaters folgten, wie fie ruhig und anmutig unter den Drangenbäumen dahinschritt.
,, Gott sei Dank!" sagte er zu sich selber ,,, sie denkt nicht mehr an den Taugenichts." Und um ihr zu zeigen, wie zufrieden er mar, machte er ihr nie einen Vorwurf, wenn auch das Essen noch so viel zu wünschen übrig ließ. Er schien auch andere Gründe zur Zufriedenheit zu haben, denn er sagte mandal zu Clara:
Ich habe eine Sache im Auge... wenn mir das glückt, be= tommst du ein feines Geschenk.
Aber die jungen Leute hatten gar feine Gründe zur Zufrieden heit, vielmehr soviele Gründe der Berzweiflung, daß fie nach vierzehntägiger Trennung und dreißig verzweifelten Briefen beschloffen, miteinander durchzugehen.
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Marie hatte ganze hundertfünfzig Lire auf der Sparkaffe, und Clara konnte, wenn die Flucht am Monatsanfang erfolgte, das ganze Wirtschaftsgeld mitnehmen, das ihr der Bater gab, nämlich dreihundert Lire. Anfangs hatte Clara gegen den Plan manches einzuwenden das sah beinahe aus wie Stehlen. Aber auf eine schüchterne Andeutung in diesem Sinne hatte Mario mit einem langen wundervollen Brief geantwortet, in dem er ihr haarklein auseinandersetzte, daß es sich um eine gerechte Rache an einem erbarmungslosen Bater handelte, der zwei arme Geschöpfe, die einander liebten, der finstersten Berzweiflung in die Arme schleudern
wollte."
Mit beruhigtem Gewissen begann also Clara ihre Borbereitungen für die Flucht, die in der Nacht nach dem ersten März erfolgen sollte. Alles war bis in die kleinsten Einzelheiten überdacht worden. Der erste März war Samstag, und der Vater würde etwas angetrunken nach Hause kommen und gleich einschlafen. Genau um Mitternacht sollte Clara in sein Zimmer schleichen, die Schlüssel nehmen, die er immer auf seinen Nachttisch legte und dann... vor der Haustür, in dem dunklen Gäßchen würde Mario liebestrunken warten und gewiß würde durch die Orangenbäume der Mond romantisch und neugierig herunterblinzeln...
Alles war also vorbereitet, als Mario, am Nachmittag vor der Entscheidung, am üblichen Plaß einen Zettel mit folgenden
Rätselworten fand:
,, Flucht überflüssig. Komm heute abend um neun, steige über die Mauer in den Garten. Fürchte nichts. Ich werde dir alles erklären. Eine Million Küsse."
Was war geschehen? Mario verzehrte sich vor Neugier. Aber auch dieses Tages Abend tam, freilich besonders langsam, und
Bunft neun Uhr huschte der Bursche durch die schon dunfle und einfame Gaffe, fletterte mit großer Mühe und mit abgeschundenen einsame Gasse, tletterte mit großer Mühe und mit abgeschundenen Händen die Mauer hinauf, um beim Herunterspringen auf der Händen die Mauer hinauf, um beim Herunterspringen auf der anderen Seite beinahe in Claras Arme zu fallen.
,, Was ist los? Erkläre mir..." stieß er heraus, ohne auch nur die Gelegenheit zu benutzen, wenigstens einen von den Milliarden Rüffen einzufaffieren, die ihnen bis jetzt mur brieflich liarden Küssen einzukassieren, die ihnen bis jetzt nur brieflich gegönnt morden waren. Die Neugier überwog alles.
,, Also", sagte Clara, du weißt ja, daß mein Vater eine schöne Stimme hat. So hat man ihn beim Radio angestellt, und da wird er gut bezahlt. Jeden Abend, von neun bis zwölf, muß er da sein. Und sie haben ihn auch einen Apparat gegeben, fast umsonst. Komm hier ans Fenster, da fannst du ihn hören. Hörst du?"
Und in der Tat sagte die schöne volle Stimme des Vaters: ,, Wünschen Sie gut zu speisen? Gehen Sie in das Restaurant Marini in der Bia delle Torri. Erstklassige Speisen.
Hörst du?" sagte Clara triumphierend. Sicherer fönnten wir gar nicht sein. Jede Ueberraschung ist ausgeschlossen." ,, Weißt du genau, daß er uns nicht ausspionieren läßt?" ,, Durch wen? Und warum? Er glaubt ja gar nicht mehr, daß zwischen uns beiden..."
,, Und, wie fannst du wissen, ob er bis zwölf Uhr bleibt?" ,, Er muß ja die letzten Nachrichten melden und zum Schluß fagen: Gute Nacht."
Und Clara setzte sich auf eine Bant, im schwarzen Schatten der Drangenbäume und fah träumerisch in der Richtung des Meeres. Der Mond ließ sich boshafterweise nicht blicken.
,, Wie merkwürdig doch das Leben ist", sagte sie nach langer Bause.„ Dente nur, wenn das Radio nicht erfunden wäre, hätte mein Vater die Stelle nicht bekommen, und wir wären heute Racht geflohen.
Ein Museum ist ein Gebäude, das von einer gewissen Feierlich feit überlagert wird, das den Menschen irgendwie Ehrfurcht oder Widerwillen einflößt und in dem alle Betrachtungsluft sich nur in gedämpften Gefühlen Ausdruck verschafft. Museumsleiter sowohl mie Kustos müssen Arbeit für die Allgemeinheit leisten. Alle die Betreuer dieser eigenartigen Werte dürfen nicht raffen, sondern sie müssen sammeln, fie dürfen die Objekte nicht einfach in die Schränke paden, sondern sie müssen die Sammlung nach streng individuellem und doch dabei jedem verständlichen Organisationsplan ausbauen und aufbauen. Ein jeder, der in einem Museum irgendeine Abteilung leitet, darf sich einzig als Glied einer Kette fühlen, seine Anordnungen müssen so übersichtlich sein, daß man sie noch nach hundert Jahren ohne Kommentar verstehen kann.
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Auf dem Schädelboden.
Gehen wir nun einmal mit Dr. Bohle, Rustos am Zoologischen Museum, durch die wissenschaftliche Sammlung des Berliner Museums für Naturkunde in der Invalidenstraße. Hier liegt auf dem Boden, peinlichst geordnet, der etikettierte Tod. lleber hunderttausend Gehirne arbeiteten einst in diesen Knochen. Sie überdeckten Gehirne, diese ohne menschliches Zutun feinst organisierten Apparate, die bei jeder einzelnen Kreatur den Kampf ums Da sein leiten. Wie mag allen dieses Leben geendet sein? Was wissen wir? Immer schon gab es das tragische Einzelschicksal und das fatastrophale Massenschicksal, Schädel, der eine so interessant wie fatastrophale Massenschicksal, Schädel, der eine so interessant wie der andere, grinsen uns an. Die Menschenaffenschädel laffen uns besonders aufmerken. Da liegen einer neben dem anderen, 200 Gorillaschädel. Werden diese gewaltigen Affen im erwachsenen Zustand eingefangen, machen fie niemals Freundschaft mit den Menschen. Die Gorilla sind die Affen, die, wenn sie sterben, etwas Menschliches in ihrem Benehmen haben. Diese Gorillaschädel fammlung ist die größte auf Erden. Die Schimpansenschädelsamm lung hat, obzmar jie 300 Schädel enthält, erfolgreiche Konkurrenten in anderen Museen. Von den Orang hat man noch nicht 100, von den Füchsen aber über 1000 Schädel. Bei jedem dieser Schädel ist der genaue Fundort angegeben, und wir wissen, ob Freund Reinete in Buxtehude oder in Wiesbaden wohnte. Ist der Fuchsschädel Klein und zierlich, so ist der Elefantenschädel desto wuchtiger, und die 70 Elefantenschädel nehmen reichlichen Platz ein. Unter diesen Schädeln ist einer von ganz absonderlichem Schicksal. Er wurde nämlich in Frankreich aus einem Schüßengraben geholt. Höchst wahrscheinlich haben ihn Engländer aus einem französischen Schloß dorthin geschleppt, um ihn als fugelfichere Brustwehr zu verwenden. Er war für das geplante Kriegsmuseum bestimmt. Da dieses Museum jedoch nicht errichtet wurde, fam er in das Museum für Naturkunde . Und da man von den Elefanten spricht, fann man auch den Gee- Elefanten, diese eigenartige Blasenrobbe, erwähnen, die durch Roland von Berlin" würdevoll im Berliner Zoologischen polarexpeditionen Gaus, Drygalski und Filchner mitgebracht. Ein Garten vertreten wird. See- Elefantenschädel wurden von den SüdRobbenschädel aber gelangte zu eigentümlicher Berühmtheit. Er gehörte einer Grönlandrobbe, die sich nach Dessau verschwommen hatte. Sie gab dort zwei Jungen das Leben und wurde dann, nebst hier, das andere eignete sich ein unbekannt gebliebener Befizer an. ihren Kindern, erschossen. Die Mutter und ein Junges famen nach
Ausgestorbene Tiere.
Die in den Sälen untergebrachten 50 000 Felle find nicht minder interessant. Manches von ihnen hat eine Geschichte. Da ist beispielsweise ein Seeotter. Diese Tiere lebten einst sowohl nahe bei Japan wie nahe bei San Franzisto. Diese südliche Unterart ( alle miteinander sind dem Fischotter verwandt) ist inzwischen aus gerottet worden. Es gibt von ihnen als Ueberbleibfel zehn Schädel und ein ausgestopftes Tier. Und das ausgestopfte Tier, es war noch jung als es starb, hat Berlin . Als Borderbeine hat es Stummel, als Hinterbeine Ruder. Die Borderbeine standen offenbar bereits vor dem Tier auf dem Aussterbeetat. Heute fommen von der nördlichen Art jährlich ungefähr zehn Felle als Ramschattabiber in den Handel. Das Fell eines solchen ausgewachsenen Tieres tostet zehntausend Mart.
Ein intereffanter Insektenfresser, wiederum ein junges Tier, fam 1861 von der Insel Kuba . Der damalige Museumsdirektor Peters beschrieb dieses Tier ganz genau, ja, er entdeckte erst dieses Tier, das freilich keinen deutschen Namen bekam. Wir brauchen ihm auch feinen mehr zu geben; denn in Kuba ist es bereits ausgerottet. Dort führte man nämlich Mungos ein, die Schlangen vertilgen sollten. Das taten die Mungos mit Eiser und Hingabe, doch als sie die Schlangen alle aufgefressen hatten, war ihr Hunger
noch lange nicht gestillt, und da verzehrten sie einfach die namenlosen Tiere, die sich kaum wehren konnten. In Haiti lebte ein ähnliches Tier, das heißt Almifi. Das ausgeftopfte namenlose Tier wollten vor dem Weltkrieg die Amerikaner mit Gold aufwiegen. Damals dachte tein Mensch daran, es aus Deutschland wegzugeben. Ferner stehen im Berliner Museum für Naturkunde noch drei Namenlose in Alkohol. Und sonderbarerweise hat sich das trockengelegte Amerika , das sonst für jede Sensation und namentlich für die heimliche Alkoholeinfuhr zu haben ist, bis jetzt noch nicht für ein Alkoholtier interessiert. Nach dem Weltkrieg scheint eben allerorts das Geld bedenklich knapp zu sein.
Mit wehmütiger Anteilnahme betrachten wir das Quagga, das feit 50 Jahren ausgestorben ist. Dieses Tier trägt einen Namen, der aus dem Hottentottischen stammt. Es ist eine Zebraart und das letzte, das im Zoologischen Garten in Berlin lebte, steht jetzt ausgeftopft in der wissenschaftlichen Sammlung des Museums. Das Quagga ist von Ponygröße, es erinnert uns unwillkürlich an ein 3ebroid, doch ist letzteres ein Mischling.
Ladenhüter und Importen.
Die Tiere, die vor 100 oder 150 Jahren ausgestopft wurden, find noch gut erhalten, doch wirken sie zuweilen nicht naturecht. Vor allen Dingen gebrauchen sie die Beine oft nicht richtig. In der modernen Schaujammlung hingegen scheint das entflohene Leben in den ausgestopften Tieren tatsächlich festgehalten zu sein. Erwähnt seien die Walrosse, die 1810 von der Koldewey - Expedition, der ersten deutschen Grönlandexpedition, mitgebracht wurden. Doch sind diese Walrosse nicht die ältesten Objekte in der Sammlung. Als das älteste Stück, das man genau nachweisen kann( ficher wird es noch ältere geben), muß man ein Riesenwildschwein ansprechen, das 1721 den König Friedrich Wilhelm I. anfiel und von ihm erlegt wurde.
Des Aufmerkens wert ist noch ein Tigerfell. Es hängt in Reih und Glied mit vielen anderen und doch ist es ein ganz besonderes. Es gehörte nämlich einem perfifchen Tiger. Er war der erste seiner Art, der nach Europa tam, und er wurde Humboldt geschenkt.
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Der oder die Sphinx?
Das Sphinṛrätsel ist seit langem für die Wissenschaft insofern gelöst, als sie mit Sicherheit zwei Sphingbilder unterscheidet: ein orientalisch- griechisches und ein ägyptisches Wesen, beides Mischgestalten, das erstere weiblich, das zweite männlichen Geschlechtes. Die griechische Sphing gehört zu der Gruppe der Unholdinnen, die dem Menschengeschlecht gefährlich sind, der ägyptische Sphing ist das Mischwesen, in dem der Aegypter die Majestät des göttlichen Pharaos unter dem Bilde des Königs der Tiere mit dem Haupt des Diese Doppelheit des Geschlechts hat nun Königs dargestellt hat. in unserer Sprache im Gegensatz zu allen anderen bisher keinen nach dem Geschlecht der oder die Sphing wieder aufgeworfen einheitlichen Sprachausdruck gefunden, und neuerdings ist die Frage worden. Professor Wilhelm Spiegelberg befürwortete nun in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften , die Unterscheidung beizubehalten, mit der die Aegyptologen vor bald 50 Jahren der Verfür das griechische, der Sphing für das ägyptische Wesen. Sphing schiedenheit der beiden Sphingwesen Rechnung trugen: die Sphing steht nicht, wie Steindorff gemeint hat, logisch- begrifflich auf einer Stufe mit Statue, Torso oder Porträt, sondern mit Karyatide und Atlant. Da entscheidet das natürliche Geschlecht, d. h. die Karyatide ist weiblich, der Atlant ist männlich. Wie männlich der ägyptische Sphing ist, zeigt sich darin, daß die ägyptische Kunst auch bei den Sphingbildern von Königinnen das Geschlecht des Löwen unangetastet läßt: so hat der jüngst nach Berlin gelangte Sphing den Leib eines männlichen Löwen mit dem Kopf der Königin Hatschepsut . Das Geschlecht des Wortes Sphing ist in unserer Sprache noch nicht so fest verankert, daß man nicht jene Geschlechtsscheidung vornehmen könnte. Es gibt ja im Deutschen eine große Gruppe doppelgeschlechtlicher Wörter. Und bei Fremdwörtern fann der Geschlechtswechsel ohne Bedeutungswechsel erfolgen, so wenn aus dem alten Maskulinum der Duell, der Genie das Duell, das Genie wurde oder umgekehrt das Baldachin, das Delphin männlich wurde. Aus sachlichen und sprachgeschichtlichen Gründen sollte man in Zukunft die Sphing des Dedipus und der Sphing von Gizeh sagen.
Berantwortlich für Politik: Victor Schiff; Wirtschaft: G. Klingelhäfer; Gewerkschaftsbewegung: S. Steiner; Feuilleton : Dr. John Schilowski; Lotales und Sonstiges: Frik Karstädt; Anzeigen: Th. Glode; fämtlich in Berlin . Berlag: Borwärts- Berlag G. m. b. S., Berlin . Drud: Vorwärts- Buchdruderet und Berlagsanstalt Baul Ginger u. Co.. Berlin 6. 68, Zindenstraße& Sieran 2 Beilages.