Nr. 275 48. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Der Untergang des St. Philbert.
Beileid der Deutschen Sozialdemokratie.
Das furchtbare, taum zu faffende Schiffsunglüd in Frankreich hat die Teilnahme der ganzen zivilisierten Welt hervorgerufen. Der Parteivor stand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ( gez. Wels, Crispien, Bogel ) hat an den Parteivorstand der Sozialistischen Partei Frankreichs folgendes Beileidstelegramm gesandt:„ Tief erschüttert von der Schiffstatastrophe vor der Coiremündung, die Hunderten von Arbeitern und Genossenschaftlern das Leben gekostet hat, sprechen wir schmerzerfüllt den Angehörigen der Opfer und den beteiligten Organifationen unser tiefftes Mitgefühl aus." Auch der englische Ministerpräsident Macdonald hat dem französischen Ministerpräsidenten im eigenen Namen und in dem seiner Kollegen telegraphisch das Beileld zu dem furchtbaren Schiffsunglück übermittelt.
Die Zahl der Todesopfer des furchtbaren Schiffsunglüd's fteht noch immer nicht genau feft. Die Angaben schwanken zwischen 380 und 440 Opfern. Festgestellt worden ist, daß 44 Fahrgäste von Pornic aus in zwei Autobuffen nach Nantes zurückgekehrt find, also die Rückfahrt an Bord des Unglüdsdampfers nicht mitgemacht haben. Der Kapitän der„ St. Philbert" galt als tüchtiger und erfahrener Seemann. Daß nur acht Fahrgäste gerettet worden sind, erklärt sich daraus, daß die an Bord befindlichen Rettungsringe und Schwimmgürtel mit in die Tiefe gerissen wurden. Die Nachforschungen nach den Ceichen sind noch im Gange. Es dürfte jedoch nur ein kleiner Bruchteil der Ertrunkenen gefunden werden. Die Bemühungen der Befakung des Leuchtturms, dem sinkenden Dampfer Hilfe zu bringen, blieben ergebnislos, da fich kleine Küffendampfer und Rettungsboote nicht in den hohen Seegang hinauswagen fonnten. Als größere Fahrzeuge eintrafen, hatte das Drama bereits seinen unvermeidlichen Abschluß gefunden. Die Sachverständigen heben hervor, daß der Dampfer gerade zur Zeit des heftigsten Sturms die schwierigste Stelle, an der das Wasser etwa 10 meter tief ist, passierte. In der Umgebung der Unglücksstelle befinden fich außerdem zahlreiche klippen.
Gerettete erzählen...
Einer der Geretteten erzählte, das Schiff sei plötzlich umge schlagen. Er habe an die Oberfläche gelangen können und das Schiff noch furze Zeit fieloben treiben gesehen. Zahlreiche Passagiere hätten fich festgeflammert. Plößlich jedoch sei das Schiff untergegangen. Als guter Schwimmer habe er sich über Wasser halten fönnen, bis er sich an einem der Rettungsboote habe anflammern fönnen. Doch habe er erst nach Aufhören des Sturmes an Bord genommen werden Ein anderer Geretteter berichtet, wie er eine Stunde lang seine Frau schwimmend über Waffer gehalten habe. Dann hätten feine Strafte verjagt, und er habe seine Frau der Fluten überlassen müssen. Bericht des Leuchtturmwärters.
fönnen.
St. Nazaire, 15. Juni. Ueber das gestrige Schiffsunglück berichtet der Leuchtturmwärter von St. Gildas noch folgende Einzelheiten:
Das Schiff fuchte mühsam in die Loiremündung zu fommen und hatte beinahe schon den Felsenvorsprung von St. Gildas paffiert, mo das Meer um diese Zeit etwa zehn Meter tief ist, als plötzlich besonders hohe Sturzwellen das Schiffumlegten, da die seekrank gewordenen Passagiere sich auf die windgeschüßte Geite begeben hatten, und das Gleichgewicht dadurch gestört war.
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Hüble
VON
1. ILF UND F. PETROW
Ipolit Matweewitsch saß auf dem wunderbaren Stuhl. Während der Dauer des Hochzeitsmahles erhob er sich mehr mals und ließ sich dann mit seinem ganzen Gewicht fallen, um etwa das Harte in dem Stuhl zu fühlen. Manchmal tam es ihm vor, als spüre er es deutlich. Dann gefielen ihm alle Anwesenden besonders gut, und er rief aus vollem Halse: „ Hurra!"
Ostap hielt die ganze Zeit Reden und Toaste. Man trant für die Volksaufklärung und für Turkestan . Dann empfahlen sich die Gäste. Worobjem blieb im Vorzimmer stehen und flüsterte Ostap zu: Halten Sie sich nicht zu lange auf. Die Brillanten sind da."
,, Sie sind viel zu materialistisch", erwiderte der angeheiterte Ostap ,,, warten Sie auf mich im Hotel. Gehen Sie nicht weg. Ich kann jeden Moment kommen. Zahlen Sie die Hotelrechnung, damit alles bereit ist. Und jetzt wünschen Sie mir gute Nacht."
Worobjew ging ins Hotel Sorbonne und verbrachte die
Zeit in großer Aufregung.
Um fünf Uhr früh erschien Ostap mit dem Sessel. Er stellte ihn in die Mitte des Zimmers und setzte sich darauf. ,, Wie haben Sie das bewerkstelligt?" fragte Worobjem endlich.
Sehr einfach, wie man es eben im Familienkreis macht. Die Witwe schlief und träumte. Ich hatte nicht das Herz, sie zu weden. So leid es mir tat, ich war gezwungen, der Geliebten einen Zettel zu hinterlassen: Ich muß nach Novochoperst, habe dort einen Vortrag zu halten. Warte nicht auf mich mit dem Mittagessen. Dein Zudermäuschen. Und den Seffel habe ich mitgenommen. So früh am Morgen verkehrt feine Elektrische, und ich mußte mich unterwegs ausruhen." Worobjem stürzte sich knurrend auf den Stuhl. Still", sagte Ostap, man muß geräuschlos handeln." Er entnahm seiner tiefen Tasche ein Messer und schnitt forgfältig den Stoff weg, ohne ihn zu beschädigen.
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Die erste Sturzwelle hatte das Schiff nur erschüttert, aber die zweite warf es um. Dann wurde der Dampfer in die Tiefe geriffen. Die Rettungsboote der beiden nächstliegenden Dörfer konnten infolge des hohen Seeganges nicht auslaufen, und man mußte die Ankunft der Schlepper von St. Nazaire abwarten, die die wenigen Personen, die noch gerettet werden konnten, an Bord nahmen.
Die Befagung des St. Philbert bestand aus sieben Mann, vier für die Maschinen und drei für die Navigation einschließlich des Rapitäns. Der Rapitän ist ein alter Ameritafahrer, der vor zwei Jahren in den Ruhestand getreten war und von der Küstenschiffahrtsgesellschaft für das Kommando der Ausflugsdampfer angeworben worden war. Das Schiff war breit und feetüchtig. Tiefe Trauer in Nantes .
Die ganze Stadt ist in tiefste Trauer gehüllt. Die Schiffs= fatastrophe hat in zahlreiche hiesige Familien tiefstes Leid gebracht. Biele Raufläden sind geschlossen. An den Türen befinden sich Anschläge mit dem Bermert ,, Wegen Todesfall bei der Schiffstatastrophe geschlossen". Ganze Familien sind bei der Katastrophe ums Leben gekommen. Ein hiesiger Arbeiter hat seine Frau, seine beiden Kinder und seine beiden
Dienstag, 16. Juni 1931
Schwägerinnen, eine junge Frau ihre drei Brüder und ihre Schwester verloren. Sämtliche Leiter des Konsumvereins des Departements Loire interieur, die für die Vereinsmitglieder das Schiff gechartert hatten, sind in den Wellen umge= tommen. Die Mehrzahl von ihnen war von ihren Familien begleitet.
Der ,, Soir" berichtet, daß die ,, St. Philbert" zu viel Fahrgäste an Bord gehabt habe und bei der starken Ueberlastung dem Sturm nicht gewachsen gewesen sei. Es sei vollkommen unsinnig, die Ausflügler jetzt für ihre Kopflosigkeit beim Eintreten der Katastrophe verantwortlich zu machen.
Nautilus wird abgeschleppt.
Das in Seenot befindliche Unterseeboot Nautilus des Nordpolfahrers Wilkins ist nach längeren schwierigen Versuchen von dem nordamerikanischen Kriegsschiff Wyoming ins Schlepptau genommen worden, der es nach Queenstown in Irland schleppen wird.
Hebeversuche am Poseidon" eingestellt.
Auf Befehl der Admiralität sind die Hebeversuche am U- Boo1 Poseidon" endgültig aufgegeben worden, da das gesunkene Boot vier Meter tief im Schlid liegt. Alle an den Hebeversuchen beteiligten Schiffe find bereits auf ihre Stationen zurückgekehrt.
Ein gutes Geschäft.
Wie es im Heiratsvermittlungsbüro Adamkewitsch& Co. zuging.
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per Nachnahme in Höhe von 19,50 M. Die Provision, 1 Proz. vom Vermögen der Dame von 7 Millionen M. märe das z. B. ein ganz hübsches Sümmchen war stets 6 Wochen nach Stattfinden der Hochzeit zu zahlen. Wünschten dann die Herren die Auftraggeberinnen des Heiratsvermittlungsbüros persönlich kennenzulernen, so tostete das noch 200 bis 300 M. Ohnedem ging es nicht.
Die Inhaberin des Heiratsvermittlungsbüros Adamtewitsch| eine davon numeriert, angeblich die Inserentin darstellend- alles u. Co, Frau Adamkewitsch, ist eine geschäftstüchtige Frau; deshalb 1. Co, Frau Adamkemitsch, ist eine geschäftstüchtige Frau; deshalb beschäftigt sich auch seit gestern das Schöffengericht Char lottenburg mit ihr, ihrem Mann und den Geschäftsgepflogen heiten der beiden. Ihre Opfer sind heiratslustige Männer auf der ganzen Welt. Frau Adamkewitsch ist aber nicht nur geschäftstüchtig, sondern auch gute Psychologin. Sie kannte ihre Pappenheimer: sie pries nicht so sehr die weiblichen Reize der Bartnerinnen, als ihr märchenhaftes Vermögen. So tamen die Klienten des Heiratsvermittlungsbüros um ihr Geld und nicht zu einer Frau vielleicht zu
ihrem Glüd.
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Junggesellen werden alarmiert.
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Liste von Heiratskandidatinnen; sie inserierte, daß Akademiker, GutsFrau Adamkewitsch machte es so. Zuerst verschaffte sie sich eine befizer u. dergl. mehr mit großen Vermögen Lebensgefährtinnen suchen. Die maſſenweise eingelaufenen Offerten gestatteten ohne meiteres eine Liste pon heiratslustigen Frauen aufzustellen. Jetzt fonnte es losgeben. Inserate in in- und ausländischen Zeitungen alarmierten, die.. Junggesellen: Befigerinnen von Grundstücken und Fabriten, von Villen und Autos, von Bartapital in Höhe von 300 000 m. bis 7 Millionen M. suchten Männer ohne Vermögen, aber mit umso größerer Herzensbildung. Es meldeten sich Leute aus allen Kreisen: Bauern, Handwerfer, Fischer, fleine Angestellte, Afademiker, Gutsbefizer, Rechtsanwälte, Aerzte und Landgerichtsräte; die Nachfrage nach vermögenden Frauen war immens. Nicht gering auch der Borrat. Die Reflettanten erhielten zwar feine Anschrift von den Inserentinnen, dafür aber einen Haufen Formulare vom Heiratsvermittlungsbüro Adamkewitsch u. Co., u. a. eine Anweisung für die Behandlung der an die Damen zu stellenden Anträge, eine Liste von Heiratskandidatinnen und zwei Bilder, das
,, So einen Kreton findet man heute nicht mehr. Man, muß ihn aufheben. Bei dem Warenmangel." Diese dumme Spielerei steigerte Worobjems Ungeduld. ,, Fertig", sagte Ostap leise. Er hob das Roßhaar in die Höhe und suchte mit beiden Händen zwischen den Sprungfedern.
Nun?" wiederholte Worobjem öfter, immer in der schiedenem Tonfall. Nun? Nun?"
,, Nun bleibt ein Nun", antwortete Ostap gereizt. Eine Chance gegen elf. Und diese Chance
Er untersuchte den Sessel noch einmal und schloß:„ Und diese Chance ist nicht die unsere." Er erhob sich und puzte seine Hose. Tut nichts! Der Witwe kam der Stuhl doppelt so teuer zu stehen als uns."
Ostap holte aus der Westentasche eine goldene Brosche mit Glassteinen hervor, ein goldenes, hohles Armband, ein halbes Dußend vergoldeter Teelöffelchen und einen Teeseiher. Worobjew begriff in seinem Kummer, nicht einmal, daß er hier zum Mitwisser eines ganz gewöhnlichen Diebstahls wurde.
,, Eine banale Sache", bemerkte Ostap ,,, Sie müssen aber zugeben, daß ich die geliebte Frau nicht verlassen fonnte, ohne mir ein Andenken von ihr mitzunehmen. Jetzt dürfen mir aber feine Zeit verlieren. Dies ist nur der Anfang. Das Ende winkt in Moskau . Und ein Möbelmuseum ist unzugänglicher als die Witwe. Das wird schwieriger werden!"
Die beiden Kompagnons versteckten die Reste des Sessels unter das Bett, rechneten ihre Barschaft nach, es waren insgesamt, die Subskription für die Kinder eingerechnet, sechshundertzehn Rubel, und fuhren zur Bahn, zum Moskauer 3ug.
Bis zur Abfahrt des Zuges saßen sie in der Toilette, da fie eine eventuelle Begegnung mit der geliebten Frau fürchteten. Der Zug trug die Freunde dem geräuschvollen 3entrum zu. Ostap klopfte dem traurig gewordenen Worobjem auf die Schulter. Mut, Papachen. Seien Sie luftig! Die Sigung dauert weiter! Morgen abend sind wir in Moskau ." Das Haus des Mönches Berthold Schwarz .
Die Räder ächzten, die Lokomotive pfiff, alles freischte ringsum, und Worobjem hatte den Eindruck, als wäre er in das Operationszimmer eines Zahnarztes geraten. Der 3ugj hielt an.
Das war Mostau. Dies der Rjazanbahnhof. Die Kon
Spaßige Zwischenfälle.
Zuweilen unterliefen Frau Adamkewitsch auch ganz ultige Dinge. So schickte sie z. B. zweien ihrer Klienten dasselbe Bild ein, das zwei verschiedene Damen darstellen sollte: eine brünette Süddeutsche mit 2 Millionen M. und eine Schwedin mit 4 Millionen Mart. Ein anderes Mal war unter dem gleichen Namen eine Dame auf zwei ganz verschieden aussehenden Photos abgebildet. Wie dem auch sei; die Reflektanten stürzten sich in Unkosten, famen nach Berlin , um im Heiratsvermittlungsbüro die vermögenden Damen tennen zu lernen und mußten zu ihrem Leidwesen erfahren ,, daß die Bedauernswerten plötzlich ertrantt seien oder eine Autopanne erlitten hätten, oder der Vater einem Herzsch Fag erlegen sei und dergleichen traurige Dinge mehr; ob die Bewerber nicht etwa bereit wären, sich eine andere Dame anzusehen. Und wirklich befand sich eine solche, natürlich rein zufällig, im Nebenzimmer. Es war aber nicht etwa eine von den vermögenden Damen mit den vielen Millionen, sondern in der Regel eine ganz ,, simple" Angestellte, die dem Bewerber nichts mehr als ihren Wunsch, zu heiraten und höchstens noch eine gute Wäscheaussteuer darzubieten hatten.
Wo waren die Millionärinnen.
Das Heiratsvermittlungsbüro mit den ernstmeinenden Herren und den nicht existierenden Millionärinnen blühte über alle Maßen.
zessionäre drängten sich mühevoll dem Ausgang zu. Ostap näherte sich einem Wagen, setzte sich schweigend nieder und lud Worobjem mit einer breiten Geſte neben sich.
Zum Simzow- Wraschet!" sagte er. Achtzig Kopelen." Der Kutscher war sprachlos. Ein langwieriger Streit entspann sich, in dem öfter von Haferpreisen und dem Schlüsse! zu einer Wohnung, wo Geld liegt, die Rede war.
Endlich knallte der Kutscher mit der Peitsche und das majestätische Panorama der Hauptstadt erschloß sich den Augen der Reisenden.
Die Freunde fuhren durch die Wozdwischenka auf den Arbatplay, über den Pretschistenski Boulevard, und sie befanden sich bald auf dem Siwzow- Braschet vor einem rosa Häuschen.
Was ist das für ein Haus?" fragte Worobjem. ,, Das Internat für Studenten der Chemie, das unter der Patronanz des Mönches Berthold Schwarz steht." ,, Eines Mönches?"
,, Nein, ich scherze nur!... Das ist das Internat des Genossen Semaschko.
Die Freunde stiegen über eine Wendeltreppe ins Mezzanin. Der große Raum des Stockwerks war durch Holzwände in lange, fünf Fuß breite Teile geteilt. Die Zimmer erinnerten an die Bennale der Schüler, nur daß es hier außer Bleistiften und Federn auch noch Menschen und Petroleumfocher gab.
bei
,, Bist du zu Hause, Kolja?" fragte Ostap leise und blieb einer der größeren Türen stehen. Als Antwort darauf raschelte und schrie es in allen fünf Federbehältern.
Jawohl", antwortete es hinter der Tür. ,, Wieder so früh Gäste zu diesem Trottel!" hörte man eine Frauenstimme vom letzten Federbehälter links flüstern. ,, Lassen Sie einen doch schlafen!" brummte der Federbehälter Nummer zwei.
Im dritten Federbehälter flüsterte es freudig: Die Miliz kommt zu Kolta. Sicher wegen der gestrigen zerbrochenen Fensterscheibe."
Im fünften Behälter wurde nicht gesprochen. Dort brüllte ein Petroleumkocher und man vernahm Geräusch von Küssen. Ostap hieb mit dem Fuß gegen die Tür. Der ganze Holzbau erzitterte und die Konzessionäre drangen in Kolkas Höhle ein. Das Bild, das sich Ostaps Augen darbot, war bei all seiner Unschuld erschreckend. Im Zimmer gab es als einziges Möbelstück einen rotgestreiften Strohsack, der auf zwei Ziegeln ruhte. ( Fortsetzung folgt.)