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BERLIN Mittwoch 17. Zum 1931

10 Pff. Nr. 275 B1S9 48. Jahrgang

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Der Muttermörder vor Gericht

Das Leben eines Abenteurers

tandgerichksdireklor Rehringer eröffnete heute früh im Kleinen Schwurgerichtssaal des allen Kriminolgerichts unter starker Beteiligung der Presse die Verhandlung gegen den ZSjährigen C a- lislros IN a x T h i c l e k e. Der Angeklagte ist angeschuldigt, am 6. August vorigen Jahres in der Joachim- Friedrich- Straße durch Dolchstiche seine Mutter getötet zu haben. Der Angeklagte, ein schmaler Mensch, mit langem wallendem schwarzem haar, etwas schräg stehenden Augen und breitem Mund, wird ans der Unter- fuchungshaft vorgeführt. Rechtsanwalt Dr. Mendel stellt Anträge auf Ladung einer An- zahl neuer Zeugen, die in die.Beziehungen zwischen Mutter und Cohn hineinleuchten sollen: er beantragt serner die Abhaltung eines Lokalrermins. Das Gericht beschließt, den größten Teil der Zeugen zu laden, die Entscheidung über den Lokaltermin zurückzustellen. Der Angeklagte ist nur sehr schwer zum Sprechen zu bringen, kämpft sichtlich mit der deutschen Sprache, seine Aus- spräche wirkt fremdartig, ganz allmählich nur wird seine DarstA- lung geläufiger. Vorsitzender: Erzählen Sie uns etwas von Ihrer Ab- stammung. Angeklagter: Ich kann nur sehr wenig angeben. Vors.: Sie hoben ober darüber ausführlich in Ihrem Lebenslauf geschrieben, sind auch mehrmals vernommen worden. Angekl.: Ich bin in Berlin geboren und bin von der Partei meines Vaters an die Partei meiner Mutter ausgetauscht worden. Ich habe im Alter von 19 Jahren bei meiner Tante Paulinka Papiere gesehen. Diese Tante war die chauptvertreterin der polnischen Richtung. Sie trieb die eigentliche Familienpolitik, doch wurde ich gewissermaßen nur als guter Bekannter behandelt, als zur Familie gehöriges Ob- jekt. Vors.:. Erzählen Sie besser von sich selbst, nicht immer von Ihren Beziehungen zur Tante Paulinta. Oer Angeklagte erzählt: Ich bin als uneheliches Kind geboren, lebte mit der Mutter anfangs in der Fasanenstraße und als sie Herrn Neuhaus heiratete, vom Jahre 1919 bis 1914 mit der Mutter und Herrn Neuhaus zu- sammen in der Ioachim-Friedrich-Straße. Im Jahre 1911 fuhren wir mit der Mutter nach Frankreich . Ich besuchte in Cha- monix die Dorfschule. Vors.: Wie wurden Sie von der Mutter behandelt? Angekl.: Abwechselnd gut und sehr schlecht. Mein Vormund(der Angeklagte sdgt fast immer Vormund statt Mutter) hotte oft hysterische. Anfälle. Dann faßte er mich bei den Haaren, schlug mich gegen die Tischkante oder mit den Fäusten auf den Kopf. Als ich später Kleider austragen mußte, die meine Mutter an- gefertigt hatte, und mich verspätete, weil ich die Wohnung des Kun- den nicht sofort gefunden hatte, wurde ich gleichfalls beschimpft und geschlagen. Vors.: Nach Chamonix kamen Sie zeitweilig zum Vater in die Grunewaldstraße. Wie geschah das? Angekl.: Das kam so: Wenn der Vormund Besuch hatte, wurde ich größtenteils weggeschickt. Das geschah auch, wenn mein Vater, Herr Krüger, kam. Da ich aber nach seinen Besuchen auf meinem Nachttisch am nächsten Morgen Konfekt vorfand, so wurde ich neu- gierig, stellte mich eines Abends schlafend, sah wie Krüger in mein Zimmer kam und bekam von ihm einen Kuß____ Es ist furchtbar schwer, darüber zu sprechen. Ich müßte mehr Kontakt haben---- Ich wurde einige Tage später meinem Väter vorgestellt und durste ein Jahr lang bei ihm wohnen. Ich kam mit ihm und meinen Halbschwestern sehr gut aus. Vors.: Wie war es mit Ihrem Schulbesuch? Angekl.: Ich kam erst in meinem achten Lebensjahr zur Schule. Während des Krieges war ich dreimal in Ostpreußen und benutzte auch hier jede Gelegenheit, die Schule nicht zu besuchen Ich halte einen Widerwillen gegen die Schule. Ich konnte nicht mit den anderen Kindern Schritt halten. Später besuchte ich ein halbes Jahr die Odenwaldschule , meine Mitschüler gehörten fast ausschließlich ausländischen deutsch -jüdischen Kreisen an. Ich tonnte mich hier nicht einleben. Nachdem ich drei Monate eine Presse in Schlesien besucht hatte, kam ich in das frei« Landes- «rziehungsheim Wickersdorf. Hier blieb ich vier Jahre. Nur ganz langsam lernte ich mich richtig mit meinen Kameraden zu unterhalten. Ich konnte überhaupt schwer sprechen. Der Lehrer, zu dessen Kameradschaft ich gehörte, war mein erster Erzieher. Ein anderer Lehrer, der ein großer Philologe war, nahm Interesse an meiner Leidenschaft zur Erlernung fremder Sprachen. Schon als Zehnjähriger hatte ich an Hand einer Grammatik, die ich im Hause meine» Vormundes fand.'vie indianische Sprache be- trieben. Jetzt lernte ich außer Indianisch noch Hebräisch, Russisch, Sanskrit. Ich vertiest« mich auch in den indianischen Deismus . Für mich äußerte sich Gott in den verschiedenen Naturgegenständen: das

Das Totenschiff auf der Loire Verlustliste aus 5V4 Passagiere und 2 Mann Besatzung angewachsen

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81. J�hiUheri"

Die Leichen von weiteren acht Passagieren des untergegangenen DampfersSt. P h i l i b e r t" wurden am Dienstag an der Küste südlich von St. Nazaire angespült: unter ihnen befindet sich auch die des Kapitäns. Damit beläuft sich die Zahl der geborgenen Toten auf 7 7. Die Leichen sind am Dienstag nach Nantes über- führt und aufgebahrt worden. Am Nachmittag wurde die Besicht!- gung freigegeben, um die Identifizierung durch Freunde und Familienangehörige zu ermöglichen. Bis zum Abend gelang es, die Personalien von S9 Leichen festzustellen. Die Beerdigung der bisher geborgenen Opfer findet am Donnerstag statt. Die Stadtver- waltung von Nantes hat auf Grund der Erklärungen von Ange- hörigen und Bekannten der an dem Ausflug beteiligten und nicht

3)hs'Uugltickxsciiiff hatte he reits vor der Ausfahrt, wie das Sßild steigt, starke Sehtagseite

zurückgekehrten Personen eine B e r l u st l i st e aufstellen lassen, die bisher S94 Passagiere und sieben Mann Besatzung umsaht. Unter den Vennißten befindet sich auch eine Hochzeit?- gesellschaft von 14 Personen, die sämtlich ertrunken sein dürsten. Am Mittwoch soll die Lage des Schiffs wracks festgestellt werden, damit seine Hebung veranlaßt werden kann. Denn man glaubt, daß sich in den Schiffsräumen noch die Leichen von etwa 299 Passagieren befinden, die infolge des schnellen Sinkens des Schiffes nicht mehr an Deck gelangen konnten. Außer- dem stellt das Wrack, das nur etwa 15 Meter tief liegen soll, ein Hindernis für die Schiffahrt dar.

Christentum kannte ich nicht. Erst in meinem 11. Lebensjahre er- fuhr ich überhaupt, wer Christus war. Vors.: Sie haben sich auch den Namen Calis Sujamani beigelegt? Angekl.: Das kam so: Zwischen meinem Vormund und meinem Vater gab es wieder mal Streit darüber, ob ich adoptiert werden soll. Mein Vormund war dagegen. Da ich bald so, bald anders genannt wurde, schlug ich den Namen Sujamani vor. Im Jahre 1926 �chchielt ich auch Papiere auf den Namen Thielickc-Sujamani. Vors.: Sie haben auch in Paris studiert. Woher haben Sie das Geld dazu bekommen? Angekl.: Ich hatte es mir teils erspart durch Schriftstellerei, teils hat es meine Frau erspart. Im ganzen hatte ich 199 Dollar. Ich hielt mich in Paris im Sommer und Herbst 1928 auf. Ich erhielt keine Aufenthaltserlaubnis mehr, wurde auch von der französischen Polizei eingesperrt, ging nach Mexiko und wurde auf dem Wege nach Los Angelos von der Fremdenpolizei festgenommen. Vors.: Sie haben sich ober schon vor Ihrer Pariser Reise ohne Wissen Ihrer Mutter trauen lassen. Sie haben auch Ihrer Mutter verheimlicht, daß Sie ein Kind bekommen haben. Angekl.: Nein, der Vormund hatte ja das Kind selbst angemeldet. Er mochte mir auch später den Vor- schlag, mit meiner Frau zu ihm zu ziehen. Cr würde eine Schneider- Werkstatt eröffnen, um mit meiner Frau zusammenzuarbeiten. Ich ging darauf ein, weil es erstens sehr schwer ist, mit einem kleinen Kind« eine möblierte Wohnung zu finden, andererseits weil es nicht ratsam war, meinem Vormund zu widersprechen. Man muhte widrigenfalls auf Unannehmlichkeiten gefaßt sein. So hat er z. B. eines Tages meine Frau und das Kind abgemeldet, weil ich einen Gegenstand, den er mir geschenkt hatte, weitergegeben hatte. Der Angeklagte kommt aus sein Verhältnis zur Mutter zu sprechen. Die gegenseitigen Beziehungen waren äußerst gespannt.

Oer Schienen-Zeppelin. Hannover - Hamburg Berlin . Die Reichsbahn teilt mit: Der Schienen-Zeppelin wird am Freitag seine Fahrt von Hannover nach Hamburg durchführen. Am Sonnabend wird die Fahrt von Hamburg nach Berlin fortgesetzt. Die Strecke wird zu diesem Zweck ge­sperrt und die Schranken an der Strecke werden periodenweise beseht werden, so daß in dieser Hinsicht alle Borsichlsmohnahmen getroffen sind. Die G e s ch w i n d i g k e i t des Schienen-Zeppelins wird 2 2 9 Kilometer die Stunde betragen. Vach seiner Ankunft in Berlin wird der wagen über Spandau nach Bahnhof Rennbahn gefahren(am Stadion) und dort zur Besichtigung freigegeben. Wenn die Mutter etwas zu sagen hatte, so schrieb sie Zettel. Diese Schriftstücke führen mitunter eine sehr scharfe Sprache. Ealistros schildert weiter, wie sich die Verhältnisse im Hause der Mutter immer mehr zuspitzten. Eines Tages versuchte sie ihn durch Gift umzubringen, ein anderes Mal ihn mit Frau und Kind durch Gas zu vergiften. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, daß er und seine Familie weg müßte. Sie duldete es nicht mehr, daß sie gegrüßt, ja selbst angeredet würde. Zuweilen schlug dann ihre Laune wieder um. Sie rief ihn zu sich, und er mußt« sich mit ihr unterholten. Er stand gewissermaßen unter dem Zwang der' Mutter, konnte nicht von ihr weg und muhte tun, was sie wollte Im übrigen betrachtete er die Wohnung wenigstens teilweise als fein Eigentum. Er verdiente 199 bis 299 Mark monatlich und br zahlte größtenteils die Wohnungsmiete.