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Beilage Mittwoch, 17. Juni 1931

Herbert Reinhold:

Dobolelo Der Abend

Zuschneider in der Schuhfabrik

Anderen Produktionszmeigen angemessen ist die Teilung des| Bod, werfen es auf das Schneidbrett, fuchen mit schnellem aber Arbeitsganges in der Schuhindustrie verhältnismäßig jungen Datums. ficherem Blid gute und schlechte Stellen, prüfen die Faserung, legen Bor wenigen Jahrzehnten noch entstanden ein Paar Schuhe aus- das Modell auf, greifen nach dem Messer und schneiden, fest drückend, schließlich unter den geschickten Händen eines Schuhmachers". Da- paarmeise zu. Nach vorn gebeugt, die Augen angestrengt, alle Auf­mals maren die Arbeitsstätten fleine Handwerksbetriebe, und die merksamkeit auf die Arbeit gerichtet, schaffen sie, Paar um Paar, Arbeitsverhältnisse waren patriarchalisch. Heute ist eine Schuhmacherei" Größe nach Größe, Männer, Frauen und Kinderschuhschäfte, mo­zumeist eine Reparaturwerkstatt, in der ein kleiner Meister allein disches Echuhwerk und Arbeitsstiefel. Nach acht Stunden atmen fie oder mit einem oder zwei Gesellen schafft. Da wird ausgebessert, geflickt, besohlt und nur dann und wann fertigen sie ein neues Baar Schuhe nach besonderem Auftrag. Denn: die Konsumenten verlangen heute zum großen Teil das Schuhwerk nicht nach Maß; Schuhe werden als Serienware, genormt über einen Leisten, gekauft. Yorik:

Und diese Serienware wird in Schuhfabriken hergestellt, nach den Bestimmungen der Mode in großen Mengen am laufenden Band.

Unmittelbare Folge der Arbeitsgangleilung ist die Spezialisie­rung im Schuhmacherhandwerk für bestimmte Arbeitsvorgänge. Modelleure, Zuschneider, Schäftestepper, Besohler, Fertigmacher, Hand- und Maschinenarbeiter, alle find Glieder des industrialisierten, mechanisierten Schuhmacherberufes. Alle sind gelernte Leute, find Fachleute in ihrer Arbeit. Aber ein jeder fennt den Arbeits­gang des anderen nur grob, und selten ist einer in der Lage, ein Baar Schuhe von Grund auf zu fertigen.

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Im Verhältnis zu der Zahl der Gesamtbeschäftigten in der Schuhindustrie sind die Zuschneider nur eine fleine Gruppe. Umso größer ist die Bedeutung ihrer Arbeit für den Produktions­prozeß. Aufgabe eines Zuschneiders ist es, aus Lederftüden- Felle genannt nach Modellen unter sorgfältiger Berücksichtigung der Lederqualität und bei größtmöglicher Ausnüzung der Lederfläche Blattschnitte( Schuhvorderteile) und Hinterteile zuzu schneiden. Er trägt die Berantwortung, daß Schaft auf Schaft genau sigt, daß die Faserung des Leders mit dem Schnitt übereinstimmt, daß nur gutes Leder für Blattschnitte und weniger gutes für die Hinterteile verwendet wird, und daß der Abfall so gering mie nur irgend möglich ist. Die Arbeit ist abwechslungsreich, förperlich nicht anstrengend, sauber, fie verlangt aber gute Augen, sicheren Blick, eine ruhige Hand und eine gewisse Gewandtheit. Die Zuschneider müssen schnell schaffen, stockt der Betrieb in der Zuschneiderei, dann ist die ganze Produktion gefährdet. Fehler beim Zuschneiden können, werden sie nicht rechtzeitig bemerkt, jede Ralfulation umstoßen.

Die Zuschneiderei muß in einem hellen Raum sein. Maschinen fieht man menig, nur einige Stanzen stehen in einer Ede, Stanzen zum Schneiden von Futterstücken aus meichem Leder und Drellstoff. Längs der Fenster reihen sich Tische mit Schneidbrettern aus hartem Holz. Böcke zum Lederaufhängen find vor jedem Arbeits­play. Scharfe Messer, Wetzsteine, Holzstoffmodelle mit Zinkeinfassung liegen umher. Ueberall aber ist Leder, Felle, zugeschnittene Schäfte und Abfallstücke. Die Luft ist füßlich, erfüllt vom Geruche gegerbten Leders. Anschließend an die Zuschneideret befinden sich die Step pereida werden die zugeschnittenen Schäfte gesteppt, die 3 widerei die gesteppten Schäfte werden über Leisten ge= zwickt, der Maschinensaal, wo die Schuhe befohlt und marktfertig gemacht werden, und schließlich die Lager und die Er pedition.

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Zugeschnitten wird im Akkordlohn: Morgens empfangen die Zuschneider die Leder vom Meister. Modelle werden geholt. Dann stehen sie in Arbeitsfitteln an den Tischen, nehmen ein Leder vom

Victor Schiff  :

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Snaiausgabe des Vorward

auf, räumen rasch den Arbeitsplatz von Abfallstücken, schleifen die Messer und eilen nach Hause. Ehe die Rationalisierung eindrang, waren die Zuschneider dank der Bedeutung ihrer Arbeit für den Produktionsprozeß die Aristokraten unter den Arbeitenden der Schuhindustrie. Ihr Schaffen war individueller, ihre Entlohnung mar höher und sie wurden als Spezialarbeiter stets gesucht. Trotz­dem waren sie von jeher überzeugt von der Notwendigkeit der wirt­schaftlichen und politischen Organisation. Jetzt, in der Zeit der Be­triebsstillegungen und Entlassungen, haben sie sich zum Teil enger an ihre Arbeitsgenossen angeschlossen. Langsam reist auch in ihnen die Erkenntnis, daß nur alle Arbeitenden mitsamt den Kampf führen fönnen gegen die Anarchie der heutigen Gesellschafts- und Wirtschafts­form.

Groteske um Goethe  

Gesellschaftsspiel ist, wenn es langweilig wird.

Da gibt es zum Beispiel ein weitverbreitetes Gesellschaftsspiel, das ich dringend empfehlen kann, wenn es darauf ankommt, die Zeit totzuschlagen: die Zeit bleibt dabei bestimmt auf der Strecke. Man nehme also vier möglichst unzusammenhängende Wörter und ver pflichte die Teilnehmer, fie durch ein Gedicht in einen Zusammenhang zu bringen. Etwa: Goethe, Blech, Propaganda, Arbeitslose. Schwierig, nicht wahr?

Nun: manchmal nimmt sich auch die Wirklichkeit solch ein Ge sellschaftsspiel vor. Freilich bekommt dann die Sache einen gewissen tragischen Ernst; das liegt daran, daß die Wirklichkeit nun mal nicht fehr heiter beschaffen ist. Die oben genannten pier Wörter: die hat sich zum Beispiel unsere Gegenwart höchstselbst vorgebunden.

Die Arbeitslosen hatte sie in reichstem Maße zur Verfügung. Sie wählte sich drei davon; drei Handwerker; ließ diese drei aus Weimar   sein; womit der erste Zusammenhang mit Goethe hergestellt war. Weiter veranstaltete sie für 1932 ein Goethe gedenkjahr, indem Goethe hundert Jahre zuvor mit einem um­strittenen ,, Mehr Licht!" die Augen schloß. Für dies Gedenkjahr er­scheint eifrige Propaganda am Blaze; denn es fällt nicht jedem leicht, aus der Misere der Armut und des Hungers auch nur einen befreiten Blick hinauf und zurück zu Goethe zu richten. Goethe ist wohl nie arm gewesen; für Goethe war Arbeitslosigkeit ein unbe­tannter Begriff: er bewohnte als Minister ein zwar nicht übermütig" zwar ,, nicht

aussehendes, aber doch für jene Zeit fomfortables Gartenhaus.

Und dieses Gartenhaus: das stellen jene drei Handwerker in ihren und in Goethes Dienst. Sie haben es wirklichkeitsgetreu nachgebildet; haben es auf einen Wagen geladen, und wohnen nun darin auf einer Fahrt durch Deutschland  . Sie wollen es den Deutschen  , durch deren Städte und Dörfer fie fommen, zeigen, wollen auch Ansichtspostkarten des echten und des nachgebildeten Goethe­hauses verkaufen und ein fleines Panorama der klassischen Stätten Weimars   zur Besichtigung mit sich führen; und wollen so für das Goethejahr Propaganda und für sich selbst ein bißchen Geld machen. Das Material, aus dem sie das Haus verfertigt haben, ist, um auf das Gesellschaftsspiel zurückzukommen, das Gesellschaftsspiel zurüd zukommen, Blech. Es wird vielleicht nicht das einzige Blech sein, das zu Goethes Gedenten verzapft wird; aber die drei haben es bestimmt nicht ironisch gemeint; es ist ihnen schr ernst um die Sache.

Und uns, wenn man genauer hinsieht: uns eigentlich auch. Es ist kaum ein ernsteres, taum ein treffenderes Symbol für das Pro­blem ,, Goethe und das heute" zu finden als dies. Aus Goethes Gartenhaus   sehen drei Arbeitslose heraus. Aus der Idylle die Not. Aus der Behaglichkeit die Armut. So ist es.

Berlin   Paris  / Genf  / Berlin  

Steile Kehren, hohe Tannen, rauschende Bäche in den Schluchten, fühle Luft, all das deutet auf eine alpine Landschaft hin. Es muß hier sehr schön fein, leider ist nichts, aber auch gar nichts davon zu sehen. Ich habe mir indessen in den Kopf gesetzt, es bis Morez zu schaffen. Dann sind es nur noch 60 Kilometer bis Genf  , und zwar wurde mir diese letzte Strecke, landschaftlich als die schönste geschildert. Die will ich eben am nächsten Morgen zurüdlegen. Um 11 Uhr abends bin ich nur noch 5 Kilometer vor meinem Ziel, als es auf einmal wieder bedenklich hinten zu wadeln beginnt. Wie Zwillinge geben beide Reifen wieder gleichmäßig nach. Ein fleines Gasthaus an der Straße ist noch offen, leider kann es uns nicht aufnehmen, denn alle Zimmer sind durch Pärchen aus den benachbarten Städtchen an jenem Himmelfahrtsabend besetzt. Drinnen im Gaftzimmer herrscht Hochbetrieb, mit Grammophon, Wein und Tanz. Aber kaum haben die Gäste erfahren, worum es fich hardelt, da stellen sie sich alle bereitwillig zur Verfügung, um zu helfen, oder wenigstens aufmunternd zuzusehen, wie geholfen wird. Ueberhaupt ist die Hilfsbereitsschaft, die Liebenswürdigkeit und auch die Geschicklichkeit der Franzosen gegenüber dem deutschen Autofahrer, überall wo man sie in Anspruch nehmen muß, geradezu auffallend. Dabei muß man ihnen zumeist eine Entlohnung förmlich auf drängen, selbst bescheidene Summen werden manchmal als viel zu hoch aufrichtig zurückgewiesen. Ein legtes Mal wurden die beiden renitenten Schläuche aufgepumpt. Sie hielten nicht ganz bis Morez Um 1. Uhr nachts, selbst restlos aus gepumpt und wieder einmal ,, auf Latschen" flingelte ich den Hotelwirten aus dem Shlaf

heraus.

Als ich am Morgen aufwache und zum Fenster hinausschaue, sehe ich ringsum ganz ansehnliche Berge, bedeckt mit prachtvollen Laube und Tannenwäldern. Morez, 700 Meter hoch gelegen, ist ein Industriestädten, das ebenso wie das benachbarte Saint- Claude   eine ganze Anzahl von fleinen Betrieben der optischen Industrie sowie einige Diamantenschleifereien zählt. Die Arbeiterschaft ist dort seit Menschengedenten gewerkschaftlich organisiert, besser als in allen übrigen Gegenden Frankreichs  , außer im hochindustriellen Norden. Während man in der Garage stundenlang an meinen Reifen herum­murfft, spreche ich mit Einwohnern: auch dort lastet die Wirtschafts­frise schwer. Die Arbeiter sind nur an zwei Tagen in der Woche beschäftigt, der Export von Brillengläsern nach Amerita hat fast völlig aufgehört, die Gewerkschaftstassen sind durch die fortwähren den Unterstützungen an ihre notleidenden Mitglieder start in Mit leidenschaft gezogen. Ob die Kommunisten nicht Fuß gefaßt haben? Sie bemühen sich zwar, wird mir geantwortet, im trüben zu fifchen, haben aber bisher nur bei solchen Elementen Antlang gefunden,

die auch in besseren Zeiten Gewerkschaftsbeiträge scheuten und nun um so lauter auf die Reformisten" schimpfen. Um das zu hören, brauche ich freilich nicht bis nach diesem verlorenen Städtchen im Jura zu fahren.

Es ist 11 Uhr geworden, bis es den Monteuren endlich gelungen ist, die Reifen zu reparieren und aufzulegen. Unbarmherzig glüht Die Maisonne im wolkenlosen Himmel. Die Straße wird steil, eng und kurvenreich. Auf den Kämmen der Berge, nur wenige hundert Meter über uns, schillert etwas Weißes. Nebel kann es nicht sein. Aber Schnee? Bei dieser Gluthize? Je höher man steigt, desto mehr schwinden die Zweifel: dort liegt wirklich noch Schnee. Bald erreichen wir selbst die Schneegrenze. Auf dem letzten Stück bis zur Höhe des Col de la Faucille( Sichelpaß) obwohl dieser nur 1323 Meter hoch liegt ist die Chaussee regelrecht frei gelegt, rechts und links liegt der Schnee noch meterhoch am Straßenrand.

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obwohl

Gleich hinter der Paßhöhe bietet sich ein märchenhafter Anblid: 1000 Meter tiefer erstreckt sich der Genfer See   wie eine lange filberblaue Bunge, eingebettet zwischen grünen Matten und Hügeln. Im Dunst des allzu schönen und heißen Tages erkennt man dennoch das Häusermeer von Genf  . Und weit drüben im Süden ein schillerndes Gespenst, das aus dem Dunft der Ebene phantastisch hoch emporragt und wie in der Luft zu schweben scheint: der Montblanc  , der sonst tagsüber so selten von Genf  deutlich zu erkennen und ist der heute trop der 100 Kilometer Luft­linienentfernung so ungewöhnlich flar und nahe erscheint.

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Die Eröffnungssigung des Europaausschusses ist ja somiejo ver­fäumt. So gönne ich mir fast zum erstenmal auf dieser Hegreise mit der Uhr am Handgelent eine Viertelstunde der Muße, um mir dieses Panorama unvergeßlich einzuprägen Dann aber geht es wieder in unheimlich steilen Kehren hinunter in die Ebenz. In den zweiten Gang umgeschaltet, übt der Motor automatisch die stärkste Bremswirkung aus, so daß man sich gar nicht besonders anzuftrengen braucht, sondern noch immer die Landschaft genießen fann. Bald ist das Städtchen Geg erreicht, das noch politisch zu Frankreich   gehört, geographisch und wirtschaftlich aber ganz mit der Schweiz   verbunden ist und deshalb auch seit über 100 Jahren Zoll­freiheit genießt. Bei Ferney  , der langjährigen Zufluchtsstätte von Voltaire  , am bescheidenen Schloß des großen Weltbürgers vor­bei, erreicht man endlich die Schweizer   Grenze. Nur noch wenige. Minuten, und man begegnet bereits am Ufer des Genfer Sees Ber­finer Kollegen, die non der Eröffnungssigung heimkehren und einem die beruhigende Zusicherung geben, daß man wirtlich nichts ver­fäumt hat....

Biele werden das sagen: ,, So ist es." Manche werden sein, noch immer: die wird es stören. Man soll nicht auch dies, dies Heiligste, werden sie sagen, in den Materialismus der Zeit

-W

Doch! Man soll. Man soll solche Leute vielleicht daran er­innern, daß Arbeitertum diesem Hause nicht so fremd ist. Daß Goethe hier viele Jahre lang mit einem geliebten Mädchen im drei­mal verdammten ,, Konkubinat  " gelebt hat mit einem Mädchen, das, wenn bei einer modernen Volkszählung nach ihrem Beruf ge­fragt worden wäre, mit ungelenken Zügen hätte schreiben müssen: Fabritarbeiterin." Man soll daran erinnern; und sich selbst allerhand, sich selbst recht viel dabei denken. Etwa dies: daß Goethe geschaffen hat für Menschen, die Wohlstand genug haben, um fein Schaffen zu genießen. Daß also alles, alles darauf ankommt, fich bescheidenen Wohlstand" zu schaffen. Da gibt es das viel miß­handelte Wort Kulturträger": nun gut, diese drei Arbeits­losen, ihre Gefährten, ihre Mütter, Väter, Frauen, Kinder: auch sie wollen Kultur tragen; auch für sie schrieb Goethe. Auch sie wollen in Goethe leben. Diese drei tun das auf eine seltsam verzerrte Art; die Verzerrung kommt aus der Zeit, die wider Goethe ist. ,, Mehr Licht!" foll Goethe gesagt haben. Das heißt, ins Heutige übersetzt: Allen Licht. Und: Mehr Arbeit allen Arbeit!

Hans Bauer:

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Ein Hund extemporiert

Der Vorhang faltete sich auseinander. Der Blic fiel auf eine Bühne, die von einem kleinen Herrn mit einer großen Peitsche und von einer Anzahl Hunden bevölkert war, die rundum auf Posta­menten saßen. Der kleine Herr sagte Hopp und Holla, knallte mit der Peitsche, ließ die Tiere durch Reifen springen und auf Bällen sich bewegen, befahl ihnen, auf den Hinterpfoten zu marschieren und fich im Kreise zu drehen. Die Hunde parierten vorzüglich. Der Grad der Eraktheit, mit dem sie ihre Natur verleugneten, demon­strierte das Maß der Fähigkeiten ihres Dresseurs. Er hatte ihnen menschliche Bewegungen und menschlische Gesten beigebracht und es war ihm bei jeder erfolgreichen Leistung anzusehen, daß er sie als die Ueberwindung tierischer Primitivität durch den veredelnden Ein­fluß des Menschen gewertet zu wissen wünschte.

Schließlich stellte der Dresseur dem intelligentesten Hunde die Aufgabe, eine aus hölzernen Würfeln gebildete Treppe zu er= hüpfen. Das Tier marf die Hinterpfoten in die Luft, strauchelte, schien sich deutlich der Marter zu erinnern, die ihm die Senfung der Pfoten bei einer anderen Gelegenheit eingebracht hatte. Ueber­mand die Sehnsucht nach der Rückkehr auf seine vier Beine und magte den ersten Sprung. Einen Augenblick verharrte der Hund, mühselig balancierend, auf der ersten Etappe seiner Reise. Als er feinen Sprung ausgependelt hatte, setzte er zum zweiten Sprung. an. Er knickte die Borderpfoten ein, straffte sie jäh und schnellte nach dem zweiten Würfel. Die Pause des Verweilens verlängerte sich. Der Hund feuchte. Seine Zunge zudte in hastigen Stößen aus dem Maule heraus. Eine neue Senfung der Hinterpfoten... ein neues Sichbesinnen... eine neue Kräftekonzentration... ein neuer Sprung auf die dritte, die vierte, die fünfte Stiege. Der Abstieg begann. Sprung auf die vierte, auf die dritte Etappe. In diesem Augenblic wurde die Aufmerksamkeit des Dresseurs, die bis dahin der Leistung des Hundes gegolten hatte, von einem der anderen Hunde in Anspruch genommen, der es für gut befand, plötzlich unter schrillem Gebell mit einem seiner Kollegen zu raufen. Der Dresseur wandte sich um.

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Der Hüpffünstler bemerkte es wohl und er erfaßte im Nu die Situation. Er ließ den Hinterförper fallen. Seine Hinterbeine berührten die nächsthohe Würfeltante. Er hüpfte nicht mehr, er lief- ganz rasch, ganz eilig die Treppe hinunter. Ehe er auf dem ebenen Boden anlangte, hob er noch einmal andeutungsweise die Hinterpfoten. Er schien zu glauben, diese kleine Mühseligkeit der Gewissensberuhigung wegen auf sich nehmen zu sollen. Dann sprang er endgültig auf alle Biere.

Des Publikums bemächtigte sich eine fichernde Fröhlichkeit. Der programmäßigen Leistung des Hundes hatte es das durchschnittliche Interesse von Zuschauern entgegengebracht, die ein erwartetes Schaustück zu sehen bekommen, die überraschende Improvisation beantwortete es mit herzlichem Einverständnis. Die Ersteigung der Treppe war ein herkömmlicher Dressuraft gewesen, die Demon­ftration einer Hunde- Gelehrigkeit. Die Lücke im Dressuraft aber, die mar mehr als dies. Sie war ein schöpferischer Att. Sie mar die Ueberwindung der Bereitschaft, dem überlegenen mensch­lichen Willen zu gehorchen, durch einen selbständigen Denkprozeß. Die imponierende Fähigkeit der Verleugnung seiner natürlichen Gangart hatte der Hund durch die imponierende Tat der Erfassung einer Situation übertroffen, die die Abkehr von dieser Verleugnung ungestraft erlaubte.

Den Dresseur hatte die leichte Unruhe des Publikums stuzig gemacht. Er drehte den Kopf mißtrauisch gegen den Hund, ahnend, daß hier etwas nicht stimme. Der Hund madelte wader, mit auf­geringeltem Schwänzchen, auf seinen vier Pfoten auf dem ebenen Boden daher. Der Dresseur warf einen fragenden Blick auf den immer noch amüsierten und schmunzelnden Zuschauerraum. Aber niemand pezte. Da heftete der Dresseur einen strengen, lauernden, einen bösartigen Blick auf das Tier und der Hund reflektierte den Blick. Da schlug der Herr die Zweifel nieder und verbeugte sich.

Er war in einem merkwürdigen Irrtum befangen. Zwar war es richtig, daß der Hund soeben einen Beweis seiner Intelligenz erbracht hatte. Aber er hatte ihn erbracht dadurch, daß er ein Rönnen schuldig geblieben war und nicht dadurch, daß er es offenbart hatte.