Rr. 299 48. Jahrgang
11.
1. Beilage des Vorwärts
Mehr als ein halbes Jahrzehnt ist vergangen, seit man be-| gonnen hatte, den Luisen städtischen Kanal, diese alte Querverbindung von Spree und Landwehrkanal im Südosten der Stadt, trockenzulegen. Beim Bau der Untergrundbahn Gesundbrunnen- Neukölln wurden die ausgeschachteten Sandmassen hier versenkt und das Wasser zur Spree abgedrängt. Jahrelang sah man statt der spiegelnden Wasserfläche nur eine Sandwüste, die nicht gerade zur Verschönerung des Stadtbildes beilrug. Nach mehreren Unterbrechungen ist in diesem Jahre endlich die vorgesehene Anlage von Grünflächen und Spielplätzen auf sozialdemokratisches Drängen im Kanalbett durchgeführt worden. Mit Vergnügen blickt man von der Hochbahn wieder auf das neugestaltete Torbecken.
Der ehemalige Kanal hat kaum 80 Jahre existiert. Seine Gründung geht in die Zeit von 1848 zurück, roo er in Verbindung mit dem Landwehrkanal und Urbanhafen gebaut wurde, um der auch schon damals herrschenden Arbeitslosigkeit zu steuern. Städtebaulich brachte der neue Wassermeg einen starken Akzent in das unruhige Straßengemirr dieses neu entstehenden Stadtteiles. Wirkungsvoll in ihrer strengen Symmetrie ist diese Adise Dom Michaelkirchplatz bis zum Urban, in der Mitte betont durch den Oranienplatz und an den Enden durch das Tor- und Engelbecken. Malerisch wendet sich daran anschließend der Verbindungsarm zur Spree wiederum verstärkt durch den langgestreckten Mariannenplatz. Die baumbestandenen Uferstraßen mit dem Kanalbett in der Mitte bildeten früher eine mächtige Avenue, die architektonisch die größten Möglichkeiten bot. Durch die überstürzte Entwickelung der Stadt sind diese Möglichkeiten leider verpaẞt morden. In öder Eintönigkeit flankieren die unruhigen Fassaden der Mietkasernen aus der Gründerzeit der 70er Jahre die großzügige Anlage. Die Michaelkirche ist zu unbedeutend, um der großen Linie einen entsprechenden Abschluß zu geben, und der Mariannenplatz ist durch schlecht verteilte gärtnerische Anlagen verzettelt und seine Einheitlichkeit durch die zusammengewürfelten Bauten der Diakonissenanstalten gestört.
Wirtschaftlich hatte der Kanal in der Gründerzeit große Bedeutung, da er der beste Transportmeg war für alles Baumaterial. Aber die veränderten Verkehrsverhältnisse, der Rück
gang der Binnenschiffahrt, die Verlegung der Industrie in die Vororte ließen den Kanal bald veröden und als Wasserstraße zu völliger Bedeutungslosigkeit herabsinken. Das stagnierende Wasser zeigte außerdem gesundheitsschädliche Wirkungen; als
T
Das ehemalige Wassertorbecken
dann der Untergrundbahnbau eine billige Absatzstätte für den ausgeschachteten Boden forderte, bot sich eine gute Gelegenheit, den Kanal zu beseitigen. Ein Stück altes Berlin wurde wohl damit geopfert; aber die neuen Anlagen mit ihrem Grün, ihren Ruhebänken und Spielplätzen werden die Bevölkerung bald mit dem Verlust der alten Wasserstraße versöhnen und den proletarischen Anroohnern Gelegenheit zur Erholung und Ausspannung bieten.
Korruption im Dezernat Busch.
1½ Jahre Gefängnis gegen Hiller beantragt.
In dem Prozeß gegen den Berliner Grundstücksmakler Hiller beantragte der Vertreter der Anklagebehörde, Staatsanwaltschaftsrat Grüneberg, wegen affiver, Bestechung und meineids ein Jahr sechs Monate Gefängnis und drei Jahre Ehrverlust, ferner dauernde Unfähigkeit, als Zeuge oder Sachverständiger eidlich vernommen zu werden, schließlich die von Hiller an Stadtrat. Busch gezahlte Bestechungssumme von 100 000 m. als für den Staat verfallen zu erklären. Nach den Strafanträgen des Staatsanwalts sprachen die Rechtsanwälte Dr. Julius Meyer I und Dr. Richard Meyer, die die Freisprechung des Angeklagten verlangten. Heute, Dienstag, um 10 Uhr, erhält der Angeklagte Hiller das letzte Wort und daran wird sich dann die Beratung des Gerichts anschließen.
Staatsanwaltschaftsrat Dr. Grüneberg führte in seinem Blädoyer aus: Die Vorgange, die hier eingehend erörtert worden feien, bildeten einen fleinen Ausschnitt aus dem Kapitel der
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Aume
VON
1. ILF UND F. PETROW
Elly hatte die merikanische Ratte eigenhändig mit Aquarallfarbe grün gefärbt, und so war ihr das Lob des frühen Besuchers besonders angenehm.
Ohne der Hausfrau Zeit zu lassen, zur Besinnung zu tommen, erzählte ihr der große Kombinator alles, was er von diesen Fellen wußte. Später sprach man von Seide, und Ostap versprach der verführerischen Elly, ihr einige hundert Seidenkotons zu schenken, die man ihm aus Turkestan gefandt habe.
Junge, was wollen Sie eigentlich hier?" fragte Elly, nachdem die ersten Formalitäten des Bekanntwerdens erledigt waren.
Der Besuch eines jungen Mannes, so früh am Morgen, fetzt Sie wohl zweifellos in Erstaunen." Ho- ho."
Ich komme aber in einer delikaten Angelegenheit." Sie scherzen!"
,, Sie waren gestern bei einer Auktion und haben einen ungewöhnlichen Eindruck auf mich gemacht."
,, Sie find frech!"
Grundstüdsgeschäfte der Stadt Berlin , die die Deffentlichkeit in der legten Zeit start erregt hätten. Der Name des Etadtrates Busch habe in der Verhandlung einen breiten Raum eingenommen und es sei flat, daß
Busch, wenn er noch am Leben wäre, sich an dieser Stelle wegen schwerer paffiver Bestechung zu verantworten haben würde.
Der Untersuchungsausschuß des Landtages habe ausgesprochen, daß unter dem Dezernat des Stadtrates Busch eine ausgesprochene Rorruption geherrscht habe und daß Busch sich bei dem Ankauf von Grundstücken für die Stadt von persönlichen Vorteilen habe leiten lassen. Was die Bestechung anbelange, so genüge es bei dem Fall Düppel- Dreilinden hinsichtlich des Angeklagten Hiller, wenn er bei der Diskontierung von Wechseln von 100 000 mart davon ausgegangen sei, daß sich Busch bei den Kaufverhandlungen nicht bloß von seinem pflichtmäßigen Ermessen leiten lassen werde,
,, Liebes Mädchen", sagte Ostap unerwartet ,,, Derkaufen| Sie mir diesen Stuhl. Er gefällt mir sehr gut. Nur sie allein mit ihrem weiblichen Kunstgefühl für schöne Dinge fonnten einen so geschmackvollen Gegenstand auswählen. Mädel, verfaufen Sie mir ihn, ich gebe Ihnen sieben Rubel dafür." ,, Junge, Sie werden frech", sagte Elly scheimisch. Ho- ho", erklärte Ostap.
Mit ihr ließe sich vielleicht am ehesten ein Tauschgeschäft machen überlegte er.
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Wissen Sie, in den besten Häusern Philadelphias , in Europa hat man den altmodischen Brauch erneuert, Tee durch einen Seiher zu gießen. Es ist äußerst effektvoll und sehr elegant."
Elly wurde aufmerksam.
,, Nun ist ein bekannter Diplomat aus Wien zu mir gefommen und hat mir ein solches Teesiebchen als Geschenk mitgebracht. Ein schönes Ding!"
,, Das muß wundervoll sein." Ellys Interesse wurde wach. Oho! Ho- ho! Wollen Sie tauschen? Sie geben mir den Stuhl und ich gebe Ihnen das Siebchen. Wollen Sie?" Und Ostap zog aus der Tasche ein kleines vergoldetes Sieb. Die Sonnenstrahlen spielten auf den Wölbungen des Pleinen Dings. Die Diele erglänzte im Sonnenlicht. Eine dunkle Ecke des Zimmers wurde hell. Auf Elly übte der Anblic diefes fremdartigen Gegenstandes denselben Effekt wie auf die Menschenfresser Mumbe- Jumbo der Anblick einer alten Konservenbüchse. Die Neger brüllen in diesen Fällen aus voller Kehle, Elly aber stöhnte nur leise: ,, Ho- ho."
Ohne ihr Zeit zu lassen, zu sich zu kommen, legte Ostap das Siebchen auf den Tisch, nahm den Stuhl, brachte von der reizenden Frau noch die Adresse ihres Mannes in Erfahrung
,, Verzeihung. Es wäre geradezu barbarisch, einer so und empfahl sich galant. reizenden Frau gegenüber frech zu sein." ,, Düſter!"
Das Gespräch setzte sich weiter in ähnlichem Tone fort, ein Ton, der zuweilen wundervolle Ergebnisse zeitigte. Ostaps Komplimente wurden aber nach einiger Zeit immer fürzer und seichter. Er hatte nämlich bemerkt, daß sich der zweite Stuhl nicht im Zimmer befand. Er mußte feiner Spur nachgehen. Und während er sie mit seinen seltsamen orien talischen Schmeicheleien blendete, fragte er unauffällig und verblümt nach allem, was ihn intereffierte. So erfuhr er auch im Laufe des Gesprächs von den gestrigen Ereignissen. Eine neue Komplitation dachte er. Die Stühle Laufen wie Schaben auseinander.-
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Awessalom Wladimirowitsch 3znurentom.
Eine schlechte Zeit war für die Konzeffionäre gekommen. Oftap behauptete, daß man die Stühle schmieden müsse, solange sie heiß sind. Worobjem war amnestiert worden. Dessen ungeachtet mußte er von Ostap bisfige Fragen über sich ergehen lassen: Warum, zum Teufel noch einmal, habe ich mich Ihnen verbündet? Wozu brauche ich Sie eigentlich? Sie sollten nach Hause fahren, in Ihr Amt. Dort fönnen Sie meinetwegen auf die Toten und Neugeborenen warten. Quälen Sie doch die Kleinen nicht! Fahren Sie endlich!"
Und doch war der große Kombinator seelisch im Grunde irgendwie an den verwilderten Vorsitzenden gebunden. Ohne
Dienstag, 30. Juni 1931
sondern daß auf ihn auch der Wechseldiskont bestimmend einwirken werde. Objektiv wolle er anerkennen, daß mancherlei Zweifel an der Schuld des Angeklagten vorgebracht werden könnten. Als Ergebnis der Hauptverhandlung müsse man aber zu der Ueberzeugung kommen, daß der Angeklagte Hiller im Sinne des Eröffnungsbeschlusses des Meineides und der Bestechung schuldig sei. Die Wechseldiskontierungen hätten im November 1924 begonnen. Aber schon im Sommer 1924 habe Hiller gehört, daß die Prinzen Düppel verkaufen wollten, und er habe Vorfühler ausgestreckt, wofür er die Kleinigkeit von 100 000 Mart als Provision ausgegeben habe. Hiller gebe zu, über den Ankauf und die Parzellierungspläne mals noch nicht über den Verkauf an die Stadt mit Busch gesprochen zu haben. Es stehe fest, daß Hiller zur Durchführung der Barzellierungspläne die Genehmigung der Stadt nötig hatte.
Den 100 000- Mart- Wechseldiskont habe er eben nicht dem Kaufmann Busch, sondern dem Stadtrat Busch gegeben.
da
Am 1. Juli 1925 sei Hiller das Darlehen von 3½ Millionen Mark, aus dem er den Kredit für die Prinzen deckte, von der Stadt gegeben worden. Von diesem Tage ab setzten auch erst die Wechseldiskontierungen in größerem Umfange ein. Daß es kein Zufall gewesen sei, ergebe sich auch aus der Art der Verbuchung dieses Wechselgeschäftes. Auf beiden Seiten habe offenkundig das Bestreben vorgeherrscht, dieses Geschäft durch falsche Buchungen zu verschleiern. Soviel Zufälle, wie der Angeklagte bei seinen Geschäften angegeben habe, gebe es überhaupt gar nicht. Die Hauptverhandlung habe ergeben, daß der Angeklagte Hiller dem Stadtrat Busch im beiderseitigen Einverständnis 100 000 Mark in der Absicht gegeben habe, daß sich Busch als Stadtrat für den Ankauf des Grundstücks Düppel und für den Angeklagten einfegen sollte. Beim Strafmaß müsse berücksichtigt werden, daß das ganze Geschäft einen Korruptionsfall darstelle und daß mit Rücksicht auf die Reinheit des politischen und wirtschaftlichen Lebens eine strenge Strafe am Plaze sei.
In der Verhandlung war die Zeugenvernehmung des Kaufmanns Erras von besonderem Interesse.
Der Zeuge hatte 1914 mit Hiller ein Baumwollgeschäft gemacht. Auf weitere Geschäfte kann er sich nicht besinnen, sondern nur noch auf ein Geschäft gelegentlich des Verkaufs von Düppel. Eines Tages sei Günther an ihn herangetreten mit der Frage, ob er sich nicht für den Verkauf von Düppel interessieren wolle, er sei doch mit Stadtbaurat Hahn, der ein Schulfreund des Zeugen ist, gut befannt. Es sei wichtig, den Stadtbaurat über die Vorteile des Kaufes für die Stadt Berlin aufzuflären. Günther sagte gleichzeitig dem Zeugen, daß er etwas verdienen solle. Der Zeuge wandte sich nun an Hiller, um sich über das Geschäft Düppel informieren zu lassen. Hiller wollte ihm 25 000 m. Provision zahlen. Das erschien' dem Zeugen zwar sehr niedrig angesichts des Millionenobjektes, er mar aber schließlich mit dieser Provision einverstanden, zumal Hiller sagte, wenn das Geschäft gut gehe, werde er mehr zahlen. Der Seuge ging nun zu seinem Freunde Hahn und schilderte nach den gegebenen Informationen die Vorteile des Geschäfts für die Stadt. Stadtbaurat Hahn erwiderte dem Zeugen:„ Ich kenne ja die EinzelProvision erhalten. heiten, nun wir werden ja sehen." Der Zeuge hat die 25 000 m.
Schuttlawine vernichtet Dorf.
Zwischen 17 und 18 Uhr nachmittags wurde heute das Gebiet wolkenbruchkatastrophe heimgesucht. Vom Embachhorn von Kaprun bei Zell am See von einer furchtbaren ging eine Schuttlawine nieder, die den Ort karbung vetnichtete. Sofortige militärische Hilfe wurde angefordert. Die Not ist unbeschreiblich groß. Nähere Einzelheiten der Katastrophe fehlen noch.
ihn wäre es nicht so fomisch zu leben dachte Ostap. Und er sah Worobjem, auf dessen Kopf bereits silbernes Gras wuchs, beluftigt an. Sobald sich der stille Jwanopulo entfernte, malte Bender seinem Kompagnon aus, welches die. fürzesten Wege zur Erlangung des Schayes sein könnten.
,, Immer tapfer handeln. Nicht viel fragen. Mehr 3ynismus. Das gefällt den Menschen. Nichts durch dritte Personen unternehmen lassen. Es gibt feine dummen Menschen mehr. Niemand wird für Sie Brillanten aus fremden Taschen holen. Aber auch ohne Kriminalität. Wir müssen den Koder ehren."
Und dabei ging die Sache doch nicht besonders glanzvoll vor sich. Der Kriminalfoder und eine hübsche Portion von Vorurteilen, die den Bewohnern der Hauptstadt noch immer eingewurzelt waren, standen ihnen im Weg. Die Leute litten zum Beispiel feine nächtlichen Besuche durch das Fenster. Man konnte nur auf legalem Wege arbeiten.
An demselben Tage, da Ostap bei Elly Schtutina zu Befuch war, wurde der Stuhl in das Zimmer des Studenten Iwanopulo geschafft. Der Stuhl, der gegen ein Siebchen eingetauscht worden war, die dritte Trophäe der Expedition. Ziemlich viel Zeit war immerhin schon vergangen, seit die beiden Kompagnons die Jagd nach den Stühlen begonnen hatten, die von so mächtigen Emotionen begleitet war. Auch dieser Stuhl wurde mit den Nägeln zerrissen, die Sprungfedern vor Gier beinahe zerbissen. Auch diesmal erfolglos, es war nichts zu finden.
,, Wenn in dem Stuhl auch nichts ist", sagte Ostap ,,, Sie müssen doch rechnen, daß wir mindestens schon zehntausend Rubel verdient haben. Jeder demolierte Stuhl vergrößert unsere Chancen. Und was liegt schließlich daran, daß sich das Gesuchte nicht in dem Stuhl befand? Deswegen müssen wir ihn auch nicht total in Stücke brechen. Iwanopulo fann immerhin noch damit sein Zimmer möblieren. Und auch für uns ist es fo fomfortabler."
Am selben Lage noch traten die beiden Konzessionäre aus dem rosa Häuschen heraus und entfernten sich, jeder in einer anderen Richtung. Worobjew hatte den medernden Unbekannten in der Sadowa- Spastistraße zu bearbeiten. Er bekam fünfundzwanzig Rubel für eventuelle Ausgaben zugewiesen, gleichzeitig wurde ihm angelegentlichst empfohlen, in fein Bierlokal zu gehen und feinesfalls ohne Stuhl wiederzukommen. Der große Kombinator selbst wollte sich mit Ellys Mann beschäftigen.
( Fortjesung folgt.)