Morgenausgabe
Nr. 345
A 174
48.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Sonntag
26. Juli 1931
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Der Kongreß in der ,, Roten Stadt" Willkommen in Berlin !
Die Eröffnungsfizung- Vandervelde über die Liquidierung des Weltkrieges.
Die Außenbezirke Wiens, in denen die Arbeitermassen wohnen, die großen Gemeindewohnbauten, die sich über die ganze Stadt perteilen, und selbstverständlich die Arbeiterheime und sonstigen Gebäude der Arbeiterbewegung tragen rote Fahnen und die weiß rote Flagge Wiens zum Festgruß für die Olympiade und für die Internationale. Die städtischen Straßenbahnwagen lassen die Fähnchen an den Leitungsgestellen flattern. Im Konzert haus, einem weitläufigen Brachtbau aus der Borkriegszeit, geht es schon seit mehreren Tagen lebhaft zu. Die Ronferenzen des Büros und der Exekutive find vorüber. Die Tagung der sozialistischen Kleinbauern und die Internationale Frauentonferenz find beendet. Nicht weniger als 64 weibliche sozialdemokratische Parlamentarier aus vielen Ländern nahmen an der Konferenz teil.
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Am Sonnabendnachmittag begann der Zustrom zur Eröff nung des Rongresses. Die Bühne des gewaltigen und ein drucksvollen Saales ist rot verkleidet und durch die ganze Breite des Saales zieht sich der rote Tisch der sozialdemokratischen Bresse aller Länder. Im grünen Pflanzenschmuck auf der Bühne leuchtet schneeweiß das Modell des Wiener Matteotti Dentmals, das in wenigen Tagen feierlich enthüllt werden wird: 3000 Menschen wohnen der Eröffnungsfizung bei. Biele Tausende hatten vergeblich um Zulassung gebeten. Born sieht man in den Reihen der Delegierten Karl Rautsty in erfreulicher Frische und neben ihm Filippo Turati , den das Alter noch nicht sehr zu drücken scheint.
der gemarterte Kämpfer, der die Arme zum Himmel reckt. Wohl
Lebhaft begrüßt nahmen Bandervelde Belgien und Se i tzWien die Plätze des Präfidiums ein. Schußbündler in fhmuder Uniform tragen die roten Fahnen auf die Bühne, die als Gösch die Staatsfarben aller hier vertretenen Nationen zeigen. Ein martiges Orgel oorspiel und dann ertönt frischer Männergesang, die österreichische Parteihymne, das schlichte aber einprägsame ,, Lied der Arbeit". Zu Ehren der österreichischen Bruderpartei erhebt sich der ganze Kongreß. Ein moderner Freiheits chor folgt, worauf die Internationale ertönt.
Unter lebhaftem Beifall ergreift
Bandervelde
das Wort zu seiner Eröffnungsrede: Seit 1914, wo die Internationale in Wien zusammentreten sollte, ist das Habsburger Reich in Republiken und Dittaturen zerfallen. Alle leben, wenn auch in ver
schiedenem Maße in einem Kriegszustand, der durch die Welt frise nur verschärft worden ist. Aber inmitten all dieser Schatten leuchtet ein Licht, unter all den Dingen, die gestürzt oder im Niedergang begriffen find, gibt es etwas, das im Aufstieg, ohne Unterlaß im Aufstieg ist. Der Sozialismus und die fräftige Sektion der Internationale, die Partei des unvergeßlichen Bittor Adler, es ist die Sozialdemokratische Partei Desterreichs. ( Lebh. Beifall.) Wien ist heute die rote Stadt.
Wien ist das Bollwert der sozialistischen Demokratie gegen den Often.
Durch die Grenzlinien der politischen Freiheit ist Europa in zwei Teile zerriffen, westlich die Demokratien, in denen die Arbeiterschaft ihre Machtposition besetzt und ihre Rechte erweitern fann, östlich davon Diftatur und Faschismus.
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Die Internationale versammelt sich in einem Augenblid, da dieser Kampf um die Demokratie besonders in Deutsch land seinen Höhepunkt erreicht hat, wo die Entwicklung des Kapitalismus auf der ganzen Welt sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Beziehung die ungeheuerlichsten Widersprüche hervorbringt. In Deutschland sind die Schwierigkeiten aller Art un erhört groß, die Gegenfäge auf das schärffte zugespitzt und die polis tischen und sozialen Folgen aufs äußerste bedrohlich, morgen vielleicht schon von tieffter Tragit. Es ist gewiß ein offensichtlicher Unsinn, wenn die Nationalsozialisten diese fritische Lage lediglich den Last en zuschreiben, die das Ergebnis des legten Krieges find. Die entscheidenden Faktoren sind sicherlich die erschreckende Ausbreitung. der Arbeitslosigkeit, die Desorganisation der öffentlichen Finanzen, die Katastrophe der Spekulation und die furchtbare Verschärfung der Kämpfe zwischen den Klassen und Parteien, vor allem aber die Bertrauensfrise, die seit den unglücklichen Septemberwahlen von 1930 den Fortbestand des Regimes in Frage gestellt haben. In Europa , namentlich aber in Deutschland , besteht die Tatsache der machsenden
Unvereinbarkeit der sozialen Ausgaben, des Ergebnisses der Eroberung des Rechtes auf Leben durch die Arbeiter, mit den Kriegslasten,
den Kosten der Liquidierung des Krieges von gestern und den Kosten für die Vorbereitung dessen, was die Nationalsozialisten meniger heuchlerisch als andere sich nicht scheuen, den Krieg von morgen zu nennen. Die Internationale mußte nicht auf die harten Lehren der Tatsache warten, um diese Unvereinbarkeit festzustellen und der Deffentlichkeit bekanntzugeben. Wir erinnern daran, daß die Sozia listen Deutschlands , Englands, Belgiens und die Italiens 1922 in
Frankfurt folgendes Programm für die Liquidierung des Krieges aufgestellt haben: Beschränkung der Reparationen auf die direkten der Zivilbevölkerung zugefügten Schäden, Streichung der darüber hinausgehenden Kriegsschulden, möglichst rasche Beendigung der militärischen Oftupation, Abrüstung. In allen diesen vier Punkten haben die bürgerlichen Regierungen den genau entgegengesetten Weg eingeschlagen. So fügte man zu der Reparationsrechnung die schwere 2ast der Militärpensionen hinzu. Als sich herausstellte, daß die geforderte Summe nicht nur die Zahlungsfähigkeit Deutschlands , sondern auch die Aufnahmefähigteit seiner Gläubiger über steige, wurde an diesem Prinzip trotzdem nichts geändert. Dadurch wurde der Anteil der eigentlichen Reparation am Gesamtbetrag und damit der Anteil Frankreichs und Belgiens verringert, also gerade derjenigen Staaten, die am meisten unter der Verwüstung des Krieges gelitten hatten. Statt das
Prinzip der Annullierung der Kriegsschulden anzuerkennen, und die dahingehenden Vorschläge Englands anzu nehmen, statt die moralische, wenn nicht rechtliche Unzulässigkeit der Schuldforderung der Bereinigten Staaten festzustellen, der diese ein zigen Geminner des Weltkrieges gegen ihre ehemaligen Alliierten einander, wie Abissons Kazen, die in einem Sad eingeschlossen find und sich gegenseitig zerfleischen, statt die Hand zu beißen, die sie eingeschlossen hält und sie erstickt. Alle diese Probleme werden hier unter dem dreifachen Gefichtspunkt der Abrüstung, der Arbeitslosigkeit und des Kampfes um die Demokratie ernstlich anzufassen jein. Ich verstehe es zwar, wenn die französische und belgische Re gierung sich an die Ueberlegenheit Deutschlands in bezug auf die Bevölkerungszahl und Offenſivkraft einer Kader- Armee, obgleich Frankreich mehr für lange Dienstzeit rekrutierte Freiwillige befigt als Deutschland , flammern und vor allem auf die Möglichkeit, wenn nicht Wahrscheinlichkeit, geheimer Rüstungen und auf die Gefahr gewisser Bündnisse sich beruft, sobald ihr nahegelegt wird, die ,, moralische und juristische Verpflichtung" von Versailles einzuhalten und ihren Rüstungsstand auf den Deutschlands herabzusehen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß
und Feinde erhoben und heute noch erheben, streiten sie sich unter
die Abrüffung nicht aufgeschoben werden darf, da die Rüstungen die Welt mit unerträglichen Lasten bedrücken. Wir begrüßen die Anstrengungen der englischen Arbeiterregierung zum Nugen der Abrüftung( lebhafter Beifall). Aber der Bund aller Völker für die Abrüstung braucht nicht erst geschaffen zu werden, er ist da, es ist unsere und die gewerkschaft liche Internationale. Nichts mehr wird die Arbeiter krieg führender Länder daran hindern können, solidarisch zu bleiben, im Guten wie im Bösen und ihre Kräfte gegen diejenigen zu vereinen, die den Weltfrieden gestört haben. Die ganze Internationale ist heute von diesem Geiste beseelt."( Stürmisch langanhaltender Beifall, der sich nach der Uebersetzung von Dr. Oskar Bollad Bien, dem Chefredakteur der Arbeiterzeitung, noch stärker wiederholt.) Lebhaft begrüßt entbietet dann Bürgermeister
Seitz
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als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs dem Kongreß den Billkommensgruß der überwiegenden Mehrheit des Volkes von Wien : Hier bemühen wir uns, unter den schwierigsten Berhältnissen, sozialistische Arbeit zu leisten; die werktätigen Massen geistig und förperlich widerstandsfähig zu erhalten, ist das tägliche Bemühen der Sozialdemokratie aller Länder. Bir fämpfen überall für Frieden und Demokratie. In vollkommener Einheit und Geschlossenheit, in brüderlicher Solidarität werden wir unseren Kampf fortsetzen, damit wir
in hiftorischer Stunde uns würdig unserer Sache erweisen. Sagen Sie das alles in Ihrer Heimat, auf daß immer stärkere Reihen zu den Kämpfern des Proletariats stoßen und zu denen der neuen Welt, zu der internationalen Sozialdemokratie."( Braufender Beifall.)
Auf Borschlag der Exekutive und durch Sekretär Friedrich Adler zur Kenntnis gebracht, wird dann beschlossen, den zweiten Punkt der Tagesordnung zu betiteln:„ Die Lage in Deutschland und Zentraleuropa und der Kampf der Arbeiterflasse um die Demofratie." lleber diesen Punkt mird Dr. Otto Bauer Wien reEröffnungstagung beendet. ferieren. Mit dieser Abänderung der Tagesordnung wird die
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Stahlhelmaufmarsch verboten.
Machener Regierungspräsident greift durch. Aachen , 25. Juli. ( Eigenbericht.) Ein großer Stahlhelmaufmarsch der mittelrheinischen Stahlhelmformation, der für Sonntag in Eschweiler geplant war, ist am Sonnabend mittag von dem Regierungspräsidenten in Aachen verboten worden. Geichzeitig wurde das Tragen der Stahlhelmuniform auf den Straßen und der Zuzug von Stahlhelm leuten durch Lastautos untersagt.
Macdonald, Henderson und Stimson als Gäfte der Reichsregierung.
Ramjay Macdonald und Arthur Henders fon, der Ministerpräsident und der Außenminister Großbri tanniens, treffen am Montag in Berlin zu einem offiziellen Besuch ein. Das ganze deutsche Bolt, soweit es nicht dem Chauvinismus und der Sozialistenfeindlichkeit hoffnungslos verfallen ist, heißt die beiden führenden Männer der englischen Arbeiterregierung herzlich willkommen. Sie sind die ersten Minister einer Großmacht, die seit Kriegsende zu einem Staatsbesuch in der Reichshauptstadt erscheinen. Besonders freudig begrüßt sie das sozialdemokratische Deutschland , denn sie sind nicht nur bewährte Freunde des deutschen Bolkes, sondern auch Kämpfer für das gleiche Ideal des Bölkerfriedens und der Befreiung der Arbeiterklasse: sie sind, mit einem Worte, Parteigenossen. Unter ihrer Führung ist die Sozialistische Internationale unmittelbar nach dem Kriege wieder auferstanden, Arthur Henderson war sogar bis zu seinem Amtsantritt ihr Vorsitzender, Macdonald war in den ersten Jahren ihr Sekretär. In diesen Eigenschaften find beide in den letzten zwölf Jahren wiederholt in Deutsch land gewesen, das sie jetzt zum ersten Male als Minister offiziell betreten.
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Der Berliner Besuch ist die Erwiderung auf die Begeg nung von Chequers , die um den 10. Juni stattfand und auf eine Initiative der englischen Staatsmänner zurückzuführen war. Als die Einladung an den Reichskanzler und den Reichsaußenminister zu Beginn dieses Jahres erging, dachte noch niemand an die Möglichkeit, daß sich die Lage in Deutschnoch niemand an die Möglichkeit, daß sich die Lage in Deutsch land und damit in Europa so katastrophal zuspizen könnte. Die englischen Minister beabsichtigten damals, vor allem das Abrüstungsproblem mit ihren deutschen Kollegen zu besprechen. Denn als Sozialisten erscheint ihnen diese Frage mit Recht als eine der wichtigsten der Gegenwart. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt ist Macdonald nach Washington gereist, wo er innerhalb weniger Tage jene grundsägliche Einigung mit der USA . über Flottenabrüstung erreichte, die seine fonservativen Vorgänger jahrelang verhindert hatten. Daraus entstand die Londoner Seemächtekonferenz im Winter 1930, deren positives Ergebnis die endgültige Einberufung der Welta brüstungskonferenz erst ermöglicht hat. Mit freudiger Unterstützung durch den deutschen Ratsvertreter ist Henderson zum Vorsitzenden dieser Konferenz gewählt worden, die im Winter 1932 zufammentreten wird. Die Besprechungen von Chequers sollten vor allem dazu dienen, ein pofitives Ergebnis dieser kommenden Genfer Konferenz, namentlich auf dem Gebiet der Abrüstung zu Lande, vorzubereiten.
finanziellen Schwierigkeiten in Deutschland brachte es mit sich, Aber die Zuspizung der Weltwirtschaftskrise und der daß in Chequers nicht mehr das Abrüstungs, sondern das Reparationsproblem in den Vordergrund trat. Aus der Aussprache in Chequers ist das hoover Moratorium entstanden: die englische Arbeiterregierung ist es gewesen, die unter dem Eindruck der Darlegungen Dr. Brünings auf Hoover einwirkte. Daß die psychologische Wirkung der Hoover- Botschaft nur von kurzer schlimmerte, war jedenfalls nicht die Schuld unserer englischen Dauer war und die Krise in Deutschland sich weiter verFreunde, sondern derjenigen Regierungen, die zwei kostbare Bochen verstreichen ließen, ehe sie sich zu einer Zustimmungserflärung entschlossen.
Als sodann die deutsche Krise in eine Katastrophe auszuarten drohte, griffen abermals Macdonald und Henderson entfchloffen ein. Sie beriefen eine Konferenz der Ministerpräſidenten und Außenminister nach London ein. Der Gegenbesuch für Chequers , der vor zehn Tagen in Hubertusstod statt. finden sollte, mußte infolgedessen verschoben werden.
Auch dafür, daß die Ergebnisse der Londoner Konferenz so ungenügend waren, trifft Macdonald und Henderson keine Schuld, fie am allerwenigsten. Die Eröffnungsrede Macdonalds auf der Londoner Konferenz war eine staatsmännische Leistung ersten Ranges. Wäre im Sinne seines Attions= programms gehandelt worden, so würde eine viel schnellere, umfaffendere und wirksamere Hilfsaktion zustande gekommen fein. Aber England wurde selbst von Frankreich unter schwersten Druck gesetzt, es mußte seinen Versuch, Deutschland zu helfen, mit der Erschütterung seiner eigenen Finanzlage büßen. Es fand bei Amerika nicht den erhofften Rückhalt.