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Morgenausgabe

Nr. 345

A 174

48.Jahrgang

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Der Bormärts" erscheint wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgabe für Berlin  und im Handel mit dem Titel Der Abend". Illuftrierte Beilage Bolt und Zeit". Ferner Frauenstimme", Technif", Blid in die Bücherwelt", Jugend- Borwärts" u. Stadtbeilage

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Sonntag

26. Juli 1931

Groß- Berlin 15 Pf.

Auswärts 20 Pf.

Die einspalt. Nonpareillezeile 80 t. Reflamezeile 5,- RM. Kleine An zeigen" das fettgebrudte Wort 25 Pf. ( zulässig zwet fettgebrudte Worte), jedes weitere Wort 12 Bf. Rabatt It. Larif. Stellengesuche bas erste Wort 15 Bf. jebes meitere Bort 10 Bf. Worte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmarkt Seile 60 Pf. Familien anzeigen Zeile 40 Bf. Anzeigenannahme im Hauptgeschäft Lindenstraße 3, wochen täglich von 8 bis 17 Uhr. Der Berlag behält sich das Recht ber Ablehnung nicht genehmer Anzeigen vor!

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Der Kongreß in der ,, Roten Stadt" Willkommen in Berlin  !

Die Eröffnungsfizung- Vandervelde über die Liquidierung des Weltkrieges.

Wien  , 25. Juli.  ( Eigenbericht.)

Die Außenbezirke Wiens, in denen die Arbeitermassen wohnen, die großen Gemeindewohnbauten, die sich über die ganze Stadt per­teilen, und selbstverständlich die Arbeiterheime und sonstigen Ge­bäude der Arbeiterbewegung tragen rote Fahnen und die weiß rote Flagge Wiens zum Festgruß für die Olympiade und für die Internationale. Die städtischen Straßenbahnwagen lassen die Fähnchen an den Leitungsgestellen flattern. Im Konzert haus, einem weitläufigen Brachtbau aus der Borkriegszeit, geht es schon seit mehreren Tagen lebhaft zu. Die Ronferenzen des Büros und der Exekutive find vorüber. Die Tagung der sozialistischen  Kleinbauern und die Internationale Frauentonferenz find be­endet. Nicht weniger als 64 weibliche sozialdemokratische Parlamen­tarier aus vielen Ländern nahmen an der Konferenz teil.

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Am Sonnabendnachmittag begann der Zustrom zur Eröff nung des Rongresses. Die Bühne des gewaltigen und ein drucksvollen Saales ist rot verkleidet und durch die ganze Breite des Saales zieht sich der rote Tisch der sozialdemokratischen Bresse aller Länder. Im grünen Pflanzenschmuck auf der Bühne leuchtet schneeweiß das Modell des Wiener Matteotti Dentmals, das in wenigen Tagen feierlich enthüllt werden wird: 3000 Menschen wohnen der Eröffnungsfizung bei. Biele Tausende hatten vergeblich um Zulassung gebeten. Born sieht man in den Reihen der Delegierten Karl Rautsty in erfreulicher Frische und neben ihm Filippo Turati  , den das Alter noch nicht sehr zu drücken scheint.

der gemarterte Kämpfer, der die Arme zum Himmel reckt. Wohl

Lebhaft begrüßt nahmen Bandervelde Belgien und Se i tz­Wien die Plätze des Präfidiums ein. Schußbündler in fhmuder Uniform tragen die roten Fahnen auf die Bühne, die als Gösch die Staatsfarben aller hier vertretenen Nationen zeigen. Ein martiges Orgel oorspiel und dann ertönt frischer Männer­gesang, die österreichische Parteihymne, das schlichte aber ein­prägsame ,, Lied der Arbeit". Zu Ehren der österreichischen Bruder­partei erhebt sich der ganze Kongreß. Ein moderner Freiheits chor folgt, worauf die Internationale ertönt.

Unter lebhaftem Beifall ergreift

Bandervelde

das Wort zu seiner Eröffnungsrede: Seit 1914, wo die Internationale in Wien   zusammentreten sollte, ist das Habsburger Reich in Repu­bliken und Dittaturen zerfallen. Alle leben, wenn auch in ver­

schiedenem Maße in einem Kriegszustand, der durch die Welt frise nur verschärft worden ist. Aber inmitten all dieser Schatten leuchtet ein Licht, unter all den Dingen, die gestürzt oder im Nieder­gang begriffen find, gibt es etwas, das im Aufstieg, ohne Unterlaß im Aufstieg ist. Der Sozialismus und die fräftige Sektion der Inter­nationale, die Partei des unvergeßlichen Bittor Adler, es ist die Sozialdemokratische Partei Desterreichs.  ( Lebh. Beifall.) Wien   ist heute die rote Stadt.

Wien   ist das Bollwert der sozialistischen   Demokratie gegen den Often.

Durch die Grenzlinien der politischen Freiheit ist Europa   in zwei Teile zerriffen, westlich die Demokratien, in denen die Arbeiterschaft ihre Machtposition besetzt und ihre Rechte erweitern fann, östlich davon Diftatur und Faschismus.

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Die Internationale versammelt sich in einem Augenblid, da dieser Kampf um die Demokratie besonders in Deutsch  land seinen Höhepunkt erreicht hat, wo die Entwicklung des Kapitalismus auf der ganzen Welt sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Beziehung die ungeheuerlichsten Widersprüche her­vorbringt. In Deutschland   sind die Schwierigkeiten aller Art un erhört groß, die Gegenfäge auf das schärffte zugespitzt und die polis tischen und sozialen Folgen aufs äußerste bedrohlich, morgen vielleicht schon von tieffter Tragit. Es ist gewiß ein offensichtlicher Unsinn, wenn die Nationalsozialisten diese fritische Lage lediglich den Last en zuschreiben, die das Ergebnis des legten Krieges find. Die entscheidenden Faktoren sind sicherlich die erschreckende Ausbreitung. der Arbeitslosigkeit, die Desorganisation der öffentlichen Finanzen, die Katastrophe der Spekulation und die furchtbare Verschärfung der Kämpfe zwischen den Klassen und Parteien, vor allem aber die Bertrauensfrise, die seit den unglücklichen Septemberwahlen von 1930 den Fortbestand des Regimes in Frage gestellt haben. In Europa  , namentlich aber in Deutschland  , besteht die Tatsache der machsenden

Unvereinbarkeit der sozialen Ausgaben, des Ergebnisses der Er­oberung des Rechtes auf Leben durch die Arbeiter, mit den Kriegslasten,

den Kosten der Liquidierung des Krieges von gestern und den Kosten für die Vorbereitung dessen, was die Nationalsozialisten meniger heuchlerisch als andere sich nicht scheuen, den Krieg von morgen zu nennen. Die Internationale mußte nicht auf die harten Lehren der Tatsache warten, um diese Unvereinbarkeit festzustellen und der Deffentlichkeit bekanntzugeben. Wir erinnern daran, daß die Sozia listen Deutschlands  , Englands, Belgiens   und die Italiens   1922 in

Frankfurt   folgendes Programm für die Liquidierung des Krieges aufgestellt haben: Beschränkung der Reparationen auf die direkten der Zivilbevölkerung zugefügten Schäden, Streichung der darüber hinausgehenden Kriegsschulden, mög­lichst rasche Beendigung der militärischen Oftupation, Abrüstung. In allen diesen vier Punkten haben die bürgerlichen Regierungen den genau entgegengesetten Weg eingeschlagen. So fügte man zu der Reparationsrechnung die schwere 2ast der Militärpensionen hinzu. Als sich herausstellte, daß die geforderte Summe nicht nur die Zahlungsfähigkeit Deutschlands  , sondern auch die Aufnahmefähigteit seiner Gläubiger über steige, wurde an diesem Prinzip trotzdem nichts geändert. Dadurch wurde der Anteil der eigentlichen Reparation am Gesamtbetrag und damit der Anteil Frankreichs   und Belgiens   verringert, also gerade derjenigen Staaten, die am meisten unter der Verwüstung des Krieges gelitten hatten. Statt das

Prinzip der Annullierung der Kriegsschulden anzuerkennen, und die dahingehenden Vorschläge Englands anzu nehmen, statt die moralische, wenn nicht rechtliche Unzulässigkeit der Schuldforderung der Bereinigten Staaten festzustellen, der diese ein zigen Geminner des Weltkrieges gegen ihre ehemaligen Alliierten einander, wie Abissons Kazen, die in einem Sad eingeschlossen find und sich gegenseitig zerfleischen, statt die Hand zu beißen, die sie eingeschlossen hält und sie erstickt. Alle diese Probleme werden hier unter dem dreifachen Gefichtspunkt der Abrüstung, der Arbeits­losigkeit und des Kampfes um die Demokratie ernstlich anzufassen jein. Ich verstehe es zwar, wenn die französische   und belgische Re gierung sich an die Ueberlegenheit Deutschlands   in bezug auf die Bevölkerungszahl und Offenſivkraft einer Kader- Armee, obgleich Frankreich   mehr für lange Dienstzeit rekrutierte Freiwillige befigt als Deutschland  , flammern und vor allem auf die Möglichkeit, wenn nicht Wahrscheinlichkeit, geheimer Rüstungen und auf die Gefahr gewisser Bündnisse sich beruft, sobald ihr nahegelegt wird, die ,, moralische und juristische Verpflichtung" von Versailles   einzu­halten und ihren Rüstungsstand auf den Deutschlands   herabzusehen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß

und Feinde erhoben und heute noch erheben, streiten sie sich unter­

die Abrüffung nicht aufgeschoben werden darf, da die Rüstungen die Welt mit unerträglichen Lasten bedrücken. Wir begrüßen die Anstrengungen der englischen Arbeiterregierung zum Nugen der Abrüftung( lebhafter Beifall). Aber der Bund aller Völker für die Abrüstung braucht nicht erst geschaffen zu werden, er ist da, es ist unsere und die gewerkschaft liche Internationale. Nichts mehr wird die Arbeiter krieg führender Länder daran hindern können, solidarisch zu bleiben, im Guten wie im Bösen und ihre Kräfte gegen diejenigen zu vereinen, die den Weltfrieden gestört haben. Die ganze Internationale ist heute von diesem Geiste beseelt."( Stürmisch langanhaltender Beifall, der sich nach der Uebersetzung von Dr. Oskar Bollad Bien, dem Chefredakteur der Arbeiterzeitung, noch stärker wiederholt.) Lebhaft begrüßt entbietet dann Bürgermeister

Seitz

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als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutsch­österreichs dem Kongreß den Billkommensgruß der überwiegenden Mehrheit des Volkes von Wien  : Hier bemühen wir uns, unter den schwierigsten Berhältnissen, sozialistische Arbeit zu leisten; die werk­tätigen Massen geistig und förperlich widerstandsfähig zu erhalten, ist das tägliche Bemühen der Sozialdemokratie aller Länder. Bir fämpfen überall für Frieden und Demokratie. In vollkommener Ein­heit und Geschlossenheit, in brüderlicher Solidarität werden wir unseren Kampf fortsetzen, damit wir

in hiftorischer Stunde uns würdig unserer Sache erweisen. Sagen Sie das alles in Ihrer Heimat, auf daß immer stärkere Reihen zu den Kämpfern des Proletariats stoßen und zu denen der neuen Welt, zu der internationalen Sozialdemokratie."( Brau­fender Beifall.)

Auf Borschlag der Exekutive und durch Sekretär Friedrich Adler  zur Kenntnis gebracht, wird dann beschlossen, den zweiten Punkt der Tagesordnung zu betiteln: Die Lage in Deutschland  und Zentraleuropa   und der Kampf der Arbeiterflasse um die Demo­fratie." lleber diesen Punkt mird Dr. Otto Bauer   Wien   re­Eröffnungstagung beendet. ferieren. Mit dieser Abänderung der Tagesordnung wird die

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Stahlhelmaufmarsch verboten.

Machener Regierungspräsident greift durch. Aachen  , 25. Juli.  ( Eigenbericht.) Ein großer Stahlhelmaufmarsch der mittelrheinischen Stahlhelmformation, der für Sonntag in Eschweiler   geplant war, ist am Sonnabend mittag von dem Regierungspräsidenten in Aachen   verboten worden. Geichzeitig wurde das Tragen der Stahlhelmuniform auf den Straßen und der Zuzug von Stahlhelm leuten durch Lastautos untersagt.

Macdonald, Henderson und Stimson   als Gäfte der Reichsregierung.

Ramjay Macdonald und Arthur Henders fon, der Ministerpräsident und der Außenminister Großbri tanniens, treffen am Montag in Berlin   zu einem offiziellen Besuch ein. Das ganze deutsche   Bolt, soweit es nicht dem Chau­vinismus und der Sozialistenfeindlichkeit hoffnungslos verfallen ist, heißt die beiden führenden Männer der englischen Ar­beiterregierung herzlich willkommen. Sie sind die ersten Mi­nister einer Großmacht, die seit Kriegsende zu einem Staats­besuch in der Reichshauptstadt erscheinen. Besonders freudig begrüßt sie das sozialdemokratische Deutschland  , denn sie sind nicht nur bewährte Freunde des deutschen   Bolkes, sondern auch Kämpfer für das gleiche Ideal des Bölkerfriedens und der Befreiung der Arbeiterklasse: sie sind, mit einem Worte, Parteigenossen. Unter ihrer Führung ist die Sozialistische Internationale unmittelbar nach dem Kriege wieder auferstanden, Arthur Henderson   war sogar bis zu seinem Amtsantritt ihr Vorsitzender, Macdonald war in den ersten Jahren ihr Sekretär. In diesen Eigenschaften find beide in den letzten zwölf Jahren wiederholt in Deutsch­ land   gewesen, das sie jetzt zum ersten Male als Minister offiziell betreten.

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Der Berliner   Besuch ist die Erwiderung auf die Begeg nung von Chequers  , die um den 10. Juni stattfand und auf eine Initiative der englischen Staatsmänner zurückzu­führen war. Als die Einladung an den Reichskanzler und den Reichsaußenminister zu Beginn dieses Jahres erging, dachte noch niemand an die Möglichkeit, daß sich die Lage in Deutsch­noch niemand an die Möglichkeit, daß sich die Lage in Deutsch­ land   und damit in Europa   so katastrophal zuspizen könnte. Die englischen Minister beabsichtigten damals, vor allem das Abrüstungsproblem mit ihren deutschen   Kollegen zu besprechen. Denn als Sozialisten erscheint ihnen diese Frage mit Recht als eine der wichtigsten der Gegenwart. Unmittel­bar nach seinem Amtsantritt ist Macdonald nach Washington   gereist, wo er innerhalb weniger Tage jene grund­sägliche Einigung mit der USA  . über Flottenabrüstung er­reichte, die seine fonservativen Vorgänger jahrelang verhindert hatten. Daraus entstand die Londoner Seemächtekonferenz im Winter 1930, deren positives Ergebnis die endgültige Ein­berufung der Welta brüstungskonferenz erst er­möglicht hat. Mit freudiger Unterstützung durch den deutschen  Ratsvertreter ist Henderson zum Vorsitzenden dieser Kon­ferenz gewählt worden, die im Winter 1932 zufammentreten wird. Die Besprechungen von Chequers   sollten vor allem dazu dienen, ein pofitives Ergebnis dieser kommenden Genfer  Konferenz, namentlich auf dem Gebiet der Abrüstung zu Lande, vorzubereiten.

finanziellen Schwierigkeiten in Deutschland   brachte es mit sich, Aber die Zuspizung der Weltwirtschaftskrise und der daß in Chequers   nicht mehr das Abrüstungs, sondern das Reparationsproblem in den Vordergrund trat. Aus der Aussprache in Chequers   ist das hoover Moratorium entstanden: die englische Arbeiterregierung ist es gewesen, die unter dem Eindruck der Darlegungen Dr. Brünings auf Hoover einwirkte. Daß die psychologische Wirkung der Hoover- Botschaft nur von kurzer schlimmerte, war jedenfalls nicht die Schuld unserer englischen Dauer war und die Krise in Deutschland   sich weiter ver­Freunde, sondern derjenigen Regierungen, die zwei kostbare Bochen verstreichen ließen, ehe sie sich zu einer Zustimmungs­erflärung entschlossen.

Als sodann die deutsche Krise in eine Katastrophe auszu­arten drohte, griffen abermals Macdonald und Henderson ent­fchloffen ein. Sie beriefen eine Konferenz der Ministerpräſi­denten und Außenminister nach London   ein. Der Gegen­besuch für Chequers  , der vor zehn Tagen in Hubertusstod statt. finden sollte, mußte infolgedessen verschoben werden.

Auch dafür, daß die Ergebnisse der Londoner Konferenz so ungenügend waren, trifft Macdonald und Henderson keine Schuld, fie am allerwenigsten. Die Eröffnungsrede Mac­donalds auf der Londoner Konferenz war eine staatsmännische Leistung ersten Ranges. Wäre im Sinne seines Attions= programms gehandelt worden, so würde eine viel schnellere, umfaffendere und wirksamere Hilfsaktion zustande gekommen fein. Aber England wurde selbst von Frankreich   unter schwer­sten Druck gesetzt, es mußte seinen Versuch, Deutschland   zu helfen, mit der Erschütterung seiner eigenen Finanzlage büßen. Es fand bei Amerika   nicht den erhofften Rückhalt.