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Morgenausgabe

Nr. 347 A175

48.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Dienstag

28. Juli 1931

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Deutsch - französisches Präsidium.

Wels und Bracke Kongreßvorsitzende/ de Brouckère für wahrhafte Abrüstungen.

Wien , 27. Juli. ( Eigenbericht.)

Die Arbeiten des Internationalen kongreffes haben am Montag nachmittag mit einer großen und eindrucksvollen deutsch - franzöfifchen Freundschaftskundgebung begonnen. Die Erefu­tive hatte zuvor als Präsidenten für die erste Plenarsizung Otto Wels - Deutschland und Brace- Paris bestimmt. Sie reichten einander, als sie die Estrade bestiegen, die Hände. Wels eröffnete dann die Sitzung mit folgender Ansprache:

,, Lieber Genosse Brace! Zum ersten Male führen wir ge= meinsam den Vorsiz auf einem internationalen Kongreß. Heute zeigt sich mehr als je, daß das Schicksal Europas von der deutsch­französischen Verständigung abhängt. In diesen Tagen, bei den Besprechungen der leitenden Staatsmänner, ist sehr oft von der gegenseitigen Politik gesprochen worden. 3 wischen Sozialisten ist ein solcher Austausch von höflich feiten nicht erst nötig. Das Vertrauen der Sozialisten aller Länder hat uns hier zusammengeführt. Dieser Kongreß

dient dazu,

das Bertrauen, das die Sozialisten aller Länder zueinander haben, zum Vertrauen zwischen den Völkern zu erweitern zum Vertrauen der Gesamtheit der Bölker.

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Daher wollen mir in gemeinsamer Arbeit zusammenwirken, und dazu dienen die Arbeiten dieses Kongresses."( Stürmischer, lang­anhaltender Beifall.)

Brade erwiderte mit folgenden Worten: Bon Herz zu Herz und für alle draußen, die mit großen Erwartungen auf diesen Stongreß bliden, hat Wels die symbolische Bedeutung dieses Hände. drucks gefeiert, den wir einander gegeben haben. Wir wollen damit sagen, daß wir Schulter an Schulter in einem Kampf für den Frieden der Völker, für die deutsch - französische Annäherung zusammenstehen. Die deutsche Krise ist nur eine Teil

erscheinung der allgemeinen Weltkrise. Aber besonders hat sie den Kapitalismus erschüttert. In diesem Augenblick ist die Einigung zwischen dem deutschen und dem französischen Bolt not­mendiger als je. Bir Sozialisten der beiden Länder werden diese Pflicht nicht vernachlässigen, sondern mehr und mehr die Not wendigkeit der engsten Bereinigung der Sozialisten der beiden Bölker betonen. Das herrliche Schauspiel der Arbeiter- Olympiade, des Fackelzuges und des gestrigen Festzuges, das feiner von uns ansehen konnte, ohne daß ihm die Tränen in die Augen stiegen, hat uns den Trost und die Stärkung gegeben, daß die Massen der Arbeiterschaft, daß vor allem

die Jugend der werktätigen Massen mit uns geht. Darin sehen wir die Bürgschaft für die Zukunft und den Sieg unferes gemeinsamen Kampfes."( Begeisterter Beifall.)

Otto Wels : Im Namen der Exekutive sprechen mir der Arbeiterjugend und den Teilnehmern der Internationalen Arbeiter­Olympiade den allerherzlichsten Dank für alles aus, was wir hier sehen durften. Auch diese große internationale Rundgebung diente der Versöhnung und dem Zusammenarbeiten der Völker und dem Frieden der Welt. Keine Ländergrenzen mehr, alle zusammen! Wir alle haben die Zusammengehörigkeit der Arbeiterschaft der ganzen Welt gefühlt, und fester als je sind geschmiedet unsere Kräfte, unser Wille zur Tat."

Sylaba - Prag begrüßt dann den Kongreß im Namen der Arbeiter- Sport- Internationale, wobei er erwähnte, daß fast zwei Millionen Mitglieder in der Safi vereinigt sind: Zum erstenmal ist die Safi auf dem Internationalen Sozialistentongreß vertreten. Wir hoffen, in Zukunft noch mehr Verständnis für unsere Arbeit zu finden. Wir danken ihnen für alle Förderung und sind glücklich, daß wir unser Wirken den Vertretern des internationalen Prole­

tariats vorführen konnten.

Nunmehr soll der

Kommiffionsbericht über die Abruffungsfrage

besprochen werden.

Lebhaft begrüßt ergreift nun

Louis de Broudère- Brüffel als Kommiffionsberichterstatter das Wort. Er führt aus:

"

In Paris ist der deutsche Reichskanzler mit dem Rufe begrüßt worden: Es lebe der Frieden". Das ist die wahre Bolks­stimmung, und diese Volksstimmung ist in allen Völkern die gleiche. Denn allen Völkern ist der Hunger und Durst nach Frieden gemeinsam. Wir müssen diesen Volkswillen organisieren

zu einem Willen.

Es genügt nicht, den Krieg zu haffen, man muß ihn töten. ( Lebhafter Beifall.) Denn wenn der Sozialismus nicht den Krieg tötet, dann tötet der Krieg den Sozialismus.( Beifall.) Heraus. fordernde Hezworte über die eigenen Rüstungen hört man von den höchsten Stellen derjenigen Länder, die unter einer inneren Belegung stehen, und wo der frühere Feudalismus der Herrschaft des Großkapitals und der Schwerindustrie gewichen ist. Der Krieg tobt sich vor allem im Bürgerkrieg aus, und da gefährdet er bes sonders die Arbeiterklasse. Ihr Freunde aus Italien mißt, mie

notwendig die Einheitsfront zur Verteidigung der Arbeiterflaffe ist. Ihr Italiener, die ihr unterlegen seid, aber die ihr eines Tages Sieger sein werdet, wie die spanischen Genossen( don­nernder Beifall, besonders auf den dicht gefüllten Tribünen), ihr Desterreicher, die ihr vor wenigen Monaten den Ansturm der Faschisten an den Mauern Wiens aufgehalten habt, ihr wißt das auch, und ihr Freunde aus Deutschland , ihr habt auch, und ihr Freunde aus Deutschland , ihr habt heute die schwerste Last zu tragen. Eure Feinde, die Hitlerbanden und der Stahlhelm, find zugleich die Hauptschuldigen an der jetzigen Not des deutschen Volkes. An dem Tage, wo diese Banden die Herrschaft in Deutschland erhielten, wäre die Kriegs­gefahr da. Um diesen Sieg der Reaktion zu verhindern, zählen wir auf die Kraft der deutschen Demokratie, aber nicht auf die Macht eines militärischen Apparates, dessen Schuh immer zweifelhaft ist und dessen Sieg feine Bürgschaft fünftigen Friedens ist. Wir wissen, wie sehr die westlichen Völker und Deutschland aufeinander angewiesen sind, und daß der Rhein nicht nur eine Grenze, son­dern auch eine Verbindung der Völker ist. Würde aber die deutsche Republik besiegt werden, was nüßt uns dann auch die militärische Berteidigung? Es wäre nußlos, weil nur immer neue Rüftungen folgen würden, und außerdem wäre das Spiel immer ein Hafardspiel, das feine dauernde Sicherheit bringt und nicht den Frieden verbürgt.

Ihr deutschen Freunde steht heute

auf Borpoffen der Internationale. Ihr habt die schwerste Last zu tragen.

Es wäre nicht angebracht, euch eure Pflichten gegenüber der Inter nationale vorzuhalten, ohne gleichzeitig zu sagen, welche Pflicht alle Parteien der Internationale gegen euch haben( Lebhafte Zustimmung). Trog der flaren Versprechungen von Versailles haben die westlichen Nachbarn Deutschlands noch fast ihre ganze Heeresmacht unter den Waffen. Für Frankreich ist das ein Schrecken, für Belgien eine Dummheit. Wenn wir vielleicht auch noch nicht unsere Regierungen zwingen fonnten, die feier­lichen Versprechen zu halten, so müssen wir es immer wieder ver­fuchen. Das gilt besonders für Frankreich . Wir Belgier sind zweimal aus der Regierung ausgetreten und haben einem gefähr lichen Wahlkampf die Stirn geboten. Das erstemal, als unser Veteran Eduard Ansele, der heute 75 Jahre alt wird, aus geschieden ist, weil man ihm verbieten wollte,

die rote Fahne mit dem zerbrochenen Gewehr zu grüßen. Das zweitemal erlitten wir eine Wahlniederlage, aber eine jener Niederlagen, die den Sieg vorbereiten. Kürzlich hatten wir wieder den Kampf gegen die Festungsbauten, und der Sieg der Regierung ist um den teuren Preis einer Herabsehung der Festungs­fredite erkauft worden. Das war ein Sieg der Gegner, auf den sie nicht stolz sein können.

Die Regierungen haben Deutschland und der ganzen Welt feierlich die Abrüstung versprochen. Ein großer Teil der heutigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist durch die Rüstungen verschuldet. Eine Herabfegung der Rüstungen würde die wirtschaftlichen Haupt­schwierigkeiten beseitigen oder wenigstens bedeutend mildern.

Die Formel Erft Sicherheit, dann Abrüstung" ist lächer­lich und purer Hohn.

Selbstverständlich muß man Schiedsgerichte einführen, aber welche Sicherheit ist gegeben in einem Europa , das von Waffen starrt, und folange jeder Unzufriedene an die Waffen appellieren kann.( Leb­hafte Zustimmung.) Auch

Sanktionen lehnen wir ab,

deren Notwendigkeit man gegen Friedensbrecher behauptet. Größere Sanktionen fönnten doch nur in militärischer Weise durch geführt werden, was wir verwerfen. Nur wirtschaftliche Sanktionen find denkbar und wirksam gegen Friedensbrecher.

Wir verlangen eine ausreichende Herabsetzung der Rüstungen. Wir stellen nicht unerfüllbare Forderungen, die ein Blatt Papier bleiben, aber wir sehen alle Kraft ein für die Durch fegung der möglichen Forderungen. Die Herabseßung muß sich er streden auf die Heeresbestände, auf das Kriegsmaterial und auf die Kriegsausgaben, sowie auch auf die Flotte und die Spezial­waffen. Eine internationale Kontrolle ist unentbehrlich, muß aber für alle Völker gleichmäßig eingeführt werden.

Wir haben fein übermäßiges Vertrauen in den ölferbund, wir fennen die Mängel seines Verfahrens. Aber es ist doch heute die einzige internationale Instanz. Wir spenden ihm keine Vorschußlorbeeren, sondern wir wollen ihn

unter Drud setzen.

Ein Scheitern der Abrüstungskonferenz würde schwere und dunkle Tage bringen Aber zum Verzweifeln hätten wir selbst dann feinen Grund. Denn wir würden sofort von neuem unsere Arbeit beginnen. Die arbeitenden Massen wollen feinen Krieg. Genossen von Wien , eure Jugend hat das Licht des Sozialismus in den Händen getragen, es brennt in unseren Herzen weiter."( Stür­mischer, langanhaltender Beifall.)

Franzen zurückgetreten.

Die Bankrotterklärung einer Naziregierung.

Braunschweig , 27. Juli.

Der Minifter für Inneres und Bolfsbildung, Dr. Franzen, haf dem Präsidenten des Braunschweiger Landtags in folgendem Schreiben seinen Rücktritt erklärt: Durch die fortgesetzt erweiterte und verschärfte Notverordnungspolitit des Reiches haben die kleineren Länder die letzten Reste ihres staatlichen Eigen­lebens verloren und sind zu völlig unselbständigen Reichs­verwaltungsbezirken herabgefunken. Den Ministerien in diesen Cändern ist damit, im Widerspruch zu den Verfassungen, jede Wir­fungsmöglichkeit im Sinne einer Landesregierung genommen. 3ch lehne es ab, als Bollziehungsbeamter für die die schaffen­den Stände in einseitiger und sozial ungerechter Weise belastende Brüning- Diktatur tätig zu sein und trete daher von dem mir am 1. Oktober 1930 übertragenen Ministeramt zurüd. Bis zur Wahl des Nachfolgers werde ich nur die laufenden Geschäfte erledigen."

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Die stolze Pose, in der Herr Franzen seinen Bankerott in Märtyrertum umzudichten sucht, stammt nicht von ihm. Er hat sie dem linksorientierten ,, Montag- Morgen" abgeguckt, der, wie unlängst berichtet wurde, die zeitweilige Einstellung seines Erscheinens mit den Bestimmungen der Pressenotverordnung begründete, während in Wirklichkeit der bisherige Verleger die Sache satt hatte! Was Herr Franzen in seinem Partei­jargon hier als jüdischen Dreh" bezeichnet hätte, das wendet er für sich in größerem Maßstab an: er sucht sich als Märtyrer der Notverordnungen anzupreisen, während in Wirklichkeit schmere Blamage und persönliche Unzuläng lichkeit die Gründe feines Rücktritts sind.

Zum Teil liegen diese Gründe in dem Ausgang seines Prozesses, von dem der ,, Vorwärts" seinerzeit schrieb, daß er für Franzen trotz des Freispruches eine ,, eflatante moralische und politische Niederlage" bedeute. Es dürfte- trotz allem- auch in Braunschweig besonnene Leute unter den Bürgerlichen geben, denen es schwer zu tragen erscheint, daß ein preußisches Gericht dem braunschweigischen Polizeiminister die Be= günstigung einer strafbaren Handlung be­fcheinigt und ihn nur aus dem formalen Grunde freigesprochen hat, daß diese strafbare Handlung eine Uebertretung, fein Ver­gehen war. Es kann selbst in Braunschweig die Autorität eines Bolizeiministers nicht erhöhen, wenn ein gerichtliches Urteil über dessen Handlungen ausspricht, daß sie, wenn auch straf­rechtlich nicht zu fassen, feineswegs legal gewesen find. Wäre Herr Franzen heute noch preußischer Amtsrichter, so würden diese Urteilssäße zu seiner disziplinaren Ent fernung aus dem Amte ausreichen.

Aber es hieße die Dickfelligkeit der Nationalsozialistischen Partei und ihrer Führer gewaltig unterschäzen, wollte man diese moralische Niederlage allein als Ursache für den Rück­tritt Franzens betrachten. Die letzten Gründe liegen tiefer. Sie sind die gleichen wie beim Rücktritt Frids in Thüringen : nämlich das Gefühl des völligen Bersagens in der jezigen schweren Situation. Herr Franzen fann ebensowenig wie Frick Minister bleiben, weil er genau so unfähig wie dieser ist, irgend etwas von den hochtönenden Ver­sprechungen der Nationalsozialisten in die Tat umzusetzen.

Die Kraft nationalsozialistischer Minister erschöpft sich im Negativen: sie können massenweise republikanische Beamte maßregeln( wofür dann die bankerotten Ländchen die breitausend Eltern weltlicher Schulkinder auf je drei Tage ins Pensionslasten übernehmen müssen), sie können wie Franzen Gefängnis schicken, aber sie können nicht im mindesten die Lage all der Unzufriedenen, die von ihnen mit goldenen Verheißungen gefüttert wurden, nur um ein 3- Tüpfelchen verbessern. Die werden nämlich nicht fatt von friegshezerischen Schulgebeten oder von rassepatho­logischem Unsinn auf Hochschulkathedern. Die unzufriedenen Wähler verlangen wirtschaftliche Hilfe, und die kann ihnen am wenigsten eine Bartei geben, die seit den Wahlen vom 14. September unaufhaltsam zum Bankerott und zur wirtschaftlichen Katastrophe treibt.

Um dieses völlige Versagen zu verschleiern, wälzt Franzen die Schuld auf das Reich und dessen Notverordnungen. Die armen Länder, so sagt er, seien machtlos und könnten nichts gegen das Reich ausrichten. Ach wirklich? Wenn dieses Argu­ment von der Machtlosigkeit der Länder zuträfe, warum hezen dann die Nazis mit aller Kraft zum preußischen Volks­begehren, warum erzählen sie dann ihren Wählern, daß die Eroberung Preußens der Schlüssel zur Macht im Reiche sei?!

Nein, Franzen stellt sich nur selber ein geistiges Ar­mutszeugnis ersten Ranges aus, wenn er sein