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Morgenausgabe

Nr. 371 A 187

48.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Dienstag

11. August 1931

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Hoch die Republik  !

Verfassungstag 1931.

Von Otto Braun  .

Die Stimmung dieses Verfassungstages ist in vieler Hin sicht ganz eigenartig. Eine laute Freude kommt nur schwer auf, weil die Wirtschaftsnot die Gemüter umdüstert. Auch diejenigen, die das Glück haben, weiterarbeiten und für ihre Familie Brot schaffen zu können, leiden feelisch auf das stärkste mit unter der drückenden Not ihrer Bolksgenossen, der Millionen Arbeitslosen, die 3. T. schon seit vielen Mo­naten, vielleicht sogar seit Jahren, aus dem Produktions­prozeß ausgeschaltet sind. Der Deutsche   hat nicht das politische Temperament des Romanen. Ihm eignet auch nicht die über­schäumende Freude des Amerikaners, mit der er die Ber­faffungs- und Unabhängigkeitsfeste feiert. Bei uns ist auch in guten Zeiten mehr gesammelte und ernste Freude vor­herrschend. Diesmal liegt auch auf ihr noch der Schatten wohl des schwersten Wirtschaftskampfes, den eine große Kulturnation mit einem bis aufs feinste durchorganisierten Birtschafts- und Kreditapparat je zu bestehen hatte.

Bei allem aber fühlen wir doch einen starten Stol3 in uns. Unsere Berfassung hat sich gerade in diefen Tagen auf das beste bewährt. Sie hat mit dem Boltsentscheid zum ersten Male in der Geschichte des geeinten deutschen  Bolkes die urdemokratische Einrichtung der direkten Boltsbefragung in unser Verfassungsleben eingeführt. Wir haben die Feuerprobe bestehen müssen, ob wir schon reif genug sind, demokratische Einrichtungen anzuwenden, die sich sonst nur in der Verfassung, von Völkern finden, in deren Mitte sehr alte und starke demokratische Gedankengänge immer lebendig geblieben und niemals verblaßt waren. Die preußischen Staatsbürger mußten am 9. August darüber ent­scheiden, ob ihr Landtag vorzeitig nach Hause geschickt werden follte oder nicht. Sie sollten mit dieser Entscheidung zugleich auch über ihre Regierung zu Gericht sizen. Diese Regierung hat aber nach der Kraft des Menschenmöglichen versucht, an der Eroberung einer deutschen   Zukunft mitzuarbeiten, die dem Lebenswillen und der moralischen, politischen, wirt­schaftlichen und kulturellen Leistung der preußischen Bevölke­rung gerecht wird. Sie hat es vermocht, das Land vor schweren politischen Krisen und schädlichen Unruhen zu be­wahren und eine durchaus konsequente, zielbewußt republi­fanische Politik zu verfolgen, immer mit dem Ziel, die zu verlässigste und stärkste Stütze der Reichsregierung bei der Durchsetzung einer für Deutschlands   Wiederaufstieg notwendi­gen friedlichen, völkerversöhnenden, dabei immer würdigen Außenpolitik zu sein.

Die Gegner der Staatsregierung wollten diese demo­fratische Regierung durch das urdemokratische Mittel des Boltsentscheids stürzen. Sie haben ihre Rechnung ohne die Mehrheit des preußischen Volkes gemacht. Diese Mehrheit hat am 9. August klar und ein deutig bewiesen, daß sie eine Politik der Abenteuer verurteilt, daß sie es ablehnt, einen Sprung ins gefährliche Dunkel zu machen.

Sie denkt vor allem nicht daran, das Geschick des Landes wieder in die Hand derjenigen Mächte zu legen, die Feinde der Demokratie, des Boltsstaates und noch heute im Herzen Anhänger des alten, nicht nur gestürzten, sondern vor der Geschichte auch längst innerlich überlebten Obrigkeitsstaates

find.

Das preußische Volt hat begriffen, daß die demokrati­schen Volksrechte nicht deshalb geschaffen sind, damit das Bolt fich durch ihre Hilfe selbst wieder seiner neuen Rechte entäußere und das Rad der Geschichte zurüddrehe.

Der 9. August 1931, an dem die Mehrheit des preußischen Boltes das Anfinnen der aus den perschiedensten Lagern sich zusammenfindenden dunklen Mächte abgelehnt hat, gegen

alle politische und wirtschaftliche Bernunft und vor allem auch gegen jede wahre Demokratie zu handeln, wird damit zu gleich zu einem Ruhmestage der Weimarer Ver­ fassung   vom 11. August 1919, auf der auch unsere preu­Bische Staatsverfaffung fich gründet. Die von den Feinden der Republik   oft geschmähte Verfassung von Weimar hat

Graue Kolonne!

Borwärts marsch, Tritt gefaßt!

Malt von Wilhelm Knöchel  ) gelangt Dieser Marsch( Text von Max Barthel  zur Uraufführung bei der großen Ver faffungsfeier des Reichsbanners Schwarz­Rot- Oold am 11. August 1931 im Luftgarten. Lang genug währt die Not, macht, daß sie zu Ende. Unser Vormarsch gibt uns Brot, reicht euch nun die Hände Graue Kolonne, uns leuchtet die Sonne. Borwärts marsch! Marschiert!

Schließt die große Reihe. Ohne Rub und ohne Raft stoßen wir ins Freie. Graue Kolonne, uns leuchtet die Sonue. Vorwärts marsch! Marschiert!

Darum reiht

schnell euch ein,

Sieg ist uns beschieden.

Glück soll auf der

Erde sein, Brot genug und Frieden.

Graue Kolonne

uns leuchtet die Sonne. Borwärts marsch! Marschiert!

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dem deutschen   Volke ja doch unbestreitbar die einzig mögliche Grundlage zum Wiederaufbau seines staatlichen Lebens in Zeiten der äußersten Gefahr für den Bestand Deutschlands  geschaffen. Sie hat am 9. August bewiesen, daß sie nicht zu früh gekommen ist, daß sie auf ein Bolt zugeschnitten ist, das auch inmitten einer viele Hirne benebelnden und viele sonst tapfere Herzen bis zur Verzweiflung niederdrückenden Birt­schaftsnot entschlossen ist, nicht, ein Stück von seinen demokra tischen Einrichtungen für immer wieder aufzugeben.

Die deutsche Arbeiterschaft hat ein Recht, dop­pelt und dreifach stolz auf diesen Erfolg zu sein. Sie hat von Anfang an diese Verfassung als einen ungeheuren Fort­schritt gegen die Verhältnisse im alten Reich, insbesondere aber im föniglichen Preußen begrüßt. Sie hat instinkthaft empfunden, daß hier die Borbedingungen geschaffen sind, um in tonsequenter Weiterarbeit die früher als Stiefkind des Staates behandelte Arbeiterschaft wirklich in den Staat voll­berechtigt einzugliedern. Sie fühlte weiter, daß ihr damit endlich der Einfluß auf die Geschicke des Landes gegeben werden sollte, auf den die von feinem Industrieland der Welt an Bildungsfähigkeit und Arbeitsleistung übertroffene deutsche qualifizierte Arbeiterschaft Anspruch erheben fonnte, insbesondere nachdem sie so lange politische zurücksetzung insbesondere nachdem sie so lange politische Zurücksetzung hatte erfahren müssen. Die deutsche Arbeiterschaft hat der neuen Berfassung auch hier nach dem Dichterworte, daß der ärmste Sohn des Vaterlandes auch sein getreuester war­in einer oftmals unerhört heroischen Weise die Treue ge­halten. Sie hat damit aufrichtend und ermutigend für all die anderen Boltskreise gewirkt, die den gerade für wirt­

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| schaftlich Abhängige oft feineswegs leichten Kampf für die Republik   im Lande mit Opfermut und Entschlossenheit führen. Die deutsche Arbeiterschaft ist in ihren wertvollsten Teilen der Verfassung auch treu geblieben, wenn das furchtbar schwere wirtschaftliche Mißgeschick, das seit der Staatsumwäl zung als Folge des Weltkriegswahnsinns bisher nicht von uns weichen wollte, ihr das seelisch oft nicht leicht machte. Sie hat einen vollen Anspruch darauf, daß ihr diese Treue und Hingabe öffentlich gedankt wird, und daß es insbesondere all denen warnend und mit der nötigen Klarheit gesagt wird, die heute mit dem Gedanken spielen, die deutsche Arbeiter­wirtschaftliche Abhängigkeit früherer Zeiten zurückführen zu schaft wieder einmal in die politische Einflußlosigkeit und

fönnen.

Die demokratische Republik fann diesen Verfassungstag nicht besser begehen, als wenn sie sich gelobt, ihre jetzt wieder einmal vor der deutschen   und der europäischen   Deffent­lichkeit bewiesene Kraft einzusetzen für die zähe, ent­schlossene und unbeirrbare Arbeit an der Wiederauf­richtung unserer Wirtschaft, von der ja auch das Schicksal der deutschen   Arbeiterschaft abhängt. Dieser wirtschaftliche Wiederaufbau aber muß vor sich gehen im Sinne der Reichsverfassung von Weimar  , die an den Anfang der Bestimmungen zur Regelung des Wirtschaftslebens des Seutschen Bolles den Satz ſetzt:

Die Ordnung des Wirtschaftslebens muß den Grundsäßen der Gerechtigkeit mit dem Ziele. der Gewährleistung eines menschenwürdigen Da­feins für alle entsprechen." d

Deutschland   wird alles daransetzen müssen, um durch Bea friedung der europäischen   Atmosphäre, um durch Wiederverflechtung unseres Landes in die Weltwirt­schaft, um durch Hinwegräumung all der lähmenden und schädigenden Unruhe und Depression, durch Hinwegsegen weiter der Bürgerkriegsspielerei die Bedingungen zu schaffen und zu verbessern, unter denen wir wieder aus Not und Elend aufsteigen können.

Preußen wird dem Reiche ohne jede Spur von Parti­fularismus und Eigenliebe zur Seite stehen, wenn es jetzt daran gehen will, die Grundsätze einer vernunftgemäßen Rationalisierung des deutschen   Verwaltungsapparates in die Wege zu leiten.

Es wird ihm die Wege ebnen helfen zu einer Reichs= verwaltungsreform, bei der sich alle diejenigen auf breiter Basis zusammenfinden werden, die einsehen, daß jetzt nicht Parteienkampf und öder 3ank erlaubt sind, sondern daß das deutsche Staatsschiff von allem unnötigen Ballast befreit werden muß, wenn es die stürmische Fahrt in schwerer See­not bis zum sicheren Hafen bestehen will.

Der preußische Boltsentscheid hat mit einem Schlage die Situation geflärt. Er hat vor der Welt sichtbar bewiesen, daß die Mehrheit des Volkes fich nicht einem uferlosen Radikalismus oder einem hoffnungslosen, resignierten Skeptizismus hingibt.

Die Massen wollen Arbeit und Brot, aber sie wollen es nicht als Stlaven verzehren, sondern als freie Bürger eines demokratisch regierten Staates.

Diese Erkenntnis wird der Welt das eine Zeitlang zu Unrecht erschütterte Vertrauen zu Deutschland   wiedergeben. Sie wird auch dem gesamten deutschen   Volke nicht nur Anlaß fein, heute mit warmer innerer Anteilnahme und mit stolzem Bertrauen seiner freiheitlichen Reichsverfassung zu gedenken. Darüber hinaus wird sie ihm vielmehr auch die Zuversicht geben, daß die unheilvollen Mächte eines dunklen Schicksals nun beschmoren und verscheucht sind. Mutig schreiten wir vormärts ganz im Sinne des größten deutschen   Dichters: ,, Bor   uns das Licht die Finsternis im Rüden."

Auf zur Verfassungsfeier nach dem Lustgarten!