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Nr. 387 48. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Die Villa für Obdachlose.

An der Heerstraße: Prächtige Billen, halb versteckt in üppigen Gärten, flankieren diese einzigartige, von vielen Autos belebte Ausfall­straße nach Hamburg  . Plötzlich fällt unser Blick auf eine Lücke in der prunkenden Reihe der Billenherrlich­keit, denn da oben, auf einem von Kiefern bestandenen großen Grund­stück steht eine Ruine, eine gut erhaltene Villenruine, vor derem Betreten das Charlottenburger Bau­polizeiamt ,, wegen Lebensgefahr" warnt. Zur Sicherheit läuft noch ein starker Stacheldrahtzaun um den feltsamen Bau, der alle Ansäge zu einer hochfeudalen Villa in sich trägt, trotz der Löcher im Dach und dem zugemauerten Portal. Ringsherum wuchern Brennessel und Unkraut in reicher Fülle. Traurig schauen die leeren Fensterhöhlen in den Tag, nur an einer Seite hat der Roh­ziegelbau einen grünlichen Anstrich bekommen. Besonders wüst ist die Rückfront mit der ausladenden Gartenterrasse mitgenommen. Hier haben fleißige Hände Hohlziegel und Bandeisen ausgebrochen, so daß der Blick bis in den Keller reicht. In der Inflationszeit entstand die Billa  . Dann ging dem Besizer, einem Holländer, das Geld aus. Es wurde mit dem Weiterbau gestoppt, I auch nicht zu haben und so fällt ein Ziegel nach dem anderen von Jahr zu Jahr bekam das Haus ein jämmerlicheres Aussehen. Dem Antrag auf Abbruch konnte nicht stattgegeben werden, da der mysteriöse Holländer die fälligen Steuern gerade noch im letzten Augenblick bezahlte und so kann das fröhliche Spiel noch jahre lang weitergehen, da man den Befizer mit feinen gefeß lichen Mitteln zwingen tann, auf den Bestand feiner Ruine zu verzichten. Geld scheint er jetzt aber

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Langsam verfallende Villa an der Heerstraße.

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vom Dach.

Ohne Zweifel werden die Kellerräume von vorbeikommenden Obdachlosen auch ohne Wohnungsschein als Quartier benutzt und sie können dabei noch die Befriedigung haben, auch einmal an der feudalen Heerstraße zu wohnen. So erfüllt auch diese in ihrem langsamen Verfall häßlich wirkende Ruine noch ihren guten Zwed.

Der Ueberfall auf U- Bahnhof Klosterstraße. häuschen eindringen konnte. Ganz unschuldig beschrieb der An­Drei Jahre sechs Monate Zuchthaus für den Täter. Der verfuchte Ueberfall auf die Kaffe im Untergrundbahnhof Klofterstraße, bei dem Anfang Februar ein Untergrundbahnschaffner derart niedergeschlagen wurde, daß er eine Gehirnerschütterung da­vonirug, war jetzt erst Gegenstand eines Prozesses vor dem Schöffengericht Berlin- Mitte  ,

Lange Zeit war die Tat unaufgeklärt geblieben, bis ein junger Mann die Kriminalpolizei auf den Händler Alfred Müller  aufmerksam machte, der in einem Lokal über die Tat gesprochen hatte. Als die Polizei recherchiert hatte, daß Müller schon achtzehn= mal vorbestraft war, wurde er dem verletzten Schaffner gegen­übergestellt, der in ihm auch sofort den Räuber erkannte. Müller war an jenem Tage spät abends auf den Bahnhof ge= kommen und hatte eine Fahrkarte gefordert. Anstatt zu bezahlen, holte er ein Instrument aus der Tasche, mit dem er an der Sperre auf den Schaffner einschlug. Geistesgegenwärtig warf der Schaffner sofort die Kasse hinter sich auf den Boden, so daß sie dem Zugriff des Täters entzogen war. Gleich darauf brach er besinnungslos zusammen und wurde erst später vom Personal aufgefunden. Aus der Kasse fehlte nichts, da Müller nicht in das enge Abfertigungs­

WENN DERK

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DERKURSFAL

ROMAN

VON

Folly Scherret

,, Moin!" Er vergräbt die Hände in die Hosentaschen und stiert geistesabwesend vor sich hin. Kinder, was wollt ich eigentlich hier?"

Mit gefalteter Stirn grübelt er. Ach ja! Frau Caspari, die Korrespondenz mit... Dings. Suchen Sie mir mal den Brief aus, in dem... Dings die letzte Weizenlieferung be= anstanden."

Ich weiß leider nicht, wen Sie meinen!"

Na, Mensch!" Harry fnackt mit den Fingern und hält die linke Hand ganz zart an seinen Hinterkopf, der wieder abscheulich schmerzt. Er fühlt die dünnen Härchen, die bis auf ein Minimum gekürzt und herausgeschnitten sind. Baßt mal auf! Seid mal ganz still! Gleich hab ichs! Radbyl u. Mereschinski! Na, was sagt ihr zu Onkel Harrys Köpfchen?"

Fabelhaft!" erkennt Fräulein Hinzelmann an.

Au verdammt", stöhnt Harry schmerzlich und stemmt die Handflächen gegen seine Schläfen. Ruf doch mal den Luftknaben Baule, Hinzelmännchen, der soll mir' nen fauren Hering holen. Und wahnsinnig viel Gurfen! Ich habe Appetit darauf."

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geflagte seinen Zusammenstoß mit dem Schaffner. Er behauptet, der Schaffner   habe geschlafen und ihm, als er den Untergrundbahn­hof betreten wollte, feine Karte nicht gelocht. Als er dem Schaffner Borhaltungen machte, sei dieser aufgesprungen und habe sich den Kopf derart an der Tischkante geschlagen, daß er hingefallen sei. Das Gericht hielt diese Darstellung für unglaubwürdig und ver urteilte den Angeklagten auf das Zeugnis des Schaffners hin wegen versuchten schweren Raubes zu drei Jahren sechs Monaten 3uchthaus, fünf Jahren Ehrverlust und Stellung unter Polizeiaufsicht.

Zeppelin auf der Heimfahrt.

London  , 19. Auguft.

Das Luftschiff ,, Graf Zeppelin  " landete nach seiner England­rundfahrt glatt in Hanworth um 19,15 Uhr. Nachdem Dr. Edener sowie der Master of Sempill, der die England- Fahrt arrangiert hatte, einige Worte über den Lautsprecher an die Zuschauer gerichtet hatten, stieg das Luftschiff nach nur etwa halbstündigem Aufenthalt um 19,35 Uhr zu seinem Rüdflug nach Deutschland   auf. um 19,35 Uhr zu seinem Rückflug nach Deutschland   auf. Es überquerte die City um 19,45 Uhr und verschwand in östlicher Richtung.

,, Da is' n Bote von der Versicherungsgesellschaft", meldet Paul ,,,' n Bote mit' n Blumenkorb!"

.?"

Bon was für' ner Versicherungsgesellschaft ,, Na, von Mausehund, Mayer u. Co.!" ,, Mit einem Blumenkorb.? Für uns...? Soll mal hier antanzen!" Harry glaubt zu träumen.

Fräulein Hinzelmann und Frau Caspari reißen die Augen auf.

,, He Sie, fommen Sie mal rein", winkt Paul dem Kollegen. Der Laufbursche von der Versicherungsgesellschaft Mausehund, Mayer u. Co. trägt vor sich her ein riesiges Blumenarrangement, in dem herrliche rosa Tulpen eine Hauptrolle spielen. Ein Kuvert mit dem Firmenaufdruck ist an einer Seite des fäßchenumflochtenen Bogens befestigt. Ich soll das für Herrn Bürochef Ziege abgeben. 3um Geburtstag!"

Der Bote mit den Kindern Floras sieht in vier erstaunte Gesichter. Er zuckt die Achseln. Ich weiß ja sonst auch nichts", erklärt er ungefragt und stellt seine duftende Bürde furzerhand auf Frau Casparis Schreibtisch.

Donnerstag, 20. August 1931

Berufsmäßige Krafeeler.

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Gefängnis für fommunistischen Tumultuanten.

Vor dem Schnellschöffengericht Berlin- Mitte stand der Arbeiter Dragel unter der Anklage des Landfriedensbruchs. D. war während der kommunistischen   Krawalle, die sich am Nachmittag und Abend des 10. Auguft in der Friedrichstraße ereigneten und bei denen u. a. einige Schaufensterscheiben eingeworfen wurden, festgenommen worden. Der Angeklagte, organisiertes Mitglied der KP D. und der verbotenen ,, Antifa", will ,, ganz zufällig" in den Tumult hineingeraten sein. Die Bekundungen der Polizeibeamten erwiesen jedoch das Gegenteil. So berichten die unter Eid ver­nommenen Polizeizeugen, daß D. die Menge fortwährend aufgehetzt und die Beamten in der wüsteſten Weise beschimpft habe. Dem Beugen, Polizeiwachtmeister Rosenberg, der ihn festnehmen wollte, rief D. zu: ,, Ihr Mörder, Ihr habt ja schon wieder den Schießprügel bereit. Ihr Bluthunde, könnt Ihr nicht wegbleiben?" Auch andere Beamte sind von dem Angeklagten aufs unflätigste, so u. a. als ,, Mörder", beschimpft worden. Der Staatsanwalt forderte strenge Bestrafung des Angeklagten. Sein Verhalten grenze hart an aftiven Landfriedensbruch, man müsse die Ausschreitungen D.'s als geradezu gemeingefährlich bezeichnen. Die Polizeibeamten, die nur ihrer schweren Pflicht genügten, müßten derlei berufsmäßigen lin= ruhestiftern und Krateelern gegenüber energisch in Schutz genommen werden. Der Ankläger beantragte schließlich wegen Be­leidigung in zwei Fällen, einfachen Landfriedensbruchs und Ver­stoßes gegen die Notverordnung über unerlaubte Straßenfund­gebungen insgesamt 6 Monate Gefängnis. Das Gericht er­kannte auf diesen Straffaz und betonte, daß es dieses Urteil noch als durchaus milde bezeichnen müsse. Der Angeklagte, der in Arbeit stehe, habe sich zu seinen Exzessen nicht aus Not hinreißen lassen - was man vielleicht verstehen könnte-, sondern aus krakeelsüchti­gem Uebermut. Da kein Fluchtverdacht vorliegt, wurde der Haft­befehl aufgehoben.

Drei Todesopfer der Militärfliegerei. Polnisches Flugzeug abgerutscht und verbrannt.

Warschau  , 19. Auguff.

Ein mit drei Motoren ausgerüstetes militär flugzeug der Fliegerschule Graudenz  , das heute nacht während eines Uebungs­fluges infolge einer Motorstörung landen wollte, rutschte dabei ab und gerief in Brand. Die Infaffen, zwei Offiziere und zwei Unteroffiziere, büßten das Leben ein. Zwei Personen, die den Berunglückten zu Hilfe tommen wollten, erliffen schwere Brandwunden.

Der Fall Lacum geklärt.

Selbstmord oder Unglücksfall.

Bingen  , 19. Auguft.

Nach den neuesten polizeilichen Ermittlungen ist als sicher an­zunehmen, daß Heinz von Lacum beim Autobrand den Tod gefunden hat. Ob es sich um einen Selbstmord oder Unglüds­fall handelt, wird sich wohl nie klären lassen. Es wurde festgestellt, daß Lacum nie eine filberne Hirnplatte getragen hat. Die Staatsanwaltschaft hat nunmehr an einer weiteren Unter­fuchung fein Interesse mehr.

800 Marf Lohngelder verschwunden. Gestern gegen 16 Uhr meldete ein Diplomingenieur, der den Arbeitern des städtischen Gutes Großbeeren   Geld aus­zahlen wollte, daß er auf der Ahrensdorfer Straße überfallen und niedergeschlagen worden sei. Ihm wurden nach seinen Angaben 800 M. geraubt. Mit einem Knüppel erhielt er eine Verlegung, die aber geringfügiger Natur ist. Der Täter ist, wie er bei der Landjägerei angab, geflüchtet. Die zuständigen Dienststellen prüfen den Fall nach.

Fräulein Hinzelmann erwidert darauf nichts. Sie sieht ihn nur frech an. Mit dem jungen Silvester, den alle im Büro für etwas übergeschnappt halten, tann man sich solche Scherze erlauben.

Aber diesmal geht es schief.

,, Mein liebes Fräulein Hinzelmann", Dr. Harry Silvester tritt ganz dicht vor die zusammenzudende Stenotypistin, ,, wenn Sie sich noch einmal eine derartige Unverschämtheit herausnehmen sollten, werden Sie entlassen. Ich kann auch ungemütlich werden. Haben Sie mich verstanden?!"

Diesen letzten Satz brüllt er.

Fräulein Lotte Hinzelmann ist purporrot angelaufen und sieht sich vor Verlegenheit in den Busen. Sie markiert einen Stickhuften. Die Vision von einem Nachweis für Arbeitslose taucht verschwommen in ihrem Gehirn auf. Herr Silvester... ich habe ich wollte ich muß...!" ,, Nennen Sie mit nicht Herr Silvester. Ich bin für Sie Herr Doktor!" Damit ergreift er den Briefordner R- Z und läßt die verdugten Damen allein.

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,, Das ist ein verrücktes Huhn!" Fräulein Hinzelmann tämpft heldenhaft um ihre Selbstbeherrschung. Aber sie vornimmt sich vor, das nächste Mal die Unberechenbarkeit der menschlichen Seele mehr zu berücksichtigen.

,, Schau mal an", Harry pfeift durch die Zähne. ,, Grün­futter für unsere Ziege. Und von der Versicherungsgesellschaft." ,, Wie aufmerksam", stellt Fräulein Hinzelmann fichtig fest.

,, Wie überaufmerksam...!" berichtigt Harry. Ich hab gar nicht gewußt, daß der Meckerer" heut Ge­burtstag hat. Wir müssen ihm natürlich gratulieren." Fräu­lein Hinzelmann sieht Dr. Harry Silvester fragend an.

"

Ich tu's sofort!" Harry grinst. Paul, beladen Sie sich mal mit dem Gemüse", er deutet auf den Blumenforb, Manchmal hat man auf so was Pifantes Appetit", ich bringe ihm zum Angebinde das Schreiben, in dem Rad­äußert sich Fräulein Hinzelmann scheinheilig und beordert byl u. Mereschinski die Lieferung beanstanden. Jegt erübrigt Paul heran, ganz offiziell und ohne Heimlichkeiten, denn für sich auch die Frage, bei wem der Transport versichert ist. Und den Neffen des Chefs dürfen Botengänge ausgeführt werden, wenn er sich dann bei der Versicherungsgesellschaft bedankt, ohne daß der Meckerer" Anstoß nimmt. Der sollte es nur tann er gleich im selben Brief Schadenersaz fordern. Wie sich wagen! das trifft!" Er überlegt eine Minute und trällert vor sich hin: Inzwischen vertieft sich Dr. Harry Silvester in die Korre- Sie machen dir Komplimente und schicken dir Blumen ins spondenz mit Radbyl u. Mereschinski. Weiß der Teufel, die Haus..." Er dreht sich furz auf dem Abjak um. So ganz Schweine haben eventuell recht. Man muß bei der Abfassung Sans gêne..." murmelt er und will an die Tür zum des Antwortschreibens sehr vorsichtig sein und gleichzeitig an 3immer nebenan flopfen. die Versicherungsgesellschaft wegen Schadenersah herantreten. ,, Bei wem war der Transport eigentlich versichert...?" Zum Kotzen, daß er immer so schnell vergißt. Also Biege fragen!" Paul bringt saure Gurken und einen Prachthering. Trag es in mein Zimmer, Knabe!" befiehlt Harry

Ihre Bemühungen werden vergeblich sein, Verehrtester, Ihre Frau Tante ist leider noch nicht da. Wir erwarten sie aber jeden Augenblick..." Fräulein Hinzelmann spricht sehr gewählt und mit vornehm gespiztem Schnäuzchen.

Meine Tante. Sie find wohl blödsinnig geworden?"

,, Es war auch ein bißchen start von Ihnen. Er ist immer­hin der Juniorchef", fritisiert Frau Caspari.

,, Pöh! Es weiß doch jeder! Gerade das giftet ihn so. Na ja, wenn die Frau Silvester keine Kinder kriegt.. Passen Sie mal auf, gleich kommt der Chef, und sie ist immer noch nicht da. Elf Uhr vormittags und noch nicht da!"

,, Sie wird schon kommen", beruhigt Frau Caspari die Aufgeregte. Ihr ist es gleichgültig, welche privaten Kata­strophen sich im Büro ereignen. Sie begnügt sich mit ihren Sorgen.

Ich will Hans heißen, wenn es da nicht was gegeben hat. Drei Jahre arbeite ich jetzt hier im Hause und kenne mich aus." ,, Möglich", pflichtet Frau Caspari ohne weiteres bei. Sie erkennt neidlos die Vorherrschaft der 150silbigen Stenotypistin mit den französischen   und englischen Sprachkenntnissen an. Sie selbst wäre froh, das eine Jahr bei der Firma Ed. Sil­vefter u. Söhne aus ihrem Leben streichen zu können. Jetzt ruht sie einen Moment aus und zerlegt die Emmentaler   Ecke in dünne Scheiben.

( Fortsetzung folgts