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HUenfch und
Eines Tages wurde unserem Hausstand ein wenige Wochen alles kohlschwarzes Katerchen eingegliedert, weniger als ein Psund schwer, ungefähr eine Handvoll. Zunächst war es nichts als ein am Boden liegendes schwarzes Häuschen, das bei jedem Geräusch Deckung unter einem Möbel suchte. Allmählich fand es eine gewisse Lebensorientierung. Es entging ihm nicht, daß es zwei Tonarten gab, in denen sich die von außen kommenden Ereignisse abspiellen: Dur und Moll. Der Anfangston einer neuen Crlebnismelodie war oft derselbe das schwarze Häuschen wurde von einer Hand aufgegriffen und in die Luft gehoben. Daran gewöhnte es sich schnell. Nun aber konnte es sehr oerschieden weller gehen. Man wurde vor das Milchschüsselchen, später vor ein Freß- schusfelchen gesetzt, das sehr gut duftete, man wurde auf den Schoß genommen und gekraut, und zwar mit sachkundiger Hand, die wußte, wo es Katzen am angenehmsten ist. In dieser Stellung durste man oft lange sitzen bleiben und sich von hier aus die Weit betrachten. Das daraus entstehende Wohlbehagen quittierte man durch Schnurren, das die Umwelt mit dem Geräusch eines Motors ver- glich. Später wurde man wieder aufgehoben und allerlei mit einem vorgenommen, was sich nach einiger Erfahrung als unterhaltend erwies. So wurde man bisweilen aüf die Hinterbeine gestellt, während einen die Frau oder der Mann an den Vorderpfoten sanft im Kreis drehte und dazu das entzückende Liebchen sang: Polka, Polka tanz' ich gern. Wurde man dann wieder allein gelassen und piepste ein wenig, dann geschah es, daß der Tanz noch einmal wiederHoll wurde. Das Allerschönste aber kam abends. Nachdem man sorgfällig olle seine Bedürfnisse, positive und negative, in der einem Katzentier entsprechenden pedantisch eingehallenen Reihenfolge befriedigt hatte, wurde man in eine Decke gewickelt und in ein Körbchen gesetzt. Dieses erhob sich plötzlich hoch in die Lüfte, was nach einiger Bangigkell sehr vergnüglich war. Man wurde bis in die Nähe der Decke ge- tragen, stellte sich auf die Hinterbeine, stützte sich mll den Vorder- Pfoten an den Rand des Körbchens und blickte verwundert in die Tiefe, wo der Mann und die Frau von einer Zeppelinsahrt sprachen und einen beim Namen riefen. Dann streckte man ihnen ein Vorder- pfötchen entgegen, das ergriffen wurde. Darauf senkte sich die Gondel in das warme Eckchen neben dem Küchenherd hinab, nochmals wurde man gestreichelt und mit einem„(Bute-Nacht"-Gruß der Dunkelhell und dem Schlaf überantwortet. Das war die glückselige Molltonart. Es konnte aber auch anders kommen. Die Hand griff einen vom Boden auf,.wie in Atoll, nur war der Griff etwas heftiger, was schon nichts Gutes ahnen ließ. Man wurde nicht gekraut und ge- streichelt, sondern eilig gerade in die Ecke geschleppt, die man gern vermied, weil man in ihr in seiner Not eine übelriechende Flüssig- keit hinterlassen hatte, deren man sich als reinliches Geschöpf selber schämte. Dorthinein wurde man nun schamloserweise mit dem so sauber gehaltenen Gesichtchen gestoßen, ja das zarte Seidennäschsn schien gerade recht, um die Schmach aufzuwischen. Aber nicht genug. Die des Schmeichslns sonst so kundige Hand schlug einen noch rechts und links auf das Hinterteil und warf einen in einen verhaßten Kasten, den man seiner Abscheulichkeit wegen mit Vorliebe zu den übelriechenden Absonderungen benutzte, wenn man zufällig in der Nähe war, freilich nur dann. Genau genommen taten die Schläge nicht sehr wehe, aber welche erniedrigende Lage für einen jungen Prinzen, der sonst in Moll zu leben gewohnt war! Nun aber kam das Schlimmste. Während man mitten in Säge- spänen über allem Unrat kauerte, bekam man noch eine bedrohliche Strafpredigt zu hören. Wagte man gar die Augen zu erheben, dann sah man. wie Mann und Frau einander zulächelten, als mache ihnen gerade diese Scheußlichkeit Vergnügen. An solchen Abenden gab es keine Zeppelinfahrt und man mußte ohne Gutenachtsagen da» Körb- chen allein aufsuchen. Das war die verabscheuungswürdige Dur- tonart. Die Wahrheit zu sagen, sie kam nur alle paar Tage einmal vor, während die Molltonart fast immer anhub, wenn der Mann oder die Frau einem in den Weg kam. Nach den Abenden in Dur
versuchte man es oft am anderen Morgen zu grollen und sich zurück- zuziehen. Das hatte aber auf Mann und Frau nicht die gewünschte kränkende Wirkung. Gerade das fanden sie offenbar reizend, und wenn dann die Molltonart in vollen Akkorden erklang, da konnte man natürlich nicht widerstehen und trug nichts nach. So wuchs das schwarze Katerchen in wenigen Wochen zu „unserem MurnT heran, denn meine Frau hatte aus hier nicht weiter zu erörternder Weise in Erfahrung gebracht, daß dies sein richtiger individueller Name war, und nicht Mohrle, wie er früher gleich den meisten schwarzen Katern gedankenlos genannt worden war. Murro erfüllte, was wir von ihm erwarteten, ließ alles mll sich geschehen, sobald er sich überzeugt hatkd, daß es nicht in Dur endigen würde und schien auch allmählich zu begreifen, wie er selbst dazu beitragen konnte, die Durtonart zu vermeiden. Freilich zeigte er bald andere Unarten. Als er gelernt hatte, auf Möbel zu springen, erwies er sich als Blumenfreund, riß kaum aufgegangene Pflänzchen aus und bereitete so meiner Frau viel Kummer. Hie und da ritzte er sie in seiner Lebhaftigkeit mit seinen noch nicht durch Jagen ge- schliffenen Krallen etwas an der Haut. Eittes Tages führte das nun zu einer Entzündung an der Hand, die glücklicherweise gutartig ver- lief, aber gerade so gut zu einer Blutvergiftung hätte führen können. Meine Frau mußte den Ann einige Tage in der Binde tragen, und da sie sich in dieser Lage seines Anspringens nicht erwehren konnte, gaben wir Murro für einige Tage weg. Murro, der schwarze Prinz, wurde nun in der Hütte einer armen Häuslerfamilie bei einer uns bedienenden Frau einquartiert. Die Nachrichten lauteten nicht schlecht. Er sei zwar wieder etwas angst- lich, lasse aber doch mll sich spielen. Nach einigen Tagen besuchten wir ihn. Wer aber beschreibt unser Erstaunen? Da lag wohl auf einem Haufen schmutziger Socken eine schwarze Katze, aber das war nicht unser Murro. Nichts von dem zutraulichen Blick in Moll, nichts von der tief zerknirschten Schuldmiene in Dur, und nun das Schlimmste. Während er uns zu Hause einmal nach neuntägiger Abwesenheit sofort erkannt und sich uns als Einleitung zur Moll- tonart zu Füßen gelegt halle, hier, wo die bekannten Geräusche des Gehens auf der Treppe, des Oeffnens der Korridortür fehlten, er- kannte uns unser Murro überhaupt nicht. Auch der Polkatanz war ihm hier ganz fremd. Es erwies sich die alte Beobachtung als wahr, daß die Katze sich dem Haus, nicht dem Meeschen verbunden fühlt, ja daß sie ihren Herrn in veränderter Umgebung überhaupt nicht erkennt. Wir waren tief traurig. Da wir wieder verreisen mußten, konnten wir Murro nicht gleich zur Wiedererziehung mit nach Hause nehmen. Unterwegs aber wurden wir uns kkar, daß das auch gar nicht so einfach gehen würde. Wir hatten ihn zu sehr ver- hätschelt. Wie sollten wir ihm jetzt noch das heftige, sich als so ge- fährlich erweisende Anspringen abgewöhnen? Als wir zurück- kehrten, erfuhren wir gar, daß er sich jetzt für seine dunklen Ge- schäfte mll Vorliebe das Bett der Häuslersgatten aussuchte. Trotz- dem liebten sie ihn so, daß sie ihn nicht hergeben wollten. Er war nun ihr Murrc geworden. Die Dinge blieben eine Zeitlang in der Schwebe, dann fand das Leben selbst einen Ausweg. Murro wurde in der Adoentszeit das Opfer einer nächtlichen Hasenjagd und hat vermutlich die Weihnachtstafel eines Liebhabers geziert. Wir zollten ihm zwar die schuldige Trauer, wunderten uns aber selbst, daß uns das Ereignis doch viel weniger berührte als das enttäuschende Wiedersehen vor einigen Wochen. Warum? Unser Murrv war schon damals ge- starben. Unser Murro ist ein in uns lebendes Seelenbild. Um es zu verkörpern, brauchen wir freilich einen lebendigen Kater als Substrat. Was wir inzwischen als Katzenerzieher gelernt haben, können wir nun an einem anderen Tier erproben. Wenn es wieder kräftige junge Kätzchen gibt, nehmen wir wieder eines auf und flößen ihm von neuem die Murroseele ein, die meiner Frau bisweilen suchend in den dämmerigen Mumen zu irren scheint.
Die Gasten von Nablus sind schwarze, kühle Tunnel. Ihre modrigen Gewölbe laufen stellenweise unter den Häusern hin, und mll dem buckligen Schorf ihres Plasters, den allen Basaren, ihren noch immer, mißtrauischen Menschengesichtorn unter den bunten Kopf- iüchern gehört die Stadt heute zu den wenigen noch unverfälschten Orten des Orients, zwei Wegstunden hinter Jerusalem . Kaum waren wir mit unserer wüstengelben Ardiemaschine, der wir den Namen„Der weiße Fuchs"' gegeben hatten, in Nablus ein- getroffen, als das Motorrad unter einem Gewimmel von weißen Männerröcken wie in der Traube eines Bienenschwarmes ver- schwand. Aber wir warben für fünf Piaster einen Negerknaben in Pumphosen an, der mit der Würde eines Eunuchen vor der Tür des Beiwagens Wache hielt, wie vor einem Harem. Lange irrten wir in der Stadt umher, die Synagoge der Samariter zu suchen, die inmitten einer feindlichen Well hier noch immer das schwermütige Dasein eines aussterbenden Volkes führen. Jzzedin-Abu-Gahzaleh, ein arabischer Apotheker, hatte sich an Leonores Seite geheftet, und seine kleine bucklige Gestalt trippelte eifrig neben uns her. Er war ganz von Curopabegierde erfüllt: in mäßigem Englisch fragte er nach unseren Städten und nach einem Radioapparat, der ihn in Verbindung mit jenen geheimnisvollen Ländern im Westen bringen sollte, von denen er wie ein Fiebernder träumte. „Very glad. Sie sind Deutsche? Vary glad te meet you. 0, wir lieben die Deutschen , sie sind doch auch im Kriege besiegt worden wie wir. Aber die Engländer!... Wiat do you rnean, wir haben doch die Mehrheit im Lande: aber man gibt uns kein Parlament!" � Ueberau auf den Straßen murmelte unter den Steinen das Wasser, das aus zmeiundzwanzig Quellen vom Berge Gerasim herab- strömt. Der greise Priester der Samaritaner, hochgewachsen wie eine Palme, das rote Kopftuch um die niedrige Filzkappe mit der großen schweren Quaste gebunden, zeigte uns die alte Thora in ihrer silbergeschmiedeten Kapsel. „Darf Ich ein Bild davon aufnehmen?" „Die Thora ist heilig! Sie ist siebenhundert Jahre alt." Der Priester schüttelte den Kopf, bereit, die grüne Seide über dem ge- sprungenen Pergament wieder zusammen zu rollen. Dann fügte er leiser hinzu:„Wenn Sie fünfnndzwanzig Piaster geben..." Aber nun machte es mir kein Vergnügen mehr. Geborstene Gewölbe hingen überall vom letzten Erdbeben wie zerstörte Schwalbennester zwischen den Häusern. Jzzedin klammerte sich fast an Leonores Arm, während seine verliebten Augen unermüdlich an ihrem Gesicht hingen:
„Sehen Sie, bei uns sind die Frauen so ungebildet... man kann niemals ein ernstes Wort mll ihnen reden. Und dann weiß man nie, wenn sie ausgehen, wen sie besuchen... der Schleier schützt sie." Er war stehengeblieben, atemlos keuchend.„Rsase, möchten Sie nicht ein paar Tage in Nablus bleiben? Madame... edle Frau!" Jzzedin war plötzlich rot geworden. Wie er die Filzmütze ab- nahm, um sich die Stirne zu trocknen, erblickte man seinen ge- scheitelten Kopf, der ganz mll kleinen zierlichen Löckchen bedeckt war. Wir fuhren schon in das weite Tal von Samaria hinaus, als er noch immer hinter uns, klein, wie erstarrt in seiner seltsamen schiefen Hallung mllten aus der Straße stand, während sein linker Arm schlaff herabhing wie ein Pumpenschwengel. Gleich einer Schlange wand sich der Weg um Bergkuppen und Abgründe. Zwischen diesen Höhen lag der Eichenhain More, in dem Abraham sein Lager ausschlug, als er ins Land Kanaan kam: hier ist Christus von Nazareth her entlanggezogen: etwas Unwirkliches geht von diesem Staube aus, von der Schicksalslast der Jahrtausende, die diesen Weg berührten, der sich noch immer zwischen dem jungen Grün der Hügel hinzieht— die Straße der Ewigkeit. Eine Stunde später schwang der Weg hinter den letzten Aus- läufern des Karmelgibirges in die Ebene Jesreel aus. Dicht unter den Gärten der neuen blühenden Siedlungen entspringt die Quelle En Charod , an der Gideon , seine Krieger trinken ließ, hier stießen die Kreuzritter mll den Arabern zusammen: am Fuße des Berges Tabor schlug Napoleon das türkische Heer. Grüne Weite flog uns entgegen. Die Luft sang, die Maschine raste. Der Motor begann immer schneller zu laufen, als wäre die Straße die gespannte Salle eines Vogens, der uns, unsere Maschine, unser Gepäck, unsere von Lebenslust erfüllten Herzen wie einen Pfeil in die ferne, schon dämmernde Ebene schnellte, neuen Erleb- nisten und Hoffnungen zu. II. Zwei Tage später traf in Tiberias ein Brief für Leonore ein. Er war in fehlerhaftem Englisch geschrieben und lautete in der Uebersetzung wörtlich folgendermaßen: Nablus , den 11. April. Liebe Frau, während Sie mich in Nablus besuchten, habe ich nicht Ihnen erzählt, daß die Verbindung zwischen mir und Ihnen in Ewigkeit fortgesetzt werden muß. Nun habe ich das Vergnügen, hier mein Porträt beizufügen. Dies ist eine Erinnerung, daß Sie mir bitte Ihr Porträt schicken. Ich bin immer zu Ihren Diensten, alles was Sie von mir wünschen, zu Ihrem Befehl, bereit bin ich. Wenn Sie mich bitte die Adresse des Radiogeschäftes wisten
lasten wollen, m Ihrer Stadt. Ich werde nur eine europäisch« Frau heiraten! Dank im voraus. Ihr sehr gewogener Jzzedin Abu Gahzoleh, Apotheker in Nablus . Dem Brief war mll einer Stecknadel eine kleine Photographie beigeheftet. Man erkannte deutllch darauf den Füllfederhalter und das groß« seidene Taschentuch Jzzedins. Die Löckchen neben seinem Schellet waren sorgfältig gebrannt, und die tiefliegenden stechenden Augen des Buckligen blickten Leonore unheimlich aus dem Bilde an. III. Eines Nachts auf der Straße nach Haifa wären wir beinahe verunglückt. Wir hatten Nazareth kaum verlasten, als kurz nach dem Ein- bruch der DunkelWit hinter einem kleinen Araberdorf in völlig un- wirtlicher Gegend an unserer Maschine das Licht erlosch. Arabische Straßentinder hatten, während wir in einer Garküche in Nazareth unser Abendbrot einnahmen, die Lichtlellung beschädigt. Wir konnten nichts mehr erkennen. Aus dem Dunkel vor uns wuchs immer drohender ein roter Punkt wie ein blutiges Auge. Plätzlich standen wir vor einer roten Laterne. Die Straße war abgesperrt, die Nacht dunkel und schwül. Ratlos suchten wir mil den Füßen die Böschung abzutasten, um die Stelle zu finden, wo der Notweg abbog. Zum Glück nahten von Nazareth drei Araber auf einem englischen Motorrade. Ich bat sie vorauszufahren, um in chrem Lichtschein die unbekannte Spur quer über dem steilen Abhang zu finden, und während unsere Räder bald auf der einen, bald auf der anderen Seite in tiefe Löcher versanken, über Erdhügeln umzu- stürzen drohten, gelangten wir glücklich auf das untere Ende der Straße. Plötzlich verlangsamte die hundert Meter vor uns rasende Maschine ihre Fahrt. Eine riesige Viehherde, von Beduinen über die nächtliche Landstraße getrieben, bahnte sich zu beiden Seiten der Maschine ihren Weg, um sich gleich darauf wieder dicht zusammen- zuschließen. Ich bremste im Augenblick. Drei wilde Gestallen in Kopf- tüchern tauchten schattenhaft am Wege auf. Wilde Schreie erklangen in der Finsternis, unsere Hupe brüllte. Eine Mauer schwarzer Kühe richtete sich undurchdringlich vor uns auf. „Bei dem gesteinigten Satan! Wir werden euch die Hörner verdrehen!" Die Beduinen suchten mit Stockschlägen die Tiere beiseite zu reißen. Drei Kühe stürzten sich gleichzeitig auf den Beiwagen Leonores. Eine gewaltige schwarze Kuh prallte mll der Brust gegen den Wagen, bäumte sich hoch und war eben im Begriff, ihre Hufe Leonore aus den Schoß zu legen, als wir endlich stillhielten. „Bei Gott , könnt ihr nicht links laufen, Teufel!" Die Beduinen schlugen erneut auf die Tiere ein. Das Gesicht Leonores war so blaß, daß es in der Dunkelhell leuchtete. Die große Kuh nahm ihre Hufe von dem Beiwagen herab und stürzte entsetzt mit humpelnden Sprüngen über den Straßengraben ins Feld. Ungewiß, was geschehen war, nicht ohne Befürchtung, von den Beduinen auf der nächtlichen Landstraße zur Rechenschaft ge- zogen zu werden, gab ich von neuem Gas. Einige Minuten später stellten wir fest, daß der Beiwagen vorn eine tiefe Beule davongetragen hatte. Der rote Wimpel mll den Buchstaben„Ardie", der uns mll seiner lustigen Zunge so lange begleitete, war verschwunden. Unermeßlich und heimtückisch lag die Finsternis zu beiden Seiten des Weges. An einer Biegung stieß das Rad des Beiwagens gegen einen hohen Stein, der Kotflügel streifte schon hörbar den Rand des Gummireifens. Es blieb uns nichts übrig, als die Fahrt bis auf ein Schrittmatz zu derlangsamell. Die Nacht um uns wogte und rauschte. Gräser und mannshohe Distelstauden zu beiden Seiten des Weges wuchsen zu hohen Wäldern. Krachend holperten wir über die ungeschützten Schienen der Eisenbahn. Fern in der Tiefe erblickten wir endlich den Lichterglanz von Haifa , schimmernd wie den weißen Blütenkelch einer riesenhaften Seerose, die sich auf dem schwarzen Spiegel des nächtlichen Meeres wiegt. Kühler Seewind kam uns entgegen. Wir öffneten den Mund und atmeten mll vollen Lungen. Einmal durchfuhren wir die Dorfstraße einer kleinen jüdischen Kolonie. Schatten einsamer Liebespaare wichen auf der Landstraße erschreckt vor uns beiseite. Aber die große Seerose des Lichter- glanzes von Haifa strahlle und wuchs in der fernen Tiefe, immer mächtiger entfaltete sie, aus Taufenden von Lichtern gebildet, ihren geheimnisvollen Kelch. Dort wußten wir das Meer, und sein großer kühler Atem berührte erlösend in der Dunkelheit unsere müden, schweißbedeckten Stirnen. IV. Im Orient reist man in den heißen Monaten viel des Nachts: allmählich gewöhnten wir uns auch mll dem Motorrade an das ständige Fähren in der Dunkelheit. Als wir drei Wochen später nach Nablus zurückkehrten, sank die Dämmerung schnell und undurch- dringlich herab. Wartend hielten wir, voll Grauen irgendwo in eine finstere Tiefe zu stürzen, wenn der huschende Lichtschein eines Automobils mit seinem gestielten Auge wie ein böses Gespenst an uns vorbeihuschte. Ein Schakal weinte. Es wurde zwölf Uhr, bis wir in Nablus einfuhren. Aus einigen Kaffeehäusern der schlafenden Stadt glänzte noch Licht. Während wir mit unserer Ardiemaschine auf der Straße hielten, stand plötzlich gespenstisch wie aus der Erde gewachsen, Jzzedin, der kleine verkrüppelte Apotheker von Nablus , neben uns, als hätte er die ganzen vier Wochen an der gleichen Stelle auf unsere Rückkehr gewartet. Den Kopf schief zur Seite geneigt, blinzelte er unter seinem Fez Leonore fast böse an: „Vhy have you not answered to my letter?" Humpelnd folgte er, sie mit gebieterischen Fragen bestürmend, ein unheimlicher Zwerg, während ich in ein arabisches Gasthaus hinaufstieg, um nach einem Zimmer zu fragen. Alles starrte von Schmutz, Fliegen saßen in dicken Trauben aus den befleckten Tischen. Es gab weder etwas zu essen noch eine Waschschüssel. „Du darfst mich hier nicht allein lassen", sagte Leonore, als ich in den Garten zurückkehrte, und blickte auf Jzzedin, dessen Schulter sie fast berührte. Sie war blaß. Fürchtete sie sich? Neben dem plätschernden Brunnen verzehrten wir, was wir noch bei uns trugen. Jzzedin, die Füße hoch auf dem Schemel ge- zogen, wich nicht von Leonores Seite. Eine Unterkunft für unsere Ardiemaschine gab es nicht, und wir schoben den„weißen Fuchs" unter den Torbogen eines zertrümmerten Hauses: ein arabischer Nichtstuer schlug als Wächter sein Lager daneben auf. In der Nacht schrak ich empor. Scharen von Ungeziefer zogen an der bleichen Mauer des Zimmers auf unser Bett los, Leonore rührte sich nicht. Der arabische Wächter draußen schließ, den Kopf mit der roten Filzkappe vornübergeneigt, im Beiwagen aus dem Platz Leonores. Schweigend starrten die weißen, wie von Christen- haß versteinerten Häuser der Stadt. Nur die Quelle des Brunnens im Garten schluckte leise mit ersticktem Atem in der Stille wie der röchelnde Hauch aus dem Schlund eines Erwürgten. Die Apfelsine ist südchinesischen Ursprungs. Aber schon vor mehreren tausend Jahren kam sie nach Indien und von dort all- mählich in das südliche Europa . Der erste Apfelsinenbaum wurde in Europa gegen Mille de- 16. Jahrhunderts in Lissabon gepflanzt.