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Morgenausgabe

Nr. 395

A 199

48.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Dienstag

25. August 1931

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Koalitionskabinett Macdonald.

Die Mehrheit der Arbeiterpartei in Opposition.

London  , 24. August.( Eigenbericht.)

Die Zusammensetzung der neuen nationalen Koalitionsregierung unter Vorsitz Macdonalds wird offi. ziell nicht vor Dienstag bekanntgegeben werden. Es scheint jedoch schon jetzt festzustehen, daß von den bisheri­gen Arbeiterministern außer Macdonald noch Snow den, J. H. Thomas und Lord Sankey dem neuen Kabinett angehören werden, während für die Konser nativen Baldwin, Neville Chamberlain  , Sir Samuel Hoare   und Lord Hailsham und von den Liberalen Sir Herbert Samuel  , Lord Reading und Sir Donald Maclean   in die neue Regierung eintreten werden.( Lloyd George   kommt persönlich wegen seiner schweren Erkrankung kaum in Frage.)

Die Exekutive der Arbeiterpartei und der Gewerkschaften treten am Mittwoch zusammen. Es besteht kein Zweifel, daß die überwiegende Mehrheit die­ser Körperschaften die Haltung der Ausgeschiedenen gutheißen und das Programm der Verbleibenden ab. lehnen wird. Der Generalrat der Gewerkschaften hat heute abend eine Erklärung veröffentlicht, wonach er feine Regierung unterstüken werde, die weitere Ent. behrungen   der Arbeiterklasse auferlegen würde.

In seiner. Dienstag- Ausgabe nimmt der Daily Herald" in einem Leitartikel Reine nationale Regierung!" flar gegen Macdonald Stellung. Es heißt in dem Artikel, daß es sich bei dem neuen Kabinett Macdonald nicht um eine na= tionale Regierung handeln werde, denn die Arbeiterminifter, die an diesem Kabinett teilnehmen, handelten

lediglich als Einzelpersonen

und nicht als bevollmächtigte Bertreter der Arbeiterbewegung. Es bestehe tein Zweifel, daß die nationalen Organisationen der Ar­beiterbewegung den Sanierungsplan ablehnen würden. Das Blatt fügt jedoch hinzu: So sehr die Haltung Macdonalds und seiner Freunde falsch ist, so wissen wir doch, daß die Arbeiter. bewegung als Ganzes groß und großmütig genug ist, um ihrer ift, um Aufrichtigteit die Achtung zu zollen."

Sodann spricht der Daily Herald" seinen Dank den neun Ministern aus, die durch ihren Rücktritt die Demission des Ka­binetts herbeigeführt haben. Sie waren überzeugt, daß sie die Grenze

der möglichen Konzeffionen erreicht hatten.

Zum Schluß erklärt das Arbeiterorgan, daß die Federal Reserve Bant   von New York   die britische   Politie durch die Forderungen diftiere, die sie der Bank von England   für ihre finanzielle Hilfe unterbreitet habe.

Nur 30 Labour- Abgeordnete hinter Macdonald?

Durchführung des Sparprogramms beschränkt bleiben. Im Barlament dürfte sich die Regierung restlos auf die Stimmen der Konservativen stüßen können, während die Liberalen faum einheitlich für sie stimmen werden. Bon der Arbeiterpartei dürften der Koalitionsregierung Macdonald kaum mehr als 30 Ab­geordnete Gefolgschaft leisten. Sobald das Programm zur Balancie­rung des Budgets verabschiedet ist, sollen Neuwahlen statt finden. So lautet wenigstens der bisherige Plan. Die Entwicklung der Dinge fann sich jedoch noch erheblich ändern bzw. noch völlig über den Haufen geworfen werden.

Was Macdonald und die im Kabinett verbleibenden Labour­minister zur Mitarbeit in der Koalitionsregierung und zur Unter­stügung einer ihren persönlichen Wünschen sicherlich nicht entsprechen­den Sozialpolitik bestimmt hat, ist die Ueberzeugung, daß die für die Gesundung der englischen Wirtschaft unbedingt notwendige

Erhaltung der Stabilität des Pfundes

nur auf dem eingeschlagenen Weg erfolgen kann. Es zeugt zweifel­los von großem Mut, daß Macdonald diesen Kurs eingefchlagen hat. Aber der größte Teil der Labourabgeordneten im Unterhaus hält diesen Kurs für falsch. Die Lage des Landes ist nach der Ansicht der übergroßen Mehrheit der Labour- Fraktion nicht so, daß die Rettung zu einem wesentlichen Teil nur durch Sparmaßnahmen auf bem Gebiet der Sozialpolitik erfolgen kann.

Es tann als sicher gelten, daß die Egekutive der Labour­Barty, die am Mittwoch zusammentritt, die Politik des bisherigen Führers verwerfen wird. Alle Anzeichen sprechen aber dafür, daß die Einheit der Partei, von einigen unbedeutenden Absplitte­rungen abgesehen, erhalten werden wird. Immerhin wird sie durch den Verlust ihrer besten Führer auf eine harte Probe gestellt. Henderson, der bisherige Außenminister, gehört zu den Ministern, die den Kurs Macdonald nicht mitmachen.

Sir Austen Chamberlain   traten, ein Signal. Sie schöpften neuen Mut und konnten neue Kräfte sammeln zum Kampfe gegen die Reaktion. In den Zeiten der konservativen Außen­politik waren die Abrüstungsbestrebungen zum Stillstand gekommen. Das Wettrüsten zur See zwischen den Vereinigten Staaten   und England war im vollen Gange, den Forderungen des französischen   Militarismus wurde von Eng­land aus keinerlei ernsthafter Widerstand entgegengesetzt. Die nationalen Minderheiten waren der Willkür faschistischer Regierungen schutzlos ausgeliefert. Selbst die Rheinland­räumung, auf die das deutsche   Volk seit Locarno   mit be­rechtigter Ungeduld wartete, wurde von Frankreich   mit eng­lischer Duldung immer weiter hinausgeschoben. Das alles wurde mit dem Tage anders, an dem Macdonald und Henderson das Heft in die Hand nahmen. Konnte auch die Arbeiterregierung auf diesem Gebiete nicht alle be­rechtigten Hoffnungen mit einem Schlage erfüllen, die sich mit ihren eigenen Wünschen und Forderungen deckten, so bradjte fie dennoch einen ganz neuen Geist in die Weltpolitik hinein, der sich verhältnismäßig bald in weitgehenden Teil­erfolgen auswirken konnte. Immer wieder und zuletzt auf dem Internationalen Kongreß in Wien   hat die Sozialistische Arbeiter- Internationale auf dieses se gensreiche Wir ten unserer englischen Freunde auf außenpolitischem Gebiet hingewiesen.

Nie wäre diese Tätigkeit notwendiger und wertvoller als gerade jetzt, wo die Wirtschaftskrise in die ganze Welt schwerste politische Unruhe gebracht hat. Aber gerade diese Wirtschaftskrise ist es, die die Arbeiterregierung zu Fall ge­bracht hat. Es ist die Tragit des englischen   und des inter­nationalen Sozialismus, daß Macdonalds Regierungsantritt im Juni 1929 gerade mit den Anfängen dieser Krise zusam= menfiel. Sie war es, die auf innerpolitischem Gebiete, eben

Die Einheit über alles! megen der steigenden Arbeitslosigkeit und der dadurch ver­

Kritische Tage der englischen Arbeiterbewegung. Für den außerhalb Englands wirkenden Sozialisten ist der Zusammenbruch der Arbeiterregierung Macdonald ein schmerzhaftes Ereignis. Wir Sozialdemokraten auf dem Kon­tinent mußten zwar von Anfang an, daß die britische   Labour­party allein wegen der Tatsache, daß sie nur eine minder heitsregierung bilden konnte, in ihrer Bewegungsfrei­heit auf allen Gebieten stark gehemmt sein würde. Sie mußte sich fast jede fortschrittliche Vorlage mit Zugeständnissen an die Liberalen erkaufen, auf deren Unterstützung oder zumindest Tolerierung fie angewiesen war. Eine rein sozialistische Poli­tit, soweit sie innerhalb der kapitaliſtiſchen   Geſellſchaftsord nung möglich ist, war schon aus diesem Grunde von ihr nicht London  , 24. Auguft.( Eigenbericht.) zu erwarten. Dennoch ging ihr sichtbares und oft erfolgreiches Die Regierung Macdonald hat am Montagmittag ihren Bestreben dahin, die Hoffnungen der Arbeiter Rücktritt beschlossen. Nachmittags um 5 Uhr erstattete Plasse zu erfüllen und ihre Interessen wahr Macdonald dem König Bericht. Der König nahm den Rücktritt anzunehmen. Es sei nur an die beiden Budgetvorlagen er und beauftragte Macdonald mit der Neubildung einer Regierung, innert, die Philip Snowden   als ihr Schazkanzler dem Par­an der Vertreter sämtlicher Fraktionen des Parla lament unterbreitete und deren Annahme er durchsetzte: ihr ments beteiligt sein sollen. Grundgedanke war, die sozialen Errungenschaften der Arbei terklasse auch in Zeiten schwerster Wirtschaftskrise nicht anzu­tasten, dafür um so mehr den besitzenden Schichten weit­gehende Opfer aufzuerlegen. Welch ein wohltuender Gegensatz zu den Methoden, die in anderen Ländern, nicht zulegt in Deutschland  , in demselben Zeitabschnitt angewendet wurden!

Im Anschluß an die Unterredung zwischen dem König und Macdonald empfing der zurüdgetretene Ministerpräsident die Führer der Konservativen und der Liberalen. Voraussichtlich wird das

neue Kabinett nur aus einer beschränkten Zahl von Ministern bestehen. Von Maconalds Mitarbeitern in der Arbeiterregierung dürften dem neuen Rabinett u. a. angehören Snowden und Thomas, von den Konservativen Baldwin und Nerille ( nicht Sir Aestä) und Chamberlain   und von den Liberalen Herbert Samuel  . Die einzige, aber schwerwiegende Aufgabe der Regierung soll in der Balancierung des Budgets bestehen. Das Sparprogramm fieht u. a. die Kürzung der Arbeits­losenunterstützung um etwa 10 Proz. vor. Mit diesem Programm beabsichtigt Macdonald, fich

Was uns Sozialdemokraten auf dem europäischen   Fest­lande mit besonderer Genugtuung, ja mit Stolz erfüllte, wenn wir auf das Wirken unserer englischen Freunde in der Regierung hinwiesen, lag jedoch vor allem auf dem Gebiet der auswärtigen Politit. In den fünf Jahren konser vativer Herrschaft, die dem Regierungsantritt Macdonalds vorangegangen waren, fonnte man in allen Ländern Fort­schritte der nationalistischen, reaktionären und faschistischen Strömungen beobachten, die von London   aus eher ermutigt als gehemmt murden. Für die sozialistischen   und demokrati­schen Kräfte der ganzen Welt war daher der Tag, an dem Die Lebensdauer des neuen Kabinetts soll auf die Macdonald und Henderson an die Stelle von Baldwin und

Anfang September dem Parlament vorzustellen.

mehrten Sozialausgaben dem Wollen des sozialistischen   Mi­nisters immer größere Hindernisse entgegenstellte. In den letzten Monaten hat nun diese Krise Formen angenommen, die sogar an die stärksten Pfeiler der kapitalistischen  Wirtschaftsordnung rüttelte: die Bant von England wurde in ihren Grundfesten erschüttert, die englische Währung geriet ins Wanten. Damit war das gesamte Wirtschaftsgebäude des britischen   Weltreichs gefährdet. Zu der innerpolitischen Unfreiheit, die die parlamentarischen Mehr­heitsverhältnisse dem Labour- Kabinett auferlegten, kam die vielleicht noch schlimmere Abhängigkeit von der in­ternationalen Hochfinanz hinzu. Angesichts der un­ausgesetzten, außenpolitisch begründeten Angriffen der Bank von Frankreich gegen den Goldbestand der Bank von England  mußte London   in der New Yorker Wallstreet   um gut Wetter bitten. Das amerikanische   Finanzkapital hat für seine Unter­stützung der englischen Währung Bedingungen gestellt, auf die sich Konservative und Liberale gegenüber der Ar­beiterregierung berufen konnten.

Daß die Arbeiterregierung daran gescheitert ist, wäre an und für sich ein betrübliches Ereignis. Wie sie gescheitert ist, das ist, was alle Sozialdemokraten der Welt mit besonderem Schmerz und noch größerer Sorge erfüllt: sie ist aus ein­andergefallen in einem offenenkonflitt zwischen einem Teil der Labour- Minister und den Gewerkschaf= ten, die den weitaus stärksten Pfeiler der englischen Arbeiter­bewegung bilden.

Die weitere Entwicklung ist es aber, die weit mehr als die bloße Tatsache des Rücktritts das Urteil der Sozialdemokraten auf dem Kontinent erschwert und sogar verwirrt. Auch wenn man bedenkt, daß die traditionellen Anschauungen über Geschlossenheit und Disziplin innerhalb der britischen Arbeiterbewegung von den unserigen grundver­schieden sind, ist es nicht ganz leicht, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß ein Teil der bisherigen Arbeiter­minister unter Führung Macdonalds an einem Koalitions­tabinett mit den Oppositionsparteien von gestern, mit den Konservativen und den Liberalen, zusammenzuwirken ent schlossen ist, während die übrigen Minister des bisherigen