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Beilage 931198.001

Mittwoch, 26. August 1931

Der Abend

Shalausgabe des Vorwans

66

,, Sonntag, das ist mein Freitag..."

"

Auftatt.

Autobiographischer Bericht von Erich Preuße

Der Sonntag wird bereits am Sonnabendmorgen eingeläutet: menn um 10 Uhr etwa der fliegende Händler mit seinem Wäsche= farren anrüdt, unter meinem Balkon Aufstellung nimmt und seine Ware anzupreisen beginnt. Er schickt vorerst einen Jodler in die Luft( daß fast die Fensterscheiben flirren) und dann geht's Los: Meine Dam'n, meine Dam'n, hier ein Hemd für die Frida, und die Kombination für die Ida, und so was wie dies Bettlaken war noch nie da... Die Ware ist nicht geklaut, die ist besorgt! Meine Dam'n, Jeheimrat Cuno, Jeneraldirektor von den Hapag" un verflossener Reichskanzler, friegt außer sein'm Jahresjehalt von 600 000 Mark noch ne Ministerpenfion von 28 000 Mart. Er hat de Reichsrejierung jefchrieb'n, er fann feine Benfion nich entbehren, weil er seit de Inflation mit jroße Zahlen ze rechnen jewohnt ist... Aber meine Dam'n, bei mir, da brauchense nich mit jroße Preise ze rechnen."

Der Straßenhändler und all die anderen, die in der Stargarder Straße und auf den Boulevards des Nordens mit Schlipsen, Man­schetten und Kragenknöpfen, Armbändern, Halsketten und Strümpfen handeln, sind der Auftakt des Sonntags. Und dann: im Ghetto, in der Linien-, Dragoner- und Grenadierstraße, ist fchon Sonntag. Da laufen schwarzgefleidete Männer, die Hände auf den Rüden gelegt, Schabbes feiernd spazieren und niden me= lancholisch mit ihren blauschwarzen Bärten. In der City strömt um die Mittagszeit das Heer der Angestellten aus den Kontoren, und auf ihren Gefichtern ist Feiertagsglanz wie müde Sonne über troftloser Landschaft... Aus einem Radiogeschäft trommelt der Lautsprecher die Schlager des 2- Uhr- Konzerts der Funkstunde. Leo Monnosson singt: Sonntag, das ist mein Freitag...". Jawohl, Sonntag das ist mein Freitag, und alle anderen Tage sind auch Freitage, nicht nur für mich, sondern auch für ja, wieviel sind's jetzt eigentlich? beiläufig ungefähr 5 Millionen Arbeitslose. Da hat das Wort Freitag seinen Glanz verloren, weil der richtige Freitag, der Wochentag, kein Zahltag mehr ist. Da ist Freitag fast ein Hohn..

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So um 5, 6 Uhr ist die City fast tot. Erst um 7 Uhr, wenn die Warenhäuser schließen, brandet der Verkehr wieder auf. Und nachher sind die Straßen, ausgenommen die im Vergnügungs­viertel, beinahe ausgestorben.

Im Norden ist dagegen um 5, 6 Uhr Hochbetrieb: die Hausfrauen eilen mit Taschen und Marktnegen zum Ein­kaufen. In den Schlächtereien und Lebensmittelgeschäften summt's wie im Bienenforb. Denn essen müssen die Leute ja schließlich... Und manch einer, der wochentags nur Schmalzstullen hat, leistet fich zum Sonntag ein Viertel Jagdwurst und etwas halbfetten Säfe. Und als ich neulich in einem Schlächterladen eine Frau einen 50- Mart- Schein zücken fah, da war das wie eine Sensation, alles gudte. Ein ausgehärmter Mann, der neben mir stand, schluckte troden runter. Ja, so ist das Leben.( vorzutragen in der refignierenden Melodik eines Weillschen Songs, etwa wie der: Ja, wie man sich bettet, so liegt man...") Diejenigen, die Geld und Illusionen haben und jung sind, ziehen um 7 bis 8 Uhr los, um in Kinos und auf Tanzböden ihre Illusionen zu nähren oder mitsamt dem Gelde loszuwerden. In Paranthese: Schimpft nicht so viel auf die Kitschfilme! Da beseitigt auf der Leinwand ein befracter, sieghafter Gentleman im Handumdrehen alle Widerstände und zieht mit seiner Ange­beteten und einem Bazen Geld durch den Harz. Die im Zu­schauerraum glauben dann, sie könnten's auch so. Habt ihr schon einmal gesehen, wie gestrafft, mit vor Unternehmungsluft glän­zenden Augen die vorher müden Leute aus einem Kintopp fommen, in dem ein Sensationsfilm mit Harry Piel , Tom mig oder Douglas Fairbanks gespielt wurde?

,, Der Sonntag, das ist mein Freitag..." Sonnabendnachts marten dreimal so viel Mädchen wie sonst auf Kundschaft. Ich habe mal eine, die mich ansprach, ausgefragt es war eine fleine Berfäuferin aus einem Warenhaus. Ich habe mich geschämt. Für andere, die ihnen 80 Mark Monatsgehalt zahlen... ( Der verehrte Leser tut gut daran, jezt den obengenannten Song aus Mahagonny " dreimal zu fingen!)

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Der Sonntag bricht an... Nachdem das elektrische Klavier vom Wirtshaus nebenan mich in den Schlaf geflimpert hat, werde ich also jest ist's wirklich Conntag! in aller Frühe von benachbarten Lautsprechern aus dem Schlaf getrommelt. Mit dem festen Vorsatz, zumindest einen Zeitungsartikel zu schreiben, stede ich meinen Ropf in die Wasch­schüssel. Ich pfeife mich in gute Stimmung. Na, heute wird die Arbeit flutschen! Und wenn erst alles ausgeflogen ist, wird mich niemand stören. Ich verlasse Sonntag fast nie das Haus. Wozu? Ich habe keine Freunde oder Bekannte, mit denen ich nach draußen fahren fönnte. Und allein? Es gibt nichts Schlimmeres, als allein mit seinen Gedanken am Sonntag irgendwo im Walde zu sitzen. Da sind einem die Bäume zu nahe. Da kommt die Wirtin

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Also, ich bin nun richtig in Stimmung. mit Morgenkaffee und Post. Die Post besteht aus einer Karte von Annemarie. Sie schreibt: es tut mir leid, daß Du Dich so quälen mußt. Hoffentlich hast Du es bald besser, denn so geht es auch nicht mehr weiter. Die Hauptsache ist, daß es zum Oktober klappt. In H. find schon wieder 20 Lehrer entlassen. Haft Du schon Nachricht von der Regierung, daß Du eingestellt wirst? Erich, ich denke auch nicht mehr daran, daß wir Weihnachten heiraten fönnen, vielleicht nächstes Jahr um die Zeit."

Ich size auf dem Sofa. Vor mir, auf dem Tisch, dampft der Kaffee. Ich mag nichts mehr essen. Mein Gehirn ist wie ausgelaugt. Ich bin nur noch imstande, undeutliche und traurige Gedanken zu faffen. Annemarie und ich fennen uns seit 3 Jahren. Als wir uns fennenlernten, pinsélte ich im Fabrikhof Delfässer an und sie war im Kontor beschäftigt. Gegen alle Borurteile und Spießbürger haben wir zusammengehalten. Mir wurde damals flar, wieviel ein Arbeiter in der bürgerlichen Gesellschaft gilt. Dabei war's mit mir noch was anderes, ich hatte ja noch so mas wie einen ich hätte beinahe gesagt Titel, aber es war ein Prügelwort: Junglehrer. Drei Jahre haben wir gewartet, zum Oktober will man mich als Lehrer anstellen. Sollte das wieder nichts werden?

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losigkeit, der Verzweiflung, des Ausgeliefertseins an Mächte, die ich nicht meistern fann.

Die Lautsprecher sind verstummt. Es ist Kirchzeit. Glocken dröhnen von der nahen Kirche herüber. Aus dem gegen überliegenden Haus die sind dort scheinbar sehr neugierig hängen Leute aus den Fenstern und gucken zu, was ich auf dem Balkon treibe. Nun, ich lese. Da habe ich z. B. irgendwo einen Deutsch nationalen Volksfreund" aufgegabelt. Es ist eine vergilbte Nummer vom 15. September 1923. In diesem Vereinsblatt beschäftigt sich ein gewisser Marimilian Strad mit dem japanischen Erdbeben, das damals die Welt entsegte. Der Strad schreibt:

,, Ueber die japanische Katastrophe schreibt die Deutsche Zeitung" einen langen Artikel, in welchem dieses durchaus national und völkisch eingestellte Organ eine gewisse Sympathie für die gelben Verräter an den Tag legt, die uns treulos in den Rücken fielen, nachdem sie uns jahrelang ihrer Sympathie, ja ihrer Freundschaft versichert hatten. Dabei muß die D3." zugeben,

daß Japan sich seit 1914 bis auf den heutigen Tag als schroffer Gegner Deutschlands erwiesen hat.. Man mag die einzelnen Opfer beklagen, im großen und ganzen soll man erleichtert aufatmen, daß wir einen sehr gefährlichen Begner meniger haben, und daß die gelbe Gefahr, vor der Wilhelm II . einst weitschauend gewarnt hatte, auf Jahre gebannt ist."

Das ist mir so in die Finger gekommen, und ich lege es, ohne ein Wort zu sagen, beiseite. Und dann nehme ich mir ,, Emanuel Quint ", den Narren in Chrifto, von G. Hauptmann , vor.

Die Kirche ist aus. Drüben sind die Leute von den Fenstern verschwunden. Sie werden mittagen. Ich lese. Und die Sonne tanzt langsam weiter gen Westen. Ab und zu gude ich vom Balkon und sehe dann sonntäglich geputzte Leute gehen, oder ich guce zur Uhr: wie die Stunden fliegen! Der Abend zieht, vom elektrischen Klavier nebenan begleitet, flimpernd ein. Der Himmel ist fahl. Ich( was soll ich anders machen?) lege mich ins Bett. Und schlafe. Und der Sonntag, das ist mein Freitag!

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Erotik und Kapitalismus Liebe

und Sexualität im, mechanischen Zeitalter"

Wir veröffentlichen diese Studie, ohne uns mit einzelnen allzu| sionen sind an der Tagesordnung. Dieser Befund ist eine sehr dogmenhaften Formulierungen zu identifizieren. deutliche Folge der sozialen Unsicherheit, ein Ausdruck der vulkanischen Situation unserer Gesellschaft.

Einbruch der Technit.

Die romantischen Liebessehnsüchte des jungen Werther sind vergessen. Die idealiſtiſchen Liebesvorstellungen Schillers tags hinabgezogen worden. Sogar die gruselige Romantik des find längst in die grauen Tiefen des geschäftlichen bürgerlichen All Bordells ist der fatalen Nüchternheit eines grell belichteten Liebes­betriebes gewichen.

Einstmals war es anders, gewiß. Da war ein junges Bürgertum, Liebeskonflikte sind passé. Nur feine Gefühle vortäuschen, bitte. das wollte die Welt erobern. Aber es scheiterte schon am nächsten Polizistenhelm. Da flüchtete man in den Weltschmerz. Die Sorgen verinnerlichten sich und wurden zum Liebeskummer. Aber auch die Berinnerlichung schaffte die Sorgen nicht aus der Welt. Das Bürgertum wuchs. Es wurde selbstbewußt. Die Ge­schäfte überlagerten die Liebe und die Ehen wurden bald nach geschäftlichen Maßstäben getätigt. Doch wie ein Schatten folgte diesem sonnigen Aufstieg die Romantik der Enttäuschten. Sie gipfelte darin, daß förperliche Liebe nur Sexualität und als solche verwerflich sei.

Die männliche Gesellschaft hatte unterdes die neue Frau entdeckt. Gerade begann die dienstbeslissene Magd und Haussflavin aus dem zentralen Gesellschaftsbild herauszufallen und die werk­tätige Frau mit ihrem fraftvollen sozialen Freiheitsstreben war noch nicht da. Ein neuer Frauentyp, eine 3 wischenschicht drängte sich vor: Die Frau als Mittelpunkt des Salons, die geistige Frau. In den französischen Salons brillierten die Herren der Schöpfung, wie früher die Ritter vor ihren Damen mit nedischen Spielen, jetzt mit ihrem geistigen Esprit; fie paradierten vor einer vergeistigten Kokotterie, in einer Atmosphäre, die der Ausdruck des gesellschaftlichen Lugus wie des lleberganges und der Unsicherheit war.

Die eine Hälfte des erotischen Objekts war vom Manne entdeckt. Die ins Geistige und Geistreiche projizierte Sexualität war nicht minder eine Perversion wie die ins Physische umschlagenden Ausschweifungen, die in ihrem Gefolge auftraten.

Den

Heute hat die immer noch herrschende männliche Gesellschaft die zweite Hälfte ihres erotischen Objekts entdeckt: förperlichen Charakter der Frau. Daß sich diese Hinwendung zum Körper so einseitig vollzog, ift in erster Linie die Reaktion auf die Verfümmerung des Körperlichen gewesen. Die Menschen sahen sich in unerhört neuen, und, wie es schien, natürlicheren, freieren Ausmaßen.

ein

Aber das war ein Irrtum aus der Vogelperspektive. Die förperliche Inbrunst wurde in tausendfachen mondänen Ab­wandlungen fultiviert, ohne die menschlichen und erotischen Be ziehungen grundlegend zu verändern. Diese Beziehungen wurden vielmehr geformt von den viel tiefer gelagerten ökonomischen Tatbeständen des fapitalistischen Lebens überhaupt. Die Technisierung des Lebensprozesses ist nur Symptom der klassengespaltenen Warengesellschaft. Marg sagt, Gefühl und Bewußtsein der Menschen werden verdinglicht". Ver­dinglichung bedeutet, daß an die Stelle der Beziehungen zwischen Personen solche zwischen Sachen treten. Die Dinge drängen sich vor die Menschen. Für unseren Zusammenhang: Der Einbruch der Technik in das erotische Leben bedeutet die Fixierung der Erotik an dinghafte Elemente, die am Wesen des Menschen vorbeigehen. Durch die Entdeckung des Körpers glaubten wir, den Kern des Liebeserlebnisses anzupacken. Aber das Körperliche erwies sich als ein von der Gesamtgestalt des Menschen losgelöstes Schemen. So entgleitet uns der Mensch gerade da, wo wir ihn zentral zu befizen glaubten. So entgleitet uns die Führung über die Natur, wo wir gerade die Werkzeuge zu ihrer Beherrschung erfinden. So wirft uns der Kapitalismus von den höchsten Höhen der menschlichen Vervollkommnung in die tiefsten Tiefen der Ver­elendung und Berzweiflung zurück.

Das ist es: Richt wir besigen die Technik, sondern die Technit befigt uns. Hier wie überall sind wir ihre Gefangenen.

Moderne Liebesbefähigung.

Keine Traditionen und Inhalte sind so konservativ beschaffen wie die erotischen. In feinem Abschnitt unseres Lebens haben sich mittelalterliche und gefühlsreaktionäre Stimmungen so haltbar er­wiesen. Aber das technische, fetischistische Bewußtsein sprengt die beharrlichen Gefühlsflumpen auseinander.

Nach psychiatrischen Berechnungen leiden 80 Proz. aller Männer an meist schweren Potenzstörungen. Die Menschen finden also nicht Draußen scheint die Sonne. Sie malt zitternde Kringel auf einmal ihre förperliche Befriedigung. Psychische Erkrankungen, ben Ballon. Mich friert. Es ist das Frostgefühl der Aussichts- i psychische Katastrophen und bis zum Berbrechen gesteigerte Berver­

Sind diese Menschen liebesfähig? Können diese Menschen letzte und ehrlichste Ausdrucksformen eines menschlichen Verhältnisses ver­wirklichen? Che( im Sinne nicht staatlicher, sondern erotisch­Verbrauchs- und Erziehungsgemeinschaft sein. Dies gibt es, wie menschlicher Gemeinschaft) fann auch eine Bedarfsdeckungs- und

alle wissen, nicht mehr. Oder ist Liebe nur ein summarischer Begriff für Einzelzustände sexueller Erregung und erotischen Wohlgefallens? schlanke Linie des Fräulein lieben"? Ich glaube: Nein. In Kann man die durchtrainierten Beine des Fräulein X oder die dem Begriff Liebe steckt für uns ein qualitativer Wert. Mit der Vorstellung eines Menschen, den wir lieben, ist das Moment der Einheit untrennbar verbunden. Man fann nur den ganzen Menschen lieben. Wir streben als einzelne zu dieser

Einheit, aber wir können sie in der gespaltenen Gesellschaft als

einzelne nicht erfüllen.

Der Kapitalismus ist das System der Entwertung. Er reißt die Frau aus dem häuslichen Milieu, an das sie Jahrhunderte ge­fettet war, und stellt sie in den gesellschaftlichen Arbeitsprozeß. Dadurch sinkt der erotische Wert der Frau, weil sich diese Emanzipation" im Rahmen der bürgerlichen Wertstala vollzieht. In den Augen des Mannes ist die Frau entzaubert, ihres auf den Geheimnissen der Erotik beruhenden Heiligenscheines entkleidet. Die Arbeitskraft der Frau wird zur niedrig bezahlten Ware. Bald kämpft sie um den Arbeitsplatz wie der Mann. Die erotische Des organisation trifft mit der Arbeitskonturrenz zusammen. Die Frau ist nicht so anpassungsfähig wie der Mann. Ihre soziale Tradition bewahrt sie davor, dem Leerlauf der Maschinerie allzu schnell zu verfallen. Sie begreift die mechanische Logik der Borgänge nicht. Deshalb verkörpert die Frau in unserer Gesellschaft die menschliche Einheit stärker als der Mann. Sie sucht ihre Orientierung allerdings rückwärts, in den Geruhsamkeiten der Ver­gangenheit. In diesen Illusionen liegt eine große Gefahr.

Die Frau ist heute liebesfähiger als der Mann. Aber sie ist

auch in ihrer sozialen und erotischen Existenz weit gefährdeter. Grenzen der Technit.

Man stelle sich eine Gesellschaft vor, in der Männlein und Weiblein bis ins letzte durchtrainiert sind; in der alle Leute gleich mäßig leidenschaftliche Begeisterung für 6- Tage- Rennen und Zeppelinfahrten zeigen: alle benutzen dieselben Verhütungsmittel usm. Mit einem Wort: Ein amerikanisiertes Paradies.( Für mich aller­dings eher ein Angsttraum.)

Was wird die Folge sein? Werden alle Leute sich wahllos untereinander lieben, alle in den gleichen Formen, alle in der gleichen Typologie? Gewiß nicht. Die Liebesauswahl ge­schieht immer noch nach ganz unkontrollierten Gesezen, die der Mode und der Uniformierung widerstreben. Da findet die Technik ihre Grenze.

Die bedeutsamste Schranke findet die Technisierung der Erotik allerdings in der realen Klassenspaltung. Nicht nur, daß die sozialen Interessen die Menschen gegeneinander abgrenzen, denn es tritt für bestimmte Schichten ein Ausgleich ein. Aber das Klassenintereſſe selbst erzeugt aus sich heraus eigene erotische Formen. Die Formen ces Bürgertums sind in der Tendenz reaktionär, diejenigen des Broletariats fortschrittlich. Zwischen diesen Bolen befinden sich die Mittelschichten im technisierten Chaos.

Der neutralisierende Charakter der Technik findet seine end­gültige Grenze in der gestaltenden Macht der sozialistischen Idee, der zialistischen Durchsicht, weil durch sie auch das technische Chaos gebändigt wird.

Sozialistische Durchsicht heißt Erkenntnis, aus der unmittelbar Tun entspringt. Das kulturrevolutionäre, umwälzende Gesicht des Sozialismus gilt es so deutlich auszuprägen, daß unsere große Be­wegung zur Freiheitsbewegung des ganzen Menschen und der ganzen ausgebeuteten Menschheit wird.

Es ist hier nicht gesprochen worden von dem sozialen Elend, das unsere Zusammenhänge überblendet und sie in einen viel ein­facheren, elementaren Zwangsrahmen preßt; es ist nicht gesprochen worden von den isolierten Gesetzen des Daseins der Erwerbslosen; es ist nicht gesprochen worden von der sozialen Bedingtheit des Be­völkerungswachstums und nicht von den Verflechtungen zwischen. Erotik und Sozialpolitik. Es ist vor ,, uns" gesprochen worden, von uns allen, die wir uns den großen und kleinen Ereignissen unserer 3eit nicht entziehen können und wollen. Jeder Versuch, die neuen Formen abseits und außerhalb des gesellschaftlichen Lebens zu suchen, führt zu Utopie und Reaktion.

Leo Friedmann,