Einzelbild herunterladen
 
BERLIN  Sonnavend S.September 1931
10 Pf. JIr. 416 B 205 4«. Lahrgang
Erscheint täglich außer Sonntag«. Zugleich Abendausgabe de«.Vorwärts'. Bezugspreis beide Ausgaben 8b Pf. proWoche, 3,6033?. pro Monat. Kedaktion und Erpedition: Berlin   SW68, Lindenßr. 3 Fernsprecher: SJnbeff CA 7)292 297
Anzetgenpret«: Die einspaltige NonparetUezeile So Pf.. Reklamezeile S M. Ermäßigungen nach Tarif. Postscheckkonto: Vorwärts-Verlag G. m. b.H.. Berlin   Nr. 27 SZK. Der Verlag behält sich da« Recht der Ablehnung nicht genehmer Anzeigen«ort
Das Ltrteil vom Haag Die Zollunion mit 8 gegen 7 Stimmen alsvertragswidrig" erklärt
Genf  , 5, September. Das Generalsekretariat des Bölkerbundes hat das Gutachten des Haager Gerichtshofes über den öfter- reichisch-deutschen   Zollunionsplan bekanntgegeben. Das Urteil hat folgenden Wortlaut: Der Haager Gerichtshof beschließt mit acht gegen sieben Stimmen: Ein Zollregime zwischen Deutschland  und Oesterreich auf der Grundlage und in den Grenzen der Prinzipien des Protokolls vom IS. März 1S31 ist nicht vereinbar mit dem Protokoll Nr. 1 gezeichnet in Genf   am 4. Oktober 1S2S. Dieses Gutachten ist gleich- zeitig in englischer und französischer Sprache abgefaßt. Der französische   Text gilt als authentisch. gez. Adatschi, Generalsekretär Hammerskjöld. Das Gutachten besteht»up drei Teilen: 1. dem Rechtsgutachten, datiert vom S. September 1931, 2. dem abweichenden Gutachten der Minderheit von sieben Richtern und 3. einem Sonder- gutachten des früheren Präsidenten Anzilotti(Italien  ). Die Minderheit von sieben Richtern: der Präsident Adatschi und die Mitglieder des Gerichtshofes Kellogg  . Professor Schücking, Baron Rolin Zaequemin-Belgien  . Sir ttccil hurst-England, von Eysinga-Holland. wang-Ehina erklären sich dem Gutachten des Gerichtshofes nicht anschließen zu können und habe daher ein gemeinsames abweichendes Minderheitsgulachten abgegeben: es kommt zu der Feststellung, daß das zwischen Deutschland   und Oesterreich in dem Protokoll vom 19. März 1931 vorgesehene Zoll- regime vereinbar ist, sowohl mit dem Artikel 88 des Vertrages von St. Germain als auch mit dem Genfer Protokoll vom 4. Oktober 1922. Die Richter Fromageot(Frankreich  ), Graf Rostworowfti (Polen  ), Allamira(Spanien  ), Regrosko(Rumänien  ), Guerro (San Salvador  ), Urrulia(Columbien) und Vustamento(Kuba  ) erklären, daß ein Zollregime zwischen Oesterreich   und Deutsch- land, das in dem Protokoll vom 19. März 1931 vor- gesehen sei, einen Akt darstelle, der geeignet sei, die U n a b h ä n- g i g k e i t Oesterreichs   in Frage zu stellen und aus diesem Grunde unvereinbar sei mit dem Genfer   Protokoll und gleichfalls mit dem Vertrag von St. Germain. Der frühere Präsident des Gerichtshofes Anzilotti(Italien  ) erklärt in seinem Sondergutachten, daß er sich grundsätzlich dem Gutachten des Haager Gerichtshofes anschließt, jedoch über die Motive einer anderen Ausfastung sei. -i- Der Spruch des Haager Gerichtshofs vervollständigt die nicht zu verschweigende und nicht zu beschönigende Nieder- läge. In Genf   hat sich gezeigt, daß die Zollunion p o l i- tisch nicht durchsetzbar ist. Im Haag ist festgestellt worden, daß sie auch j u r i st i s ch nicht zulässig war. Nach diesem doppelten Mißerfolg werden auch die Urheber des Zoll- unionsplans nicht leugnen können, daß sie mit verbundenen Augen in ein Abenteuer gerannt sind. In Genf   war seit Tagen bekannt, wie der Haager Spruch ausgefallen war. Es war darum ganz überflüssig. die Regierungen von Berlin   und Wien   durch wirtschaftlich- politischen Druck zur Verzichtserklärung zu zwingen. Für sie wäre es ein ehrenvollerer Ausweg gewesen, wenn man ihnen die Möglichkeit gelassen hätte, zu erklären, sie beugten sich loyal dem Spruch des höchsten Gerichtshofs der Welt und verzichteten deshalb auf ihren Plan. Ein verlorener Prozeß ist leichter zu tragen als eine diplomatische Nieder- läge. So aber, wie die Dinge gelaufen sind, hat man erst die diplomatische Niederlage einstecken müssen und hinterher noch den verlorenen Prozeß! Es kommt heute nicht darauf an, daß uns die juristische These der Sieben besser gefällt als jene der Acht. Ganz gewiß wird der im Haag geführte Prozeß einmal von der Welt- geschichte korrigiert werden. Ganz gewiß wird eine spätere Zeit erkennen, was die Höflichkeit auch der Minderheit im Haag noch verschweigt, nämlich daß Verträge, die gegen die gutenSitten verstoßen, nicht bindend sein können. Leider aber ist ebenso gewiß, daß der Weg zu dieser Korrektur und zu dieser Erkenntnis, die für Oesterreich die Befreiung aus der Sklaverei seiner sogenanntenSelbständigkeit" bedeuten. p ach dem Zollunion-Abenteuer viel weiter ist als er es zu»
Die neue Wetterkatastrophe Niederschlagmenge in Berlin   4% cm Feuerwehr 200 mal alarmiert
Die allgemeine W e l l e r l a g e hat sich in den letzten 24 Stunden wesentlich verschlechtert. Das gestrige Rächt- gewitter, da» die bisher stärksten Riederschlagsmengen in diesem Jahre mit sich brachte, bildet gewissermaßen den Ilebergang zu küh- lerem und zunächst unbeständigem Ivetter. Die Ursache des nächtlichen Unwetters ist in dem Zusommenprall warmer und sehr kühler Luftmassen zu suchen. Aus Westen kam ein Kaltluftkörper heran, der über Oesterreich und Mähren   mit einem Warmluftstrom, der sich vom südlichen Balkan   und der Adria   nach Norden bewegte, zusammenstieß. Dabei entwickelte sich eine vechältnismäßig kleine, jedoch sehr kräftige De- pression, die an der Grenze der Kaltluftzone nordwärt» über unser Gebiet hinwegzog. Am besten kann man sich ein Bild von der Stärke des stundenlang mit unerhörter Heftigkeit anhaltenden Regens machen, wenn man erfährt, daß die Riederschlagsmengen in Berlin   in wenigen Stunden<4 Milli- meter betragen haben. Das Mittel für den ganzen Monat September beträgt 43 Millimeter. Das Unwetter- gebiet hat heute die Pommersche Bucht erreicht. Bei starten Regenfällen wird aus dem Küstengebiet Windstärke8" und9" gemeldet. Für die nächste Zeit steht im allgemeinen keine durchgehende Beruhigung in Aussicht. Für den Sonntag lautet die Prognose: Kühl, veränderlich, vereinzelte Regenschauer und frische Wind«. lleber 200 Feuerwehralarme in der Nacht. Der W o l k e n b r u ch hat in vielen Stadtvierteln, wie bereits heute früh berichtet, schweren Schaden angerichtet. In der Zeit von 22 Uhr bis 3 Uhr nachts wurde die Feuerwehr über 200mal alarmiert, um bei Ueberschwemmungen Hilf« zu leisten. Besonders am Kurfür st endamm, in der Porck- straße und zahlreichen anderen tiesgelegenen Straßenzügen und
Bahnunterführungen hatten sich in kurzer Zeit tiefe Stauseen gebildet, die den gesamten Verkehr behinderten. Wie immer bei starken Regenfällen haben auch diesmal wieder einige Siedlungs- und Laubenkolonien unler der Gewalt der herein- brechenden Wassermassen sehr gelitten. Die Feuerwehr ist auch heute vormittag noch an verschiedenen Stellen mit Motorspritzen tätig, um an den gefährdetsten Stellen die Wasiermengen abzusaugen. In einigen Fällen sind in Lager- und Wohnkellern durch Ueberschwemmungen erhebliche Verwüstungen und schwere Sachschäden angerichtet worden. England im Zentrum des Ltnwetters. Schwere Schäden an Häusern, Werken und Fabriken. London  . S. September. In vielen Gegenden Miltzelenglands haben in den letzten Tagen die Bewohner ihre Häuser räumen müssen, weil sie von dem ununterbrochenen Regen unterwaschen sind und zusammen- zuMrzen drohen. In Leeds   und S h e f i e l d sind am Freitag mehrere Fabriken geschlossen worden, da man einen Einsturz der Baulichkeiten befürchtet. Meldungen über sortge- schwemmte Bahndämme, unterbrochenen Zugverkehr, abgeschnittene Dörfer usw. lausen stündlich aus allen Teilen Englands ein. In der Rühe«m Shefield ertranken ISO Schweine aus einer Weide. In L e e d» fleht das Geschäftsviertel an manchen Stellen mehrere Fuß hoch unter Wasier. so daß der gesamte Straßenverkehr eingestellt werden mußte. In Rotherham   steht das Elektrizität»- werk unter Wasser. Durch die Unterbrechung des Stromes ist der gesamte Jndustrieverkehr der Gegend lahmgelegt. In Maus- sield brach ein Wasserreservoir und überschwemmte das benachbarte Land. Zehntausende Hektar Lande», aus denen die Ernte völlig ver- nichtet ist. bieten in allen Teilen des Landes einen trostlosen Anblick.
vor war. Daß die Urheber dieses Abenteuers die gerechte und vernünftige Sache des Anschlusies durch ihre Ungeschick- lichkeit geschädigt haben, das ist der schwere Vorwurf, den wir heute gegen sie erheben müssen. Die LlrieilSgründe. Die Urteilsbegründung führt aus: Oesterreich   ist«in e m p s i-n d l i ch e r Punkt in der«uro- päischen Ordnung und seine Existenz ist ein wesentliches Element der politischen Regelung in Europa  , die dem Kriege folgte. Ar- tikel 88 des Vertrages verpflichten Oesterreich  , ohne ihm ein abso- lutes Veto mit Bezug auf die Preisgabe seiner Unabhängigkeit oder auf Handlungen, die geeignet zu ihrer Beschränkung wären, aufzuerlegen, in gewissen Fällen die Zustimmung des Völkerbunds- rats zu erlangen. Andererseits sieht das Wiener   Protokoll keine Klausel vor. Unler Veräußerung der Unabhängigkeit ist jede freiwillige Handlung des österreichischen Staates zu verstehen, die ihn seine Unabhängigkeit einbüßen läßt oder seinen souveränen Willen demjenigen eine» anderen Staate» unterordnet. Schließlich muß der Zweck der Verpflichtung Oesterreichs   sich jeder Handlung, die dazu angetan ist, seine Unabhängigkeit zu gefährden, zu entholten, so ausgesaßt werden, daß jede Handlung aus- geschlossen sein soll, von der man noch vernünftigem Ermessen annehmen kann, daß sie diese Unabhängigkeit in Gefahr bringt. Dos enthält für Oesterreich die Verpflichtung, seine wirtschaftliche Unabhängigkeit nicht dadurch zu beeinträchtigen, daß es einem anderen Staat eine Sonderbehandlung oder ausschließende Vorteile gewährt, die seine Unabhänigkeit zu bedrohen geeignet sind. Das Gutachten sagt weiter: Daß die Errichtung der Zollunion mit Deutschland   an sich nicht einen Akt der Veräußerung der Un- abhängigkeit Oesterreichs   darstellt, kann kaum bestritten werden, denn Oesterreich   hört dadurch nicht auf, innerhalb seiner Grenzen ein besonderer Staat mit eigener Regierung und eigener Verwaltung
zu sein, und wenn nicht mit Rücksicht auf die Gegenseitigkeit, die der geplant« Vertrag rechtlich oder tatsächlich vorsieht, so kann man doch wenigstens mit Rücksicht auf die Sündigungsmöglich- keit sagen, daß Oesterreich juristisch die eventuelle Ausübung feiner Unabhängigkeit behält. Man kann sogar behaupten, daß die Unabhängigkeit Oesterreich  » im Sinne de» Artikels SS nicht eigentlich gefährdet ist und daß infolgedessen vom juristischen Standpunkt kein Widerspruch zu diesem Artikel besteht. Dagegen ist es schwer, zu leugnen, daß die geplante Zollunion eine Sonderbehandlung' darstellt und daß sie für Deutschland  gegenüber Oesterreich  Vorteile' vorsieht, von denen dritte Mächte ausgeschlossen sind. Die gemeinsame Auffassung der Minderheit erklärt, daß sie in dem Gutachten keine Gründe gefunden habe dafür, wie diese Zollunion die Unabhängigkeit Oesterreichs   gefährden könnte, wenn das Gutachten selbst sagt, daß das von dem Wiener   Protokoll vorgesehene Regime keine Veräußerung der Unabhängigkeit Oesterreichs   darstellen würde. Nach Ansicht der Minderheit hat sich der Gerichtshof nicht mit Erwägungen oder Folgerungen politischer Natur zu befassen, da von ihm ein Gutachten über eine juristische Frage eine Auslegung von Texten verlangt worden ist. Die Minderheit stellt fest, daß Artikel 88 von St. Gerinain dazu bestimmt war, die dauernde Existenz Oesterreichs   als eines besonderen Staates zu sichern. Sie erinnert daran, daß die Unabhängigkeit eines Staates nicht berührt wird, wenn er in Beschränkungen seiner Handlungs- sreiheit«inwilligt, denen er zustimmen kann, wenn er dadurch nicht auf seine organisch« Macht verzichtet. Im Genfer   Protokoll hat Oesterreich   im Hinblick auf eine besondere Situation die Verpflichtungen erneuert, die es schon im Artikel 88 eingegangen war, wobei die Formulic- rung zur Anpassung an diese Lage leicht abgeändert war. Die Klausel des Protokolls, die für Oesterreich   das Verbot festlegt, irgendeinem Staate ein Sonderregime oder Sondervorteile zvzu- gestehen, die sein« Unabhängigkeit bedrohen könnten, bedeutet in keiner Weise ein« Ausweitung der im Artikel SS enthaltenen