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BERLIN  Sonnabend 12.September

1931

Der Abend

Erfcheint täglich außer Sonntags. Bugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition: Berlin   SW68, Lindenstr. 3 Fernsprecher: Donboff( A 7) 292-297

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Spalausgabe des Vorwärts

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Nr. 428

B 214 43. Jahrgang

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Verschenkte Steuermillionen

Bürokratischer Schutz für Steuerdrückeberger

Die Reichsregierung hatte sich im Juli während der schwersten Geld- und Kreditkrije gezwungen gesehen, gegen die Steuer­drüdeberger mit besonderen Zwangsmaßnahmen vorzugehen. Es war in weiten Kreifen des Unternehmertums üblich geworden, die fälligen Steuerzahlungen zurückzuhalten und lieber die niedrigen Stundungszinsen oder Verzugszuschläge in Kauf zu nehmen. Auf diese Weise sicherte man sich die Verfügung über Gelder, die bei den Banken nur mit viel höheren Zinskosten zu haben gewesen waren.

Die Privaten machten also mit billigem Geld, das dem Reich zustand, Bombengeschäfte. Daran fonnten sie auch

Neuer Raubüberfall.

Raffierer in der Alten Jakobstraße niedergeschlagen. Ein Täter gefaßt.

In der Alten Jakobstraße wurde in den heutigen Mittagsstunden ein neuer Raubüberfall auf einen Angestellten, der in einer Bankfiliale Geld abgeholt hatte, verübt. Der Angestellte Walter Tätsch von der Firma Junker wurde in dem Augenblick, als er aus einem Hause auf die Straße trat, von zwei Männern. überfallen, die ihn mit Schlagringen und Knüppeln niederzuschlagen versuchten.

Es gelang einem der Burschen, dem Ueberfallenen die Aktentasche, in der sich 300 Mark befanden, zu ent­reißen. Mehr Geld befand sich in der Tasche nicht, weil Tätsch die übrigen Geldpakete in seiner Brusttasche ver. wahrt hatte. Dem Ueberfallenen, der auch nicht einen Augenblick die Geistesgegenwart verlor, gelang es, einen der Räuber festzuhalten. Dieser wurde von Beamten der Schukpolizei als der 29jährige Franz Mankowski festgestellt.

nicht von den mit der Steuereintreibung betrauten Finanzämtern gehindert werden, die an die sehr humanen und entgegentom menden Anweisungen des Reichsfinanzministe riums gebunden waren. Wurde in besonders standalösen Fällen doch einmal durchgegriffen, so fonnte fast mit Sicherheit darauf gerechnet werden, daß nachträglich von der dem Unternehmertum fehr wohlwolleno gesinnten hohen Ministerialbürokratie des Reichs­finanzministeriums aus Billigkeitsgründen"

weitgehende Stundungen und Niederschlagungen ausgesprochen wurden. In der gesamten Fachpresse der Beamten schaft ist oft über diese merkwürdige Haltung des Finanzministe­riums, die die Arbeit der unteren Behörden außerordentlich er­schwert und wieder zunichte macht, bittere Klage geführt worden. Mit diesem unerträglichen, die gesamten öffentlichen Finanzen schwer schädigenden Zustand sollte die Notverordnung vom 20. Juli aufräumen, die eine starke 3inserhöhung für die Steuerrückstände brachte. Aber bereits in dem Erlaß des Reichs­finanzministers, der zur Durchführung der Notverordnung an die Präsidenten der Landesfinanzämter ging, wurde ausgesprochen, daß die in früheren Erlassen gegebenen( sehr weitherzigen) Richt­linien für die Gewährung von Steuerstundungen selbstver ständlich aufrechterhalten bleiben. Offenbar hatte also die Leitung der Steuerabteilung im Reichsfinanzministerium seine unternehmerfreundliche Haltung in vollem Umfange wieder durch­gefeßt. Die Stelle, die die Hauptverantwortung dafür trägt, daß zugunsten der großkapitalistischen Interessenten dem

Reiche

viele hundert Millionen Steuereinnahmen im Laufe der Jahre verlorengegangen

Weltfrise und Abrüstung

Curtius stellt dem Völkerbund die Schicksalsfrage

Genf  , 12. September.  ( Eigenbericht.)

In der Völlerbundsversammlung unterstüßte heute mittag zuerst Pasconcoellos Portugal die Anträge auf Neuregelung der Ratswahl und Vermeidung von verheßenden Berichten.

=

Hymans Belgien betonte die Verpflichtung der Regierungen, im eigenen Lande die Widerstände gegen die Zusammenarbeit mit dem Bölkerbund zu überwinden. Er sprach die Hoffnung aus, daß die Bersammlung den Francui- Plan der Industrie kreditbank zur

Curtius­

DR. CURTIUS

DR. BRUNING

- hängt etwas in der Luft.

Durchführung empfehlen werde und fuhr fort: Belgien   hat seine Rüftungen auf ein Mindestmaß herabgesetzt. Ich arbeite immer an der Abrüftung. Die fleinen Staaten spielen eine kleine Rolle dabei, die Problemlösung hängt von der Politik der großen Staaten ab. Ich appelliere daher an die großen Staaten zur Berständigung. Reichsaußenminister Dr. Curtius

mit starkem Beifall empfangen, führte u. a. aus:

Völkerbundes selbst von entscheidender Bedeutung. Nicht Das Schicksal der Abrüftungskonferenz ist für das Schicksal des weniger start wird die Stellung der Völker zum Völkerbund davon beeinflußt werden, in welchem Maße er an der Ueberwindung der Krise mitzuhelfen vermag. Die Gefahren der Wirtschaftslage haben fich aufs äußerste zugespigt. Magazinifierung von Rohstoffen und Lebensmitteln auf der einen Seite, Mangel und Hunger auf der anderen, Zusammenballung von Kapital und Anhäufung von Gold in menigen Ländern, in anderen Entblößung von Kapital und un­erträglicher Zinsdrud, und als furchtbarste Erscheinung der 3er rüttung der internationalen Wirtschaft die Arbeitslosigkeit in den Industrieländern, die sich im kommenden Winter in einer noch nicht absehbaren Weise steigern wird. Ein Heer von Verzweifel ten, die radikalen und revolutionären Einflüssen nur zu leicht zu gänglich find! Niemand darf sich darüber täuschen, daß die Erde bebt, auf der der Bau unseres heutigen Wirtschafts- und Wäh gerungssystems sowie unserer Kultur errichtet ist.

find, ist also nicht etwa zur Ordnung gerufen worden. Ebensowenig hat man daran gedacht, eine Bersonalveränderung vorzunehmen, wie es von den Kennern der Verhältnisse schon lange perlangt wird. Im Gegenteil, der alte verhängnisvolle Einfluß feßt sich nach wie vor durch, so daß auch jetzt noch gerade den leistungsfähigften Steuerzahlern Riesenbeträge gestundet oder völlig niedergeschlagen werden. In einem neuen Erlaß des Reichsfinanzministers, ( Fortsetzung auf der 2. Seite.)

Es erhebt sich die ernste Frage, ob unsere diesjährigen Ergeb­

nisse den dringlichen Forderungen der Gegenwart auch nur einiger­maßen gerecht werden. Soviel ist sehe, hat keiner meiner Vorredner das zu bejahen gewagt, und ich glaube deshalb, wir sind uns einig darüber, daß alles Wichtige noch zu tun bleibt. Nach Ausführungen über den

wirtschaftlichen Zusammenschluß Europas  ( im Einverständnis mit den außereuropäischen Ländern) und über die Borzugs­zölle für Getreide, welche bei den unaufschiebbaren Arbeiten Prüffteine für den Wert der Zusammenarbeit im Bölkerbund sein würder, sagt der Reichsaußenminister:

Die Krise der Landwirtschaft ist noch ernster als die der Industrie. Die Landwirtschaft kann sich weniger als diese durch Organisierung und Kartellierung ihrer Produktion helfen. Bloße Einschränkung in einzelnen Ländern oder sonstige Hilfsmaßnahmen, mie Aufspeicherung von Ernten, bringen feine Entlastung, sie sind erfolglos geblieben. Nur internationale Roope ration iſt imstande, wirkliche Hilfe zu leisten.

Nun kommt Dr. Curtius auf die Finanzkrise: Das Ein­fließen von Kapital aus den fapitalreichen in die kapitalarmen Länder, das zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft und Kauftkraft der letzteren erforderlich ist, hat nicht nur ganz aufgehört, im Gegenteil:

die kapitalreichen Länder haben den kapitalarmen Ländern in einem niemals vorherzusehenden Umfang die kurzfristigen Mittel, die sie dort angelegt hatten, wieder entzogen.

Die Geldgeber haben bei der Gewährung dieser Kredite, die ihnen jahrelang hohe Zinsen brachten, damit rechnen müssen, daß sie in der Wirtschaft der kapitalarmen Länder häufig nicht unmittelbar liquide angelegt werden würden. Die Empfänger der Kredite durften daher begreiflicherweise eine Art stillschweigendes Einverständnis darüber annehmen, daß ihnen diese Kredite nicht plößlich und nicht gerade in einer Zeit gekündigt werden würden, wo sie ihrer a m meisten bedurften. Schwere Zusammenbrüche von Banken und ein hierdurch notwendig gewordener Eingriff der Regierung in die private Bankwirtschaft sind die bedauerliche aber unvermeidliche Folge gewesen.

Die gewaltigen politischen Zahlungen von Land zu Land er­folgten ohne wirtschaftliche Gegenleistung. Sie entzogen dem an fich schon fapitalarmen Schuldnerland andauernd große Kapital­mengen und zwangen diese Länder im Interesse des Schutzes ihrer Währung zu deflationistischen Maßnahmen, die sich in hohen Zinssätzen, schwindender Kaufkraft, daher fallender Ein­fuhr und Steigerung der Ausfuhr äußerten. Ein Fortdauern dieser Entwicklung, das heißt, die Ermöglichung der Zahlung politischer Schulden durch Drosselung der Einfuhr und forcierte Steigerung der Ausfuhr der Schuldnerländer muß nicht nur für diese Länder, sondern für die gesamte Welt­wirtschaft die verderblichsten Folgen haben.

Das Hoover- Feierjahr, so groß seine Bedeutung auch ist, schafft nur eine vorübergehende Atempause. Internationale Zusammenarbeit auf diesem Gebiete tann selbstverständlich nur dann Erfolg haben, wenn jedes Land für sich alle ihm gegebenen Möglich­keiten für die leberwindung der Krise erschöpft. Ich kann für die und dabei auch nicht vor den ernste sten Maßnahmen und Ein­deutsche Regierung in Anspruch nehmen, daß sie das getan hat griffen zurückgescheut ist. Das berechtigt mich, nicht nur im Interesse meines Landes, sondern im gleichen Maße auch im allgemeinen Intereffe

die Forderung zu stellen, daß das, was auf diesem Gebiete nur durch internationale Zusammenarbeit bewirkt werden kann, jetzt entschloffen in Angriff genommen wird. Der Völkerbund kann nicht die Regelung des Problems der inter­nationalen Verschuldung in die Hand nehmen. Dieses Problem muß wie bisher auch fünftig den unmittelbar beteiligten Re­gierungen überlassen bleiben. Alle internationalen Bemühungen hängen von der Wiederherstellung des gegenseitigen Bertrauens in den internationalen Beziehungen ab. Das Ber­trauen zwischen den Völkern kann nur dann eine sichere Grundlage finden und bewahren, wenn es auf der verständnisvollen Aner­temmung der beiderfeit igen Interessen und Auffaffungen be­