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BERLIN  

Mittwoch 23.September

= Der Abend

1931

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Nr. 446

B 223 48. Jahrgang

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Harte Strafen gegen Krawallisten

Urteil gegen den Hakenkreuz- Radau am Kurfürstendamm

Um 4 Uhr morgens verkündete der Vorsitzende Land­gerichtsdirektor Schmit im Prozeß gegen die Kur= fürstendamm pogromiften nach vierstündiger Be­ratung folgendes

Urteil:

Das Verfahren gegen den Angeklagten Brandt( der Stahlhelmführer) wird abgetrennt und dem ordentlichen Gericht zugeleitet, denn die Sache bedarf einer weiteren klärung; fein Auto bleibt beschlagnahm f.

Die Angeklagten Fischer, Rehfeld, Cornelfen, Johl, Meyer- Mühlhausen und Hedendorf   werden mangels

Beweises freigesprochen.

Die Angeklagten Schuster, Friske, Couvreur und Mahdorf werden wegen einfachen Landfriedensbruches in Tateinheit mit An­

reizung zum Klaffenhaß zu je neun Nonaten Gefängnis

verurteilt.

Die Angeklagten Bonin, Schuls  , Pavlig, Chavier, Dziemian, Michalaf, Mildebrath, Hede, Angerstein und Scheffler wegen der gleichen Delikte ju je einem Jahr Gefängnis; Merter, Bark, Son, Sethke, Riedel, Kuhn, Ponte, Koch und Gewehr ( lekterer war wegen Rädelsführerschaft angeklagt) wegen der gleichen Delifte zu einem Jahr drei Monaten Ge­fängnis; der Angeklagte Meede wegen schweren Land­friedensbruches in Tateinheit mit Anreizung zum Klaisenhaß und Gewalttätigkeit zu einem Jahr neun Monaten Gefäng nis. Der Angeklagte Kühns( der Chauffeur des Grafen Helldorf) wegen Beihilfe zu schwerem Landfriedensbruch zu einem Jahr sechs Monaten Gefängnis; der Angeklagte Utpoft wegen einfachen Landfriedensbruches und Beamtenbeleidigung zu einem Jahr einem Monat Gefängnis, und der Angeklagte Schubert wegen Berstoßes gegen die Notverordnung über den unbefugten Wassenbesih zu einem Jahr fünf Monaten Gefängnis. Sämtliche Verurteilten bleiben wegen Fluchtverdachts in Untersuchungshaft. Ueber Zubilligung von Be­währungsfrist fann zur Zeit nicht entschieden werden.

In der über eine Stunde währenden

Urteilsbegründung

führte Landgerichtsdirektor Schmitz aus: Am 12. September, dem Neujahr der Juden, fanden auf dem Kurfürstendamm   Ansammlungen und Zusammenstöße statt. Der Staatsanwalt hat dies als Land­friedensbruch angesprochen.

Der Vorsitzende stellte darauf die Tatsachen fest, aus denen hervorgeht, daß auf dem Kurfürstendamm   rechtbrecherische Handlungen vorgenommen worden sind, und daß die An­geflagten an ihnen teilgenommen haben. Die

Ausschreitungen waren organisiert und planmäßig durchgeführt. Der Befehl mag nicht in flarer Form ausgegeben worden sein. In dieser Beziehung mußte man selbstverständlich vorsichtig sein. Daß aber in den Stürmen von den beabsichtigten Ausschreitungen ge­sprochen worden war, ergibt sich selbst aus den Aussagen der Angeklagten. Das Zusammenströmen der SA.- Leute aus den ver­schiedensten Stadtteilen auf den Kurfürstendamm  , die Art des An­marsches in ganz fleinen Gruppen, die Art der späteren Zusammen­ballung in Trupps, das Infühlungbleiben der einzelnen Trupps untereinander, das Herfallen über die jüdischen oder jüdisch aus= sehenden Mitbürger, schließlich die von einigen Leuten durchgeführte Leitung der Veranstaltung, das alles spricht für deren Plan­mäßigteit. Die Frage, ob die Ausschreitungen von Juden selbst provoziert worden seien, wie dies vom Zeugen Dr. Mutz auf Grund gewiffer Beobachtungen behauptet wurde, ist

zu verneinen. Ebenso erscheint hinfällig die vom Grafen Hell­dorf aufgestellte Vermutung, auf dem Kurfürstendamm   hätten Spizel ihre Hände im Spiel gehabt. Das Gericht ist zu dem Schluß gekommen, daß es sich auf dem Kurfürstendamm  

um organisierte Tumulte aus Anlaß der jüdischen Feierlage gehandelt hat. Es liegt Landfriedensbruch vor.

Das Gericht möchte im Hinblick auf das gegen Helldorf und Ernst eingeleitete Hauptverfahren in der Feststellung der Er­gebnisse dieser Beweisaufnahme in bezug auf jene beiden vorsichtig fein. Es liegt durchaus im Bereich der Möglichkeit, daß diese beiden Führer auch förperlich durch Zeichen, Rufe, Winte, Anweisungen die Tumulte organisiert und geleitet haben. Das Gericht ist aber nicht so weit gegangen, dies als erwiesen zu erklären. Fest steht aber, wenn in solch einem Tumult Führer dieses Grades

Bluttat in Lichterfelde

Wächter nachts von Einbrechern niedergeschossen

Eine schwere Bluttat verübten in der vergangenen Nacht| schafft. Kriminalbeamte der Dienststelle B. 1 sind nach der Villa Billeneinbrecher in Lichterfelde  . Sie wurden von einem entfandt worden, um den Tatbestand aufzunehmen und die Nach­Wächter überrascht, gaben sofort Feuer und verletzten den forschungen einzuleiten. Mann schwer am Halfe.

Wir erfahren dazu: Der 59 Jahre alte Wächter Ostar Pirschel, der in Lichterfelde   in der Mühlenstraße 16 wohnt, be­wacht einen Villenblock am Weddigen weg. Auf seinem Rundgange gegen 11½ Uhr sah er Licht in der Küche der Villa, die einem Direktor Bahr gehört. Es war ihm bekannt, daß der

Direktor mit seiner Ehefrau ausgegangen war und daß nur die in der Küche erregte seinen Berdacht. Durch den Garten ging Kinder und die Angestellte im Obergeschoß schliefen. Der Lichtschein Birschel bis zur Treppe, die zur Küche führt. In dem Raum jah Birschel bis zur Treppe, die zur Küche führt. In dem Raum sah er einen jüngeren Mann stehen, den er anrief. Der Fremde er flärte, er sei Gast im Hause und wolle sich Wasser holen. Das erfchien dem Wächter unglaubwürdig und er schickte sich an, in das Haus hineinzugehen.

Plöhlich feuerte der Mann aus der Küche drei Schüsse auf den Wächter ab. Während zwei Kugeln dicht an seinem Kopfe

vorbeipfiffen, traf die driffe ihn in den Hals. Birschel stürzte zu Boden. Er sah noch drei jüngere Männer aus dem Hause herauslaufen, über den Zaun klettern und im Dunkel verschwinden. Die Schüsse hatten die Nachbarn munter gemacht, die sofort das Ueberfallkommando herbeiriefen. Alles Absuchen nach den Einbrechern war aber vergeblich, sie hatten einen zu großen Vorsprung. Die Beamten des Ueberfallkommandos brachten Birschel nach dem Rittberg- Krankenhaus. Seine Verlegung ist Bernehmung konnte mit dem Manne noch nicht durchgeführt werden. schwer, doch hoffen die Aerzte, ihn durchbringen zu können. Eine In der Küche der Villa wurden noch die ausgeworfenen Patronen­hülsen gefunden, fie gehören zu einer Selbstlade pistole Kaliber 6,35. In den Wohnräumen scheinen die Täter gerade erst mit Suchen nach Beute angefangen zu haben. Einiges ist schon durchwühlt, ob sie aber etwas mitgenommen haben, steht noch nicht feft. Eingang hatten sich die Diebe durch das Küchenfenster ver­

erscheinen und demonstrative Pendelfahrten unter nehmen, die kleinen Teilnehmer der Demonstration starf unterstügt werden und eine um so größere Zusammenballungsbereitschaft auf weisen müssen. Dies konnte auch dem Angeklagten Kühns nicht entgehen. Deshalb müßte er der Beihilfe zu schwerem Land friedensbruch für schuldig erkannt erklärt werden. Bei den übrigen Angeklagten kam bei der Schuldfrage bloß der Grad ihrer Beteili­gung in Betracht; die Art der Beteiligung bei Landfriedensbruch   ist gleichgültig.

Das Gericht fonnte sich leider nicht, wie dies wohl bei etwaigen Erwerbslojendemonftrationen möglich gewesen wäre, auf die ge­

fetzlich zulässige Mindeststrafe beschränken.

Ich sage ,, leider", weil das Gericht sich bewußt ist, mit verhetten, verblendeten, von Froschperspektive geleiteten jungen Menschen zu tun zu haben. Das Gericht muß aber auch an die Opfer denken, auch daran, daß hier nicht nur Körperverlegungen gegen Einzelne stattgefunden haben, sondern daß auch der öffent liche Friede zerstört wurde. Die Staatsanwaltschaft hat recht: Deutschland   ist angesichts seiner schlimmen politischen Lage und der großen Not ganz besonders darauf angewiesen, Disziplin zu halten. Die Tumulte auf dem Kurfürstendamm   waren geeignet, das Ansehen Deutschlands   aufs äußerste zu schädigen. Als Berliner  Richtern möchte ich sagen, daß, einerlei um welche Parteien es dabei geht: wenn die Saison dieses Winters mit derart schweren Exzessen eröffnet wird, muß auch das Gericht angesichts solcher Exzesse die Saison eröffnen, mit

Eine Familie ermordet.

Rätselhafte Vorgänge bei dem Tod dreier Personen. Dortmund  , 23. September. Am Montag zwischen 19 und 22 Uhr sind, wahrscheinlich nach

voraufgegangener heftiger Auseinandersehung, der Ingenieur und Korrespondent Eduard Moser, seine Frau und feine Schwiegermutter, eine verwitwete Frau Opwis, von unbe tannter Hand unter sensationellen Begleitumständen in ihrer Woh­nung in der Lindemannstraße ermordet worden. Die Tat wurde erst am Dienstag spät abends entdeckt. Die Mordkommission und die Zentralmordkommission des Ruhrgebiets waren die ganze Nacht in fieberhafter Tätigkeit, stehen jedoch vorläufig vor einem Räffel. Dic Leichen find bestialisch zugerichtet. Die Wohnung gleicht einem wüften Trümmerhaufen. Von dem oder den Tätern fehlt zur 3eit noch jede Spur. na

Das Ehepaar und die alte Frau sind anscheinend mit einem Hammer und der stumpfen Seite eines Beiles erschla= gen worden. Die Leichen weisen aber auch Messerstiche auf. Auf­fallend ist der Umstand, daß der Mörder seine Opfer mit Pfeffer bestreut hat. Der Mörder muß sich stark mit Blut besudelt haben. Bei dem Ehemann Moser fand man in der Westen­abgerissen, daß der Karabinerhaken noch an der Uhr hängt und auf­tasche noch seine goldene Uhr. Die Kette ist aber mit solcher Gewalt gebogen ist. Was der Täter sonst noch mitgenommen hat, konnte bisher nicht festgestellt werden. Nach Geräuschen, die andere Haus­bewohner hörten, scheint die Tat am Montag gegen 19% Uhr verübt morden zu sein. Ob das Bestreuen der Leichen mit Pfeffer ein Aberglaube des Täters ist oder was er sonst damit bezweckte, ist noch ein Rätsel.

| stellen fonnte. Die Not soll nicht beschönigt werden; die äußerste Not lag aber bei den Angeklagten nicht vor; die Demonstration entsprang zum größten Teil dem Mutwillen.

Der Vorsitzende stellte darauf im einzelnen zur Begründung des Strafmaßes den Grad der Beteiligung fämtlicher An geflagten fest.

Neue Verhandlung Freitag.

Die Verhandlung gegen den Führer der Berliner  SA. Graf Selldorf und seinen Stabsleiter" und Adjutanten Ernst findet am Freitag, 9 Uhr morgens, vor dem Schnellschöffengericht in Charlottenburg   statt.

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Die Gefängnisstrafen zwischen 1% und% Jahren, die das Gericht für die Nazikrawalle am Kurfürstendamm   aus­warf, entsprechen durchaus der Sachlage, zumal wenn man beachtet, daß das Verfahren gegen den Rädelsführer Brandt, gegen den der Staatsanwalt Zuchthaus   beantragt hatte, vom Gericht abgetrennt wurde. Brandt wird sich wahrschein­lich zusammen mit dem Grafen Helldorf und dem ,, Stabs­leiter" Ernst wegen qualifizierten Landfriedensbruches ver­antworten müssen. Der Urteilsbegründung wird man in den wesentlichen Teilen zustimmen können. Wesentlich und aus­schlaggebend ist die Feststellung des Urteils, daß an den Aus­schreitungen weder jüdische Provokateure, noch märchenhafte Spizel schuld find, sondern daß nach einwandfreien Fest= Wir sind darauf angewiesen, Ruhe zu halten, wir können es uns nicht leisten, daß der Rest unserer wirtschaftlichen Güter zerstört stellungen die Krawalle, zu denen nicht weniger als 3 mölf wird. Wenn das Gericht selbst bei geringen Verschulden der An- Nazi stürme zusammengezogen wurden, planmäßig getlagten hohe Strafen für erforderlich gehalten hat, so erklärt sich von nationalsozialistischer Seite organi das wohl aus dieser wie aus dem Umstande, daß die Gerichtsverhand fiert worden sind. lung bei den Berurteilten feine verzweifelte Notlage fest­

Strafen, die fein Kinderspiel fihd.

An dieser Feststellung ist die Lügen und Aus­