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Nr. 459 48. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Neues Krankenhaus in Wilmersdorf  

In der Landhaus­straße in Wilmersdorf  erhebt sich der schmucke Neu­bau eines Krankenhauses, der nach den Plänen des Archi­tekten Prof. Bartning   er­richtet wurde. Der ganz modern gehaltene Zweckbau enthält etwa 60 Zimmer. Das Haus ist als eine Art Privatklinik führender Ber­ liner   Aerzte gedacht. 15 Aerzte, Don denen jeder über ein Sprechzimmer verfügt, ver­einigen sich im kollektiven Betrieb. Für die Behandlung sind Operationssäle, Elektro­therapie, Inhalation, medizi­nische Diagnostik u. a. Dor­handen. Die Krankenzimmer im Südflügel, die ein und zwei Betten enthalten, lassen sich durch ein dreiteiliges Schiebefenster in eine offene Loggia per­wandeln. Die mit allen Neuerungen versehene Küchen­anlage wird von der Firma Kempinski bedient, die hier

Zwei schwere Autounfälle. 3n Mariendorf   und am Kurfürstendamm  . Gieben Berletzte. An der Stegliger Straße in Mariendorf   ereignete sich gestern nachmittag ein folgenschweres Autounglüd. Kurz vor der Einmündung in die Attilastraße raste ein mit vier Personen besetztes Privatauto mit ungeheurer Bucht gegen den Mast eines Straßenfandelabers. Der Anprall erfolgte mit solcher Gewalt, daß der Wagen sich überschlug. Der Führer des Autos, Willi Welf­mann aus Tempelhof  , und seine Begleiter May Leopold, Willi Buche und Konrad Linke erlitten zum Teil sehr schwere Verlegun= gen. Die Verunglückten mußten durch die Feuerwehr in das Tempelhofer   St.- Josefs- Krankenhaus gebracht werden.

Der zweite schwere Verkehrsunfall trug sich auf dem Kur­ fürstendamm   zu. Dort wurde ein Privatauto, das in Richtung Halensee   fuhr, von einem Lastauto, das in die Nestorstraße einbiegen wollte, feitlich gerammt und auf den Bürgersteig geschleudert. Die Infassin des Autos, die 24 Jahre, alte Frau Else Bench erlitt leichte Verlegungen. Dagegen wurde ein Baffant, der 40jährige Redakteur Dr. Kurt Mühsam, erheblich verlegt. Der Arzt stellte außer gefährlichen Fleischwunden eine schwere Gehirn= erschütterung fest. Außer Dr. M. wurde noch eine junge Hausangestellte, die gerade Besorgungen machen wollte, von dem Auto umgerissen und ernsthaft verlegt. Die Schuldfrage ist noch ungeflärt.

Eröffnung des Fernsprech- Kundendienstes. Mit dem heutigen 1. Oktober wird in Berlin   der Fernsprech­Kundendienst( RD- Dienst) aufgenommen, der die Aufgabe hat, bei Abwesenheit oder Verhinderung von Fernsprechteilnehmern für fie bestimmte Mitteilungen entgegenzunehmen, in ihrem Auftrag Mit­teilungen weiterzugeben oder sonst Aufträge bestimmter Art durch

WENN DER KURSFALL

44]

ROMAN  

VON

Foly Scherret

Wie selten muß ich zu ihr zärtlich gewesen sein, daß sie jetzt so erstaunt ist. Da lassen sie ihre Töchter in die hohe Schule" gehen, bringen Opfer und schinden sich, und man ist ihnen nicht einmal dankbar. Wenn Eltern und Kinder Geld verdienen müssen, bleibt nicht viel Zeit übrig, um die Liebe zu beweisen. Aber sie wollen uns auch nicht verstehen. Das ist nun mal so.

Mein liebes Kind..." beginnt Frau Rosolf schüchtern. ,, Hast du deine Mutter gern?" Stockend kommen die Worte. Diese Sprache ist ihr ungewohnt. Sie weiß nicht, was sie fagen foll.

Muttel ist befangen, weil diese Gefühlsaufwallungen so außerhalb des täglichen Lebens stehen. Sie verlangt es wahrscheinlich nicht. Vielleicht schricht fie fogar von der hef­tigen Aeußerung töchterlicher Liebe zurüd. Mit einer leichten, zarien Bewegung streicht Lili der Mutter über das blond­graue Haar.

Helene!" sagt sie ganz leise, so leise, daß Frau Rosolf es nicht hören kann. Es ist nicht Sitte, daß die Töchter die Mutter beim Vornamen nennen. Frau Rosolf heißt für die Sie würde bei einer an­ganze Femilie einfach: Muttel deren Benennung im höchsten Grade staunen.

auch eine Diätküche nach ärztlichen Anroeisungen unter­hält. Die Anlagen des Krankenflügels sind so vorgesehen, daß noch zwei Stockmerke aufgestockt werden können.

Fernsprecher zu vermitteln. Den KD.- Dienst kann nicht nur jeder Fernsprechteilnehmer, sondern auch jeder Benutzer einer öffentlichen Sprechstelle in Anspruch nehmen. Selbstanschlußteilnehmer erreichen den Fernsprech- Kundendienst durch Wählen von, 04"= RD"), Handamtsteilnehmer verlangen bei ihrer Bermittlungsstelle Kunden dienst". Ueber den Fernsprech- Kundendienst ist ein Mertblatt erschienen, das an den Schalterstellen der Postanstalten und von den Fernsprechämtern auf Verlangen kostenlos abgegeben wird.

Festnahme eines Kinderschänders.

Mehr als zwölf Bergehen fallen ihm zur Last. Ein gefährlicher Unhold, vor dem wiederholt in der Deffentlich­feit gewarnt wurde, konnte jetzt von Kriminalbeamten der Dienst­ftelle E1 ermittelt und festgenommen werden.

würden. Die Kinder hatten tein

Donnerstag, 1. Oftober 1931

Neue Kaffenüberfälle.

Zwei Dorfgemeindefassen ausgeplündert.

Nachdem am Dienstag nachmittag der Ueberfall auf die Lichter­ felder   Zweigstelle der Teltower   Kreissparkasse ausgeführt war, wur­den am Mittwoch die Gemeindekassen der Vorort­gemeinden Schöneiche und klein- Schönebed( kreis Niederbarnim) von Berliner   Geldschrankknadern heimgesucht. Es gelang den Verbrechern in beiden Fällen, die Geldschränke mit einem Gebläse aufzuschneiden. In Schöneiche   rautten sie 500, in Klein­Schönebed 1000 M. Wahrscheinlich haben sie in Anbetracht der bevorstehenden Gehalts- und Rentenzahlungen in den Behältnissen größere Beträge vermutet. Die Täter sind entkommen.

*

Am Mittwoch mittag drang in den fast leeren Kassenraum der Stadtsparkasse Meißen ein junger Mann ein, gab einen Pistolenschuß ab, ergriff einen größeren Sack mit 5- Mark­Stücken, eilte wieder hinaus und versuchte auf einem Motorrad zu entfliehen. Der Räuber, der noch wiederholt feuerte, fonnte jedoch, von den nacheilenden Beamten und hinzugerufenen Passanten abgeriegelt, am Davonfahren gehindert und schließlich festgenommen werden. Ein Polizeibeamter wurde durch einen Revolverschuß leicht verletzt.

Billige Kartoffeln.

Erleichterung für Erwerbslose./ Regelung durch die Stadt. Die im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft mit dem Einheitsverband des deutschen Kartoffelhandels, dem Reichsverband deutscher Obst- und Gemüse­händler und dem Zentralverband der Lebensmittelhändler Deutsch­ lands   gepflogenen Berhandlungen über die Verbilligung von Kar­toffeln für Unterstützungsempfänger find geffern zum Abschluß ge­bracht worden.

8 u einem

Danach haben sich der Kartoffelgroß- und-fleinhandel bereit erklärt, vom November d. J. ab bis auf weiteres Eßtar­toffeln an Unterſtügungsempfänger( Erwerbslose, Krisen- und Wohlfahrtsunterſtüßungsempfänger) in wesentlich verbilligten Preise abzugeben. Bei dem gegenwärtigen Preisstand der Speisekartoffeln ist daraufhin mit einer Verbilligung um annähernd eine Mart je 3entner zu rechnen. Bei der Durchführung dieser Verbilligungs­maßnahmen wird ein Verfahren gewählt werden, wonach jeder Bezugsberechtigte durchweg die auf ihn entfallenden Kartoffeln in einwandfreier guter Beschaffenheit von dem Kleinhändler beziehen fann, bei dem er auch bisher seine Kartoffeln bezogen hat. Eine Kartoffeln gegenüber der anderen Ware findet nicht statt. Differenzierung der für die Unterstützten zur Ausgabe gelangenden

Die Einzelheiten der Durchführung dieser Maßnahmen wird der Magistrat Berlin   mit den in Betracht kommenden Organi­lationen des Groß- und Kleinhandels regeln.

In der Gegend des Weddings und Gesund. brunnens   hatte wiederholt ein jüngerer Mann kleine Knaben im Alter von 10 bis 13 Jahren angesprochen und sie gefragt, ob sie gegen ein Geldgescheut ein Paket aus seinem Landhaus abholen Bibliothek der Arbeiterbildungsschule. ein Feat Distrauen und willigten ein." Der nach Tanger Batije, betursacht durch zweimaligen Umzug durch Mann führte die Jungen stets nach der Bucher Forst hinaus, lischer Weise, teils mit einem abgeschnittenen Knüppel, teils auch und an einer abgelegenen Stelle züchtigte er die Knaben in bestia­tende Berlegungen davongetragen. Der Unhold ließ die mit der bloßen Faust. Mehrere seiner Opfer hatten erhebliche blu­prügelten Kinder hilflos zurück und verschwand jedesmal. Nach der Beschreibung der Kinder mußte der Mann zweifellos in der Gegend des Gesundbrunnens oder in Pankow   zu Hause sein. Die Vermutung hat sich bestätigt. Am Mittwoch wurde von den Kriminalbeamten der 25 Jahre alte Büfettier Adolf 3. aus der Florastraße in Pankom als der Täter ermittelt und verhaftet. Auf dem Polizei- nahme der Bücher ist ausreichende Legitimation( Mitgliedsbuch der präsidium legte 3. ein umfassendes Geständnis ab. Es fallen ihm mehr als ein Dugend Vergehen der geschilderten Art zur Last.

noch einen Augenblick, che wir reingehen!" Lili hält ihn am Arm. Reicht es? Ich habe etwa 35 Mark."

Und ich 69; Dafür fönnen wir heut ganz gut leben. Und morgen...?" Gert macht die Gebärde des Auslöschens. Jetzt, da ich bei dir bin, hab ich keine Angst. Hast du den Revolver?" Lili ist ganz Sachlichkeit.

Gert klopft auf seine Manteltasche. Hier!; Aber nun tomm!"

Sie betreten die gepflegten Räume, in denen der Geruch der Speisen nur ganz schwach zu merken ist. Das Restaurant Rautenberg ist wenig besucht. Die anerkannt teuren Preise lassen gewöhnliche Sterbliche davor zurückschreden. Gert findet einen kleinen Edtisch. Das Paar läßt sich nieder.

Gert bestellt Hummern und Sekt.

Lili bekommt einen Schred Ach, es wird schon irgend mie gehen! Sie stüßt den Kopf in die Hand und sagt nach­denklich:., 69 Mart hast du? Das sind mit meinen 34,20 über 100 Mart. Hast du die Schmöker verkauft?"

,, Natürlich! Aber die Antiquariate wollen nichts für alte Bücher zahlen. Ich hab noch handeln müssen." Gert ergreift Lilis Hand und hält sie in seiner. Sei ruhig, wir fönnen dafür hochherrschaftlich speisen, zum leztenmal im Leben."

Bei mir auch zum erstenmal." Sie schmiegt ihre Finger fest in Gerts Hand. Aber das ist nicht die Hauptsache. Wohin gehen wir nachher?"

Zum Schloßteich! Da ist es ganz dunkel, und fein Mensch wird uns begegnen. ,, Wie schön!" sagt Lili. Die helle Behaglichkeit des Restaurants beruhigt sie.., Gib mir was zu rauchen!" Gert offeriert die Fünfzehnpfennigzigarette. Was werden die Leute nachher sagen?" ,, Du Kind!" Gert lächelt melancholisch. Das ist doch gleichgültig."

,, Adieu!" Lili reißt die Tür auf und läuft die Treppe hinunter. Sie muß ein Ende gehen, bis sie eine Autotare trifft. Im Wagen sitzt sie apathisch. Alles wirbelt durch­einander Gut, daß Bilma heut gerade da war. Wie auf so Verabredung! Ob es fehr wehtun wird? Unsinn! Schießen tut doch nicht weh. Man stirbt auf der Stelle. Hoffentlich sehe ich gut aus. Muttel soll sich nicht erschrecken. Gert wird fich Mühe geben. Ich kann ihn nachher nicht mehr sehen. Ich bin längst tot, wenn er sich selbst erschießt. Und so ist alles am besten. Aber vielleicht muß ich schreien?

Die Tare hält vor dem Restaurant Rautenberg, das Lili angegeben hat, einem erklusiven Weinrestaurant, in dem man ausgezeichnet speisen kann.

Gert, der wartend vor der Tür auf und ab gegangen ift, eilt herbei, hilft Lili beim Aussteigen und zahlt. Wart

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,, und deine Mutter..?"

Der Kellner mit den Hummern überhebt Gert einer Antwort. Er wüßte auch nicht, was er fagen sollte. Er hängt nicht an der Mutter.

Lili fieht skeptisch auf den Hummer und auf das Hummermesser. Sie stärkt sich mit einem Schluck Seft und brütet vor sich hin.

Neuherrichtung von Bibliotheksräumen und dem völligen Reu­aufbau der Bücherei, wird diese jetzt wieder der Benutzung übergeben. Die Bücherei ist in ihrer neuen Gestalt in erster Linie bestimmt für die Teilnehmer an den Kursen der Arbeiterbildungs­schule, jedoch steht sie auch wie früher allen Partei= mitgliedern und den Mitgliedern der Sozialisti schen Arbeiter Jugend kostenlos zur Verfügung. Die Ausleihestunden sind an allen Kursusabenden: Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag, abends von 6 bis 8 Uhr. Der Zugang zur Bücherei ist Lindenstraße 3, 3. Hof, rechts 2 Treppen. Bei Ent­Partei und Wohnungsausweis) vorzuweisen. Eröffnung der Bücherei am Donnerstag, dem 1. Oftober, 18 llhr.

,, Gert, ich möchte schon versuchen, aber es wird kaum flappen Ich verstehe nicht mit diesem Büchsenöffner um­zugehen." ,, Dummes! Warum fagst du's nicht gleich. Komm, ich Die beiden Mach's Mäulchen auf." werde dich füttern. Hummern sind bezwungen. Gert nimmt eine Zigarette. Der Kellner fliegt herbei. Er zündet ein Streichholz an. Bon fern verfolgte er das sonderbare Benehmen des Paares: zwei Verliebte, denen die Lebensfreude aus den Augen lacht, und die außerdem über Geld verfügen. Eine seltene Ware in dieser ernsten Zeit.

,, Bringen Sie uns eine Entrecote. Und noch eine Flasche Sekt." Gert füllt die Gläser.

Wir sind sehr originell. Andere Leute sterben wie die Trauerklöße, und wir gehen lachend in den Tod." Lili hat gerötete Wangen. Sie schaut sich unternehmungsluftig in dem Raum um. ,, Bestell mal' n Schnaps. Wollen wir in dem Raum um. darauf trinken! Wir reichen doch noch mit dem Geld?" Der Kellner bringt Rognat und Bolslikör.

Gert hebt sein Glas und prostet Lili zu: ,, Auf ein besseres Jenseits!"

Lili wird ernst. Es ist, als ob diese Worte die Wirkung des Alkohols aufheben. Sie trinkt zur Beruhigung den Aprifo- Brandy auf einen Zug herunter.

Gert fühlt eine große, weltverachtende Selbstschätzung in sich ,, Wir sind nicht nur originell, wir sind auch Helden!" wachsen. Wir sind stille Helden ohne Tamtam, denn wir werfen das Leben weg.

weil es uns ankogt!" beendet Lili den Sazz. Gert, der etwas anderes sagen wollte, ist mit dieser Wen­dung nicht einverstanden... und weil wir zu stolze na­turen sind. Wir sind beide Herrenmenschen, ergänzt er. Die Entrecote wird ſerviert. ,, Ein schönes Fresserchen", schwärmt Gert wie ein kleiner Junge. Herr Ober, zwei Kognat!" Er stößt mit Lili an. Jch feiere nämlich meinen Geburtstag!"

Aber du hast doch heut gar nicht Geburtstag!" ,, Schadet nichts, ich feiere ihn trotzdem. Der Unterschied zwischen Leben und Tod ist nicht so groß, wie man immer annimmt...!" Gert widmet sich feinem Teller. Das Fleisch ist saftig und vorzüglich zubereitet. Dazu möchte ich gern frischen Spargel essen. Man erwischt immer die falsche Jahres­Erst mol können vor Lachen! ,, Ach... ich hab feinen zeit. Frischer Spargel in Butter ist etwas sehr Schönes, jeden­falls ein realer Wert in diesem Jammerdafein!" besonderen Appetit." ( Fortsetzung folgt.)

Warum ißt du denn nicht?"

,, Bersuch's mal! Schmedt fabelhaft."