föeilage Montag, 5. Oktober 193!
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Mamburg
ffiiider aus einer Mafenfladt/ Von Srich&reufle
(Erinnerungen Es Ist Sonntagfrüh. Ich liege noch im Bett. Die Balkontür ist offen. Auf dein Nachbarbalkon rückkoppelt jemand am Radio, daß der Lautsprecher pfeift und quiekt. Endlich kommen Worte:„Achtung, Achtung, hier ist die Norag, Hamburg , mit Uebertragung auf den Deutschlandsender Königswustcrhausen. Wir senden das Hafen- konzert..." Das Äompagniefignal der Hapag heult auf, Gegen- grüße der vorbeifahrenden Dampfer und Barkassen ertönen; der Nundfunkmonn erzählt vom„Michel", dem Wahrzeichen der See- fahrer, er läßt vor seiner chörergemeind« das Bild Hamburgs und des Hafens erstehen: er macht das so gut, daß ich den Seewind zu fühlen und schmecken oermeine, ich sehe die Landungsbrücken, Höfte, Logerschuppen, die Werften mit ihren Hellingen, die an den Duckdalben vertäuten, auf- und niedertanzenden Schlepper, ich höre .ms Klatschen des Wassers gegen Kaimauern und Schiffsbuge, daß Rasseln der Ketten und das Knirschen der Haltctrossen--. Ich liege in Berlin im Bett und träume von Haniburg.„Ham- doch, Dschunge, Dschunge, wat wör dot scheun.. sage ich statt des Morgengruhes, als die Wirtin den Kaffee bringt. Sie guckt mich erschrocken an, sie denkt vielleicht, ich hätte chinesisch gesprochen, dabei bin ich nur ins Hamburger Platt gekommen...„Hambach": die Alster . Diese bewegte, blitzende Wasserfläche. Mit abgefiederten Schoten fliegen schmucke Jachten mit schneeweißen Segeln vor der böigen Brise darüber hin. Schlanke, zerbrechliche Rennboote schießen geschickt gesteuert dazwischen durch. Kommandorufe erschallen:„Hol up, hol up!" Die Riemen greifen im Gleichtakt ins Wasser. Dann die Menge der kleinen Ruder- und Paddelboote, die auseinander- scheuchen, wenn ein Fährdampfcr sein langgezogenes Warnungs- signal brummt, daß sogar die unbekümmerten, anmutigen Alster - schwäne Platz machen. Und es ist Abend. Tausend Lichter blitzen aus und spiegeln sich im Wasser. Buntfarbige Lampions glimmen, Feuerwerk prasselt in die Lust. Vom Alsterpavillon tönk Musik herüber. Die Geiger streicheln so innig und sanft ihre Instrumente, daß die Töne mit dem hauchdünnen Abendnebel zu einem leisen Weinen verschmelzen. Boot an Boot drängt sich an die strahlende, dichtbesetzte Terrasse des Alsterpavillons. Sanft schunkeln die Fahrzeuge aus den leise bewegten Wellen. Das Licht der Gartenkandclabcr fällt greller auf die hellen Damenkleider der vorderen Boote, während die weiter draußen liegenden im stillen Licht des Mondes matter leuchten. Ein Segler gleitet gespenstisch leise heran und läßt die Segel laut- los sinken. Ganz weit draußen, wo das Mondlicht voll auf dem breiten Spiegel der abendlichen Alfter liegt, schweben wie märchcn- hafte Fahrzeuge schlanke Jachten mit der Anmut gleitender Schwäne über dos Wasser. Heimlicher oder dreisterer Flirt von Bord zu l�ord. Die roten und grünen Lichter der Fährdampser huschen vor- über. Der Mond lächelt' satt und prall, obgleich er diese Sommer- nächte nachgerade oft genug gesehen hat. Und wieder hebt die Musik an:„Mondnacht auf der Alst er!" Auf dem Süllbcrg in Blankenese . Hier, an dem hohen Elbufer, dot sich der Reichtum angesiedelt. Prachtvolle Villen grüßen aus dem Dunkel alter Parkanlogen die unten oorbeifahrenden Schiffe. die jenen Reichtum aus allen Welttellen herbeitrugen und tragen. Mächtig rollt der Elbstrom dahin, weiter und breiter als das Auge sehen kann. Ganz hinten, in der Ferne, verschwistern sich Himmel. Land und Wasser zu einem schimmligen Grau. Weich und schmei- chelnd ist das Grau, einlullend wie ein Wiegenlied. Zarte Tönungen Die Landschaft ist still und schwer.— Und nun geht die Sonne unter. Sie sendet von dort, wo der Strom in die See übergeht und sich in Dust und silbernem Glanz verliert, ihre letzten Feuer- grüße. Alles flammt rot auf: die Wolken und das Wasser, die Weiden am Ufer und die Segel auf dem Strom. Ein geteertes Segel, im Abendrot erglühend, gleitet langsam durch das flüssige Gold, silberne Möwenschwingen umzucken es und hoch darüber ziehen unzählige kleine Rosenwölkchen am mattgrünblauen Himmel--. Ja, da kann einer zum lyrischen Dichter werden... Regatta auf der Außenalster. Der Senatsachter wird auf der Bahn vor dem Uhlcnhorfter Fährhaus ausgefahren. Nirgendwo sieht man so viel gutgekleidete Menschen wie hier. Ein- Eleganz. die besticht, die aber einfach, also echt ist und die nicht aufreizend wirkt. Hübsche Frauen, gutgeschnitten- Männerköpfe—: Hamburger Patriziergeschlcchter, die sich im Uhlenhorster Fährhaus , dem Brenn- Punkt des gcsellschafUichcn Lebens in Hamburg , Stelldichein geben. Alle Tische im Garten sind besetzt, die Terrassen sind überfüllt. Ein fröhliches Smnmcn schwebt über' allem. Die Sonne lacht, die Alster glänzt wie ein schuppiger Fischleib. Die Boote liegen dicht an dicht. Am jenseitigen User ziehen sich alte Eichenallecn hin, durch die hin und wieder ein Herrenhaus schimmert oder das hello Smaragdgrün eines englischen Rasens leuchtet.— Stefan Monninger, Professor, Doktor— Haneburgs berühmtester und bester Konzerchauskapcll- uneifter— holt aus feiner Geige und der Kapelle heraus, was er -Herausholen kann. Und er kam,—! Dann: Kommandorufc. Di- Trainer geben letzte Anweisungen. Der Startschuß! Die Riemen Peitschen das Wasser. Im Gleichtall rucken die Rollsitze. Die kühlen. zurückhaltenden Hamburger Kaufmannssöhne stchen auf den Garten- stühlen und beobachten den Verlauf des Rennens durch ihre Gläser. Rufe erschallen, Jubel bricht aus: D-r Favorit hat gewonnen. Er fährt, freudig begrüßt, feine Ehrenrunde. Das Hauptereignis der Hamburger Rudersaison ist' vorbei. Die Musik spielt wieder. Einen leise wiegenden Walzer:„Uh l enh o r st e r Kinder".—— Der Lautsprecher nebenan auf dem Balkon hat längst irgend- einen Dortrag zu schnarren begonnen. Aber in mir ist die Erinne- rung an Hamburg übermächtig geworden, daß ich Heimweh nach Hamburg habe, wo ich so gute Zeiten erlebte... Ich überleg«: wird das Geld jetzt zu einer Fahrt nach Hamburg reichen? Es muß—! 'Jt-amburg, eine freie Jlaniefladf Ich laufe burch die Straßen Hamburgs . Meine Lungen atmen wieder schwere, salzige Lust, die nach Algen, Wasser— und(wie soll man's anders saaen?) nach lzasen und Schiffahrt riecht. Ich spüre den Puls der Hafenstadt, der anders al« der Berlins klopft. Ich muß mich an olles erst wieder gewöhnen, der Uebergang ist ein bißchen plötzlich, so daß ich verwirrt bin. Ich komme durch Anlagen, Parks, da ist die Alfter , der Iungfsrnstieg, die Möncks- bergstraße. Immer bewegt, rastlos flutet das Leben hier«in und aus. Das ist in Berlin auch so. Aber.— ich stehe vor dem im deutschen Renaissancestil gehaltenen Rathaus, einem Sandsteinbau, dessen lll Meter hoher Turm weit über die Stadt ragt, und über
dem Portal ist eine Inschrift: Frecheit haben dir, Hamburg , die Väter tapfer errungen. Würdig wahre sie dir bis auf das späteste Geschlecht. Jetzt weiß ich's: Hamburg ist unabhängig von Fürsten - launen geworden. Es verdankt seine Größe und seinen Reichtum dem Meer— und der Freiheit. In Hamburg ist keine Reihe von Gespenstern im Nachtrock, genannt Siegesallse, aufgestellt. Da sind keine bombastischen Denkmäler, die von„kunst"-beflijsenen Spießern beglotzt werden könnten. In Hamburg ist olles harmonisch anein- andergeglicdert, da ist nichts Aufgebautes nur Hingestelltes, alles ist aus Natur und Bedürfnis geworden: das Fabrik- und Werft- viertel, die Arbesterstadt, das Kontorhausviertel, der Hafen. Was der Stadt seinen besonderen Charakter verleiht, ist dos Netz der Wasserstraßen, Fleete, die fast ganz Hamburg durchziehen. Diese Fleete, vielfach überbrückt, erinnern an die venetianischen Kanäle. Das Wasser bespült die Mauern der umliegenden Häuser, — zwar keine Paläste, sondern schlichte, schmucklose Spaicherbauten mit dem Wasser zugekehrten Giebeln und roten, von der Zeit in ihrer Leuchtkraft gedämpften Ziegelwänden. Auf den Fleeten drängt sich ein Gewirr verschiedenartigster Fahrzeuge: Barkassen,<5cha« luppen, Schuten. Die Ewerführer staken und haken mit langen Stangen ihre Boote geschickt durch das Gewirr. Die Luken und Speicher sind geöffnet, die Winden knirschen und knarren die Lasten hinein. Aus dem Fleet steigen die verschiedenartigsten Gerüche auf. kräftige Düste von Fellen, Tran und Petroleum, wunderliche und unbestimmbare, an denen man vergeblich herumrätselt. Und erst bei Ebbe, wenn die Schuten schwer im schwarzen Schlamm liegen und das schmutzige Wasser nur in kleinen Rinnsalen flieht, da kommt dann allerlei zutage, was auch die unbestimmbaren Düfte nicht wunderlich erscheinen läßt. Und die„Fleetenkieker", die stun- denlang über ein Brückengeländer geflegelt ins Wasser starren, be- kommen immer Neues zu sehen... Die meisten und malerischsten Fleete liegen in der Altstadt. Alt-Hamburg. Das alte Gänseviertel an der Steingasse, das Choleraviertel, die Niedernstraße— das ist alles schon abgerissen. Ganz enge Gähchen waren das und Sackgäßchen mit sogenannten Höfen, Wohnblocks. Da waren der Pesthof. der Paradieshof. Die Häuser mit den übergekragten Stockwerken rückten in der Höhe so dicht zusammen, daß man sich aus den gegenüberliegenden Fenstern die Hände reichen konnte, über den Rinnstein hinweg, der nicht nur die Regenwasser abzulesten hatte, sondern der auch als Kehricht- platz diente. Eierschalen, Kartoffelreste, Fischköpse schwammen in den Pflasterlöchern. Eine duftgeschwängerte Atmosphäre: die der Armut, die des Schmutzes. Balken- und Stangenwerk, zwischen den Häusern über die Straße gespannt, stützte die dem Zusammenbruch nahen Gebäude. Die Stangen ersetzten die Wäscheleinen. Lustig flatterten die Wäschestücke die ganze Straße hindurch, fast aus jedem 5?ausz. Der Regen besorgte die. Reinigung der Wäsche... In dem Gänge- viertel hat in den SOer Jahren des vorigen Jahrhunderts die Cholera gehaust. Ganze Straßenzüge ftatben aus. Noch und nach wurden dann die Häuser abgebrochen. Das letzte ungefähr 1926127. Jetzt ist hier das Kontorhausoiertel. Chllehaus, Vallin-Haus, Sprin- ken-Hof und Mahlen-Hof sind Baublöcke moderner architektonischer Gestaltung, sind der Stolz der City. Die neuen Wohnhausviertel im Norden und Osten der Stadt stellen sich dem Kontorhausoiertel würdig an die Seite. Das neuzeitliche bauliche Schaffen ist hier wieder zum rohen Backsteinbau, dem Klinker, zurückgekehrt, der vor Jahrhunderten bereits das Gesicht der Stadt bestimmend geformt hat und erst vor etwa 100 Jahren dem Putzbou gewichen war. Durch diese Rückkehr zum Klinker betont Hamburg auch wieder in seinem Aeußcrn den Charakter einer niederdeutschen Stadt. Sias arbeilende Mamburg In Hamburg , ja in Hamburg wird gearbeitet! In den Kon- toren, Märkten und Läden. Aber wer die Arbest hören, fühlen und sehen will— alles zugleich—, wer die hundertstimmig� Sinfonie der Arbeit spüren will, ihren gewalligen Akkorden und Rhychmen lauschen will, der muß den 5iafen aufsuchen. Dorum : Auf nach Sankt-Pau/i-Landungsbrücken! Don dort fahren die Schiffs der Hafen-Dampfschiffahrts-Gefellschaft zu chren Hafenrundfahrten ab. Dom Dampfer aus blicken wir auf das grüne Stellufer der Elbe, das von der Seewarte, dem Tropeninstitut und vom Bismarck- Roland gekrönt ist. Am anderen Ufer sind die Werftanlagen von Blohm u. Voß, Etülcken u. Sohn, starren die Hellingen der Reiher- stieg-Werft in den Himmel. Dort sind die größten Ueberseedampfcr der Vor- und Nachkriegszeit gebaut worden. Die Dampfer der „Albert-Ballin "-Klasse der Hapag . die„Europa " des Norddeutschen Lloyd . Dicht bei den Sankt Pauli-Landungsbrücken haben die Ozeanriesen der Hamburg-Süd (omcrika) festgemacht: träge qualmend liegen sie da, schwimmende Grand-Hotels. — Der Maschinentelegraph klingelt, die Dampfpfeise schreit, die Maschine stampft— und einen gischtigen Streifen Kielwassers hinter sich lassend, fährt der Rund- fahrtdampfer ab. Der Wind bläst einem frei und frech ins Gesicht. Die Flagge klatscht gegen den Mast. Die Hamburger Flagge mit den drei weißen Türmen in blutrotem Felde. Und plötzlich macht das Boot eine Wendung, so daß der Wind uns, die wir achtern stehen, den schwarzen Qualm aus dem Schlot ins Gesicht wirft. Gischt spritzt hoch. So ist'» richtig! Aber eine alle Tante glaubt schon seekrank werden zu müssen, sie klammert sich ängstlich an das Gc> länder und guckt ousgeregt bald links bald rechte, well sie dentt, unser pustender, schwarzen Rauch auswerfender Steamer würde irgendeine der an uns vorbeitanzenden Jollen und Schuten über- fahren. Scheltwort« fliegen von Bord zu Bord— aber einer weicht dem andern im letzten Augenblick aus.— Der Fährdampfcr besucht, unter Brücken, durch Sckileusen hindurch, einen Hasen noch dem anderen. Asia-, Afrika -, Jndia-, Petroleunchafen usw. Mehr als Sl> Hafenbecken hat Hamburg . Mit dem Hamburger Hofen eng verbunden und wirtschaftlich mit ihm ein« Einheit bildend, sind die Häfen Altona , Harburg-Wilhelmsburg sowie der Hafen der Ham- burgisch-Preußischen Hafengemeinschast. Durch die Vereinbarungen, die Preußen und Hamburg 1928 getroffen haben, ist ein jahrelanger Streit beendet worden. Das gesamte Hafengebiet der Unterelbe führt jetzt den Namen„Hafen Hamburg".— Vor Walterehof, dem jüngsten hamburgischen Hafengebiet, wendet unser Dampfer. Diese gewaltigen Schleusenanlagen! Diese Kaimauern! Wie Tier« der Vorzeit lagern im Strom die gigantischen Getreideheber, hocken über den Kaimauern die Riesenkräne, die Kohlenkipper, die mit den Stahlskeletten der Werschellinge und den rauchenden Schloten des Industriegebietes im Frechafen ein bizarres, überwältigendes
Bild hervorzaubern. Und von allen Kais und Werften klappert, kracht, dröhnt, pfeift, klirrt, knarrt und kreischt es. Es ist wie ein unartikuliertes Gestöhn aus dem Schlund eines Riesen, den der Wb drückt.— Schiffswerft. Um sich das Geräusch vorstellen zu können: es ist, als wenn 50 Motorradfahrer bemüht sind, das Aeußersts an Geknatter aus ihren stehenden Maschinen herauszu- holen. Zwischen Kiel und Mastspitze turnt der Schiffsbauschlosser herum, zwischen Bug und Heck, ständig umtost vom nervenpeitschcu- den Lärm... Inmitten des heulenden, gellenden Lärms muh er seine Zeichnung studieren, nach der er arbeitet. Er hantiert mit dem gelenkzermürbenden Preßlufthammer, er muh die tobende Handbohrmaschine meistern, die heimtückisch darauf lauert, sich los- zureißen und um sich zu schlagen... Jnmillen des Höllenlärms muß er heute feinfühlig empfindliche Millimeterarbest ausführen und morgen Zentnerlasten bewegen, wobei geringst« Uuoorsichtigteit Menschenleben aufs Spiel setzt. Im Sommer arbeitet er unter den zolldicken Eiseirplatten des Hauptdecks, wenn die Sonne stundenlang darauf gebrannt hat... Und am frostigen Wintermorgen, hoch oben auf der Back, wenn eisiger Ostwind über die Elbe pfeift, dann wollen die krummgefrorenen Finger den Hammerstiel nicht mehr halle:,... Und jetzt, am Feierobend, nach achtstündiger, anstren- gender Schichtarbeit, setzten die Fähren sie über zu den Landung»- brücken. Und der Ruß aus chren Gesichtern, die Oelflecke auf chrcn Kleidern: sie sind keine Verunreinigung! Sie sind, wie der Schweiß, der von ihren Stirnen troff, ein Zeichen ihrer Würde. Ihre Fäuste haben neben der Leistung der Konstruktion den Haupt- anteil an dem Bau der Ozeanriesen gehabt, die jenseits der Meere in fremlien Ländern von Deutschlands Fleiß und Tüchtigkeit zeugen und Achtung erwerben. Jene Achtung vor dem geschaffenen Werk, die Vorbedingung für das gegenseitige Verstehen der Völker ist! Sias luftige Mamburg So, ich habe Durst bekommen. Weil ich gerade in Sankt Pauli bin... Sankt Pauli , Sankt Lustig oder Sankt Liederlich sagt der Hamburger. Der Auswärtige macht sich ein falsches Bild von Sankt Pauli . Sankt Pauli ist eine Mischung von— das dürste am besten zutreffen:— von Kurfürstendamm und Rummelplatz in Berlin N. Zwei Gegensätze, die meinen Vergleich beweisen: 1. Der„Alkazar", „das Herz des Hamburger Nachtlebens", ist ungeftchr das, was das Cafö Steinmeycr in Berlin ist. 2. Das Hippodrom— Rummelplatz.. Die Amüsierbetriebe der Reeperbahn sind von Kopf bis Fuß auf Nepp eingestellt. Geschenkt! Aber in den Nebenstraßen Sankt Paulis ist's interessant. Da ist Käpp'n Haase, der hier eine Kneipe betreibt.„Museum für Kolonie und Heimat" nennt er sie, weil in ihr alle die in vielen Jahren der Seefahrt zusammengetragenen Trophäen ausgestellt sind. Sich selbst bezeichnet Käpp'n Haase als einen„Professor der unentdeckten Wissenschaften". Für einen„lütten Köhm" kann man alles besichtigen: Seejungfrauen und Haifische, Korallen und alle Waffen, Lowenbabys und Schiffsmodelle, eine Wanduhr, die man 20mal aufziehen kann,— und die trotzdem nicht geht, und tausend andere Dinge mehr. Die größte Sehenswürdig- keit ist ein dienstbarer Geist, von dem selost die Stammgäste noch nicht herausbekommen haben, ob es ein Mädchen oder ein Mann ist. In der Schmuckstraße, die im preußischen Altona Ferdinand- stratze heißt— der Grenzpfahl mit dem Preußenadler steht in der Mitte der Straße—, dort gibt es fast nur chinesische Firmenschilder, Barbiere, Zigarettengeschäste, Wäschereien und Restaurant?. Da sind kleine, gemütliche Lokale, die nur der Eingeweihte kennt. Keine Nepplokale wie„Cheong Shing" oder„Neu-China". Bei Loy Choy beispielsweise kann man ausgezeichnet essen. Da bekommt man Suy-Da-Fan vorgesetzt: eine Rcisspeise mit dreierlei Sorten Fleisch, mit Würze und Brühe dazu. Die china -men bekommen Ehstäbchen, der Fremde Messer und Gabel. Der steundliche kleine Kellner rade- brecht ein spaßiges Deutsch und sagt auch im Englischen ,st" statt„r". Oder, um einen„Nördlichen" zu trinken(d. i. Grog, und zwar nach folgendem Rezept: Rum muß. Zucker kann und Wasser braucht nicht dran zu sein...), geht man am besten zur„Kuh- wärder Fähre" in der Hafcnstraßc. Da ist viel Platz, weil das elektrische Klavier unter der Decke hängt... Dann sind da noch andere nett« Seemannskncipen:„Reu-Hoboken",„Concy-Jsland", „Catham Square",„Cosy Corner" usw. Oder die„Jndian Bor". Da bekommt man für 23 Pfennig ein Glas Bier mit Musik, lind es kann einem passieren, daß man der einzige Weiße unter Indern und Negern ist und die wunderbar-traurigen alten Negersongs von: Mississippi zu hören bekommt.
tjapan, AuffHeg stur Welimacht Was uns bei der einzigartigen Entwicklung Japans vor allem interessiert, sind die drei großen Problemkrcisc: die völlige Um- gestollung Japans vom Feudalstaat zum modernen Industriestaat, die dadurch aufgetauchte soziale Frage und ihre mnerpolitische Ge- staltung sowie schließlich die imperialistischen Bestrebungen Japans , der Kampf um eine wirtschaftliche und politische Vormachtstellung im Fernen Osten. Zu oll diesen Fragen wird in dem umfangreichen Buch von Arthur I. Brown„Japan , Ausstieg zur Weltmacht"�) reiches Material angehäuft. Man spürt in jedem Abschnitt, daß der Verfasser Kenner des Landes und der Vorgänge«st. Leider ist es ihm ober nicht gelungen, das reichhaltige Material zu zwinge::. Das Buch vermittelt keinen geschlossenen Eindruck, es fehlt dos Eingehen auf Ursachen und Zusammenhänge. Es kann nicht ge- nügen zu sagen, daß sich dies und jenes geändert, daß sich dies und jenes zugetragen hat. Es muß auch gesagt werden, worin die ein- zelnen Vorgänge ihre Wurzel haben. Diesen tiefergreifenden Fragen wird der Verfasser nicht gerecht. Er bringt in einzelnen Abschnitten Bilder über den Charakter der Japaner, ihren Fleiß und ihre Kriegstüchtigkeit(?), schildert den Aufbau des Staates und das wirtschaftliche Vordringen. Die Llbhebung gegen das feudal« Ja- pan wird nicht überall klar herausgearbeitet und die Behandlung de« sozialen Problems ist schief und unbefriedigend. Die nnpcrio- listischen Strömungen und ihre Auseinandersetzungen mit Amerika sind mit zahlreichem Material der verschiedensten Art belegt, nirgends aber ist eine Entwicklungslinie aufgezeigt, nirgendwo er- hält man einen Einblick in die Zusammenhänge, von dem aus man alles ordnend übersehen und erfassen kann. So ist das Werk wohl ein anerkennenswertes Buch voller Einzelangaben und größerer Episoden, nicht aber ein klargezeich- nete» Bild der überwäüigenden Umwälzungen Japans und Ostasiens . WnÜelm Tietgens .
*) Arthur I. Brown:„Java,,, Aufstieg zur Weltmacht"(Auf- bau moderner Staaten. Band 4. Aus dem Englischen überseht von Dr. H. Schoos, mit Zeittafel. SS4 Seiten. Geheftet 12, SO M. Leinen 15 M.). Örell Füllt B erlag, Zürich und Leipzig .
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