Morgenausgabe
Nr. 471
A.237
48. Jahrgang
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Donnerstag 16
8. Oftober 1931
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Volkspartei gegen Brüning.
Gie will eine Regierung mit Hugenberg und Hitler .
Die Ueberwindung der Wirtschaftskrise fann von einem| Rhythmus ausgezeichnet mit dem des Namens ihres Führers cinzelnen Lande nicht geleistet werden, es bedarf der inter - Dingelden zusammenstimmt, stehen zwei sehr ernsthafte Dinge: nationalen Zusammenarbeit. Diese Ueberzeugung ist allge- fie will eine Regierung unter Einschluß der mein- aber ebenso allgemein ist die Tatsache, daß in den Nationalsozialisten, und sie will sie, um einen ententscheidenden Ländern schwerste innere Störungen der schiedenen Scharfmacherfurs durchzusehen. Durchführung des Gedankens der Zusammenarbeit entgegen- Diesem Stoß gegen Brüning sind Verhandlungen mit der treten. Gestern ist das englische Unterhaus aufgelöst worden, sogenannten nationalen Opposition" und vor allem Verein heftiger Wahlkampf zwischen der Arbeiterpartei und der handlungen mit den rheinisch- westfälischen Schwerindustriellen sogenannten nationalen Regierung beginnt. England hat vorangegangen. Es ist nicht nur die Schwerindustrie, die eine zunächst keine aktionsfähige Regierung. energische Schwenkung des Kurses nach rechts herbeiführen will! Die prominenten Scharfmacher haben Zuzug erhalten aus Bant- und Industriekreisen, die gegen die Banten kontrolle und die Aktienrechtsreform aufbegehren, von der sie eine Erschütterung ihrer Macht fürchten. Diese Kreise werden am Sonntag zusammen mit der sogenannten„ nationalen" Opposition in Harzburg tagen. Zu den Hugenberg , Hitler, Seldte, Winkler, Raltreuth merden sich die Herren Kastl , Springorum, Gilsa und Bögler gesellen. Dort soll eine Einheitsfront gebildet werden, die über Brüning hinweg die deutsche Arbeiterschaft treffen will. Ihr Brogramm ist die Zerschlagung der deutschen Sozialpolitif nach den Plänen Hugenbergs, der Angriff auf die staatlichen Sicherungen der Arbeitereristenz, auf die Arbeitslosenversiche rung mie auf das Tarifrecht. Und nicht nur das: der Angriff zielt auf die politische Stellung der Arbeiterschaft, auf ihre politische Gleichberechtigung, auf alles, was sie politisch in Jahrzehnten erkämpft hat.
Wird Deutschland in der nächsten Zukunft eine Regierung haben, die außenpolitisch aktionsfähig ist? Reichskanzler Brüning ist gestern morgen zurückgetreten. Er hoffte auf eine blitzschnelle Umbildung des Kabinetts unter seiner Führung, aber am Nachmittag spizten sich die Dinge plöglich dramatisch zu. Man hörte von einer Weigerung des Dr. S ch mig, in ein neues Kabinett Brüning einzutreten, es wurde zweifelhaft, ob es Brüning gelingen würde, eine neue Regierung unter seiner Führung zustandezubringen. Scheitert Brüning , dann wäre der Augenblick der Verwirrung da, den er vermeiden wollte, und er selbst hätte ihn durch die Gesamtdemission seines Kabinetts, zu der er gezwungen wurde, unmittelbar vor dem Zusammentritt des Reichstags herbei geführt.
Woher diese Zuspizung? Die Deutsche Bolts partei hat Herrn Brüning einen fräftigen Dolchstoß in den Rüden versetzt. Sie hat gestern ein Pronunziamiento durch den Pressedienst der Deutschen Bolfspartei veröffentlicht, dessen Inhalt zugleich Herrn Brüning durch Herrn Dingelden vorgetragen worden ist. Dies Pronunziamiento lautet:
Die Hoffnung und das Ziel der Deutschen Volkspartei , das Kabinett Brüning von allen parteipolitischen Rücksichten zu lösen und es zu einer zielbewußten überparteilichen Sachwalterin der Lebensinteressen unferes Voltes zu machen, find als gescheitert zu betrachten. Deshalb hat es nach unserem Dafürhalten auch einen 3 wed, mit einigen Korrekturen die Wiederherstellung des Kabinetts auf den alten Grundlagen zu versuchen. Das Kapital des Ver trauens, das sich im Lande langsam angesammelt hatte, ist rapide zerflossen und nicht wieder zu gewinnen. Wir möchten deshalb, ohne den Parteiinstanzen vorgreifen zu wollen, der lleberzeugung Ausdrud geben, daß eine Beteiligung der Deutschen Volkspartei an einer Ilmbildung dieser Regierung nicht in Frage kommen wird. Die Zeit dafür ist verstrichen und durch Halbheiten mutzlos vertan. Wie die Dinge heute liegen, bei den Gefahren, die uns der kommende Winter bringt, tönnen nur noch ganze Lösungen unter entschlossener Führung zu einem guten Ziele führen.
Aus dem Gefühl der Berantwortung heraus müssen wir daher die Forderung ftellen, daß eine neue Regierung, die unbelastet ist durch die letzten Borgänge, das Schidjal des Reiches in die Hand nimmt. Nur einem solchen Kabinett, das sich freihält von fozialistischen Einflüffen, wie immer sie geartet sein mögen, das, auf verfassungsmäßigem Boden stehend, Ruhe und Ordnung fichert, den Kampf gegen Wirtschaftsnot und Arbeitslosigkeit aufnimmt, wird die Deutsche Volfspartei ihre Stütze bieten
fönnen.
Wir sind weiter der Ueberzeugung, daß die Grund linien der bisherigen Außenpolitif von jeder deut. schen Regierung, wie sie auch zufanımengesetzt sein möge, eingehalten merden müssen. Es besteht also keine Veranlassung, die Bildung einer neuen Regierung mit außenpolitischen Gründen abzulehnen. Wir möchten im Gegenteil der Auffassung sein, daß die kommenden Berhandlungen mit den anderen Mächten von einer starten Reichsregierung geführt werden müssen, nicht aber von einem Kabinett, dessen Bestand von jedem parlamentarischen Zufall abhängig ist. Der Kampf um die Neuregelung der außenpolitischen Belastungen, der das innerpolitische Leben Deutsch lands erschüttert, wird am besten dadurch entgiftet werden, daß auch die Kreise der sogenannten nationalen Opposition an der Regierung beteiligt werden und die Verantwortung mit zu übernehmen haben." Die Bolkspartei führt den Stoß gegen Brüning, um die Bahn frei zu machen für die soziale Reattion. Hinter den hochtrabenden Redensarten biefer Rundgebung, deren
Das ist die ganze Lösung", die die Volkspartei im Bunde mit der Reaktion fordert! Diese Lösung ist das Gegenteil von der Lösung, die die Arbeiterschaft erstrebt. Dem Bronunziamiento der Volkspartei vom Mittwoch ist ein politisches Diner im Hotel Kaiserhoff vorangegangen, bei dem im Beisein der Führer der Scharfmacher die Worte geprägt wurden:
,, Es handelt sich um einen Kampf mit klaren Fronten zwischen der nationalen Opposition auf der einen und den vereinigten Gewerkschaften auf der anderen Seite." Nationale Opposition und soziale Reak tion sind eins, sind zwei verschiedene Namen für die
| selbe Sache! Dies Wort vom Kaiserhof ist Kampfansage an die gesamte Arbeiterschaft, es ist zugleich ein Geständnis, daß die Flagge der nationalen Opposition die gegen die Arbeiter gerichteten sozialreaktionären Tendenzen deckt, es ist die Parole, die nach dem Willen der Scharfmacher die Tagung der vereinigten Reaktion in Harzburg beherrschen soll. Dort wird das Bündnis zwischen dem Nationalsozialismus und den Vögler, Springorum, Gilfa und Kastl öffentlich aufgezeigt werden! Die Partei des Herrn Hitler , die sich immer noch Arbeiterpartei" nennt, wird Seite an Seite mit den Scharfmachern aufmarschieren, um für ein Kabinett Hugenberg zu wirken, das sich, wie die Volkspartei verkündet, frei hält von sozialistischen Einflüssen, wie immer sie geartet sein mögen." Das ist das Todesurteil für den Sozialismus" der Nationalsozialisten.
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Diese Front will die Chance nügen, die ihr Brüning mit der Gesamtdemission seines Kabinetts gegeben hat die er ihr geben mußte unter dem organisterten Druck, den diese Front auf den Reichsprüftdenten ausgeübt hat. Diese Front will einem Kabinett hugenberg in den Sattel helfen, damit es gegen die deutsche Arbeiterschaft, gegen ihr Recht und ihre Freiheit anreite! Sie will die Krise benutzen zur Niederwerfung der Arbeiterschaft selbst um den Preis, daß die Krise verlängert und vertieft wird, um den Preis, daß die Versuche zu einer internationalen Krisenbekämpfung ins Stocken geraten. Denn die Verkündigung der Volkspartei, daß die Nationalsozialisten die besten Garanten für die Fortfegung der Stresemannschen Politik seien, wird überall nur ein Hohnlachen hervorrufen.
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Die Dinge find im Rutschen. Herr Brüning will den Feind, der ihn im Rücken angreift, im Reichstag zum Kampf stellen. Die Dinge stehen für ihn so, daß er nur noch die Wahl hat, kampflos einer Regierung Hugenberg das Feld zu räumen oder sich zum Kampfe zu stellen.
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Entscheidende Kämpfe nahen heran! Nie war die Geschlossenheit der Arbeiterschaft notwendiger als jetzt! Der Angriff gilt der gesamten Arbeiterschaft ein Blod aller freiheitlich und sozial gesinnten Werktätigen, der entschlossen ist, dem Block der brutalsten politischen und sozialen Reaktion das Feld nicht fampflos zu räumen, ist das Gebot der Stunde.
Unterhaus aufgelöst.
Macdonalds Wahlmanifest.
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Die Regierung Macdonald- Baldwin- Samuel hat diese Das historische Ereignis der Auflösung des Unter- Aufgabe bisher nicht gelöst. Im Gegenteil: zu der hauses verlief ohne jeden äußeren Prunt. Das Parlaments- Budget krise ist seit ihrem Amtsantritt noch die Wäh gebäude war schwach besetzt, nur einige hundert Mitglieder wohnten rungs frise hinzugefommen. Mitten in diesen schwersten der Berlefung des Auflösungsbeschlusses und der Verlesung der Bot- wirtschaftlichen und politischen Erschütterungen einen Wahlschaft des Königs bei. Die Mehrzahl der Abgeordneten ist bereits fampf zu veranstalten, ist ein geradezu absonderlicher Gemit der Vorbereitung der Wahlen beschäftigt. Macdonald wird danke. Nicht nur die Arbeiterpartei hat davor eindringlich ge= in Seaham , vielleicht aber auch in London kandidieren. warnt, sondern auch die Liberalen haben sich lange dagegen Das Wahlmanifest des Ministerpräsidenten gesträubt, ebenso haben Macdonald und, wie es heißt, jogar wurde am Mittwochabend veröffentlicht. Es fordert für die der König davor gewarnt. Allein die Konservativen, Regierung freie hand. In der augenblicklichen Notlage müffe die in der neuen Regierung zahlenmäßig und politisch über die Regierung frei sein, jedes politische Mittel, das fie als not- ein erdrückendes llebergewicht verfügen, haben darauf bewendig erkannt habe, anzuwenden: 3ölle, Exportförderung, wirt- standen, daß sobald wie möglich gewählt werde. Sie hoffen schaftliche Verträge mit den Kolonien und eine Geld politit, nämlich, daß sie die einzigen Nußnießer der allgemeinen Berdie das Bertrauen zu befestigen geeignet sei. Auf infernafio- wirrung sein werden, die der Bruch zwischen Macdonald und nalem Wege follen einige Probleme in Angriff genommen werden, der Arbeiterpartei auf der einen Seite und die Spaltung die zu den wirksamsten Ursachen der Wirtschaftsnot gehören, nämlich der Liberalen auf der anderen Seite erzeugt hat. die Reparationen und die Kriegsschulden. Um die nötige Freiheit zu haben, jei nationale Einigteit aller Parteien notwendig, aber niemand tonne fich im voraus auf gewiffe Maßnahmen festlegen.
Bei der Bildung der sogenannten nationalen" Regierung wurde von vornherein versichert, daß es sich nur um eine zeitlich begrenzte Notgemeinschaft handle, gebildet zu dem einzigen 3wed, die Finanzkrise zu beheben und die nach Erfüllung dieser einen Aufgabe an die Wähler appel fieren murhe.
Macdonald hatte bei der Bildung feiner Koalitionsregierung versichert, daß alle Beteiligten ihre Selbständigkeit wahren würden. Es ist aber ganz anders gekommen. Dem Namen nach ist er der Führer" her neuen Regierung, und als solcher tritt er in dem Wahlkampf an der Spitze der Regierungstoalition auf. In Wirklichkeit wurde er in steigendem Maße der Gefangene der Konservativen. In den sechs Wochen seiner bisherigen Tätigkeit an der Spitze der Koolitionsregierung hat sich die Kluft zwischen ihm und seiner früheren Partei mit jedem Tag weiter vertieft. Jetzt hat er fich von den Konservativen glüdlich fomeit manövrieren lassen,