Nr. 475 48. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Entenzucht im Torfbruch
Findige Berliner Laubenkolonisten haben sich in einem alten Torfbruch, der an ihr Siedlungsgelände stößt, eine kleine Entenzucht angelegt, die bisher sehr erfreuliche Ergebnisse erkennen läßt. In nächster Nachbar
schaft weiden friedlich die Kühe und
Pferde eines Guts
hofes.
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Die Erwerbslosennot der Reichshauptstadt
Berlins Finanznot, in die die Stadt ohne eigenes Berschulden| Gemeinden im Einzelfalle" gegeben werden sollen. Die Reichshauptdurch das ungeheuerliche Anwachsen der Wohlfahrtslasten stadt hat ein Anrecht darauf, einen nennenswerten Betrag gefommen ist, wird durch die in der neuesten Notverordnung vor- aus diesem Fonds zu erhalten! gefehene Hilfsaktion der Reichsregierung für die deutschen Gemeinden leider nur in sehr geringer Weise gemildert. Das Reich
hat 150 Millionen Mart für die Gemeinden bereitgestellt; in dieser Columbus- Haus am Potsdamer Platz wächst.
Summe sind jedoch die 60 Millionen Mark enthalten, die die JuniNotverordnung bereits als Hilfe für die in Schwierigkeiten befind
lichen Kommunen vorjah. Für Berlin kommt bei dieser„ Reichshilfe ein Betrag von 13 bis 14 Millionen in Betracht. Die Stadt hat aber augenblicklich noch ein Gesamtdefizit von über 100 millionen Mark trotz aller Sparmaßnahmen! 67 Millionen Mart stellen davon allerdings das übernommene Defizit aus dem Borjahre dar.
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Die besonders schwierige Situation der Reichshauptstadt hat ihren Grund in der Tatsache, daß Berlin zu den Städten mit der höchsten Durchschnittszahl der Arbeitslosen gehört und bei dem Finanzausgleich trotz der besonderen Aufgaben, die die Stadt als Metropole des Reiches stets zu erfüllen hatte, sehr nachteilig und ungerecht behandelt wurde. Jahrelang find Millionen von Mark der in Berlin aufgebrachten Steuereinnahmen an andere Stadtverwaltungen geflossen.
Als einzige deutsche Großstadt hat sich denn auch Berlin gezwungen gefehen, unerfehlichen Kommunalbesitz in Form der Bewag veräußern zu müssen.
Die durch diese Tatsache gekennzeichnete besondere Notlage der Stadt muß der Reichsregierung Veranlassung sein, alles zu tun, um Berlin vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Die Notver ordnung sieht neben den 150 Millionen Mark für die Gemeinden eine Summe von 80 Millionen vor, die an ,, besonders notleidende
WENN DERKURS FAL
52]
ROMAN
VON
Faby Scherret
Natürlich tennt Harry die kleine Lizzie, die von Tag zu Tag dünner wird. Ach ja, einstmals war sie Opernfängerin. Sie phantasiert sogar von großen Bühnen, und wenn man fie jetzt sehr reizt, baut sie sich an das Klavier und singt mit fürchterlichem Getöse die Violetta- oder Gilda- Arie. Den Hörer packt dann Entsezen. Eine begehrte Ware, vielleicht weil die Knochen fast die Haut durchstoßen.
Das Lokal füllt sich allmählich. Harry wird vertraulich begrüßt, doch in diese Bertraulichkeit mischt sich eine Ahnung von Servilität. Er gehört auch als Stammgast zu der anderen Welt, zur Welt an der Sonne.
,, Heirate doch die Nora Marr. Sie will durchaus an den Mann kommen. Geld ist da genug vorhanden, und der Alte hat den Rappel mit der vornehmen Familie. Damit fannst du dienen. Daß du noch immer studierst, stört nicht weiter." „ Das Geld würde mich schon reizen, die Frau weniger." Gert kann die auf Bamp stilisierten Haustöchter nicht ertragen. Ich sollte sie zum Weibe erwecken. Sie lud mich deswegen zum Tee ein." Harry schüttelt sich. Ich und eine Jungfrau heiler:.
Gert nidt zustimmend. Meinetwegen braucht dieser merkwürdige zoologische Typ nicht zu existieren. Komische Dinge gibts in der Natur."
Mensch, sei nicht dumm", ereifert sich Harry. Du wirst doch mit einer Jungfrau fertig werden. Und als Schwiegerjohn von Marr hast du Geld! Geld! Geld!" schreit er ins Lokal.
Lärm entsteht. Es ist ein einziger großer Schrei der Freude. Alles drängt zur Tür, in der ein schlanker und mit erwählter Eleganz gekleideter Mann erschienen ist. ,, August ist wieder da!"
Einer ruft es dem anderen zu. Jeder will dem Eintretenden die Hand schütteln. Auch in Harrys Gesicht glänzt aufrichtige Freude.
Prost, August", ruft er, und der Gefeierte nickt ihm liebevoll zu.
Ein sichtbarer Beweis für das rasche Tempo der modernen Stahlstelettbauweise bietet die Errichtung des Columbus= Hochhauses am Potsdamer Platz an der Bellevuestraße. Während man im August mit der Montage des Stahlgerüftes begonnen hatte, nachdem die Ausschachtungs- und Isolierungsarbeiten für den Keller drei Monate in Anspruch genommen hatten, wird jezt bereits im Oktober an der Dachkonstruktion gearbeitet, so daß nun schon das ganze Gebäude in seinen äußeren Umrissen erkennbar ist. In den unteren Stockwerken sind bereits die Füllwände und Decen gezogen worden, und man ist schon an der Arbeit, die Berblendung des Hochhauses anzubringen. Am nächsten Donnerstag foll bereits der Richtfranz errichtet werden, und man hofft auch, bis zu diesem Zeitpunkt die Treppen, wenn auch in roher Form, einbauen zu können. Die Montage des Stahlgerüftes dieses zehnstöckigen Gebäudes hat also 11 Wochen in Anspruch genommen. Der innere Ausbau des Columbus- Hauses wird zwar noch einige Monate in Anspruch nehmen, das Gebäude dürfte aber jedenfalls schon Anfang des Jahres 1932 bezugsfertig sein.
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24 Uhr feine dritte Südamerika Fahrt dieses Jahres be Das Luftschiff „ Graf Zeppelin" wird am 16. Oftober etwa gegen ginnen, die wieder bis Pernambuco führt und auf der es Post auch nach Rio de Janeiro und Buenos Aires mitnehmen wird. Sämtliche Sendungen müssen spätestens am 16. Oktober, 21 Uhr, beim Postamt Friedrichshafen vorliegen.
Also August Macholl ist nach längerer Abwesenheit zurückgekehrt, zurückgekehrt zu Johnny, Mary, Poldi und wie fie alle heißen, zurück in seine Heimat, aus der ihn der Staat grausam gerissen hatte, weil August aus Versehen eine Brief= tasche, die einem Kunden gehörte, als sein Eigentum dekla
rierte.
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Sonnabend, 10. Oftober 1931
Die Sprengstoffunde von Petershain. Bisher 10 Personen festgenommen.
Auf Veranlassung der Görlitzer Staatsanwaltschaft sind nunmehr insgesamt 10 Personen wegen des großen Sprengstoffdiebstahls aus einem Steinbruch bei Petershain festgenommen worden, und zwar außer mehreren Brüdern des in Hohenseefeld verhafteten Dienstknechtes& urt Bertels noch ein Ehepaar kieschnid aus Petershain, sowie mehrere Personen in Kosel, die mit ihnen in Berbindung stehen.
Während Kurt Bertels vorläufig in Berlin zur Verfügung der Süterboger Untersuchungskommission bleibt, werden die anderen neun in Görlitz von Beamten des Landeskriminalpolizeiamtes Liegnig vernommen werden. Sowohl in Petershain und Kosel als auch in Hohenseefeld sind Kriminalbeamte mit den weiteren Ermittlungen beschäftigt, und zwar handelt es sich bei den Nachforschungen in der Oberlaufig in erster Linie um die Feststellungen, zu welchem Zwed diese großen. Sprengstoffmengen beiseitegeschafft und im Walde verstedt wurden ,,
ferner wo der Sprengstoff geblieben ist, der in der einen learen Blechtanne offensichtlich vor Entdeckung des Fundes aufbewahrt worden war, und schließlich muß noch die Herkunft der Zündschnüre, Leitungskabel und elektrischen Zünder festgestellt werden. Da nun einmal in der Person Kurt Bertels eine gewisse Verbindung zwischen dieser Sprengstoff- Affäre und dem Jüterboger Attentat geschaffen ist- wobei es vorläufig noch ganz offen bleibt, ob man hier wirklich eine wichtige Spur gefunden hat- wird man natürlich auch Untersuchungen darüber anstellen, ob das in Petershain beschlagnahmte Material, insbesondere Sprengstoff, das gleiche gemejen sein kann, das in Jüterbog zur Verwendung kam. Die Nachforschungen in Hohenseefeld erstreckten sich in der Hauptsache darauf, ob Kurt Bertels etwa in der Zeit vom 5. bis 8. August, also in den Tagen vor dem Anschlag gegen den Frankfurter FD- 3ug, sich von seiner Arbeitsstelle entfernt hat, ohne ein stichhaltiges Alibi für den betreffenden Zeitraum beizubringen.
Zu erwähnen sei noch, daß Bertels mit dem Unbekannten, der die Eisenrohre und Leitungskabel in Berlin einkaufte, auf teinen Fall identisch ist. In seinem Schlafraum in Hohenseefeld wurde bisher nichts Belastendes gefunden.
Im Laufe des heutigen Nachmittags sind weitere zmei Todes opfer der Explosionstatastrophe geborgen worden, so daß fich die Gesamtfotenzahl bis jetzt auf zwölf beläuft. Aus Warschau ist eine Ministerialfommiffion zur Unterfuchung der Ursachen der Katastrophe im Flugzeug eingetroffen. Drei Direktionsmitglieder der Firma Gasolina, die die Gasleitungsarbeiten in Gdingen ausgeführt hat, sind verhaftet worden. Die Beerdigung der Opfer findet voraussichtlich am Sonntag statt, sie wird auf Kosten der Stadt erfolgen.
Kriminalrat Hoppe gestorben.
Einen schweren Verlust hat die Berliner Kriminalpolizei erlitten. Der 59 Jahre alte Kriminalrat Karl Hoppe ist am Freitagfrüh um 7 Uhr im Stubenrauch- Krankenhaus einem schweren Krebsleiden erlegen, das ihn schon seit Wochen an das Bett fesselte. Hoppe feierte vor wenigen Jahren noch sein 25jähriges Dienstjubiläum. Nur die ganz schweren Jungen pflegten bei ihm zu verfehren". Hoppe, ein gebürtiger Ostpreuße , erfreute sich bei seinen Beamten einer ungewöhnlichen Beliebtheit. at
das Bezirksamt Schöneberg qut Weittwoch, den 14. Ottober, Nachtwanderung durch Alt- Berlin. Die nächste Wanderung veranstaltet unter Leitung Georg Bambergers. Treffpunkt: 20 Uhr im Ephraim- Haus, Poststr. 16, Ede Mühlendamm. Unkostenbeitrag 1 M.
alle Uebertretungen der Herren Gerechtigkeitswächter zur Anzeige bringen könnte, wären die Zellen von diesen Herren bevölkert und nicht von ehrenwerten Elementen.
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,, Ist das denn eine Art, daß ich bei der Frau Inspektor die Decken weißen muß...!" August Macholl war, bevor er den Beschützerberuf wählte, ein geschickter Zimmermaler... Am Vormittag ist er eingetroffen, etwas bleich und ab- ,, Und als ich fertig war, bot sie mir zum Dant einen Bonbon gerissen, mit wenig Geld in der Tasche, jedenfalls mit weniger, an." Er lacht breit und gemütsdurchsannt. Aber der hab als es sich für einen untadligen Gentleman ziemt. Aber die ichs gegeben. Fein, fann ich euch bloß flüstern. Selbst du, Unterstüßungskasse des Vereins ,, Starke Eiche" ist sofort in Harry, hättest deine helle Freude daran gehabt. Ich forderte Attion getreten, und vor den Getreuen erscheint ein gepflegter ganz einfach einen Schnaps, und als sie sagte, das sei verHerr mit intelligentem, liebenswürdig lächelndem Gesicht. boten, da meinte ich so von ungefähr, das Deckenweißen durch Auguft Macholl begrüßt Gert mit einer formvollendeten Sträflinge sei ebenfalls verboten. Ne halbe Flasche hab ich Berbeugung und schüttelt warm und lange Harrys Hand. darauf bekommen.
Freue mich wirklich, Doktor, dich wiederzusehen, und dann dank ich dir auch schön, daß du mich nicht vergessen hast."
Harry ist wirklich ein treuer Freund gewesen. Er hat beinahe in jeder Woche ein Patet mit allerlei für einen Sträfling erfreulichen Sachen geschickt und außerdem Augusts Freundin in jeder Beziehung unterstützt.
Eine prächtige Feier beginnt. Johnny holt ein paar Flaschen französischen Seft herauf, der ihn allerdings sehr wenig getoftet hat. Sie stammen aus dem Lager einer befannten Firma, das in einer Nacht von unbekannten Liebhabern beschlagnahmt worden war. Auch August weiß, was fich gehört, um solchen würdigen Tag zu feiern, und Harry zückt gleichfalls die Brieftasche. Die Gemüter erhitzen sich, je schneller die Runden geworfen werden. In Gerts Kopf hat ein Mühlrad seine Tätigkeit aufgenommen.
Harry ist glüdlich. Er duzt sich mit allen, er gehört fast als rechtmäßiges Mitglied zu dieser ehrenwerten Familie, er betreut sie mit seinem Raf, er hilft, wo er fann. Wenigstens geben diese Ausgestoßenen offen zu, wovon und wofür sie leben.
Er flopft August Macholl auf die Schulter. Es ist ein Zeichen langjähriger Freundschaft und Vertrautheit, und doch liegt in der Geste noch etwas anderes. Wohl kann sie als Ausdruck der Liebe und Wertschägung angesehen werden. Aber sie kommt auch von oben herab. Der Mann, der sie beherrscht, stammt aus einer anderen Schicht, die sich wenigstens die Ueberlegenheit äußerer Lebensformen bewahrt hat.
August erzählt Anekdoten aus seinem Gefängnisleben. Er erzählt sehr hübsch, gut pointiert und immer leise mit der Wirkung, fofettierend, ohne daß er sich aber als begnadeter Held unter Scheinwerferbeleuchtung rüdt. Ach, wenn man
Hier wird August unterbrochen. Am Nebentisch sind zwei Herren in explosiv ausgebrochenen Streit geraten. Niemand fennt die Ursache. Vielleicht ist ihnen durch den Alkohol ein lang zurückliegendes Aergernis eingefallen. Jedenfalls hebt der eine das schwere Bierseidel und schleudert es nach seinem Gegner. Dieser ahnt die Gefahr und duckt sich schnell. Das Glas landet an Harrys Schläfe.
Das glucksende Lachen erstirbt ihm in der Kehle. Lautlos fact er unter den Tisch.
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Berlin notiert schwächer. In Danzig ist eine Panit an der Börse ausgebrochen. Ueberall herrscht selbst bombensicheren Papieren gegenüber eine vorsichtige Haltung. Ein Getreidepreis scheint sich überhaupt nicht mehr bilden zu wollen. Die deutsche Regierung erhöht den Brotpreis, und auf dem Weltmarkt sinkt Getreide ins Bodenlose. Rußland drückt auf den Handel, und Amerika muß folgen, ob es mill oder nicht.
James wirft verärgert die Zeitung hin. Schöne Aussichten für die Zukunft! Was soll er anfangen, wenn der Kurs noch weiter abjadt? Schwankt alles?
James rechnet und rechnet. Der Kaffee ist falt geworden. Die Aftien verlangen bald einen neuen Zuschuß. Woher ihn nehmen? Wenigstens kommt heute Geld von der„ Schlefifchen". James faut an einem Brötchen, das zäh wie Leder ist. Die 3eit wird von Tag zu Tag verrückter, nicht einmal auf die Bäcker darf man sich verlassen. Es ist unerhört, was fie einem Menschen anzubieten wagen. Brötchen müssen knusprig sein, frisch und resch. Fürchterlich dieses schlecht ge= backene Zeug!
( Fortsetzung folgt.)