1931
Der Abend
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Nr. 488
B 244
48. Jahrgang
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Der Chor der Geschlagenen
Verlegenheit und dunkle Drohungen
Sonntag siegesbewußt in Harzburg aufmarschiert, Freitag, blamiert, aus dem Reichstag davongelaufen- die Presse der
„ nationalen. Opposition" hat es wahrhaftig nicht leicht, bei DRUCKEREI
ihren Lesern den Glauben an die Unfehlbarkeit der Führung zu erhalten. Man versteht, warum sich der„ ,, Berliner LokalAnzeiger" einstweilen politisch nicht äußert, sondern nur Hussong schreiben läßt. Wohingegen das andere HugenbergBlatt ,,, Der Tag", in folgenden Tönen seinem gepreßten Herzen Luft macht:
Jeder Staatsmann erhält nur einen Vertrauens- Borschuß. Brüning hat den seinen verbraucht. Sein zweites Kabinett ist in offener Abhängigkeit von der Sozialdemokratie entstanden, seine Santtionierung durch den Reichstag verdankt er der politischen Schwäche der Mitte. So muß diese neue, die 21. Regierung der Republit, mit verdoppelter Anstrengung bekämpft werden, um zu den Entscheidungen zu kommen, die sie wiederum zunächst verhindert hat. So muß diese neue, innerlich noch schmächere Reichsleitung mit noch größerer Entschiedenheit abgelehnt werden, um endlich die Bahn frei zu machen für eine starte Staatsführung. Der nächste politische Zusammenstoß wird zeigen, wie unauf haltsam die Bafis des Brüning- Kurses zerbrödelt.
Die Deutsche Zeitung", das Blatt der Alldeutschen, fnüpft an die Stelle der Kanzlerrede an, die an die Heße des Alldeutschen Verbandes gegen Bethmann- Hollweg während des Krieges erinnert und sagt dazu:
Wir sind heute im Kriege mie damals, und wir wollen heraus aus den Bethmännerei der Zugeständnisse an die Linke, mie sie jetzt von Brüning betrieben wird. Der Reichstag ist mit einer tragifomischen Abschiedsvorstellung von der politischen Bühne verschwunden. Die weitere Entwicklung wird zwangsläufig sein. 3mischen Sozialdemokraten und Gemertschaften auf der einen, der Macht der Tatsachen auf der anderen Seite wird Bethmann- Brüning zerrieben werden. Der Weg der fommenden Wochen und Monate wird von furchtbarem Ernſte sein. Wir werden ihn gehen in der Gewißheit, daß die Stunde der nationalen Opposition, die alle parlamentarischen Versuchungen überwunden hat, niemals näher gewesen ist, als nach diesem„ Siege" Brünings.
Mit noch eindeutigeren Drohungen geht Jügler in der scharfmacherischen„ Berl. Börsenztg." vor. Er schreibt: zu durchgreifenden Reformen kann Brüning, da er besonders in der Wirtschaftspolitik von der Sozialdemokratie abhängig ist, nicht gelangen. Das bisherige Regierungssystem wird die Wirtschaftsnot, d. h. die Volksnot, nicht überwinden können, weil es im entscheidenden Augenblick sich nicht von dem Einfluß der hundertprozentig egoistischen Sozialdemokratie hat frei machen können. Vor dem 16. Oftober hätte der Systemwechsel noch durch eine Regierungsumbildung herbeigeführt werden fönnen. Die Sorge bedrängt uns, daß, wenn nicht vorher höherer Einfluß fich ausschlaggebend geltend macht, der notwendige Systemwechsel unter dem Drud der Weltkrise auf Kosten der Wirtschaft und des ganzen deutschen Volkes erst durch den eklatanten 3usam menbruch des alten Systems, unter Unruhe und Er schütterung, herbeigeführt wird. Dann ist es Brünings Schuld, jene Gelegenheit versäumt zu haben.
Zusammenbruch, Unruhe und Erschütterung das find die Faktoren, auf die die Sozialreaktion ihre Siegeshoffnun
gen gründet.
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Zum Chor der Geschlagenen gehört natürlich auch die Rote Fahne". Sie muß auf die Sozialdemokratie tüchtig schimpfen, weil sie den Sieg der Harzburger verhindert hat: Die Sozialdemokratische Partei billigt durch ihre gestrige Abstimmung ausdrücklich die ganze Politik Brünings, die ganze Serie
seiner Notverordnungen.
Das ist eine dumme Lüge. Die Sozialdemokratie hat sehr deutlich gesagt, was sie an der Politik Brünings und den Notverordnungen nicht billigt. Sie arbeitet ständig daran, Berbefferungen herbeizuführen. Was sie aber entschieden mißbilligt, das sind die Stiefelpuzerdienste, die die Kommunisten den Hugenberg und Hitler leisten.
Die ,, Rote Fahne " wiederholt die Papageienphrase, daß die Sozialdemokratie der unverhüllten faschistischen Diktatur" den Weg bereite. Aber der Augenschein lehrt, daß nach der Haltung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion die ,, unnerhüllte faschistische Diktatur" zunächst einmal mit einge fniffenem Schwanz davongelaufen ist. Wäre es nach KPD . Rezepten gegangen, so wäre sie heute am Ruder.
VOLKSBUCHHANDLUNG
Kommunisten als Bombenwerfer
In die Räume unseres Parteigeschäftes in Kassel wurde, wie bereits mitgeteilt, von Kommunisten ein Sprengkörper geworfen, der großen Schaden anrichtete. Unser Bild zeigt die Front des Gebäudes, das zum Gegenstand des verDebrecherischen kommunistischen Anschlags wurde.
Matuschkas großes Geständnis
Er will die Attentate allein begangen haben
Die Untersuchung gegen den Eisenbahnattentäter| holzverkleideten Beranda. Im Erdgeschoß lägen zwei Zimmer, eine Matuschka hat jetzt eine sensationelle Wendung genom- Küche und eine Diele. Von der letzteren führe eine hölzerne Treppe men. In der vergangenen Nacht hat M., wie heute aus Wien gemeldet wird, sein bisheriges Geständnis er= heblich erweitert. Das Wesentliche bei seinen Angaben ist jedoch die Erklärung, daß der geheimnis. volle Dr. Bergmann, sein angeblicher Auftraggeber, überhaupt nicht existiert.
Wenn auch die
Am Freitag war Matuschka von Kriminalrat Gennat, der bekanntlich in Bien meilt, stundenlang verhört worden, ohne daß dabei irgendwelche Fortschritte erzielt wurden. Nach einer kurzen Unterbrechung wurde das Verhör in den Abendstunden fortgesetzt. In den späten Nachtstunden erlitt Matuschta einen 3u sammenbruch. Man legie abermals eine kurze Pause ein, bis fich Matuschka einigermaßen beruhigt hatte. Dann erklärte er, daß er sein Geständnis erweitern wolle. mit der Aufklärung der Verbrechen beschäftigten Kriminalisten von vornherein der Person des angeblichen Auftraggebers zur Besorgung der Sprengmaterialien, Dr. Bergmann, überaus steptisch gegenüber standen, so tam doch die Erklärung Matuschkas überraschend, als einräumte, daß Bergmann überhaupt nicht existiere. Matuschka will die Attentate fämtlich allein begangen haben. Er erklärte weiter, daß sein Gewissen mit weiteren Verbrechen belastet ist, daß er darüber aber noch keine Angaben machen will. Zum Schluß sagte Matuschka, daß er erst in der Haupt verhandlung die übrigen Attentate, die auf sein Konto kommen, einräumen werde.
er
Wo steht Matuschkas Holzhaus? Nach wie vor bleibt Matuschka bei der Angabe, daß er im April und August in einem Holzhäuschen gewohnt habe, das im Besten Berlins unweit einer Bahnstrede an einer noch unvollendeten Straße gelegen gewesen sei. Er beschreibt das Häuschen wie folgt: Auf der einen Straßenseite stehe unmittelbar vor dem Baldrand eine Reihe Häuser. Auf der gegenüberliegenden Seite seien zwei Häuserreihen hintereinander sichtbar. Daran schlössen sich Wiese und Wald an. Das Häuschen liege mit der Schmalfeite nach der Straße zu. Es sei einstödig und habe ein Giebeldach aus Asbest. Der Eingang befinde fich auf der Borderseite des Hauses Einige Treppenstufen führten zu einer
zum unter dem Dach gelegenen Mansardenzimmer. Links neben dem Haus stehe ein Taubenschlag auf einer hohen Holzsäule. Das Grundstück sei von der Straße durch einen Drahtmaschen= a un getrennt. In der Mitte befinde sich die Tür. Im Vorgarten 10 Jahre alter Obstbaumbestand befinde sich hinter dem Haus. Die seien Rasenflächen und Blumen sichtbar. Ein ungefähr 5 bis Nachforschungen durch die Berliner Kriminalpolizei bezüglich dieses Häuschens verliefen aber ergebnislos. Die vielfach in der Breffe miedergegebene Auffassung, Matuschka habe seinerseits den Ort Caputh als für seinen Aufenthalt in Betracht kommend be= zeichnet, beruht auf einem Irrtum. Damit entfallen auch alle daraus gezogenen Schlüsse.
Einzelheiten über das Geständnis.
Wien , 17. Oftober.( Eigenbericht.) Matuschka ist in den heutigen Vormittagsstunden, nach dem Geständnis der vergangenen Nacht, weiter verhört worden. Polizeirat Dr. Böhm, Kriminalrat Gennat und der ungarische Polizeirat Dr. Schweiniger erreichten bei dem Kreuzverhör, das zur Zeit noch andauert, überraschende Ergebnisse. Unter dramatischen Szenen gab Matuschka unumwunden zu, daß er nicht nur die Anschläge bei Bia Taborgy und Jüterbog , fondern auch die Eisenbahnattentate bei Anzbach in Desterreich im September 1930, das eine Stunde von Wien entfernt liegt, und den Anschlag bei Neu lengbach allein ausgeführt habe. Bei Anzbach konnte ein schweres Unglüd nur durch die Geistesgegenwärtigkeit des Zugführers ver hindert werden. Auf den Schienen wor ein Prellbock befestigt worden, der den Zug bei der Geschwindigkeit fast unweigerlich hätte zur Entgleisung bringen müssen. Wenige Meter vor der Unfallstelle entdeckte damals der Lokomotivführer das Hindernis. Der Beamte bremste mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, und nur diesem Umstand war es zu verdanken, daß die Lokomotive teilweise entgleiste, der Zug selbst aber unbeschädigt blieb.
Auch der Aufenthalt Matuschtas im April dieses Jahres in Berlin scheint durch das Geständnis seine Aufklärung gefunden zu haben. Danach plante M. bereits zu dieser Zeit ein Attentat bei Jüterbog . Er fuhr von Wien nach Berlin und wollte dort einen Schweißapparat taufen. Die Stelle des geplanten Attentates hatte er bereits genau ausgefundschaftet. Das Berbrechen